Sommerlied 18
Text und Übersetzung
I
| Mittelhochdeutsch | Übersetzung |
|---|---|
| "Uns wil ein sumer komen", | "Es wird ein Sommer zu uns kommen", |
| sprach ein magt: "ja han ich den von Riuwental vernomen. | sprach ein Mädchen: "Ja, das habe ich von Reuental vernommen. |
| ja wil ich in loben. | Ja, ich will ihn lobpreisen. |
| min herze spilt gein im vor vreuden, als ez welle toben. | Mein Herz springt ihm vergnüglich entgegen, als würde es rasen. |
| ich hoer in dort singen vor den kinden. | Ich höre ihn dort vor den Kindern singen. |
| jane wil ich nimmer des erwinden, | Wahrlich, ich will nicht aufhören, ihm zuzuhören, |
| ich springe an siner hende zuo der linden." | ich springe an seiner Hand bis zu dem Linden." |
II
| Diu muoter rief ir nach; | Die Mutter rief ihr nach, |
| si sprach: "tohter, volge mir, niht la dir wesen gach! | sie sprach: "Tochter, hör’ mir zu, handle nicht unversehens! |
| weistu, wie geschach | Weißt du noch, |
| diner spilen Jiuten vert, alsam ir eide jach? | was deiner Freundin Jiuten und ihrer Mutter letztes Jahr geschah? |
| der wuohs von sinem reien uf ir wempel, | Sie wurde schwanger aufgrund seines Tanzes |
| und gewan ein kint, daz hiez si lempel: | und sie empfing ein Kind, das sie Lempel nannte: |
| also lerte er si den gimpelgempel." | Also lehrte er sie den seinen Tanz." |
III
| "Muoter, lat iz sin! | "Mutter, hör’ auf! |
| er sante mir ein rosenschapel, daz het liehten schin, | Er schickte mir einen Rosenkranz, der warf einen schönen Glanz |
| uf daz huobet min, | auf meinen Kopf. |
| und zwene roten golzen brahte er her mir über Rin: | Und zwei rote Eisenhosen brachte er mir über den Rhein, |
| die trag ich noch hiwer an minem beine. | die ich noch heute an meinen Beinen trage. |
| des er mich bat, daz weiz ich niewan eine. | Wie er mir half, das kann kein anderer. |
| ja volge ich iuwer raete harte kleine." | Ja, deshalb folge ich eurem Rat niemals." |
IV
| Der muoter der wart leit, | Die Mutter war es leid, |
| daz diu tohter niht enhorte, daz si ir vor geseit; | dass die Tochter nicht auf das hörte, das sie zuvor sagte. |
| iz sprach diu stolze meit: | Da sagte das stolze Mädchen: |
| "ich han im gelobt: des hat er mine sicherheit. | "Ich habe es ihm geschworen, daher hat er meine Treue. |
| waz verliuse ich da mit miner eren? | Warum sollte ich dadurch meine Ehre verlieren? |
| jane wil ich nimmer widerkeren, | Ja, ich will nie mehr zurückkehren, |
| er muoz mich sine geile sprünge leren." | er wird mir seine fröhlichen Sprünge lehren." |
V
| Diu muoter sprach: "wol hin! | Die Mutter sprach:"Dann geh’! |
| verstu übel oder wol, sich, daz ist din gewin: | Es wird dir wohl oder übel so ergehen, aber merke, das ist dann deine Sache! |
| du hast niht guoten sin. | Du hast keine gute Kenntnis über den Menschen. |
| wil du mit im gein Riuwental, da bringet er dich hin: | Willst du mit ihm ins Reuental gehen, dann bringft er dich dort hin. |
| also kan sin treiros dich verkoufen. | So kann er deinen Tanz für sich verkaufen. |
| er beginnt dich slahen, stozen, roufen | Er beginnt dich zu schlagen, zu stoßen, zu verprügeln, |
| und müezen doch zwo wiegen bi dir loufen." | und es müssen doch zwei Wiegen bei dir laufen." |
Analyse
- Worum/worüber streiten die Sprecherinnen?
- Welche Themen, Begriffe und Aussagen heben die Einzelstrophen?
Deutungsansätze
- Wer gewinnt / setzt sich durch?