Entstehungsgeschichte und historischer Hintergrund (Wolfram von Eschenbach, Parzival)
Dieser Artikel behandelt die Entstehungsgeschichte des Parzival von Wolfram von Eschenbach, insbesondere dessen Quellen. Weiterhin werden außerliterarische Verweise untersucht, die eine Einbettung des Werkes in einen realgeschichtlichen Kontext zulassen. Zum Schluss wird auf den historischen Hintergrund eingegangen.
Der Autor
Alle Erkenntnisse über Wolfram von Eschenbach stammen von Aussagen seines Erzählers in den verschiedenen Werken. Historisch belegt ist er nicht. Lange Zeit ist die Forschung tief zerstritten gewesen in der Frage, ob Wolfram eine literarische Bildung durchlaufen hat oder nicht. Auffällig ist, dass der Parzival mit zahlreichen Wissensaspekten aus verschiedensten Bereichen gespickt ist. Über sich selbst sagt der Dichter jedoch:
ine kan decheinen buochstap. | denn ich bin nicht schriftgelehrt! | |
dâ nement genuoge ir urhap: | Schriften: Sauerteig für viele, | |
disiu âventiure | doch sie lenken nicht bei mir | |
vert âne der buoche stiure. | den Ablauf der histoire! (115, 27-30.)[1] |
Bumke sieht in dieser Aussage nicht zwangsläufig eine Botschaft über Wolframs Bildung, sondern vielmehr eine polemische Abgrenzung gegen bildungsbewusste Dichter, die lateinisch gebildet waren.[Bumke 2004: S. 6] Dazu zählen Autoren wie Heinrich von Veldeke, Hartmann von Aue und Gottfried von Straßburg. Heute hat sich die Forschung weitgehend darauf verständigt, dass Wolfram des Lesens und Schreibens mächtig war, wobei in den einzelnen Abstufungen der Gelehrsamkeit Wolframs weiter Uneinigkeit besteht.[Nellmann 1996: S. 327]
Die Quellen
Die heutige Forschung ist sich einig, dass der Conte du Graal von Chrétien de Troyes die wichtigste literarische Quelle für den Parzival gewesen ist. Die Handlung folgt in weiten Teilen der französischen Vorlage, zahlreiche wörtliche Zitate untermauern diesen Eindruck. Und dennoch ist Wolfram verhältnismäßig frei mit der Umgestaltung des Textes verfahren. Zunächst ist der Textkorpus des Parzival in etwa doppelt so lang, dies liegt wohl auch an dem Umstand, dass die Handlung des Conte du Graal mitten in der zweiten Gauvain-Passage abbricht.[Bumke 2004: S. 238] Weiterhin haben bei Wolfram zahlreiche Figuren erst einen Namen bekommen oder wurden umbenannt, die Gestaltung des Grals unterscheidet sich zum Original ebenso wie die Verwandtschaftsverhältnisse der auftretenden Personen.[Bumke 2004: S. 239] Auch neu ist die zentrale Rolle der Komik, die ein wichtiges Kriterium des Erzählers darstellt.
Neben der Hauptquelle werden häufig weitere französische, orientalische, deutsche und lateinische Quellen angegeben, deren Stoffe in die Handlung des Parzival mit eingewoben wurden. Hier lässt sich beispielsweise der Lucidarius erwähnen, eine Art mittelalterliche Enzyklopädie, aus der Wolfram vermutlich Teile seines astrologischen Wissens entnommen hat.[Deinert 1960: S.159] Durchaus interessant ist der Fakt, dass diese von zahlreichen Literaturwissenschaftlern getragenen Erkenntnisse in Opposition zu eigenen Aussagen des Erzählers über seine Vorlagen stehen:
ob von Troys meister Cristjân | Blieb Meister Chrétien de Troyes | |
disem mære hât unreht getân, | dieser Geschichte etwas schuldig, | |
daz mac wol zürnen Kyôt, | so ist Kyot mit Recht empört: | |
der uns diu rehten mære enbôt. | die wahre Geschichte vermittelte er. |
(827, 1-4)[2] Im Gegensatz zu Chrétien, der im Werk nur einmal beschrieben wird, ist Kyot an mehreren Stellen anzutreffen. Ausführlich berichtet der Erzähler, dass der Provenzale "den astronomischen Traktat von Flegetanis ins Lateinische übertragen haben" soll (453, 5-455, 22).[Bumke 2004: S. 245] Problematisch ist, dass Kyot historisch nicht belegt ist und er keine bekannten schriftlichen Zeugnisse hinterlassen hat. Im Werk selbst sind die Angaben über die vermeintliche Quelle teilweise widersprüchlich, woraus heute viele Forscher schließen, dass Kyot eine Erfindung Wolframs von Eschenbach ist.[Bumke 2004: S. 245] Dennoch, oder gerade aus diesem Grund, hat sich die Forschung intensiv mit Kyot auseinandergesetzt. Der Grund: Das "Kyotproblem ist für unser Wolframbild wesentlich".[Lofmark 1977: S. 69] Lofmark macht deutlich, dass die Quellenangaben fingierten Charakter haben, dies aber nicht zwangsläufig bedeutet, Wolfram habe sie aus dem Nichts erfunden.[Lofmark 1977: S. 65] "Den großen Provenzalen der Kyotexkurse konnte Wolfram persönlich nicht kennen, wohl aber einen lateinkundigen Gelehrten, nach dem jener erdichtet werden konnte.[Lofmark 1977: S. 66]
Außerliterarische Verweise
Fürst Herrmann von Thüringen
von Düringen fürste Herman, etslîch dîn ingesinde ich maz, daz ûzgesinde hieze baz. (297, 16-19)
Gemeint ist Hermann I., Landgraf von Thüringen, unter dessen Regentschaft der Literaturbetrieb am Thüringer Hof enorm gefördert wurde. Auch für Wolfram spielte er eine wichtige Rolle, so wird er beispielsweise als der Auftraggeber des Willehalm angesehen. Weitere Dichter, die am Hof gearbeitet haben, sind Heinrich von Veldeke, Herbort von Fritzlar und Walther von der Vogelweide.[Bumke 2004: S. 13]
Graf von Wertheim
Der Graf von Wertheim wird vom Erzähler erwähnt, als von den Zuständen in Belrapeire berichtet wird. Da von mîn hêrre der grâf von Wertheim (184, 4) die Rede ist, gibt es Annahmen, dass dieser der Auftraggeber des Parzival sei. Ebenso gut möglich ist es jedoch, dass die Anrede nur eine Höflichkeitsfloskel ist.[Bumke 2004: S. 13] Gemeint ist jedenfalls Poppo I. oder dessen Sohn Poppo II, beide urkundlich als Grafen von Wertheim erwähnt.[Bumke 2004: S. 13]
Erfurter Weinberg
Im siebten Buch werden die zertrampelten Wiesen vor Bearosche mit den gleichen Schäden am Erfurter Weinberg verglichen: Erfurter wîngarte giht von treten noch der selben nôt. (379, 18-19) Damit bezieht sich der Erzähler auf eine reale Begebenheit, nämlich die Belagerung durch die Truppen Philipps von Schwaben im Jahre 1203, den staufischen Part des deutschen Thronstreits.[Bumke 2004: S. 20] Zur Datierung trägt diese Randnotiz entscheidend bei, da die Weingärten "noch" immer in demselben Zustand sind, die Ereignisse können zur Zeit der Entstehung des Werkes noch nicht lange zurückliegen.
Vergleiche mit realen Orten
Hierzu gehört der Anger von Abenberg, der mit den verwaisten Wiesen auf Munsalvaesche verglichen wird. (227, 13-14) Auch Trüdingen, deren Trühendingær phanne mit kraphen (184, 24-25) erwähnt wird und Dollnstein, deren Frauen an Fastnacht spaßeshalber kämpfen (409, 8-9), fallen in diese Kategorie. Auffällig ist, dass alle drei Ortschaften in der Nähe des heutigen Wolframs-Eschenbach liegen und somit eventuell Rückschlüsse auf die Herkunft des Dichters zulassen.[Bumke 2004: S. 17]
Historischer Hintergrund
Das Werk ist höchstwahrscheinlich zu Ende des 12. und zu Beginn des 13. Jahrhunderts niedergeschrieben worden. Somit fällt es in die Zeit des deutschen Thronstreits und "entsteht also genau in dem Jahrzehnt, das auf den Zerfall des Reiches folgt und das von Unruhen, Unsicherheit und politischem Chaos gekennzeichnet ist".[Dallapiazza 2009: S. 14]
Anmerkungen
- ↑ Alle Textangaben des Primärtextes aus Wolfram von Eschenbach: Parzival. Nach der Ausgabe Karl Lachmanns, revidiert und kommentiert von Eberhard Nellmann, übertragen von Dieter Kühn. Frankfurt a. M. 2006.
- ↑ Alle Textangaben des Primärtextes aus Wolfram von Eschenbach: Parzival. Nach der Ausgabe Karl Lachmanns, revidiert und kommentiert von Eberhard Nellman, übertragen von Dieter Kühn. Frankfurt a. M. 2006.
<HarvardReferences />
Bibliographie
<HarvardReferences />
- [*Bumke 2004] Joachim Bumke: Wolfram von Eschenbach. 8., völlig neu bearb. Aufl., Stuttgart; Weimar, 2004.
- [*Dallapiazza 2009] Michael Dallapiazza: Wolfram von Eschenbach: Parzival. Berlin, 2009.
- [*Deinert 1960] Deinert, Wilhelm: Ritter und Kosmos im Parzival. Eine Untersuchung der Sternenkunde Wolframs von Eschenbach, München 1960.
- [*Lofmark 1977] Carl Lofmark: Zur Interpretation der Kyotstellen im 'Parzival'. In: Wolfram-Studien, Berlin 1977, Band 4, S. 33-70.
- [*Nellmann 1996] Nellmann, Eberhard: Zu Wolframs Bildung und zum Literaturkonzept des Parzival, in: Stierle, Karlheinz: Poetica. Zeitschrift für Sprach- und Literaturwissenschaft, 28. Band, Heft 3-4, München 1996, S.327-344.