Reinhart der Verlierer (Reinhart Fuchs)

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Übersicht

Im Tierepos "Reinhart Fuchs" von Heinrich dem Glîchezâren gelingen Reinhart meistens seine Listen und er schadet somit anderen Tieren. Oft aber, vor allem anfangs, kann Reinhart nicht gewinnen und ist somit der "Verlierer", weshalb er sich gerade aufgrund seiner versuchten Listen selbst das Leben schwer macht, denn "[a]uch der Listige [...] hat's schwer im Daseinskampf." [Ruh 1980: 17]

Im folgenden Artikel wird neben passenden Übersetzungen von Textausschhnitten aufgezeigt, in welchen Situationen des Epos Reinhart als Verlierer hervorgeht und wieso das so ist. Des Weiteren setzt sich dieser Artikel damit auseinander, in welchem Zusammenhang diese Passagen mit denen des Siegers Reinhart stehen.

Reinhart als Verlierer

Reinhart und der Hahn Scantecler

Diese Szene steht relativ am Anfang des Tierepos. Reinhart treibt sein Unwesen auf dem Hof vom Bauer Lanzelin und versucht, den Hahn Scantecler zu täuschen. Durch ein Loch im Zaun kommt Reinhart in das Gehege. Die Hühner haben große Angst. Reinhart erzählt Scantecler, dass sein Vater ihn hineinkommen lassen würde. Als der Hahn auf den Geheiß von Reinhart singt, packt dieser ihn am Hals.

Mittelhochdeutsch Neuhochdeutsch
als er im entweich, da want er sam vro als er ihm entweichen konnte, wand er so glücklich
den hals vz Reinhartes mvnde den Hals aus Reinharts Maul
er vloc zv der stvnde er flog in diesem Augenblick
vf einen bovm, do er genas auf einen Baum, der ihn am Leben hielt
Reinhart harte trvric was. Reinhart war sehr traurig.

(RF, 148-152) [1]

Reinhart schafft es, Scantecler zu packen, jedoch entflieht er ihm, als Reinhart kurz spricht, aus dem Maul.

Reinhart und die Meise

Noch zornig aufgrund des Vorfalls mit Scantecler trifft Reinhart auf die Meise. Sie selbst kennt Reinhart und ihr ist bewusst, zu welchen Listen Reinhart in der Lage ist. Sie spricht davon, Angst vor seinen Augen zu haben, weshalb sie von ihm verlangt, die Augen zu schließen, damit sie ihn küssen kann.

Mittelhochdeutsch Neuhochdeutsch
ein mist si vnder irn fvz nam, Sie nahm Dreck in ihren Fuß,
von aste ze aste si qvam und sie sprang von Ast zu Ast
vnde liez ez im vallen an den mvnt und ließ es ihm direkt ins Maul fallen
do wart ir vil schire chvnt da war ihr gleich bekannt
irz gevatern schalkeit: dass ihr Vetter arglistig war:
die zene waren ime gereit mit gefletschten Zähnen
daz mist er do begripfte, bekam er den Dreck ab,
sin gevater im entwischte seine Vetterin entkam ihm.
er hat harte grozen vliz Er hatte große Mühe
vm einen swachen inbiz. für eine kleine Mahlzeit.
des wart er trvric vnde vnvro Das hatte ihn sehr unglücklich gestimmt

(RF, 203-213) [2]


Als Reinhart die Augen schließt, wirft ihm die Meise Dreck in sein Gesicht und nimmt ihn somit auf den Arm. So ist sein Versuch, die Meise zu täuschen und zu hintergehen, misslungen. Es ist genau das Gegenteil passiert.

Reinhart und der Rabe Diezelin

Der Rabe Diezelin hat ein Stück Käse, das Reinhart unbedingt unter seine Fittiche bekommen möchte. Dies versucht er mit einer List: Er sagt dem Raben, dass er ihm etwas vorsingen solle. Reinhart gaukelt vor, selbst verletzt zu sein und der Käse neben ihm sei schädlich für ihn. Deshalb fragt er den Raben, ob er den Käse von ihm wegnehmen könne.

Mittelhochdeutsch Neuhochdeutsch
der rabe wolde nemen dan Der Rabe wollte beiseite nehmen
den kese, er wandes haben danc. den Käse, er dachte, er bekäme dafür ein Danke.
Reinhart balde vf spranc, Plötzlich sprang Reinhart auf,
gelich als er niht were wunt. als wäre er gar nicht verletzt.
do tet er sinem neven kvnt so zeigte er seinem Vetter
sin trewe, ern weste niht, was er an im rach: seine "Treue", er wusste nicht, was er an ihm rächen sollte:
vil er im do vz brach darauf riss er ihm viele
der vedern, daz er im entran mit not, seiner Federn hinaus, sodass er gerade noch davonkam,
der neve was Reinharte ze rot. sein Vetter hatte Reinharts Hintergedanken erkannt.

(RF, 276-284) [3]

Als der Rabe den Käse wegnimmt, beißt ihm Reinhart seine Federn aus. Diezelin kann gerade noch so davonkommen.

Reinhart und der Kater Diephret

In dieser Episode trifft Reinhart auf den Kater namens Diephret. Reinhart möchte ihn betrügen und ihn in eine Falle von einem Jäger locken, indem er behauptet, sehen zu wollen, wie schnell Diephret sprinten kann. Er lockt ihn in die Richtung der Falle. Was Reinhart jedoch nicht weiß ist, dass der Kater die Falle bereits kennt und darüber springt, ohne sich zu verletzen. Nun aber will Diephret, dass Reinhart ihm folgt. Das tut er. Wieder springt der Kater über die Falle, bleibt aber direkt dahinter stehen, sodass Reinhart gegen ihn prallt und in die Falle gerät.

Mittelhochdeutsch Neuhochdeutsch
'lauf nach mir', ich laz dich sehen "Lauf mir nach, ich lasse dich Zeuge werden
edele sprvnge ane lygen.' von ungelogen edlen Sprüngen."
sie wolden beide ein ander betrigen. Jetzt wollten sie sich beide gegenseitig betrügen.
Reinhart lief sinem neven nach, Reinhart lief seinem Vetter nach,
donen was dem vorderen niht gach. der Vordere der beiden hatte es nicht eilig.
Dyprecht vber die vallen spranc Diephret sprang über die Falle
vnde gestvnt ane widerwanc. und blieb dann plötzlich stehen.
an sinem neven stiez er sich, Reinhart stieß gegen ihn,
deiswar, daz was niht vnbillich;. diese Tat war völlig gerechtfertigt;
der vuz im in die vallen qvam. der Fuß war nun in der Falle gefangen.

(RF, 346-355) [4]

Beweggründe für Reinhart als Verlierer

Mit dem "schlechten Tag" meint Kurt Ruh in seinem Text die Passagen des Epos, in denen Reinhart als Verlierer hervorgeht. Sie bilden laut Ruh deshalb den ersten Teil, da er sich so bei dem Leser ein Stück weit beliebt macht. Diese "Sympathie" ist sehr im folgenden Teil sehr wichtig: "Ein Unglückstag Reinharts, und dies, obschon er seine kundekeit mannigfach unter Beweis stellt. Das steht im krassen Gegensatz zum Erfolg von Reinharts Finten in der Haupthandlung. Das epische Vorzeichen ist wohl deshalb verquer gesetzt, weil es im Hinblick auf die späteren, vielfach kriminell zu nennenden Taten des Protagonisten nötig schien, diesem beim Publikum einige Symphatien zu sichern: dem Erfolglosen mit reichen Gaben werden sie nie verwehrt" [Ruh 1980: 18]

Reinhart wird im Epos mehrfach als "der Böse" dargestellt, aufgrund seiner Taten, Listen und Machenschaften, die anderen Tieren schadeten, eben genau nach seinem "schlechten Tag" [Ruh 1980: 21].

Mithilfe dieser vorangegangenen misslungenen Aktionen ("Dreimal jagt Reinhart vergeblich: 1. den Hahn Scantecler - das Geschrei seiner Lieblingshenne Pinte rettet ihn; 2. die Meise - sie entfliegt ihm gewitzt; 3. den Raben Dizelin - er entkommt ihm, weil durch höhere Fügung Jäger mit Hunden nahen." [Bertau 1983: 20]) von Reinhart ergibt sich überhaupt die Möglichkeit, dass Reinhart Symphatie bei anderen Tieren erwirbt. So zum Beispiel schließt er ein Bündnis mit dem Wolf Isegrin, der noch den allergrößten Schaden von Reinhart nehmen soll. Ohne ihn als dargestellen Verlierer wäre es wohl nie so weit gekommen.

Um genau diese Sympathie beim Leser zu erhalten, finden sich Reinharts misslungenen Listen zurecht am Anfang des Epos. Hübner spricht in seinem Text "Schläue und Urteil" darüber, dass sich Intelligenz dadurch auszeichnet, Situationen richtig einzuschätzen - was ja Reinhart anfangs nicht gelingt. ("Schlauheit zeichnet sich durch die Kontrolle über die Deutung der Handlungssituation aus. [Huebner 2016:88]) Somit wird deutlich, dass das Handeln darüber bewertet wird, ob eine Person (Figuren im Reinhart Fuchs als Modelle menschlichen Handelns) bemitleidet werden kann und dadurch sympathisiert wird oder nicht. Hätte Reinhart von Anfang an jede seiner Listen erfolgreich angewandt, hätte er dieses Mitleid und die einhergehende Sympathie nicht erlangen können.

Nun stellt sich die Frage, wie Reinhart diese Sympathie trotz seiner Taten halten kann. Reinhart sorgt für den "Schwanzverlust" des Wolfes und kann trotz dessen nicht klar zu einer Seite - beliebt oder unbeliebt - zugeordnet werden. Das liegt daran, dass durch eben diese Animalisierung (tierische Figuren im Epos als Modelle menschlichen Handels) eben jene Moral verfliegt, da nun ja nur Tiere ihren Trieben nachgehen. Michael Mecklenburg spricht in seinem Text "Abenteuerliche Überkreuzungen" von "[der] Entwertung moralischer Kategorien" [Mecklenburg 2017:81]. Darüber hinaus wird sein Sympathie so erklärt, dass aufgrund des "dem Fuchs zugeschriebenen menschengleichen Eigenschaften eben doch der appetitus des Raubtiers hindurchbricht." [Mecklenburg 2017:81] Der appetitus kann hier als solcher Verstanden werden, trotz menschlicher Züge den Drängen und Trieben eines Raubtieres nachzugehen, weshalb die unmoralischen Taten in ein nicht allzu großes Licht gerückt werden.

Damit Reinhart sich selbst retten kann, auch nach seinen Listen und der Anklage, ist es von Belangen, eine passende Situation zu schaffen, um sich aus der Misere zu ziehen. "Für den Handlungserfolg der Schlauheit braucht es gleichwohl außerdem eine geeignete Handlungssituation, die Reinhart ausnutzen, und eine Situationsdeutung, die er dem Bären einreden kann: Reinhart kennt einen Baum, der als Bärenfalle taugt, weil ein Bauer ihn durch einen Keil gespalten hat, und stellt ihn dem Bären als Bienenwohnsitz vor." [Huebner 2016:93] Diese Situationen gab es anfangs nicht. Als er beispielsweise den Hahn in seinem Maul trägt, muss er gleichzeitig vor dem Bauern flüchten, was seine Situation erschwert.

Vom Verlierer zum Sieger

Direkt nach der Begegnung mit dem Kater nimmt die Geschichte eine Wendung. Er ist nach wie vor gefangen in der Falle des Bauers, nachdem er aufgrund des Katers hineingeriet. Als der Bauer nun Reinharts Kehle mit der Axt treffen will, zieht Reinhart im letzten Moment seinen Kopf beiseite, sodass die Falle zerspringt und er fliehen kann.

Unterschied zwischen Reinhart als Verlierer und Sieger

Auffallend oft verliert Reinhart am Anfang des Tierepos. "'RF' besteht aus zwei gleich großen Hauptteilen, der Fuchs-Wolf-Auseinandersetzung mit 852 plus ca. 160 [...] Versen und König Vrevels Hoftag mit 1010 Versen; eine vorspielartige Aventiurenreihe, Reinharts schlechter Tag, mit 375 Versen geht voran." [Ruh 1980: 21]

Laut Kurt Ruh ist das Epos in mehrere Teile unterteilt. "Teil 1 (11-384) thematisiert das Misslingen Reinharts." [Ruh 1980: 17] Dieser Teil ist anders als das Nachfolgende, da Reinhart ab dem Treffen mit dem Kater seine Listen so geschickt und raffiniert umsetzt, dass er nur noch anderen Tieren schadet.

Literatur

<HarvardReferences />

  • [*Ruh 1980] Ruh, Kurt: Reinhart Fuchs, eine antihöfische Kontrafaktur.

<HarvardReferences />

  • [*Bertau 1983] Bertau, Karl: Über Literaturgeschichte: Literarischer Kunstcharakter und Geschichte in der höfischen Epik um 1200.

<HarvardReferences />

  • [*Huebner 2016] Hübner, Gert: Schläue und Urteil. Handlungswissen im Reinhart Fuchs.

<HarvardReferences />

  • [*Mecklenburg 2017] Mecklenburg, Michael: Abenteuerliche Überkreuzungen
  1. Alle Versangaben beziehen sich auf Heinrich der Glîchezâre (1976): Reinhart Fuchs. Mittelhochdeutsch/Neuhochdeutsch, Stuttgart: Reclam.
  2. Alle Versangaben beziehen sich auf Heinrich der Glîchezâre (1976): Reinhart Fuchs. Mittelhochdeutsch/Neuhochdeutsch, Stuttgart: Reclam.
  3. Alle Versangaben beziehen sich auf Heinrich der Glîchezâre (1976): Reinhart Fuchs. Mittelhochdeutsch/Neuhochdeutsch, Stuttgart: Reclam.
  4. Alle Versangaben beziehen sich auf Heinrich der Glîchezâre (1976): Reinhart Fuchs. Mittelhochdeutsch/Neuhochdeutsch, Stuttgart: Reclam.