Der Hoftag (Reinhart Fuchs)
Dieser Artikel befasst sich mit dem letzten Abschnitt des von Heinrich dem Glîchezâren geschriebenen Tierepos "Reinhart Fuchs", dem Hoftag. Neben den konkreten Ereignissen im Rahmen des Hoftages wird auch auf dessen Einberufungsgründe, sowie dessen Auswirkungen näher eingegangen. Der Artikel gibt einen Überblick über diesen zentralen Abschnitt des Epos, außerdem werden anhand einer Analyse der einzelnen Handlungsschritte die Aspekte Gerechtigkeit und Eigennützigkeit thematisiert.
der Hoftag
Die Ameisenepisode, und die damit einhergehende Krankheit des Königs Vrewel sind der Ausgangspunkt für die Einberufung des Hoftages.
Daraufhin ordnet der Löwenkönig den Gerichtstag an, wie im folgenden Abschnitt beschrieben wird:
(Z.1321- 1330)
einen hof gebot er zehant,
die boten wurden zesant witen in daz riche. er wart nemeliche in eine wisen gesprochen vber sechs wochen, dane was wider niht. an hochtgestvle man geriet, daz was gvt unde stark vnde coste me dan tvsent mark. |
Auf der Stelle befahl er einen Hoftag, und die Boten wurden weithin ins Reich gesandt. Er wurde aber genau auf eine bestimmte Wiese festgelegt, und zwar über sechs Wochen. Dagegen war kein Widerspruch möglich. Man baute entsprechende Sitze auf, die wohlgearbeitet und fest waren und über tausend Mark kosteten. |
Anwesende am Hoftag
Die folgenden Tiere erscheinen am Hoftag:
Löwenkönig (Vrewel), Panther, Elefant, Strauß, Wisent, Zobel, Marder, Leopard, Hirsch, Bär, Maus, Maulwurf, Luchs, Reh, Kaninchen, F[ä]he, Geiß, Widder, Steinbock, Hase, Wildschwein, Otter, Murmeltier, Kamel, Biber , Igel, Hermelin, Eichhörnchen, Auerochs, Eichelhäher (Kuonin), Hengst, Esel (Balduin), Rüde (Reize), Rind, Dachs (Krimel), Wolf (Frau Hersant, Isengrin, Kinder)
Reinhart erscheint vorerst nicht.
Zusammenfassung
Auf dem vom Löwen Vrevel einberufenen Hoftag beklagen die Tiere sich über die Untaten Reinharts. Da dieser nicht anwesend ist, wird er dreimal vorgeladen. Beim dritten Versuch erscheint der Fuchs verkleidet als Arzt am Hof. Er gibt vor ein Heilmittel für die Krankheit des Löwen zu kennen und rächt auf diese Weise an all seinen Feinden.
die einzelnen Handlungsschritte
Ameisenepisode
Der Löwenkönig Vrevel wird vorgestellt. Er wird von den Ameisen abgelehnt, woraufhin dieser wütend wird und deren „Reich“ zerstört. Als der eigentliche Ameisenherr zurückkehrt, erfährt er von der Katastrophe und rächt sich an Vrevel. Er springt ihm ins Ohr und dringt bis in sein Gehirn vor. Der Löwe erleidet große Not; er hält die Schmerzen für eine Strafe Gottes, weil er kein Gericht gehalten hat und beruft sogleich einen Hoftag ein.
Klage gegen Reinhart
Die anwesenden Tiere werden aufgezählt, alle außer Reinhart sind gekommen.
Isengrin
Isengrin klagt seine Not, sein Fürsprecher ist Brun der Bär. Er berichtet von den Schändungen, die er durch Reinhart erleiden musste, darunter sein verlorener Schwanz und die Entehrung seiner Frau. Krimel verteidigt Reinhart jedoch. Der Hirsch Randolt fällt ein Urteil: Reinhart soll verhaftet werden. Alle sind einverstanden, bis auf das Kamel aus Thuschalan; dieses erklärt, das Urteil sei rechtswidrig, Reinhart müsse erst dreimal vorgeladen werden, bevor ein Urteil gefällt werden kann. Alle stimmen ihm zu.
Scantecler und Frau Pinte
Scantecler und Frau Pinte beklagen sich über Reinhart, sie kommen mit ihrer, von Reinhart totgebissen Tochteram Hoftag an. Diese wird beerdigt. Nach der Beerdigung verkündet der Hase, dass das Huhn heilig sei, da es ihn von seinem Schüttelfrost geheilt habe.
Dreifaches Aufgebot
Brun
Der Hofkaplan Brun soll Reinhart aufsuchen. Er bittet Reinhart, ihn zum Hoftag zu begleiten. Reinhart verspricht ihm vorher einen Baum mit köstlichem Honig. Durch eine List klemmt Reinhartd en Bären im Stamm mit den Bienen ein. Unter großer Anstrengung kann dieser sich befreien, jedoch verliert er dabei Ohren und Kopfhaut. Verletzt kehrt er zum Hof zurück und klagt über Reinhart. Der Biber spricht ein Urteil: Reinhart soll sterben. Dieses Mal erklärt der Elefant, dass dieses Urteil nicht rechtens sei.
Diepreht
Diepreht soll Reinhart aufsuchen. Reinhart verleugnet die Tat am Bären, er verspricht Diepreht ein Haus voller Mäuse. Dabei lockt er ihn in eine Falle, wodurch der Bote fast erschlagen wird. Er kehrt zum Hof zurück und klagt über Reinhart. Der Eber verkündet ein Urteil: Reinhart soll sterben. Krimel setzt sich für Reinhart ein.
Krimel
Krimel soll Reinhart ein letztes Mal aufsuchen. Sie speisen gemeinsam.
Reinhart als Arzt
Reinhart verkleidet sich als Arzt und kehrt mit Krimel zum Hoftag zurück, wo er von allen Seiten angeklagt wird.
Heilung des Königs
Reinhart behauptet ein Heilmittel für die Krankheit des Löwens zu kennen (Wolf Haut abziehen, Bärenfell (Kaplan), Mütze aus Katzenfell (Diepreht), gekochtes Huhn (Frau Pinte), Schinken vom Eber, Band aus Hirschleder (Randolt), Biberfell) Der König opfert seine Untertanen zum Wohl seiner eigenen Gesundheit. Die Ameise kriecht in das Katzenfell auf dem Kopf des Königs, so dass dieser von seiner „Krankheit“ geheilt ist. Reinhart erpresst den Ameisenherren.
„Belohnung“ Elefant und Kamel
Der Elefant soll als Belohnung für Reinharts Beistand das Land Böhmen erlangen. Dort wird er brutal „zerbleut“. Das Kamel soll zum Dank, das Kloster Erstein erlangen. Es wird dort „auf den Tod geprügelt“.
Vergiftung
Reinhart vergiftet den König mit einem Trank, anschließend läuft er mit Krimel davon. Im Sterben bereut der König sein Vertrauen in Reinhart. Die überlebenden Tiere weinen um ihren König.
Reinharts Rache
Durch seinen Auftritt als Arzt und dem Vorwand, den König zu heilen, gewinnt Reinhart Fuchs das Vertrauen Vrevels. Dem folgenden Textausschnitt ist zu entnehmen, wie der schlaue Fuchs dies bewerkstelligt:
(Z. 1874-1889)
Reinhart sprach: ,evch enpevtet den dienst sin,
reicher kvnich, meister Pendin, ein artzt von Salerne, der sehe ewer ere gerne, vnde dar zv alle, di da sint, beide di alden vnt di kint. vnde geschiht evch an dem liebe icht, daz enmvgen si vberwinden niht. herre, ich was zv Salerne, dar vmme, daz ich gerne evh hvlfe von diesen sichtagen. ich weiz wol, daz allez ewer clagen in dem hovbet ist, swaz iz mvge sin. evch enpevtet meister Bendin, daz ir evh niht svlt vergezzen, irn svlt tegliche ezzen dirre lactewerien, di er evh hat gesant.' |
Reinhart fuhr fort: "Euch, mächtiger König, entbietet Meister Bendin seine Dienste, ein Arzt aus Salerno, dem es um Euer Ansehen zu tun ist – wie allen dort, jung und alt; stößt Euch etwas zu, so werden sie nicht darüber hinwegkommen. Herr, ich war deshalb in Salerno, weil ich: begierig bin, Euch von Eurer Krankheit gesunden zu sehen. Ich weiß genau, dass Eure ganze Klage ihren Ursprung im Kopf hat, was es auch sein mag. Meister Bendin lässt Euch sagen, dass Ihr nicht unterlassen dürft, täglich diese Heilkräuter zu essen, die er Euch gesandt hat." |
Auf diese Weise gelingt es ihm, sich in übelster Weise an allen seinen Feinden zu rächen. Jeder Einzelne, der ihm zuvor in den Rücken gefallen war, muss dafür büßen.
Der folgenden Tabelle ist zu entnehmen, in welcher Weise die Einzelnen Tiere bestraft/ geopfert werden:
Verrat an Reinhart | Reinharts Rache |
---|---|
Isengrin klagt über Reinhart | dem Wolf wird die Haut abgezogen |
Brun ist Isengrins Fürsprecher, er klagt über Reinhart | dem Bären wird das Fell abgezogen |
Diepreht klagt über Reinhart | - dem Kater wird ebenfalls das Fell abgezogen |
Frau Pinte (und ihr Mann Scantecler) klagen über Reinhart | das Huhn wird gekocht |
der Eber verkündet ein Urteil zu Ungunsten Reinharts | vom Eber wird der Schinken benötigt |
Randolt fällt ein Urteil zu Ungunsten Reinharts | vom Hirsch wird ein Gürtel aus Leder benötigt |
der Biber fällt ein Urteil zu Ungunsten Reinharts | dem Biber wird das Fell abgezogen |
Der Elefant Olbente und das Kamel von Thuschalan waren die Fürsprecher Reinharts, trotzdem werden sie von Reinhart, unter dem Vorwand belohnt zu werden, schwer zugerichtet:
Elefant | Kamel |
---|---|
Er soll das Land Böhmen bekommen (vgl. Z.2101f.) | Sie soll die Abtei Erstein bekommen (vgl. Z.2122f.) |
Dort wird er "zerbleut" (Z.2113) | Dort wird sie "auf den Tod geprügelt" (Z.2151) |
Zuletzt widmet Reinhart sich dem Löwenkönig, dieser muss mit seinem Leben bezahlen. Der Fuchs vergiftet ihn mithilfe eines angeblichen Heiltrankes.
Folgen des Hoftages
Ein tyrannischer, verachtungswürdiger König wird bestraft. Er hat sich zum willigen Werkzeug des klugen Schuften Reinhart missbrauchen lassen, der den Gerichtstag zur ungeheuerlichen Farce macht: Verbrechen wird legalisiert, der Angeklagte zum Richter, die Kläger geschunden, getötet, verspeist.[Ruh 1980: S.27]
Der, zu Beginn des Hoftages mehrfach angeklagte und zum Tode verurteilte Reinhart Fuchs geht schließlich als Einziger erfolgreich daraus hervor.
Das gesamte Herrschaftsgefüge ist durch den Tod des monarchischen Oberhauptes zerstört.
politischer/ geschichtlicher Hintergrund
Funktion des Hoftags
formal, für den Aufbau, die Spannung etc.
Bezogen auf den Gesamtkontext des Tierepos, nimmt der Hoftag eine wichtige Rolle ein. Die Geschehnisse rund um die Gerichtsverhandlung dienen zur dramatischen Steigerung der Handlung. Die Situation spitzt sich immer weiter zu, bis das Ganze schließlich in einer Katastrophe endet. Die Boshaftigkeit Reinharts steigert sich im Vergleich zu den vorangegangenen Szenen: Während Reinhart den anderen Tiere im ersten Teil der Fabel hauptsächlich körperlichen Schaden zufügt und diese blamiert, greift er im Hoftagsteil zu noch härteren Mitteln. Ein Großteil seiner „Feinde“ muss mit dem Leben bezahlen oder wird zumindest lebensgefährlich verletzt. Durch die Verlagerung der Hoftagsepisode auf das Ende der „Fabel“ steht die Schwachstelle monarchischen Handelns im Fokus (Neudeck)
Kritik an der Monarchie
„Rücksichtsloser Machtgebrauch, bloß äußerliche Rechtlichkeit, bestechliche Gerechtigkeit, königliche Treulosigkeit bestimmen die öffentlichen Verhältnisse im Tierstaat.“(Bertau) [Neudeck 2017: S.22]
Dieses Zitat beschreibt ziemlich treffend die Problematik bezogen auf die Herrschaft des Königs, die mit dem Hoftag thematisiert wird. Im Folgenden wird auf die einzelnen Aspekte der Aussage näher eingegangen:
Bestechlichkeit
Reinhart lässt sich vom Ameisenkönig bestechen: (Z.2060ff.)
Mittelhochdeutsch | Übersetzung |
---|---|
wilt dv mich genesen lan,
ich laze dich in diseme walde min vber tvsent bvrge gewaltic sin.' |
Wenn du mich leben lässt,
kannst du in diesem meinem Wald über mehr als tausend Burgen herrschen." |
Treulosigkeit
Der König opfert seine treuen Untertanen als er erfährt, dass er dadurch geheilt werden kann Rücksichtslosigkeit
Schein von Rechtlichkeit
Der König gibt vor rechtens zu handeln
Die Hoftagsepisode kann also als eine Art „versteckte“ politische Kritik an der Monarchie angesehen werden. Die Legitimität dieser Herrschaftsform wird besonders durch die problematische Figur des Königs in Frage gestellt. Die Problematik besteht darin, dass die Macht letztendlich allein der König hat. Er hat die alleinige Entscheidungsfreiheit über das Tierreich. Für Reinhart ist es somit ein leichtes Spiel seine List durchzusetzen. Er braucht lediglich das Vertrauen des Löwen zu gewinnen und sich dessen Machteinfluß zu eigen machen. Das offensichtlichste Problem ist hierbei, die große Macht und Verantwortung, die dem König zukommt. Er hat letztendlich das Monopol, und es hängt somit von ihm ab, wie die Geschichte endet.
Das „wahre“ Wesen der Tiere wird aufgedeckt
Der Löwe Vrevel wird von Beginn an als problematische Figur dargestellt (vgl. Ameisenepisode). Allerdings wird dieser Eindruck zumindest kurzzeitig verworfen, indem der König seinen Pflichten nachkommt und einen Hoftag einen beruft und auch indem er anfangs vorgibt Gesetzeskonform handeln zu wollen. Allerding wird weiterhin deutlich wie sehr er auf Rat und Hilfe des Volkes angewiesen ist und somit auch wie leicht beeinflussbar er ist. (systembedingt anfällig für Beeinflussung!) Weitere auf ihn zutreffende Charaktereigenschaften sind seine Brutalität und sein Egoismus Die Krankheit des Löwen schadet letztendlich dem gesamten Volk.
Aber auch das Wesen der anderen Tiere wird aufgedeckt. Zu Beginn des Hoftages geben Bär, Kater und Co. vor gerecht und uneigennützig zu handeln, jedoch wird dies im Laufe des Gerichtsverfahrens wiederholt in Frage gestellt.
Bär
Der Kaplan lässt sich durch das verlockende Angebot des Honigs von seiner eigentlichen Mission abbringen.
Mittelhochdeutsch | Übersetzung |
---|---|
,Einen bvom waiz ich wol,
der ist guotis honiges vol.' ,nu wol hin, des gerte ih ie.' |
"Ich kenne einen Baum,
der voll von Honig ist." "Nur auf, darauf war ich schon immer scharf!" |
Kater
Dieprehts Lasterhaftigkeit kommt ans Licht, als Reinhart ihm ein Haus voller Mäuse verspricht.
Ameisenkönig
Der Ameisenkönig besticht Reinhart um zu überleben. (vgl."Kritik an der Monarchie") Somit wird deutlich, dass fast alle Tiere zuerst an sich selbst und ihr eigenes Leben denken (eigennütziges Verhalten) Das liegt zum einen an ihrer Naivität, zum anderen aber auch an ihrer Eitelkeit, welche durch Reinharts Schmeicheleien hervorgerufen wird. vgl. [Hübner 2016]
Fazit
Literaturverzeichnis
<HarvardReferences />
- [*Ruh 1980] Ruh, Kurt: Reinhart Fuchs: Eine antihöfische Kontrafaktur, 1980
<HarvardReferences />
- [*Neudeck 2017] Neudeck, Otto: Fuchs und seine Opfer, 2017
<HarvardReferences />
- [*Hübner 2016] Hübner, Gert: Schläue und Urteil, 2016