Das heiße Eisen (Der Stricker)

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Handlung

Nachdem eine Frau ihren Mann ihrer Liebe versichert, fordert sie von ihm den Beweis seiner Treue unter dem Vorwand, dass sie Angst habe, er könnte andere Frauen als sie gehabt haben. Im Gegenzug würde sie ihm ihre tiefste Liebe schenken, wie sie noch nie einem Mann geschenkt worden sei. Der Mann bestätigt ihr ebenfalls seine Liebe und willigt ein, sich ihrem Test zu unterziehen. So fordert sie, dass er zum Beweis seiner Treue das heiße Eisen tragen solle und stellt zeitgleich ein Ultimatum, sodass ihm keine Wahl bleibe, wenn er sie wirklich liebe und nicht verlieren wolle, da sie ihn andernfalls verlassen würde. Er willigt ein und das Eisen wird zu Glühen gebracht. Mit Hilfe eines Holzspans gelingt es dem Mann, das heiße Eisen über sechs Schritte hinweg zu tragen, ohne sich dabei zu verbrennen. Zum Beweis seiner Unschuld zeigt er daraufhin seiner Frau die durch die List unverletzt gebliebenen Hände. Die Frau erkennt dies als Treuebeweis an und bestätigt ihm ihre endlose Liebe. Nun verlangt der Mann von seiner Frau unter der gleichen Bedingung des Ultimatums, dass sie sich der gleichen Probe unterzöge. Sie bittet vergeblich darum, dass er von dieser Prüfung absehe; er bleibt jedoch bei seiner Forderung, da sie das gleiche von ihm verlangt habe. Also bringt der Mann das Eisen zum Glühen und fordert sie auf, das glühende Eisen so zu tragen, wie er es tat. Auf seine Aufforderung hin bittet sie ihn um folgendes: sie verweist auf die Stärke und Willenskraft der Männer, die den Frauen nicht eigen sei, weswegen sie gesteht, neben ihm einen anderen Mann gehabt zu haben, was bei der Prüfung bestätigt werden würde. Daher bittet sie den Mann, ihr dieses eine Vergehen nachzusehen. Der Mann nimmt dies hin und fordert sie erneut auf, das Eisen zu tragen. Sie bittet ihn erneut, dass er seine Nachsicht etwas erweitere und gesteht, zwei weitere Männer neben ihm gehabt zu haben. Auch dies nimmt er hin und fordert sie wieder auf, das Eisen zu nehmen. Wieder zögert sie und gesteht, noch drei weitere Männer neben ihm gehabt zu haben, die er ihr unter Anrufung seines Gewissens und seiner Liebe nachsehen solle, da sie ihm drei Pfund Münzen zum Ausgleich anbietet, von denen er noch nichts gewusst habe. Auch dies nimmt er hin, besteht nun aber unter Androhung ihres Todes darauf, dass sie endlich das Eisen nehme. Schließlich nimmt sie das Eisen, woraufhin sie sich schwer verbrennt. Als der Mann sie verbinden möchte, verweigert sie dies, da ihre Hand so schwer verbrannt sei, dass sie sie nie wieder so benutzen könne wie zuvor. Auf diese Äußerung reagiert der Mann sehr zornig und erklärt ihr, dass er nun keine Frau mehr hasse als sie und alles tun werde, um ihr Leid zuzufügen und ihre Schande zu vermehren, indem er ihr die Art und Weise, wie sie sich um ihre Ehre gekümmert habe, vergelten werde.

Historischer Hintergrund

Beim sogenannten „Tragen des heißen Eisens“ handelt es sich um einen im Spätmittelalter bereits veralteten Rechtsbrauch, bzw. eine Foltermethode, zur Bestrafung und Wahrheitsfindung.[Schwob 1999: S. 324] Früh- und Hochmittelalterliche Quellen berichten vom „Tragen des heißen Eisens“ als sog. „Ordal“ (lat. ordalium), also als Gottesurteil.[Schwob 1999: S. 324] Im Rahmen dieses Gottesurteil sollte, sofern alle anderen juristischen Mittel versagten, die Unschuld oder Schuld des Angeklagten dadurch bewiesen werden, dass Gott durch sein Eingreifen, also durch ein „Wunder“, die Wahrheit ans Licht gebracht werden sollte, unter der Prämisse, dass Gottes Richtspruch bereist im Diesseits zum Tragen komme und sich nicht erst am Tag des Jüngsten Gerichts realisiere.[Neumann 2010: S. 12] Typischerweise fand das Tragen des heißen Eisens bei Verbrechen materieller Art, wie Diebstahl oder Betrug, Verwendung, und dann auch nur bei Wiederholungstätern.[Schwob 1999: S. 326] Typischerweise wurde bei der Anwendung dieser Praktiken nicht erwartet, dass der Proband keine Verletzungen erleiden würde, weswegen ein schnelles und sauberes Verheilen der zugefügten Wunden als Unschuldsbeweis ausreichte.[Schild 1984: S. 230] Wenngleich die gemeine Bevölkerung und die Gerichtsbarkeiten des Spätmittelalters die Zweifelhaftigkeit des Ordals als Rechtsbrauch erkannten und dieses deswegen vermieden, so erfreuten sich Ordale im 15. Und 16. Jahrhundert wieder zunehmender Beliebtheit, da sie sich als effiziente Mittel erwiesen, mit denen sich die adeligen und städtischen Gerichtsbarkeiten „unbequemer“ Untertanen entledigen konnten.[Schwob 1999: S. 328] Dabei spielte vor allem die Erfahrung der Inquisition mit dem Ordal als Folterinstrument und nicht als Entscheidungs- oder Wahrheitsfindungsmittel eine entscheidende Rolle.[Schwob 1999: S. 326]

Die Macht der Form oder die Last des Formalismus

Die vermeintlich göttliche Beweiskraft der Eisenprobe kann durch triviale menschliche Tricks außer Kraft gesetzt werden. [Witthöft: S.287] Durch die Aufforderung der Frau an ihren Ehemann trac mir daz heize îsen (V.40) beginnt das Aufzeigen dieses Umstandes. Er gesteht ihr diesen extremen Treuebeweis zu [Witthöft: S.288] , doch platziert er Holzspäne zwischen Hand und Eisen und umgeht so eine Verbrennung. Daraufhin ist die Frau sich seiner Treue gewiss; er aber verlangt im Gegenzug: daz ouch du mir daz îsen treist. (V.91) [Witthöft: S.288] Der Test einer moralischen Vollkommenheit wird in Form eines Rituals durchgeführt, welches nur als Mittel zum Zweck dient. Seine Tauglichkeit wird ebenso angezweifelt wie die menschliche Fähigkeit zur Treue. [Witthöft: S.289] Die dargestellten Verhaltensweisen lassen kein ordobezogenes Interpretationsvermögen [Ragotzky: S.171] oder eine didaktische Geste [Ehrismann: S.21] erkennen. [Egerding: S.140] Der Stricker offenbart auch in diesem Märe eine tiefen Zweifel an einem vorgegebenen rituellen Verhältnismuster – in diesem Fall des Ordals. [Witthöft: S.289] Auch Gottfried von Straßburg bediente sich bereits im Tristan eines erlisteten Gottesurteils. Er kritisiert die Gottesurteile, welche glauben machen, dass man durch List und Betrug über das Urteil Gottes verfügen kann. [Witthöft: S.289] Zugleich aber führt er vor, dass eine Einhaltung der korrekten formalen Struktur des Rituals ausreicht, um das Ritual als Beweismittel gelten zu lassen. [Schnell: S.114 + Dörrich: S.27] Der Stricker Schließlich geht noch einen Schritt weiter und parodiert und verspottet den Brauch des Ordals in dem Ehemäre [Witthöft: S.289]: eheliche Auseinandersetzung ohne zeremonielle Einbettung, Benutzung des Holzspans um Verbrennung zu vermeiden, Frau lässt sich ihre verletzten Hände nicht verbinden und schließt so eine Heilung, die als Zeichen ihrer Unschuld gedient hätte, direkt aus. [Witthöft: S.290] Der Stricker reflektiert also zugleich eine Strömung der Zeit, die den Rechtsformalismus hinterfragt, da für das Rechtsverständnis des Früh- und Hochmittelalters der Formalismus grundlegend war. [Witthöft: S.290] Die Form selbst war das Recht. [Sellert: S.32] Um Mitte des 13.Jahrhunderts nun zeichnete sich verstärkt eine Entwicklung ab, die vom formalen Recht zum Beweisrecht überging. Der Versuch die formalen Mittel der Rechtsfindung wie Eid oder Gottesurteil durch Verfahren der gerichtlichen Wahrheisfindung unter anderem unter Zuhilfenahme von Zeugen, zu ersetzen. [Witthöft: S.290]


Literaturverzeichnis

Primärliteratur

Sekundärliteratur

<HarvardReferences />

  • [*Dörrich: S.27] Dörrich, Corinna : Poetik des Rituals, 2002, S.27 mit Anm. S.79 u. S.75
  • [*Egerding: S.140] Egerding, Michael, Probleme mit dem Normativen, 1998, S.140
  • [*Ehrismann: S.21] Ehrismann, Otfrid: Einleitung, S. 21
  • [*Neumann 2010: 12] Neumann, Sarah: Der Zweikampf. Gottesurteil, Wettstreit, Ehrensache, Ostfildern 2010 (Mittelalter-Forschungen 31).
  • [*Schild 1984: 230] Schild, Wolfgang: Die Gottesurteile, in: Justiz in alter Zeit, hg. von Christoph Hinckeldey, Rothenburg ob der Tauber 1984 (Mittelalterliches Kriminalmuseum: Schriftenreihe des Mittelalterlichen Kriminalmuseums Rothenburg ob der Tauber 6), S. 225-239.
  • [*Schnell: S.114] Schnell, Rüdiger: Suche nach Wahrheit, 1992, S.114
  • [*Schwob 1999: 324] Schwob, Anton/Schwob, Ute Monika: Das heiße Eisen tragen, in: Leitmotive. Kulturgeschichtliche Studien zur Traditionsbildung; Festschrift für Dietz-Rüdiger Moser zum 60. Geburtstag am 22. März 1999, hg. von Marianne Hammer, Graz 1999, S. 321-328.
  • [*Sellert: S.32] Sellert,: Gewohnheit, Formalismus und Rechtsritual im Verhältnis zur Steuerung sozialen Verhaltens durch gesatztes Recht, S.32
  • [*Ragotzky: S.171] Ragotzky, Hedda: Gattungserneuerung, 1981, S. 171
  • [*Witthöft: S.287] Witthoeft, Christiane: Ritual und Text: Formen symbolischer Kommunikation in der Historiographie und Literatur des Spätmittelalters, 2004, S. 287-296