Vergleich allgemeiner Formen von Verwandtschaftskämpfen in der höfischen Dichtung und im Parzival
Der Artikel beschäftigt sich mit dem Vergleich von allgemeinen Formen bei Kämpfen mit Freunden bzw. Verwandten im Artusroman und in Wolfram von Eschenbachs Parzival. Genauer gesagt, wird das Sujet des Handlungsschema, Parzival und seine Zweikämpfen genauer untersucht. [Schulz 2012: S. 244] Dabei stelle sich die Frage, ob in Artusromanen bzw. höfischen Erzählungen gewisse Muster existieren, die typisch für den Verwandten- und Freundeskampf sind. Bestehen beispielsweise Affinitäten, typische Elemente oder kann möglicherweise von einem Topos in den Szenen gesprochen werden? Im Folgenden wird eine Vielfalt von möglichen Kategorien, wie beispielsweise die Umstände, der Ort oder die Zeit des Kampfs, das Gnorisma, die Gegner und ihr Wissen voneinander oder die Funktion des Verwandten- und Freundeskampfs auf pauschale Überschneidungen untersucht.
Formen des Verwandten- und Freundeskampfs
Kampfarten
Czerwinsky schreibt von den zwei existierenden Dynastien im Parzival und deren Verknüpfungspunkte mit dem Heroe. Mit der einen Dynastie meint der Autor die Begegnungen mit Sigune, Trevrizent und Anfortas - mit denen Parzival immer Gespräche führt und mit der zweiten Dynastie sind Ither, Gawan und Feirefiz gemeint, mit denen Parzival kämpft. [Czerwinski 1989: vgl. S.85] Im folgenden Abschnitt sollen die Kämpfe der zweiten Dynastie bzw. der väterlich-ritterlichen Linie genauer untersucht und kategorisiert werden. [Czerwinski 1989: vgl. S.89] Bei den Kämpfen unter Freunden und Verwandten handelt es sich überwiegend um Zweikämpfe, die Schulz mit dem Einhergehen ritterlicher Taten beschreibt. Hierbei übt der Artusritter Gewalt aus, begegnet jener und sieht sich dem Tod gegenüber. [Schulz 2012: vgl. S. 250] Die Zweikämpfe zwischen den Freunden und Verwandten werden in unterschiedliche Kampfformen unterteilt. Jedoch sollt erwähnt werden, dass die verschiedenen Kampfformen nicht immer eindeutig voneinander abzugrenzen sind. Die erste Kampfart ist der Gerichtskampf, indem es darum geht, sein Recht oder das von demjenigen, den man vertritt zu verteidigen. Diese Kampfart kommt jedoch äußerst als Freundes- oder Verwandtenkampf vor. Ebenso wenig wird in diesem Kreis der Feldkampf ausgetragen. Denn der wird eigentlich von zwei Heeren und nicht von zwei einzelnen Personen ausgetragen. Die dritte Kampfform ist der Schlachtkampf, während dem ein Zweikampf in einer Massenschlacht entstehen kann. Im Gegensatz zu den beiden vorigen Kampfsorten hat dieser eine weniger enge Verbindung zu Recht und Ritus wie die anderen beiden. Die vierte Kampfart ist der Fahrtkampf, der einen spontanen Kampf darstellt, der auf dem Weg oder der Reise eines Ritters erforderlich ist. Fahrtkämpfe sind immer eng verbunden mit dem Wahlkampf, der meistens aus einer Suche resultiert. Kämpfe, die eine Suche abschließen differenzieren sich, da das Aufeinandertreffen oder der Kampf selbst von einer beteiligten Person geplant oder erwünscht ist. Duellkämpfe hingegen sind vereinbarte Zweikämpfe, die meistens vor den Augen der Öffentlichkeit und zur Erprobung stattfinden. Die vorletzte Kampfform ist der Spielkampf, bei dem von Beginn an ein Kampf um Leben und Tod ausgeschlossen wird. Oftmals ist dieser unverbindlich und dient in Freundes- und Verwandtenkreisen zur Unterhaltung. Zuletzt ist nun auch noch der Scherzkampf aufzulisten, bei dem auch ein dramatisches Ende ausgeschlossen ist. Denn einer der beiden Kämpfer durchschaut auch von Beginn an, den Kampfablauf. Bei jener Kampfart werden im Freundes- und Verwandtenkreis die Kämpfenden oftmals erzogen oder geprüft. [Harms 1963: vgl. 208] Nun stellt sich jedoch die Frage, welche spezielle Zweikampfform typisch für die Ritterdichtung ist, insbesondere für den Epos Parzival. Parzivals Kampf mit Feirefiz ist ein typisches Beispiel für einen Fahrtkampf. Im XV. Buch treffen die beiden Männer aufeinander.
(735, 5-8) | |
Parzivâl reit balde | Parzival ritt kühn auf einen großen |
Gein eime grôzen walde | Wald zu über eine Lichtung in der Wildnis. |
Ûf einer liehten waste | Da vor ihm stand ein Fremder, |
Gein eime rîchen gaste. | ein gewaltiger Herr. |
Wie es bereits in der Textstelle zu lesen ist, sind beide Männer unabhängig voneinander unterwegs und Treffen in der Wildnis auf der Lichtung aufeinander. Ein weiteres Merkmal für den Fahrtenkampf ist auch, dass er von keinem der beteiligten geplant ist, was auf Parzival und Feirefiz ebenfalls zutrifft. Dieser Kampf findet ohne fremde Zeugen statt, was ein weiteres Merkmal für den Fahrtkampf darstellt. Bei diesem Kampf handelt es sich um einen Kampf zwischen zwei Verwandten, denn Parzival und Feirefiz sind Halbbrüder, was sie zu diesem Zeitpunkt allerdings noch nicht wissen. Harms schreibt auch, dass es bei höfischen Romanen und speziell bei Fahrtkämpfen oftmals das Motiv der Suche mit reinspielt. Auch das trifft bei den Halbbrüdern zu. Parzival ist noch immer auf der verbitterten Suche nach dem Gral und Feirefiz auf der seines Vaters. Von einem Duellkampf spricht man zwischen Ither und Parzival, welcher allerdings in der Ritterdichtung normalerweise zwischen Verwandten oder Freunden weniger vorkommt. Der Kampf zwischen den beiden Männern findet in der Öffentlichkeit statt und ist geplant (154, 27 f.). Der Duellkampf entpuppt sich ebenso als Kampf unter Verwandten, denn Ithers Ehefrau ist Parzivals Tante väterlicherseits, desweiteren ist er über den Ahnherren Mazadan sogar entfernt blutsverwandt mit ihm.
Ort des Kampfes
Zu den allgemeinen Formen bei Kämpfen unter Freunden bzw. Verwandten in der höfischen Dichtung verbindet sich nach Schulz ein strukturell fassbares Handlungsmuster. Jenes Muster hat eine konkrete inhaltliche Besetzung, die in Personen, Handlungsorte und Handlungszeiten unterteilt werden.[Schulz 2012: S. 122] In diesem Unterpunkt liegt der Fokus deutlich auf dem Muster des Handlungsortes. Die geografischen Orte der Kampfszenen zwischen Freunden und Verwandten werden in den Heldendichtungen vom Dichter ab und zu präzise genannt und in anderen Szenen wiederum verschwiegen. Mögliche Kampfstätten in den höfischen Romanen sind oftmals der plân (freier Platz), der grüene plân (freier Platz im Grünen), eine Lichtung im Wald oder der plân (freie Platz) als rinc (Ring) abgesteckt. Meistens dienen diese Orte zur geografischen Bezeichnung in den Verwandten- und Freundschaftskämpfen. Die Dichter schreiben hauptsächlich von diesen allgemeinen Plätzen anstatt von einem Dorf oder einer Stadt. Aufgrund dieser allgemeinen Feststellung kann gesagt werden, dass die Angabe des Handlungsorts nicht sonderlich bedeutsam ist. Gâwân kämpft zum Beispiel gegen Parzival auf einem vorbereiteten jedoch publikumslosen Kampfplatz. Der Kampf zwischen den beiden Männern dauert bereits eine ganze Weile an, bis er durch das Eintreffen von Artus seinen Boten unterbrochen wird (688, 7f.). Auch Parzivals Kampf gegen Ither findet ohne Zuschauer fern ab vom Artushof statt.
(153, 23-24) | |
Des reise al eine wart getân | Ganz alleine, trat er seinen |
hin ûz gein Ithêr ûf den plân. | Kriegszug an, hinaus zu Ither auf das Feld. |
Ein weiterer Kampf ist der zwischen den Halbbrüdern, der auf einer Lichtung im Wald stattfindet. Die Lichtung ist eine Örtlichkeit, die in der höfischen Dichtung gerne benutzt wird (737, 9).
Zeit des Kampfs
Analog wie der Ort des Kampfes wird auch die Zeit der Verwandten- oder Freundeskämpfe in den Arutsromanen/ höfischen Dichtungen meistens vernachlässigt. Der Rezipient erfährt meistens nichts über einen festen zeitlichen Ablauf des Kampfs, ob jener pauschal gesagt nur eine bestimmte Minuten- oder Stundenanzahl dauert. Selbst die Angaben von größeren Zeitfenstern, wie zum Beispiel die der Tages- oder Jahreszeit findet der Leser nicht allzu oft selten. [Harms 1963: vgl. 213] Bei den Zweikämpfen zwischen Parzival und Gawan und Feirefiz und Gawan erfährt der Rezipient lediglich, dass jene Kämpfe am frühen Morgen beginnen.
Gnorisma
In einem Großteil der Freundes- und Verwandtschaftskämpfe in höfischen Dichtungen kommt es zu einem Nicht-Erkennen des Gegners. Das Nicht-Erkennen des Gegners legt somit den Grundstein für die Entfachung eines Zweikampfs. Um letztendlich die Peripetie vom Punkt des Nicht-Erkennens zur sachlichen Situation des Erkennens zu geleiten, benötigt es verschiedene Darstellungen. Ein Erkennungszeichen, durch das sich lang getrennte wieder erkennen werden, nennt man Gnorisma. [Harms 1963: vgl. S. 214] „ Es wird auch tertium cognitions, das Mittel, das zum Erkennen verhelfen kann, weil sich in ihm das Wissen des Erkennenden und das noch Verborgenen, zu Erkennende treffen. Die Aufgabe eines solchen Gnorisma kann ein Ding, ein Name, ein Ausruf unter anderem erfüllen.“ [Harms 1963: S. 214] Im Kampf zwischen Parzival und Feirefiz hat das Gnorisma des Kampfrufes nicht zur Erkennung des Gegenübers beigetragen. Allerdings hat Parzival eine Vorahnung als sich Feirefiz als Anschevîn vorstellt, denn daraufhin sagt Parzival, dass man ihm von einem Bruder aus dem Heidenland bereits berichtet hat (746, 12-18). Voraussetzung des namentlichen Gnorisma ist es, ein gewisses Maß an Wissen zu haben, um den Gegenüber erkennen zu können. Die Problematik gerade dieses Unwissens spiegelt sich im Kampf Parzivals mit Ither wieder. Ither nennt seinen Namen und Parzival verkennt ihn trotzdem. Jedoch ist das Verkennen Parzivals seinem Verwandten gegenüber auch zu großen Teilen seiner tumpheit verschuldet. Um keine Missverständnisse bezüglich der mittelhochdeutschen Begrifflichkeit aufkommen zu lassen, beschreibt Czerwinski die mögliche tumpheit des epischen Heroe folgendermaßen: „ Tumpheit heißt lediglich, dass er soziale Zusammenhänge, die seine Identität festlegen, und zwar von seinem eigenen Handeln trotz dessen ständiger Bewegtheit scheinbar gänzlich unbeeinflussbar festlegen, noch nicht wahrnimmt und zu realisieren vermag." [Czerwinski 1989: 83] Ridder führt Parzivals tumpheit zu großen Teilen auch auf seine isolierte Kindheit in Soldaten zurück und die dadurch entstandene kommunikative Unfähigkeit. [Ridder 2004: vgl. S. 48] Im Zweikampf zwischen Parzival und Gâwân führt das Rufen von Gâwâns Namen dazu, dass Parzival bemerkt, dass er gerade mit seinen Cousin kämpft.
(688, 14-21) | |
des kraft was über in sô grôz, | Es war schon fast soweit gekommen, dass der, der dort mit Gâwân kämpfte, |
daz Gâwân der werde degen | den Sieg an sich genommen hätte. Dessen |
des siges hete nâch verpflegen; | Kraft war so übermächtig, dass Gâwân, |
wan daz in klagende nanten | der doch ein tüchtiger Streiter war, beinah |
kint diu in bekannten. | schon den Sieg verspielt hatte, als die Kinder |
der ê des was sîns strîtes wer, | ihn erkannten und in ihrem Schrecken mit Namen anriefen. |
verbar dô gin im strîtes ger. | Dem anderen, der ihm bis jetzt so reichlich |
verbar dô gin im strîtes ger. | Kampf gegeben hatte, verging da alle |
verre ûz der hant er warf daz swert: | Kampfeslust. Weit fort war seine Hand das Schwert. |
In diesem Fall ist der Ausruf, der hinzukommenden Kinder, von Gâwâns Namen das Gnorisma in diesem Verwandtschaftskampf. [Harms 1963: vgl. S. 217] Erst durch diesen Ausruf bemerkt Parzival, dass er mit seinem Cousin kämpft, und wirft sofort das Schwert fort.
Anmerkungen
Fazit
„Die affektgesteuerte Gewalttätigkeit fungiert in der europäischen Heldensage und -dichtung als eine Form der individuellen Bewährung einer sozialen Konfliktlösung. [Ridder 2004: S. 42]
Das epische Konstrukt Eschenbachs zeigt auf, dass Pazival eine durchgehende Gewaltbereitschaft in Form seiner Zweikämpfe besitzt und man diese zu seinem Naturell zählen kann. [Ridder 2004: vgl. S. 47]
„In der germanisch-deutschen Heldenepik gehört Ridder zu folge der Kampf zum körperorientierten Verhaltensrepertoire des Helden." [Ridder 2004: S. 51]
Literaturverzeichnis
Primärliteratur
▲ Alle Versangaben beziehen sich auf die Ausgabe: Wolfram von Eschenbach: Parzival. Studienausgabe. Mittelhochdeutscher Text nach der sechsten Ausgabe von Karl Lachmann. Übersetzung von Peter Knecht. Mit einer Einführung zum Text der Lachmannschen Ausgabe und in Probleme der 'Parzival'-Interpretation von Bernd Schirok, 2. Aufl., Berlin/New York 2003.
Sekundärliteratur
<HarvardReferences />
[*Czerwinski 1989] Czerwinski, Peter: Der Glanz der Abstraktion. Frühe Formen von Reflexivität im Mittelalter, Frankfurt/ New York: Campus 1989.
[*Harms 1963] Harms, Wolfgang: Der Kampf mit dem Freund oder dem Verwandten in der deutschen Literatur um 1300, München: Edios 1963.
[*Ridder 2004] Rinder, Klaus: Kampfzorn: Affektivität und Gewalt in mittelalterlicher Epik, in: Wahrnehmen und Handeln, hrsg. von Wolfgang Braungart (u.a.), Bielefeld 2004.
[*Schulz 2012] Schulz, Armin: Erzähltheorie in mediavistischer Perspektive, Berlin: Walter de Gruyter 2012.