Treue und Verrat (Reinhart Fuchs)

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Dieser Artikel thematisiert die im Reinhart Fuchs verschieden auftretenden Aspekte der Treue ("triuwe") sowie des Verrats. Dabei wird das Verhalten des gerissenen Reinharts analysiert, welcher die Treue in der Verwandtschaft als Vorwand nimmt, um durch den anschließenden Verrat an jenen Verwandten jegliche Gegebenheiten zu seinen Gunsten zu wenden. Ebenso werden Verhaltensweisen von Figuren untersucht, die Reinhart in seinem verräterischen Dasein gleichkommen.

Definition von „Treue“ und „Verrat“

Treue

Die Treue (mhd. triuwe) beschreibt die Zuverlässigkeit eines Individuums gegenüber einem anderen, einem Kollektiv oder einer Sache. Treue wird als Tugend angesehen und nimmt eine bedeutsame Rolle in der Gesellschaft ein, indem sie in verschiedenen alltäglichen Situationen von einzelnen Menschen, Gruppierungen oder auch in der Rechtswissenschaft aufgegriffen wird. Im Alltag beruht die Treue meist auf gegenseitigem Vertrauen, wobei beide Parteien an einer eingegangenen vertraglichen oder persönlichen Bindung festhalten. - muss nicht positivbewertet werden

Verrat

Reinhart und der Hahn Scantecler

Reinhart versucht durch seine gerissenen Überzeugungsfähigkeiten das Vertrauen des Hahns Scantecler zu gewinnen, um ihn von einem Ast herunterzulocken, da er als potentielle Mahlzeit diene. Dies gelingt ihm durch die Hervorhebung der Treue, die innerhalb der Verwandtschaft herrsche. Reinhart erwähnt den Vater Scanteclers und erzählt davon, wie dieser sich stets über den Besuch des Vaters von Reinhart gefreut haben solle und, im Gegensatz zu Scantecler, nie auf jegliche Äste geflüchtet sei:

V. 110-125

Mittelhochdeutsch Übersetzung
Reinhart sprach: ,daz mac wol sin. Reinhart sprach: ,das mag wohl sein.
nv rewet mich dines vater tot, Nun tut mir der Tod deines Vaters leid,
wen der dem minnisten ere bot; denn dieser bot dem Geringsten seine Anerkennung;
wan trewe vndir kvnne Besonders die Treue unter Verwandten
daz ist michel wunne. ist eine große Freude.
dv gebares zv vntare, Du benimmst dich zu unfreundlich,
daz sag ich dir zware. das sag ich dir gewiss.
din vater was des minen vro, Dein Vater freute sich über meinen,
ern gesaz svst hohe nie also, er saß nie so hoch wie du,
gesaech er den vater min, sah er meinen Vater,
erne vlvge zv ime vnde hiez in sin so flog er zu ihm hin und hieß ihn
willekvmen, ovch vermeit er nie, willkommen, auch fluchte er nie,
ern swunge sine vitichen ie, noch schwang er seine Flügel,
iz were spate oder vru, egal, ob es spät oder früh war,
die ovgen tet er beide zv er schloss beide Augen
vnde sang im als ein vrolichez hvn.' und sang ihm wie ein fröhliches Huhn vor.'


Durch das Eingehen auf die Familie bekräfigt Reinhart die innige Treue, die bereits zwischen ihren Vorfahren, nämlich seinem Vater und dem Vater Scanteclers bestanden haben solle. Somit fordert Reinhart Scantecler nicht nur dazu auf, ihm, seinem Verwandten, die Treue zu erweisen und sich zu ihm zu begeben - er weist geradezu auf einen Verrat an ihren Vätern hin, den Scantecler beginge, sollte er sich der jahrelangen Vertrautheit der Väter entgegenstellen.

Scantecler ist durch seine Treue zu seinem Vater förmlich gezwungen, zu Reinhart zu fliegen und willigt somit, ohne jegliches Zögern, ein. Reinhart nutzt ebenjene Treue aus und ergreift Scantecler sofort mit seinem Maul, der unmittelbar seine Augen geschlossen hat, um mit dem Gesang beginnen zu können:

V. 126-138

Mittelhochdeutsch Übersetzung
Scantecler sprach: ,daz wil ich tvn, Scantecler sprach: „Das will ich tun,
iz larte mich der vater min: es lehrte mich mein Vater;
dv solt groz wilkvmen sin.' du sollst sehr willkommen sein.“
die vitich begond er swingen Er begann die Flügel zu schwingen
vnde vrolich nider springen. und sprang fröhlich herunter.
des was dem toren ze gach, Da war der Narr allzu eifrig,
daz gerowe in sere dar nach. was ihm rasch Leid tun sollte.
slinzende er singende wart, Als er blinzelnd singen wollte,
bi dem hovbete nam in Reinhart. packte Reinhart ihn beim Nacken.
Pinte smrei vnde begonde sim missehaben, Pinte schrie und beginn zu klagen.
Reinhart tet niht danne draben Darauf trabte Reinhart nur
vnde hvb sich wundernbalde und brach in Windeseile auf
remte hin gegn dem walde. in Richtung des Waldes.

Bereits zu Beginn des Werkes werden Treue und Verrat als zentrales Thema aufgegriffen; den Lesenden wird bei der ersten Begegnung die Skrupellosigkeit Reinharts vorgeführt: Seinem entschlossenen Handeln zufolge täuscht er offenbar nicht zum ersten Mal eine gegenseitige Treue vor, um den Gegenüberstehenden von sich überzeugen zu können. Reinhart scheint bereits mehrere Male auf die Treue innerhalb der Verwandtschaft zurückgegriffen zu haben, zumal er gekonnt und ohne Scheu Scantecler umstimmt und ihn letztendlich verrät.

Reinhart und die Meise

Nach Reinharts misslungenen Versuch, Scantecler als Beute zu erlangen, trifft er auf eine kleine Meise. Da er noch immer keine Mahlzeit zu sich genommen hat, versucht er, auch die Meise mit seinen Listen dazu zu bringen, ihm zu vertrauen, um sie anschließend verspeisen zu können.

V. 178 - 188

Mittelhochdeutsch Übersetzung
er sprach: ,got grveze evch, gevater min! Er sprach: „Gott grüße Euch, mein Gevatter!
ich bin in einem geluste, Ich habe das Verlangen,
daz ich gerne chvste, dass ich gerne küsste;
wan, sam mir got der riche, doch, beim mächtigen Gott,
dv gebares zv vremdicliche. du verhältst dich so befremdlich.
gevatere, dv solt pflegen treuwen! Gevatter, du sollst deine Treue beweisen!
nv mveze iz got rewen, Nun müsste es Gott ärgern,
daz ich ir an dir niht envinde! wenn ich sie an dir nicht finden könnte!
sam mir die trewe, die ich dinem kinde[] Bei der Treue, die ich deinem Kinde,
bin schvldic, daz min bate ist, dessen Pate ich bin, schuldig bin,
ich bin dir holt ane arge Iist!' ich bin dir wohlgesinnt ohne arger List!“

„[Reinhart] biedert sich als Gevatter an, stellt sich verliebt, wünscht einen Kuss.“ [Ruh 1980:17], wodurch dem Leser eine Beziehung zwischen beiden vermittelt wird. Die Art der Beziehung, ergo ob Reinhart und die Meise nun Bekannte, Freunde oder gar Verwandte sind, ist dabei unklar. Reinharts Intention besteht darin, durch jene Anrede ihr Vertrauen zu gewinnen. Er gibt vor, sie zur Begrüßung küssen zu wollen, was die Zuneigung hervorhebe und dem hungrigen Reinhart somit die Möglichkeit biete, der Meise nah genug zu kommen, um nach ihr schnappen zu können. Erkennbar ist eine Parallele zur Scantecler-Szene, denn auch hier spricht Reinhart das zurückhaltende Verhalten seines Gegenübers an, das entgegen der eigentlich bestehenden Treue zwischen Gevattern spreche. Ebenso wie bei Scantecler, zwingt Reinhart die Meise gleichermaßen zu einem Treuebeweis. Während Reinhart in der vorherigen Szene einen Treuebruch zwischen Scantecler und seinem biologischen Vater hervorhob, pointiert er hierbei die Verärgerung des Gott-Vaters, sollte die Meise seinem Gevatter keine Treue erweisen. Im Gegensatz zur Meise stellt sich Reinhart selbst als treuer Verwandter dar, zumal er sich als Pate des Kindes der Meise präsentiert und somit erneut die bedeutsame Rolle der Treue in der Familie akzentuiert. Reinhart verspricht also seine Treue durch die bestehende Patenschaft und versucht hiermit die Meise von seiner freundlichen Gesinnung zu überzeugen, um sie vom Baum locken zu können.

Doch die Meise scheint etwas anderes vorzuhaben: Sie spricht Reinhart direkt auf seine Listen an und fordert von ihm, seine furchterregenden Augen zu schließen.

V. 189 - 210

Mittelhochdeutsch Übersetzung
die meyse sprach: ,Reinhart, die Meise sprach: "Reinhart,
mir ist vil manic ubel [ ] art mir wurden oft viele üble Dinge
von dir gesaget dicke. von dir erzählt.
ich vurchte din ovgenblicke, Ich fürchte mich vor deinen Blicken,
di sint grvelich getan. sie sind so grausig beschaffen.
nv laz si ze samen gan Nun lass sie beide zu
so kvsse ich dich an dinen mvnt so küsse ich dich
mit gvtem willen dristvnt.' mit gutem Willen dreimal auf den Mund.“
Reinhart wart vil gemeit Reinhart war sehr zuversichtlich
von der cleinen leckerheit, von dem kleinen Genuss,
er vrevte sich vaste. er freute sich sehr.
dannoch stvnt sin gevatere ho vf einem aste Dennoch stand seine Gevatterin hoch auf einem Ast
Reinhart blinzete sere Reinhart blinzelte eifrig
nach siner gevatern lere. nach der Unterweisung seiner Gevatterin.
ein mist si vnder irn fvz nam, Sie nahm ein bisschen Dreck unter ihren Fuß,
von aste ze aste si qvam sie sprang von Ast zu Ast
vnde liez ez im vallen an den mvnt. und ließ ihn in seinen Mund fallen.
do wart ir vil schire chvnt Da war ihr sofort die
irz gevatern schalkeit: die Bosheit ihres Gevatters bewusst:
die zene waren ime gereit Seine Zähne waren bereit
daz mist er do begripfte, um nach dem Dreck zu fassen,
sin gevater im entwischte. seine Gevatterin entwischte ihm.

Hierbei besteht ein direkter Unterschied zwischen dem Hahn Scantecler und der Meise: Scantecler lässt sich von Reinharts vermeintlicher Treue überzeugen und will mit seiner eigenen Treue ihm gegenüber entgegnen, indem er zu ihm herabfliegt. Der Meise hingegen ist bewusst, dass sich hinter der von Reinhart vorgetäuschten Treue zu ihm und seinem Kind verräterische Intentionen verbergen. Sie spricht Reinhart offen darauf an, dass bereits Geschichten von seinen Treuebrüchen kursieren und sie deshalb keinen Grund hätte, ihm bedenkenlos zu vertrauen. Doch anstatt ihm aus dem Weg zu gehen, versucht die Meise selbst, Reinhart auszutricksen, indem sie ihm Dreck in sein Maul wirft. Durch jenes Verhalten wird die Meise selbst zum Verräter: Obwohl sie Reinhart klarmacht, dass sie sich vor ihm fürchtet, spielt sie - unter der Bedingung, dass er seine Augen schließt - dennoch ihre Treue vor. Im Anschluss daran nutzt sie die Ahnungslosigkeit Reinharts aus und fügt ihm durch den Dreck Schaden zu, wodurch sie Reinhart in seinem verräterischen Dasein gleicht. Dadurch gelingt es ihr, Reinharts eigentliche treuelose Absicht zu enttarnen, da dieser ohne zu zögern sein Maul aufreißt, um nach der Meise zu schnappen.

Reinhart und der Rabe Diezelin

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Reinhart und die Wolfsfamilie

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Reinhart am Hoftag

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Fazit

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Literaturverzeichnis

<HarvardReferences /> [*Ruh 1980] Ruh, Kurt: Höfische Epik des deutschen Mittelalters. Bd. 2: 'Reinhart Fuchs', 'Lanzelet', Wolfram von Eschenbach, Gottfried von Straßburg, Berlin 1980 (Grundlagen der Germanistik 25), S. 13-33.