Âventiure und Ehe (Wolfram von Eschenbach, Parzival)

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Im Hinblick auf die Ehe im Parzival ist zu beobachten, dass bei zahlreichen Paaren die Ehemänner, obwohl sie ihre Frauen lieben, diese nach einiger Zeit verlassen, um auf âventiure-Fahrt zu gehen. Dies soll anhand der Paare Gahmuret und Belacane, Gahmuret und Herzeloyde sowie Parzival und Condwiramurs näher beleuchtet werden.


Ehe im Mittelalter

Im Mittelalter war gegenseitige Zuneigung selten ein Grund zur Heirat, vielmehr "[bestimmten] Standesrücksichten und Nützlichkeitserwägungen, politische, dynastische und wirtschaftliche Spekulationen die Gattenwahl." [Schuhmacher 1967: S. 22] Zudem durfte ein Mann bzw. eine Frau den zukünftigen Ehepartner nicht selbst wählen, da vielmehr die Entscheidungsgewalt bei der Sippe und den Lehnsleuten lag. [Schuhmacher 1967: S.22] Verlobungen wurden bereits im Kindesalter festgelegt und oftmals wurden Gesandte mit der Werbung für den zukünftigen Ehemann bzw. die zukünftige Ehefrau beauftragt, sodass sich die zukünftigen Eheleute oftmals erst kurz vor der Hochzeit kennenlernten. [Schuhmacher 1967: S. 23] Die Ehe diente zudem primär als "Mittel zur Sicherung der legitimen Erbnachfolge." [Schuhmacher 1967: S. 23]

Ehe bei Wolfram

Konsens in der Forschung im Hinblick auf die Ehe bei Wolfram besteht darin, dass "idealtypische Zustände und ideale zwischenmenschliche Verhältnisse, ideale Ehen eben" [Masser 1990: 110] dargestellt werden. So sieht Marlis Schuhmacher "die zweckfreie Liebes- und Treueverbundenheit des Gatten" [Schuhmacher 1967: S. 230] bei Wolfram als "der tiefste Sinn der Ehe" [Schuhmacher 1967: S. 230]. Herbert Ernst Wiegland geht eher auf die kritische Dimension ein, die Wolfram mit der Darstellung der idealen Ehe machen will.[Wiegland 1972: vgl. S. 110] Er verdeutlicht, dass das Element der Übertreibung ebenfalls eine wichtige Rolle in der Ehe- sowie Geschlechterkonzeption Wolframs spielt und das gerade die Verbindung zwischen aventiure und Ehe äußerst ambivalent dargestellt ist.[Wiegand 1972: vgl. S. 270] Die Deutungsmöglichkeiten der Ehekonzeption bei Wolfram sind breit gefächert. Im Folgenden soll mittels einiger Beispiele und unter Bezugnahme auf die âventiure eine Annäherung an diese Thematik unternommen werden.


Gahmuret und Belacane

Nachdem Gahmuret Belacane geheiratet hat, plagt ihn zum einen das Fernweh und zum anderen vermisst er es, sich im Ritterkampf zu messen (54,17-18)[1]. Diese Situation, nicht kämpfen zu dürfen, schränkt ihn sogar in seiner Lebensfreunde ein (54,19-20). Hiermit wird bereits angedeutet, dass "Rittertum und Frauendienst [...] von Anfang an als problematische Verknüpfung, wenn nicht gar als unüberbrückbare Gegensätze gesehen [werden]." [Dallapiazza 2009: 117] Trotz der Liebe zu seiner Frau entschließt Gahmuret sich nach einiger Zeit, mit einem Mann aus Sevilla fortzusegeln (54,27-29). Diesem Entschluss folgend bricht er schließlich wenig später nachts auf und hinterlässt der mittlerweile von ihm schwangeren Belacane einen Brief, in dem er die Beweggründe für sein Fortgehen erläutert (55,21). Gahmuret gibt einerseits an, dass ihn das Fernweh wegziehe und andererseits deutet er an, dass seine Frau ihn eventuell zum Bleiben bewegen könne, wenn sie sich taufen lassen würde (55,25-26):

wær dîn ordn in mîner ê, Wenn Du meinen Glauben hättest,
sô wær mir immer nach dir wê: so käm ich nie mehr von Dir los


Die Tatsache, dass seine Frau nicht christlichen Glaubens ist, spielt somit eine Rolle in Gahmurets Entscheidung, sie zu verlassen. Würde sie seiner Religion angehören, wäre die Liebe Gahmurets für sie möglicherweise stärker gewesen und er wäre nicht fortgegangen.

Einige Zeit später bringt Belacane den gemeinsamen Sohn Feirefiz von Anjou zur Welt (55,15-16). Gahmuret indes ist weiter auf Reisen und mittlerweile seit einem Jahr von seiner Frau fort (57,29). Diese leidet jedoch schwer unter der Trennung von ihrem Ehemann und stirbt in der Zwischenzeit an Liebeskummer (81,3-4). Die hier suggerierte Konkurrenz von Liebe und Rittertum deutet an, dass vor allem die Frau unter der âventiure- Suche des Mannes leidet, was in diesem Fall in Belacanes Tod gipfelt. [Dallapiazza 2009: 117] Doch auch Gahmuret quält nach ihrem Tod der Liebeskummer und die Sehnsucht nach ihr. Allerdings hält er seine Entscheidung, sie zu verlassen, um auf Turniere zu gehen, weiterhin für richtig (90,29-30).

Gahmuret und Herzeloyde

In für höfische Frauen völlig untypischer Weise, nämlich durch einen Urteilsspruch, bindet Herzeloyde Gahmuret an sich. Herzeloyde erhofft sich, ihren Ehemann über seine Trauer um Belacane hinwegtrösten zu können. Obwohl Gahmuret immer noch Liebeskummer wegen seiner früheren Frau empfindet und sie ihn mit juristischen Mitteln in die Ehe gezwungen hat, erachtet er es als seine eheliche Pflicht, Herzeloyde lieben zu "müssen" (96,21):

muose minnen oder minne gern. Er mußte lieben, Liebe wünschen-


Als Bedingung für das Zusammenleben allerdings fordert Gahmuret, dass seine Frau ihm Freiraum lassen und ihn auf Turniere fahren lassen solle. Er handelt mit ihr aus, jeden Monat auf ein Turnier fahren zu dürfen. Er deutet an, dass Belacanes Verhalten, ihm die âventiure-Fahrt zu untersagen, dazu geführt habe, sie zu verlassen (96,29-97,4):

lât ir niht turnieren mich, Laßt ihr mich nicht auf Turniere,
sô kan ich noch den alten slich, so kenn ich noch den alten Schlich,
als dô ich mînem wîbe entran, mit dem ich meiner Frau entflohen,
die ich ouch mit rîterschaft gewan. Die ich im Ritterkampf gewonnen.
dô si mich ûf von strîte bant, Als sie mein Kämpfen unterband,
ich liez ir liute unde lant.“ verließ ich Land und Leute.“

Diese Forderung Gahmurets ist zum einen eine Art Warnung an Herzeloyde, was geschehen könne, wenn sie ihren Ehemann nicht auf Ritterkämpfe gehen lässt und zeugt zum anderen "[...] von seiner Entschlossenheit, diesmal Minne und strît in Einklang zu bringen." [Emmerling 2003: 216] Auch wenn nach der gemeinsamen Liebesnacht der Kummer über Belacane verfliegt und sich Liebe zwischen den beiden Frischvermählten entwickelt (100,8-13), begibt Gahmuret sich auf âventiure, wo er schließlich in einem Kampf den Tod findet (106,14) und somit nicht erfährt, dass seine Frau schwanger ist (109,2-3).

Beim Vergleich von Gahmurets Ehen mit Belacane und Herzeloyde fällt auf, dass Gahmuret jedes Mal hin- und hergerissen ist zwischen der Liebe zu seiner Frau und dem Drang, auf âventiure zu gehen. Zu beobachten ist aber, dass es sich bei der Darstellung der Ehen von Gahmuret mit Belacane und Herzeloyde, trotz der unüblichen Entstehungsgeschichte der Ehe mit Herzeloyde, um ideale Ehen handelt, da sich in beiden Fällen die Ehepartner wirklich zugeneigt sind, was im Mittelalter nicht die Regel war. Doch trotz wahrer Zuneigung verlässt Gahmuret seine Ehefrauen. Hat er Belacane noch heimlich verlassen, will er bei Herzeloyde um Erlaubnis fragen, um auf âventiure zu gehen, da er sich der Konsequenzen dessen, wenn er Ehe und Kampf nicht in Einklang bringen kann, aus seiner ersten Ehe bewusst ist. Letztenendes ist er jedoch beide Male gescheitert, da er nicht zu seinen Ehefrau und seinen Söhnen zurückkehrt. Somit hat die âventiure über die Liebe gesiegt. Es sind, wie bereits dargestellt, "hauptsächlich die Frauen, die darunter zu leiden haben (und deren fast unbegrenzte Leidensfähigkeit der Erzähler in immer neuen Variten darstellt), vor allem seine Ehefrauen." [Brüggen 2011: S. 871]

Parzival und Condwiramurs

Die Ehe von Parzival und Condwiramurs ist gekennzeichnet durch gegenseitige Liebe der beiden zueinander (223,1-7). Dennoch entschließt sich auch Parzival dazu, seine Gattin zu verlassen. Eines Morgens eröffnet er seiner Frau, dass er aufbrechen möchte, um seine Mutter zu suchen (223,18-19). Allerdings wolle er danach nicht zurückkommen, sondern auf âventiure-Fahrt gehen (223,22-25):

dar wil ich zeiner kurzen stunt, Ich will zu ihr für kurze Zeit
und ouch durch âventiure zil. und suche dann die aventure.
mag ich iu gedienen vil, Wenn ich euch Waffendienst leiste,
daz giltet iwer minne wert. belohnt mir das mit eurer Liebe.“

Die Tatsache, dass Parzival sich durch âventiure Gunst erwerben will, verdeutlicht, dass das Ausziehen, um sich im Kampf zu beweisen, hoch angesehen ist und Parzival sich dadurch Liebesdienst von seiner Frau erhofft. Condwiramurs lässt ihren Mann schließlich ziehen (223,27-28).

Auch wenn Parzival sich mittlerweile schon einige Jahre auf der Suche nach dem Gral befindet, ist er in Gedanken immer noch bei seiner Frau. Dies wird deutlich, als ihn die „Liebessehnsucht“ nach seiner Gattin quält und ihm dadurch jegliche Lebensfreude geraubt wird (223,15-16):

got wil mîner freude niht. Gott will nicht, dass ich glücklich bin.
diu mich twinget minnen gir, Sie zwingt mir Liebessehnsucht auf.

Auch in der Blutstropfenszene wird die minne Parzivals zu seiner Ehefrau thematisiert. Kurze Zeit später erfährt der Leser, dass Condwiramurs mit den beiden Kindern Gardais und Lohengrin schwanger war, als Parzival sie verlassen hatte. Allerdings ist nicht ersichtlich, ob Parzival von seiner bevorstehenden Vaterschaft weiß (743,14-20). Wenn man Parzival mit seinem Vater Gahmuret vergleicht, ist eindeutig eine Parallele darin auszumachen, dass beide ihre jeweiligen Frauen verlassen, um auf âventiure zu gehen. Allerdings gelingt es nur Parzival, am Schluss wieder zu seiner Frau und seinen Söhnen zurückzukehren. Damit hat er etwas geschafft, was seinem Vater nicht gelungen ist. Er hat es geschafft, minne und âventiure miteinander zu verbinden.


Fazit

Zusammenfassend kann man festhalten, dass âventiure und eine von minne geprägte Ehe zunächst durchaus als Widersprüche erscheinen. Beide Ehen Gahmurets zerbrechen unter diesem Konflikt. Dennoch scheint eine Lösung dieses Widerspruches möglich, wie die Ehe Parzivals zeigt. Wenn "minne im Sinne des Parzival-Erzählers [...] also auf einem komplexen Entstehungs- und Lernprozess, dessen Ziel die Ehe ist," [Emmerling 2003: S. 193] beruht, so scheint auch das Konzept eines Entstehungs- und Lernprozesses der Schlüssel zu sein, um den zunächst bestehenden Konflikt zwischen âventiure und Ehe zu lösen.


Literaturnachweise

<HarvardReferences />

[*Dallapiazza 2009] Dallapiazza, Michael: Wolfram von Eschenbach: Parzival, Berlin 2009 (Klassiker-Lektüren 12).

[*Emmerling 2003] Emmerling, Sonja: Geschlechterbeziehungen in den Gawan-Büchern des "Parzival". Wolframs Arbeit an einem literarischen Modell, Tübingen 2003.

[*Masser 1990] Masser, Achim: Gahmuret und Belakane. Bemerkungen zur Problematik von Eheschließung und Minnebeziehungen in der höfischen Literatur. In: Liebe und Aventiure im Artusroman des Mittelalters. Beiträge der Triester Tagung 1988. Hrsg. von Paola Schulze-Belli und Michael Dallapiazza. Göppingen 1990.

[*Schuhmacher 1967] Schuhmacher, Marlis: Die Auffassung der Ehe in den Dichtungen Wolframs von Eschenbach, Darmstadt 1967.

[*Wiegland 1972] Wiegland, Herbert Ernst: Studien zur Ehe und Minne in Wolframs Parzival und Hartmanns Artusepik, Berlin/New York 1972.

[*Brüggen 2011] Brüggen,Elke/Bumke, Joachim: Figuren-Lexikon, Art. "Gramoflanz", in: Heinzle, Joachim (Hrsg.): Wolfram von Eschenbach. Ein Handbuch, Band II, Berlin/Boston 2011.

<references>

  1. Sämtliche Zitate folgen der Ausgabe: Wolfram von Eschenbach: Parzival. Nach der Ausgabe Karl Lachmanns revidiert und kommentiert von Eberhard Nellmann, übertragen von Dieter Kühn, hrsg. Eberhard Nellmann, 2 Bde., Frankfurt a. M. 1994.