Kaufmannsmotivik (Gottfried von Straßburg, Tristan)
Wann taucht der Berufsstand des Kaufmanns auf und wie wird er im Tristan bewertet?
Der Kaufmann im Mittelalter
Der Stand des Kaufmanns war vor dem 11. und 12. Jahrhundert sehr negativ behaftet, da unterstellt wurde, der Kaufmann würde einerseits nichts erschaffen und andererseits lediglich Zeit verkaufen, die als Gegenstand Gottes betrachtet wurde und somit nicht verkauft werden durfte.[Buschinger 1987: S. 532] Zwischen dem 11. und 12. Jahrhundert vollzog sich jedoch ein wirtschaftlicher und sozialer Wechsel, der Handel erfuhrt einen Aufschwung und das Ansehen des Kaufmanns wurde rehabilitiert.[Buschinger 1987: S. 532] Ende des 12. Jahrhunderts wird er für das Beschaffen von lebensnotwendigen Waren oder auch Luxusgütern sogar geschätzt, seine Schwierigkeiten und Probleme rechtfertigten seinen Gewinn.[Buschinger 1987: S. 532f.]
Vorkommen
Tristan nutzt den Stand des Kaufmannes in mehreren Episoden, um über seine wahre Herkunft hinwegzutäuschen[Brennig 1993: 194] und eine Rechtfertig für seinen Aufenthalt am jeweiligen Ort zu geben.[Buschinger 1987: 533] Dabei unterliegt er stets der Prüfung einer Hofgesellschaft[Brennig 1993: S. 195] und muss seine Rolle perfekt beherrschen, um vor ihnen zu bestehen.
Echte Kaufmänner
Den Auftakt der Kaufmannsmotivik machen "echte" Kaufmänner aus Norwegen, die in Parmenien anlegen, um Handel zu betreiben. Geschmeide, Seidenstoffe, kostbare Kleidung sowie verschiedene Vögel wurden von ihnen im Übermaß angeboten (vgl. V. 2197-2208). Tristan will einen Falken kaufen und spricht die Norweger schließlich wegen eines Schachspiels an:
- »ei« sprach er »edelen koufman
- sô helfe iu got! und kunnet ir
- schâchzabelspil? daz saget mir!« (V. 2230 - 2232)[1]
Um von ihnen zu erfahren, ob sie Schach spielen können, benutzt er die auffällige Wendung edel, was üblicherweise für Geburtsadel steht.
Tristan als Kaufmann
Bereits nach seiner Entführung, als er in Cornwall ankommt, gibt er der Jagd-Gesellschaft gegenüber an, er sei der Sohn eines Kaufmanns aus Parmenien:
- »jensît Britanje lît ein lant,
- deist Parmenîe genant.
- dâ ist mîn vater ein koufman,
- der wol nâch sîner ahte kan
- der werlde leben schône unde wol, (V. 3097-3101)
Sein Vater könne demnach, seinem Stand angemessen, gut leben und sei außerdem tugentlîche[n] muotes (V. 3106), also von feingesittetem Gemüt. Weil Sprache und Verhalten fahrender Kaufleute aus anderen Ländern, die sich in Parmenien aufhielten, Tristan sehr fasziniert hätten, sei er schließlich seinem Vater davon gelaufen und mit Kaufleuten davongesegelt.
Die Kaufmannsgesellschaft, die Tristan hier erfindet, wird demnach äußert positiv dargestellt. Sein Vater kann durch seine Tätigkeit Wohlstand und Anstand verbinden, er ermöglicht seinem Sohn eine gute Erziehung und Bildung. Durch die Kombination dieser Eigenschaften lehnt sich Tristans angeblicher Vater sehr an die Lebensformen der adligen Gesellschaft am Hof an. Somit kann Tristan sein Wissen und Können rechtfertigen, ohne seine wahre Herkunft zu verraten.
Auch bei der ersten Irlandfahrt greift Tristan auf eine Kaufmanns-Geschichte zurück. Er hatte sich beim Morolt-Kampf schwer verletzt und muss nun zu Königin Isolde nach Irland, da sie die einzige Person ist, die seine Wunden heilen kann. Dort kann er seine wahre Identität jedoch nicht Preis geben, da er Morolt, Isoldes Bruder getötet hatte. Er lässt die Iren deshalb glauben, dass er zunächst ein höfischer Spielmann gewesen sei und schließlich aus Habsucht zum Kaufmann wurde. Auf einer Schiffsreise von Spanien nach Britannien seien er und sein Geschäftspartner dann überfallen worden, sodass er alleine und verwundet in Irland landete (vgl. Verse 7547 - 7630). Im Vergleich zur ersten Kaufmannsgeschichte ist Tristan hier dazu gezwungen, seine Identität zu verheimlichen. Auch scheint der Kaufmann nicht mehr nur positive Eigenschaften zu besitzen, sondern vielmehr einer gewissen Habsucht zu unterliegen.
Auch bei zweiten Irlandfahrt unterliegt Tristan noch dem Zwang, seine Identität zu verheimlichen, um wegen Morolt nicht zum Opfer eines Racheaktes zu werden. Er bricht auf, um an Gurmuns Hof die Brautwerbung Markes zu vollziehen. Somit steht fest, dass Tristan in einem geeigneten Moment seine wahre Herkunft zu erkennen geben muss.[Brennig 1993: 231] Zunächst aber braucht er eine Möglichkeit, das Land überhaupt betreten zu können. Gemeinsam mit Kurvenal, Tristans Lehrer und Vertrautem, verlässt er das große Schiff, auf dem sich die Landbarone befinden und fährt in einem kleinen Boot an die Küste. Dort wartet bereits ein irischer Marschall mit einer kampfbereiten Truppe auf ihn. Tristan mimt den Unwissenden und gibt vor wissen zu wollen, weshalb der Empfang so bösartig ausfalle. Der Marschall bittet ihn jedoch, den Grund seiner Reise zu berichten und Tristan erzählt, sie seien Kaufleute und kämen aus der Normandie. Ein Sturm habe ihn von zwei weiteren Kaufmännern getrennt und nun hoffe er, in dieser irischen Stadt, Wexford, wo er bereits einmal gewesen sei, Schutz zu finden, bis er die anderen Kaufmänner gefunden habe. Tristan verspricht dem König eine goldene Münze für jeden Tag, den er in Irland verbringen werde, und überreicht dem Marschall einen goldenen Becher, sodass dieser schließlich zustimmt.[2] Zum dritten Mal verwendet Tristan also eine erfundene Kaufmannsgeschichte, um sich Zutritt zu einem Hof bzw. Land zu verschaffen. Wieder variiert die Geschichte ein wenig, der Piratenangriff wird durch einen Sturm ersetzt, auch das Herkunftsland verändert sich. Auch dieses Mal erwähnt Tristan geschickt einige Details, um von sich selbst ein gutes Bild zu geben: Zwischen der Normandie und Irland gibt es keine politischen Probleme, zurückgelassene Frauen und Kinder vermitteln den Eindruck von Seriosität und Integrität und die Reisen von Land zu Land erzeugen den Ruf von professionellen und ehrbaren Kaufleuten.[Brennig 1993:S. 234f.] Mit einem komplexen Repertoire aus unschuld-heischender Unwissenheit, legitimierenden "Fakten", ungewisser Situation (zwei verschollene Kaufmannskollegen) und dem Appell an freundliche Gastaufnahme (die beim früheren Besuch noch dagewesen zu sein scheint) bringt Tristan den Marschall also dazu, die Anordung des Königs, jeden Ankömmling genauestens zu überprüfen, außer Acht zu lassen.[Brennig 1993: 236f.]
Nach dem Kampf mit dem Drachen wird Tristan von den beiden Isolden ohnmächtig aufgefunden. Als sie ihn als Tantris wiedererkennen, wollen sie von ihm wissen, weshalb er nach Irland gekommen sei. Tristan verweist jedoch auf seine körperliche Schwäche und bittet um Aufschub der Antwort. So kann er sich genügend Bedenkzeit verschaffen, um sich eine erneute Geschichte zu überlegen. Einen Tag später berichtet er schließlich, als Kaufmann nach Irland gekommen zu sein, um sich durch das Töten des Drachens Anerkennung zu verdienen. In vielen fremden Ländern tue man den Kaufleuten Gewalt an, sodass er durch seine Tat Schutz zu erhalten hoffte. Auch in Irland sei er von einer Räuberbande begrüßt worden und habe sein Leben lediglich seinen Besitztümern zu verdanken. Isolde sichert ihm daraufhin ihren Schutz zu. Auch hier weicht Tristan von all seinen Vorgänger-Versionen ab. Jedoch bringt er nicht "unbedenklich sein Programm zur Ausführung, zu lügen, soviel er kann",[Tax 1961: S. 51] sondern passt seine Geschichte den jeweiligen Bedürfnissen an. Isolde geht davon aus, dass Tristan vor knapp zwei Jahren ausgeraubt wurde, er muss also bescheiden auftreten und legitimiert somit auch gleich sein Bemühen um Anerkennung, die er sich nicht erkaufen, sondern erarbeiten bzw. erkämpfen muss.[Brennig 1993: S. 242-244]
Ende der Kaufmannsepisode
Durch Entdecken des fehlenden Splitters an Tristans Schwert wird seine wahre Identität schließlich bekannt (vgl. V. 10065- 10165). Für Kurvenal jedoch, der zu Tristan seit der Ankunft in Wexford nicht mehr in Kontakt stand, geht die Rolle weiter. So spricht er Tristan am irischen Hofe auf Französisch an, um seiner Rolle getreu zu bleiben. Da Tristan ihm auf Bretonisch antwortet, weiß schließlich auch er, dass das Versteckspiel ein Ende hat.[Brennig 1993: S. 251]
Erzählerbewertung
Die Einstellung Gottfrieds zum Kaufmann ist durchaus positiv, er wertet den Stand des Kaufmannes sogar auf.[Buschinger 1987: 540] So führt Gottfried, im Gegensatz zu anderen Versionen der Tristan-Saga, die angeblich bürgerliche Herkunft Tristans ein, als dieser in Cornwall ankommt.[Buschinger 1987: 540] Trotz dieser Herkunft wird Tristan am Hof integriert und zum engsten Vertrauten Markes. Demnach hat der bürgerliche Kaufmann, insbesonders der gebildete und künstlerisch begabte Kaufmann, die Möglichkeit, am Hof eine ähnliche Position einzunehmen wie der Adel.[Buschinger 1987: 540] Deutlicher wird die Beurteilung des Kaufmanns bei der zweiten Irlandfahrt, als Tristan bei Ankunft sagt, dass sich ein Kaufmann für seinen Beruf nicht zu schämen braucht:
- wir sîn werbende liute
- und mugen uns des niht geschamen.
- koufliute heizen wir binamen, (V. 8800 - 8802)
Im Tristan sind jedoch auch Elemente zu finden, die den Kaufmann negativ darstellen.[Buschinger 1987:S. 541] So zum Beispiel in dem Moment, als Tristan zugibt, aus Habsucht Kaufmann geworden zu sein. Auch kommen dem Jägermeister in Cornwall aufgrund der Bildung und künstlerischen Fähigkeit Tristans Zweifel, ob er in einem bürgerlichem Hause, mit einem rastlosen Vater, eine solche Erziehung hatte genießen können.
Demnach gesteht auch Gottfried ein, dass der Kaufmann immer noch eine sozial untergeordnete Rolle habe.[Buschinger 1987: 541]
Bedeutung
Lange Zeit maß die Forschung der Kaufmannsmotivik keine größere Bedeutung zu, sie wurde unter dem Aspekt der Lügengeschichten Tristans sogar als verwerflich angesehen.[Brennig 1993: S.193]
Anmerkungen
Literatur
<harvardreferences />
- [*Brennig 1993] Brennig, Heribert R.: Der Kaufmann im Mittelalter: Literatur - Wirtschaft - Gesellschaft. Pfaffenweiler 1993. S.193 -
- [*Buschinger 1987] Buschinger, Danielle: Das Bild des Kaufmanns im Tristan-Roman und bei Wolfram von Eschenbach. In:Zeitschrift für Germanistik. In Jahrgang 1987, Band 5. S. 532-543.