Die Erzählstruktur des Reinhart Fuchs als Interpretationsgrundlage
Poetologische Selbstreflexionen: Autor und Werk
Mittelhochdeutsch | Übersetzung |
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von Isengrines arbeit. |
(RF V. 9819, 1784-1790)
Diskussionsgrundlage: Forschungstexte
Gegenstand der Sitzung sind zwei Grundlagentexte von Kurt Ruh [Ruh 1980] und Karl Bertau [Bertau 1983], die ihre Interpretationsskizzen zum Reinhart Fuchs auf den Erzählaufbau des Textes stützen. Ziel der Sitzung ist, die Strukturierungsvorschläge zu vergleichen, methodisch zu prüfen und ihre interpretatorischen Schlüsse zu diskutieren.
Aufgabenschritte:
(1.) Struktur: Wie ist nach Ruh bzw. Bertau der Reinhart Fuchs aufgebaut?
A. Ruh (1980):
- Ungerade Episodenanzahl und Mittelzäsur bei Isengrins Unheilsgeschichte und Hoftag mit klassisch-episch / sukzessiver Anordnung (= syntagmatische Reihung)
- zu Beginn Aventiurenreihe mit 375 Versen(Reinharts schlechter Tag = "Vorspiel"), danach unterteilt in zwei gleich große Hauptteile ( zu jeweils 7 Szenen): Teil 1 "Fuchs-Wolf-Auseinandersetzung" und Teil 2 "König Vrevels Hoftag".
B. Bertau (1983):
- Episodensammlung (paradigmatisch), statt Episodenreihung
- Simultanlogische Lektüre: keine zwingend-causale Folge der Episoden; Vielmehr beliebige, exemplarsiche Auswahl von Taten des Helden.
- 3 Teile, je 7 Episoden; Zentrum stellt Teil B dar
- alternativ denkbar: sukzessivlogische Tendenzen (s. Ruh)
(2.) Methodik: Wie ermitteln Ruh bzw. Bertau diese Struktur? (Wie gesehen sie vor, welche Prinzipien und Annahmen legen sie zugrunde?)
A. Ruh (1980):
- quantitativ: beide Großteile entsprechen sich ungefähr im Versumfang
- die beiden Versionen der Texte werden kontrastiert
- strukturelle Ähnlichkeiten der beiden Teile werden hervorgehoben
- "Zentralkomposition" als Gliederungsprinzip
B. Bertau (1983):
- Situationsfolge: nicht zwingend; raümlich nebeneinander und beliebig
- jede Episode ist in sich am Ziel
- jedoch nicht ohne Finalität
- anstatt sukzessivlogischer Folge der Episoden: räumlich-statische Komposition
(3.) Interpretation: Welche Sinnlenkung leiten Ruh bzw. Bertau aus ihren Strukturbeschreibungen ab?
A. Ruh (1980):
- "Reinhart Fuchs" als Zusammenführung und Erweiterung bereits bestehender Erzählungen (Isengrins not).
- Anspielungen auf elsässische Verhältnisse
- politische Kritik: antistaufische Haltung des Autors
- "Warnfabel": "ritterliche Idealwelt" wird unterhöhlt
- kombiniert im zweiten Teil Hoftag, Klage und missglückte Botschaften mit Krankheit des Königs und Heilung durch Wolfsfell
B. Bertau (1983):
- ein einzelnes Ereignis ist ein Gleichnis für typische im Allgemein-menschlichen anzutreffende Situation
- einzelne Episoden als expemlarische Taten des Helden: Der (Anti-)Held selbst wird zu einer allegorischen Verkörperung des Bösen.
- satirische Kritik an den Ständen und der höfischen Welt -> nicht konstruktiv, sondern Heinrich sieht die Welt "ganz schwarz" ! (totaler destruktiver "Einspruch")
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Verwendete Literatur
<HarvardReferences />
- [*Bertau 1983] Bertau, Karl: 'Reinhart Fuchs'. Ästhetische Form als historische Form, in: ders.: Über Literaturgeschichte. Literarischer Kunstcharakter und Geschichte in der höfischen Epik um 1200, München 1983, S. 19-29.
- [*Ruh 1980] Ruh, Kurt: Höfische Epik des deutschen Mittelalters. Bd. 2: 'Reinhart Fuchs', 'Lanzelet', Wolfram von Eschenbach, Gottfried von Straßburg, Berlin 1980 (Grundlagen der Germanistik 25), S. 13-33.