Brangäne (Gottfried von Straßburg, Tristan)
Brangäne, die Vertraute Isoldes, spielt eine wichtige Rolle in Gottfrieds von Straßburg Tristan. Erst durch ihre Unaufmerksamkeit kommt es dazu, dass Tristan und Isolde gemeinsam den Minnetrank trinken. In der weiteren Handlung besteht ihre Funktion darin, dem Liebespaar Treffen zu ermöglichen und gleichzeitig ihr Verhältnis durch List zu schützen und zu verheimlichen.
Charakterisierung
Brangäne ist eine „niftel“ (9421) der Königin Isolde. „Niftel“ bedeutet jedoch nicht nur „Nichte“, sondern bezeichnet ganz allgemein eine nahe weibliche Verwandte.[Krohn 1980:158] Das genaue Verwandtschaftsverhältnis zwischen Brangäne und den beiden Isolden kann somit nicht genau geklärt werden. Fest steht jedoch, dass sie zur Familie des irischen Königshofes gehört und somit eine gehobene Stellung inne hat. Tomasek schreibt, dass Brangäne „die Rolle einer Confidante zukommt“.[1] Brangäne werden daher auch all diejenigen Eigenschaften zugeschrieben, die einer Dame von Stand eigen sind[Hollandt 1966:41] So wird sie häufig als „schoene“ (u.a. 11082) beschrieben und neben Isolde, der „liehte[n] sunne“ (9456), und ihrer Mutter, dem „vrôlîche[n] morgenrôt“ (9458), als „schoene volmaene“ (9460) bezeichnet, was zum einen im Mittelalter für außergewöhnliche Schönheit stand[Krohn 1980:159] und zum anderen die Zusammengehörigkeit der drei Damen nochmals verdeutlicht. Neben ihrem äußeren Erscheinungsbild wird jedoch besonders ihre Wesensart hervorgehoben. Sie ist „höfsch“ (9421), „werde“ (12773), „stolz“ (11089), „wol gesite“ (10778), „wise“ (10359) und staete (12937). „[D]iu stolze“ ( 9459), wie sie mehrfach genannt wird, ist „liutsaelic uzer maze, ir muotes stolz unde vri“ (11088f.).[Hollandt 1966:41] Durch diese Eigenschaftszuschreibungen und vor allem durch ihr Handeln, das im Folgenden noch genauer beschrieben wird, lässt Gottfried das Bild einer durch Klugheit, Überlegung und Erfahrung geleiteten und zielstrebig, pragmatisch und unabhängig auftretenden Frau entstehen. Darüber hinaus wird Brangäne als eine Frau mit ausgeprägtem höfischem Gespür dargestellt. Neben der häufigen Verwendung von „höfsch“ für ihre Beschreibung, wird dies zum Beispiel auch an ihrer Reaktion auf den Fußfall Tristans vor den Königinnen deutlich, indem sie mit dem Ausspruch „‘vrouwe [… ] der ritter lit ze lange da.‘“ (10478f.) auf die Überschreitung der höfisch anständigen Dauer des Fußfalls aufmerksam macht.[Deist 1986:19] Aufgrund ihrer Klugheit und pragmatischen Sichtweise fungiert Brangäne zuerst als Beraterin der älteren Isolde und später als Vertraute und Ratgeberin der jüngeren Isolde.
Tomasek[2] sieht Gemeinsamkeiten zwischen Brangäne und Curvenal: „Curvenal und Brangäne sind Inbegriffe högischer Tugend und aufrechter triuwe [...]. Eine weitere Gemeinsamkeit besteht darin, dass ihnen bei der Sorge um ihre Schutzbefohlenen vereinzelt Fehler unterlaufen: [...] Curvenals [...] Unaufmerksamkeit (2311) bildet eine Parallele zu Brangänes Nachlässigkeit in der Minnetrankszene [...]“.
Auftreten und Funktion Brangänes innerhalb der Handlung
Einführung und Drachentötersuche
Brangäne wird durch die Aufforderung der Königin Isolde „Brangaene, stant ûf lîse“ (9317) ohne jegliche weitere Vorstellung in die Handlung eingeführt. Dadurch, dass sie auf die Suche nach dem Drachentöter mitgenommen wird, wird jedoch ihr Status als enge Vertraute der Königin ersichtlich.
Badszene
Nachdem Isolde Tristans Lüge aufdeckt und, im Beisein ihrer Mutter, schwankt, ihn aus Rache für den Mord an ihrem Onkel mit seinem eigenen Schwert umzubringen, kommt Brangäne herein. Sie erkennt sofort die Gefahr der Situation und versucht zu beruhigen und eine Lösung zu finden. Sie rät davon ab, Tristan zu töten, und begründet dies damit, dass Isolde ihm Schutz zugesagt habe, dass Blutrache einer Frau nicht zustehe und zum Verlust der Ehre führe und dass sie erst abwarten sollten, mit welchen Absichten, für die er sich so in Lebensgefahr begibt, Tristan gekommen sei. Die beiden Isolden erhören Brangänes Rat und lassen Tristan seine Absichten vortragen.
Minnetrank
Isolde übergibt Brangäne den Minnetrank mit der Anweisung, Tristan und Isolde nach Cornwall zu begleiten. Sie weist Brangäne eindringlich darauf hin, den Trank sorgsam zu bewahren und keinen davon trinken zu lassen, außer Marke und Isolde nach deren Hochzeitsnacht. Darüber hinaus gibt Isolde ihre Tochter in den Schutz Brangänes, die auf ihre Ehre und ihre Angelegenheiten aufpassen soll.
Brangäne lässt den Trank der Überfahrt nach Cornwall jedoch kurzzeitig unbeaufsichtigt stehen, sodass Tristan und Isolde, in der Annahme, es sei Wein, gemeinsam davon trinken. Als Brangäne hinzukommt und bemerkt, was geschehen ist, weicht alles Leben aus ihr („sie erschrac sô sêre unde erkam, daz ez ir ale ir craf benam und wart reht alse ein tôte var.“ (11689)). Sie wirft das Trankgefäß über Bord und macht sich schwerste Selbstvorwürfe und verflucht ihren Fehler, dessen Tragweite sie sofort erkennt: „ouwê Tristan unde Isôt, diz tranc ist iuwer beider tôt!“ (11705).
Brautnachtbetrug
Der Minnetrank jedoch tut seine Wirkung und bald schon hat Isolde ihre Jungfräulichkeit verloren. Das ist nun ein echtes Problem, denn wenn sich am Hofe Markes herausstellt, dass die zukünftige Königin keine einwandfrei keusche Vergangenheit hat, so ist ihre Ehre dahin und eine Heirat mit Marke ganz ausgeschlossen.
In ihrer Not bittet Isolde Brangäne um Hilfe: Sie, die noch Jungfrau ist, soll sich in der Hochzeitsnacht zu Marke legen und keinen Ton von sich geben, damit er glaube, in ihr Isolde zu entjungfern. Sie, die sich schwere Vorwürfe ob ihres Versäumnisses mit dem Minnetrank macht, verspricht mit maneger nôt, also unter Schaudern, auf das eindringliche Flehen der Liebenden hin, ihnen bei dem Betrug beizustehen.
In der Hochzeitsnacht legt sich Marke zu Bett. Tristan bringt Brangäne, die Isoldes Kleider angelegt hat zu ihm (zum Kleidertausch als Identitätsbetrug vgl. auch andere Werke, z.B. Rotkäppchen, Le nozze di Figaro,...); Isolde löscht das Licht. Marke zieht Brangäne an sich und beginnt, sich mit ihr zu vergnügen; nach Überwindung ihrer jungfräulichen Scheu findet auch Brangäne bald Gefallen an dem bettespil, wenn sie auch ihre Pflicht treu befolgt und keinen verräterischen Ton von sich gibt.
So sehr gibt sie sich dem neuentdeckten Vergnügen hin, dass Isolde bald befürchtet, Brangäne könne die Zeit vergessen und bis zum Morgen bleiben. Das wäre fatal, denn mit dem Morgenlicht würde auch der Brautbetrug offenbar:
- trîbet sî diz bettespil
- iht ze lange und iht ze vil,
- ich vürhte ez ir sô wol behage,
- daz sî vil lîhte dâ betage.
- sô werde wir alle
- ze spotte und ze schalle.
- V. 12623-12628
Doch Brangäne wäre nicht die Brangäne "nach dem Minnetrank", der Inbegriff der Treue und Lauterkeit, wenn sie nicht darauf bedacht wäre, die ihr anvertraute Aufgabe so gewissenhaft wie möglich zu erfüllen und über die Ehre der Liebenden mehr zu wachen als über ihre eigene Lust:
- nein, ir gedanke unde ir muot
- die wâren lûter unde guot.
- V. 12629-12630
(Nein, ihre Absichten und Gedanken waren rein und aufrichtig.)
So steht Brangäne nach einer Weile auf und sofort ist Isolde zur Stelle, um ihren Platz einzunehmen. Marke verlangt nach Wein, denn der Erzähler teilt uns mit, so sei die Sitte: Nachdem jemand einer Jungfrau den bluomen abe genam, sie also zur Frau gemacht habe, werde einer gerufen, der den beiden Liebenden einen Kelch mit Wein brächte, aus dem sie gemeinsam trinken. Dies hätte der Moment sein sollen, in dem der Liebestrank von Isolde der Älteren hätte gereicht werden sollen.
In der Forschung findet sich die Meinung, diese Sitte sei vom Erzähler fingiert worden, "um die Ablösung im Bett durchführbar zu machen" [Okken 1996:505]
Anschließend legt sich Isolde zu Marke. Es findet sich für ihren Gemütszustand dabei dieselbe Formulierung, mit der einige Verse zuvor Brangänes Entsetzen beschrieben worden war: mit maneger nôt. Marke jedoch merkt von alledem nichts, auch nicht, dass es nun eine andere Frau ist, die er in den Armen hält: Der Betrug ist gelungen.
- im dûhte wîp alse wîp.
- V. 12666
(Ihm schien Frau gleich Frau.)
Man darf trotz allem aber nicht vergessen, in welchen moralischen Kategorien die höfische Gesellschaft, die Gesellschaft an sich, zu dieser Zeit, denkt. Brangäne erfüllt ihre Pflicht. Aber welcher Abgrund muss sich vor ihr auftun. Indem sie sich von Marke entjungfern lässt, katapultiert sie sich ins gesellschaftliche Aus und entscheidet ihre Zunkunft als "alte Jungfer". Gottfried geht auf dieses unermessliche Opfer überhaupt nicht ein. Lediglich "und lobete ez ouch mit maneger nôt" (V. 12459) verrät in Ansätzen, was diese Tat von Brangäne abverlangt. Und bis hierher habe ich noch nicht berücksichtigt, dass sie bereit ist, sich für Isolde und Tristan zu erniedrigen. Sie schläft mit einem fremden Mann, den sie nicht liebt, nur um ihrer "Freundin" einen Gefallen zu tun, bzw. deren gesellschaftliches Ansehen zu bewahren. Die Entjungferung Isoldens, welche Brangäne entsetzt, weil sie die sozialen Konsequenzen erkennt, wiederholt sich in gewisser Weise, nur dass Brangäne die sozialen KOnsequenzen wissentlich in Kauf nimmt. Natürlich ist sie von Gewissensbissen geplagt, weil sie nicht besser auf den Trank aufgepasst hat, aber diese Tatsache lässt ihr Opfer in keinem geringeren Licht da stehen. Die soziale Ächtung und die Heiratsunfähigkeit und somit der Mangel an jeglicher sozialen Absicherung (außer durch Isolde) bleibt. Bezeichnend, dass dieser Plan Isolde als "einen list, den allerbesten zuo der vrist" (V. 12437 f.)erschien. Wie es Brangäne ergehen wird, klammert auch Isolde völlig aus. Es stellt sich die Frage in welchem VErhältnis diese beiden Frauen tatsächlich zueinander stehen. AUf der einen Seite ist Brangäne wohl Vertraute, aber beinahe gezwungen die skurilsten und erniedrigsten Aufgaben für Isolde zu erfüllen. Pflicht und Bringschuld spielt in dieser Konstellation eine ganz wesentliche Rolle, denn Brangäne hat den Auftrag (erhalten von der Königin Isolde, als eine ihrer Untertanen) erhalten, Isolde vor jedem LEid zu bewahren. Ein freundschaftlich gesinnter freier Wille sieht anders aus.
Mordanschlag Isoldes
Listen und Ratschläge
Brangäne nimmt nach Verschulden der falschen Verabreichung des Minnetranks zunehmend die Funktion einer Beraterin von Isolde ein. Sie fühlt sich dafür verantwortlich, dass Tristan und Isolde in einer ausweglosen Situation sind, und bietet deshalb ihre Hilfe an.
- nu sihe ich wol, es ist niht rât,
- ine müeze durch iuch beide
- mir selber nâch leide
- und iu nâch laster werben.
- ê ich iuch lâze sterben,
- ich wil iu guote state ê lân,
- swes ir wellet ane gân. (Verse 12130 bis 12136)
Nach dem misslungenen Mordanschlag wird Brangäne zu Isoldes engster Vertrauten und versucht das Liebespaar vor dem zunehmend misstrauischen Marke zu schützen. Sie warnt Tristan und Isolde vor gestellten Fallen und gibt Rat, wie diese umgangen oder ins Gegenteil verkehrt werden können. Damit wird sie zum Gegenspieler von Marjodo und Melot, die König Marke in seiner List beraten. Ihre Funktion wird das erste Mal deutlich, als Marke versucht, in einem Gespräch die Gefühle Isoldes für Tristan herauszufinden. Isolde ist unvorsichtig und kann die Zweifel Markes nicht zerstreuen. Als sie das Gespräch vor Brangäne wiederholt, erklärt ihr diese, wie sie das nächste Mal bedachter vorgehen könne. So kommt es, dass Isolde Marke bei seiner zweiten Falle davon überzeugt, sie sei nur freundlich zu Tristan, um Vorwürfe zu vermeiden, in Wahrheit hasse sie ihn jedoch. Auf Anraten von Marjodo stellt Marke noch eine weitere, ähnliche Falle und wieder muss Brangäne Isolde einen Ausweg aufzeigen. Als Tristan und Isolde dennoch voneinander getrennt werden, ist es erneut Brangäne, die eine Möglichkeit zu heimlichen Treffen aufweist. Sie überlegt sich ein unauffälliges Kommunikationssystem, mit dem Tristan sich melden kann, sobald er am vereinbarten Treffpunkt ist. Als Warnerin fungiert Brangäne bei dem Hinterhalt, den Marke und seine Komplizen beim gemeinsamen Aderlass arrangieren. Sie verstreuen Mehl auf dem Boden, um herauszufinden, ob Tristan heimlich zu Isoldes Bett schleicht. Brangäne bemerkt das Mehl rechtzeitig und kann Tristan auf die Falle hinweisen. Es ist also Brangäne, die die Erfüllung von Tristans und Isoldes Liebe erst ermöglicht und durch ihre List kann die Erfüllung zunächst auch aufrecht erhalten werden.[Jupé 1976: 106]
Marjodos Entdeckung der Liebenden
Beziehung zu Tristan und Isolde
Fazit
Primärliteratur
<HarvardReferences />
- [*Krohn 1980] Gottfried von Straßburg: Tristan. Nach dem Text von Friedrich Ranke neu herausgegeben, ins Neuhochdeutsche übersetzt, mit einem Stellenkommentar und einem Nachwort von Rüdiger Krohn. Bd. 1–3. Stuttgart 1980 (RUB 4471-3).
Sekundärliteratur
<HarvardReferences />
- [*Deist 1986] Deist, Rosemarie: Die Nebenfiguren in den Tristanromanen Gottfrieds von Straßburg, Thomas‘ de Bretagne und im ‚Cligès‘ Chrétiens de Troyes. Göppingen 1986 (Göppinger Arbeiten zur Germanistik 435).
- [*Hollandt 1966] Hollandt, Gisela: Die Hauptgestalten in Gottfrieds Tristan. Wesenzüge – Handlungsfunktion – Motiv der List. Berlin 1966 (Philologische Studien und Quellen 30).
- [*Jupé 1976] Jupé, Wolfgang: Die 'List' im Tristanroman Gottfrieds von Straßburg. Intellektualität und Liebe oder die Suche nach dem Wesen der individuellen Existenz. Heidelberg 1976.
- [*Okken 1996] Okken, Lambertus (1996): Kommentar zum Tristan-Roman Gottfrieds von Strassburg. 2., gründlich überarb. Amsterdam: Rodopi (Amsterdamer Publikationen zur Sprache und Literatur, 57).