Dörperliche Sommerlieder am Beispiel von c 34 (Neidhart)
Ein interessanter und wichtiger Liedtypus des Neidhartschen Œuvres sind die dörperlichen Sommerlieder (Aus der Typologie der Lieder nach Schweikle). Diese weichen von der typischen Einteilung der Lieder Neidharts in Sommerlieder und Winterlieder ab, da sie das rüpelhafte Verhalten der dörper, das eigentlich eher typisch für die Winterlieder ist, in eine sommerlichen Umgebung einbetten, in der sich normalerweise die meist fröhlicheren Handlungen der Sommerlieder abspielen. Ein Beispiel für ein dörperliches Sommerlied, in welchem das dörperliche Treiben zu Kämpfen ausartet, ist das Lied c 34. Dieses soll in diesem Artikel behandelt werden, da in diesem die Vermischung der typischen Eigenschaften von Sommerlied und Winterlied besoders gut zu erkennen ist.
Stoff/Entstehungsgeschichte
Dörperliche Sommerlieder
Bei der Kategorie der dörperlichen Sommerlieder nach der Kategorisierung von Schweikle[1] handelt es sich struktural um Erzähllieder, in welchen das charakteristische Verhalten der dörper gerächt wird.[2] Damit sind etwa die Prügeleien, die Dummheit und die Angebereien der dörper gemeint. Normalerweise sind die aggressiven, lauten und mitunter auch gewaltsamen Auftritte der dörper eher eine Thematik der Winterlieder. Manchmal sind diese jedoch auch in Neidharts sommerlichen Liedern zu finden. Wenn dies der Fall ist, dann spricht man vom Liedtypus der dörperlichen Sommerlieder. Die dörperlichen Sommerlieder haben ihren Ursprung im Sommerlied 22, das ebenfalls aus dem Neidhartschen Œvre stammt. Der zentrale Inhalt des Sommerlieds 22 ist die sogenannte Spiegelepisode. In vielen Winterliedern, wie auch in einigen Sommerliedern, wird dieses Lied als Bezugspunkt für Klagen über den Sittenzerfall [3]genutzt. In der Spiegelepisode geht es um den dörper Engelmâr, der der jungen Frau Vrîderun gewaltsam ihren Spiegel raubt, welcher dabei zerbricht. Im weiteren Verlauf des Liedes werden der Schmerz des Sängers und auch der Schmerz des Mädchens beschrieben. Das Leid des Sängers macht diesen jedoch zum Feind der dörper.[4]. Diese Spiegelraubepisode wird in vielen Liedern Neidharts erwähnt, zum Beispiel in Lied c 13 und in Lied c 33, die ebenfalls aus dem Neidhartschen Œvre stammen. Nach dem ursprünglichen dörperlichen Sommerlied 22 sind dann noch viele weitere dörperliche Sommerlieder entstanden. Beispiele dafür sind c 1, c 2, c 6, c 12, c 16, und c 41. Auch das Lied c 34, das in diesem Artikel behandelt werden soll, gehört zu den dörperlichen Sommerliedern, in welchen das Treiben der dörper in zunehmend gewaltsame Auseinandersetzungen ausartet.
Inhalt
Das Lied wird mit einem Sommereingang eingeleitet. Es wird beschrieben wie der Frühling die Natur neu erblühen lässt. Der Sänger drückt aus, dass er trotz des schönen Frühlings leidet. "Er ist hin- und hergerissen zwischen Hoffnung und Verzagen."[5] Seine Geliebte weist ihn zurück und noch dazu hindern ihn die dörper an seinem Werben. Der Sänger zeigt in seinem Gesang seinen Unmut gegenüber den Bauern und spricht Verwünschungen aus. Dabei hat er einerseits gewaltvolle Phantasievorstellungen, die seine Wünsche ausdrücken, andererseits beschreibt er das Verhalten der Bauern und verurteilt dieses.
Übersetzung
Mittelhochdeutsch | Neuhochdeutsch |
---|---|
I | |
Ir schauet an den lenzen guot | Schaut euch den guten Frühling an |
wie er die veld beklaidet hât | wie er die Welt gekleidet hat |
und der may mit rechter pluot | und der Mai mit Blüten, wie es sich gehört |
perg und tal in grüene stât | Berg und Tal stehen in Grün |
die warn in dem kalten schne erplichen | die waren in dem kalten Schnee erblichen |
das haben uns die pluomen abgestrichen | das haben uns die Blumen abgestreift |
die wurzen saftig wollent sein | die Kräuter wollen saftig sein |
ey süeßer luft der winter ist entwichen | ey milde Luft, der Winter ist gegangen |
II | |
Was acht ich denn des mayen zeit | Aber was kümmert mich die Zeit des Mais |
und der pluomen wolgethân | und der Blumen schöne Gestalt? |
an der alle mein freuden leit | Die, an der all meine Freude liegt, |
die will mich verderben lân | die will mich sterben lassen. |
von der ich keines wandels nicht ensinge | Von der singe ich keinen Makel |
des pin ich fro des thuon ich auf gedinge | deshalb bin ich froh, daher habe ich Zuversicht |
ob sie mir wolte gnädig sein | ob sie mir gnädig sein will |
doch irren mich die thumen gattelinge | doch stören mich die törichten Bauern. |
III | |
---|---|
Ubermuots ine nie geprast | An Übermut hat es ihnen nie gefehlt |
sie wollen heuer wesen gail | sie wollen in diesem Jahr von wilder Kraft sein |
das ist Hebenstreit und Zerrengast | das sind Hebenstreit und Zerrengast |
ich gewünsch ine nimmer hail | ich wünschen ihnen nie mehr Glück |
das ist Wuntelgôß Unrain und Bereweine | das sind Wuntelgoß, Unrain und Bereweine |
von got in nimmer liechter tag erscheyne | ihnen möge von Gott nie mehr ein heller Tag erscheinen |
wenn ich das sich so pin ich fro | wenn ich das sehe, so bin ich froh, |
daß sie ziehen bey der Thuonau an der leyne | dass sie an der Donau Treideln |
IV | |
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Nach einander ein michel schar | Nacheinander eine große Schar |
ubermuotes ward in puoß | der Übermut machte eine Pause |
zu allerforderst Engelmair | ganz vorne Engelmair |
dem ist vil zu kurz an einem fuoß | dem ist ein Fuß viel zu kurz |
er ist umb seinen denken fuoß gefalzen | er ist um seinen linken Fuß gekommen |
ir schauet vor hin sein hüffehalzen | schaut nur hin auf sein Lahmsein an der Hüfte |
sein hülzer fuoß der strauchet im | sein hölzener Fuß der stolpert ihm |
des muoßtens nach im in die Thuonau walzen | deshalb mussten sie ihn aus der Donau ziehen |
V | |
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Denselben fuoß er rechen will | Denselben Fuß will er rechen |
dornach so stet im sein gedank | danach steht ihm sein Gedanke |
er hat der helfer also vil | er hat ja so viele Helfer |
mit iren waibelruoten lank | mit ihren langen Waibelruten |
die sein mêr dann halbe seine mâgen | die sind mehr als halb so lang wie seine Kraft |
würd im das ander bayn herab geslagen | würde ihm das andere Bein abgeschlagen werden |
daß im geläg sein gogelhait | sodass sein ausgelassenes Wesen zum erliegen käme |
daß man in müeßte heben und auch tragen | sodass man ihn heben und auch tragen müsste |
VI | |
---|---|
Und sähe ich das von Hildebolt | Und sähe ich bei Hildebolt |
daß im sein haupt wurd entrant | dass ihm sein Kopf abgeschlagen würde |
das hat er wol umb mich verschuldt | Beispiel |
daß er verlür sein rechte handt | dass er seine rechte Hand verlöre |
damit er hat die pflanzen abgeprochen | mit der er die Pflanzen abgebrochen hat |
des werd ein langer spieß enzway in im gestochen | dass ein langer Spieß in ihm entzweit würde |
daß im belib das lenger ort | Beispiel |
aller erst so wurde ich wol an im gerochen | Beispiel |
VII | |
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Da ist Haug und Eck und Irrenfrid | Da ist Haug und Eck und Irrenfried, |
Leimenzaun und Regenbart | Leimenzaun und Regenbart, |
Cünzel Rinprecht Swent der schmid | Cünzel, Rinprecht, Swent der Schmid, |
Gumpolt Rumpolt Sigenhart | Gumpolt, Rumpolt, Sigenhart |
wann dieselben gên an einem rayen | wenn dieselben einen Reigen tanzen |
der trutz und tratz daß sich thür iemant zwayen | dann droht Feindseligkeit, wenn sich jemand wagt sie zu trennen |
sie sind auß der affen tal | Sie sind aus dem Tal der Affen |
ach wâ gesähe iemant so thumbe layen | ach wo hat jemand je so dumme Ungelehrte gesehen? |
VIII | |
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Doch hett der Damtier gesworn | Doch hätte der Damtier geschworen |
er wölt den rayen brechen enzwaj | er wolle den Reigen entzweien |
er möcht noch lieber sein beschorn | so möchte er lieber eine Tonsur tragen |
begreifet ine der Kotzolday | bekommt ihn der Kotzolday zu fassen |
er wirt von im zuraufet also sêre | wird er ihm so sehr die Haare raufen |
daß im sein swart erkrachet und noch mêre | dass ihm die Schwarte kracht und noch mehr |
und im sein sinn erkücket wirt | und ihm sein Sinn erquickt wird |
daß er den rayen brichet nimmer mêre | sodass er den Reigen nie mehr entzweit |
XI | |
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Eberlein des mayer knecht | Eberlein, des Mayers Knecht, |
und sein vetter Gündelwein | und sein Vetter Gündelwein |
die wolten nie gelauben recht | die wollten nie recht glauben, |
daß sie acker trappen sein | dass sie dumme Bauern sind. |
und tets in noch zu einem mal so zorn | Beispiel |
ja würden sie von adel nie geporn | Beispiel |
irn adel den erkenn ich wol | ihren Adel den erkenne ich wohl |
wann sie den pfluog begreifen bey dem horn | wenn sie den Pflug an der Spitze greifen |
X | |
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Gündelwein der kam alldar | Gündelwein der kam daher |
und wolt schaiden disen streit | und wollte diesen Streit schlichten. |
des nam Ungelimpfe war | Das bemerkte Ungelimpf |
und erzaigt im seinen neidt | Beispiel |
er sluog ine daß er fiel auf seine füeße | Er schlug ihn, dass er auf seine Füße fiel. |
ey daß im got nimmer lônen müeße | Beispiel |
lung und leber von im fellet | Beispiel |
wie mocht er in immer mêre paß gepüeßen | Beispiel |
XI | |
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Ungelimpf dem ward ein slag | Ungelimpf dem wurde ein Schlag gegeben, |
der in an den rücken lait | der ihn auf den Rücken legte |
und er von herzen sêre erkalt | Beispiel |
da man ine durch sein wange schnaidt | als man ihm durch seine Wange schnitt. |
im ward eines durch sein süg gemessen | Ihm war ein Schlag durch sein Maul gezogen |
des wider slagens hett er gar vergessen | sodass er gar vergessen hat zurückzuschlagen |
lung und leber man im zalt | Beispiel |
zwâr mir wäre laid hett ichs versessen | es wäre mir ein Leid, wenn ich das verpasst hätte |
Kommentar
- Eine Schwierigkeit bereitet das Wort süg (Str. XI, V.5). Dieses ist auch in der Handschrift nicht besonders deutlich zu lesen. Das Wort könnte seinen Ursprung im Wort sûgen (saugen) haben und könnte demnach vulgär als Gosch, Maul (Im Sinne von Mund) gemeint sein und übersetzt werden.[6]
- Mit der Weibelruote (Str. VI) ist das Schwert eines Weibels gemeint. Als Weibel wurde in früheren Zeiten ein Gerichtsdiener, Polizeisergeant oder Feldwebel gemeint. Indem die Bauern mit dem langen Schwert des Waibels assoziiert werden, werden sie verspottet, so als ob die Bauern Weibel wären.[7]
- Mit dem Wort beschorn (Str. VIII) ist eine Tonsur gemeint. Damit sagt der Sprecher aus, dass der Beschriebene lieber in einem Kloster sein sollte, als in der jetzigen Situation.[8]
- Im Lied werden viele Namen aufgezählt, etwa Haug, Eck, Irrenfried, Leimenzaun, Cünzel, Gumpolt, Sigenhart, Hebenstreit, Zerrengast, Wuntelgôß, Unrain, Bereweine und viele mehr. Einige davon haben Bedeutungen, in welche man sie übersetzten könnte. Unrain ließe sich etwa in "schmutzig" oder "Drecksau"[9] übersetzen und Bereweine in "Bärwein"[10]. Diese Namen sind möglicherweise mit Absicht so gewählt, um die besagten streitlustigen dörper mit etwas Negativem zu assoziieren. Bei Neidhart finden sich oft bedeutungsträchtige Namen.
- Mit dem "ziehen bei der Tunaw an der leine" (Str. III, V. 7) ist das Treideln gemeint. Dies bezeichnet eine altertümliche landwirtschaftlich-logistische Vorgehensweise, bei welcher Tiere oder Menschen vom Ufer aus zu Fuß ein Boot oder Floß entlangziehen. Hier müssen die Bauern an der Donau treideln und der Sänger ist froh, dass die Bauern mit einer solch schweren Arbeit beschäftigt sind.
- "pflanczen abgeprochen" (Str. VI, V. 5): Dies kann buchstäblich verstanden werden, jedoch auch metaphorisch. Hier findet sich ein typisches Motiv in den Liedern Neidharts wieder, das "Blumen brechen". Dieses Motiv meint die Defloration. Hier sollte also Hildebolt seine rechte Hand verlieren, damit er nicht mehr bei den Mädchen sein Unwesen treiben und "Blumen brechen" kann.
- "das haben uns die pluomen abgestrichen" (Str. I, V. 6): Damit ist gemeint, dass der Teppich aus Blumen den Bergen und Tälern das bleiche und kalte Erscheinungsbild abgestrichen bzw. abgestreift hat.
Interpretation
Motive
Die dörper und deren Darstellung mittels gewalttätiger Auseinandersetzungen
Die Gewalt ist ein wichtiger Aspekt im Neidhartschen Œvre. Auch bei der Untersuchung der dörperlichen Sommerlieder spielt die Gewaltmotivik eine wichtige Rolle.
Die Kommunikationssituation
Die Innenwelt und die Außenwelt des Sängers beachten!
Sprechakte
Minnerelationen
Unter welchen Aspekten sind die dörper im Kontext eines Sommerliedes sonst noch wichtig? Inwiefern prägen diese den Typus und welchen Typus?
Fazit
Einzelnachweise
- ↑ SCHWEIKLE, Günther. Die Lieder. In: Neidhart. JB Metzler, Stuttgart, 1990. S. 79.
- ↑ SCHWEIKLE, Günther. Die Lieder. In: Neidhart. JB Metzler, Stuttgart, 1990. S. 79.
- ↑ SCHWEIKLE, Günther. Die Lieder. In: Neidhart. JB Metzler, Stuttgart, 1990. S. 79.
- ↑ SCHWEIKLE, Günther. Die Lieder. In: Neidhart. JB Metzler, Stuttgart, 1990. S. 79.
- ↑ Beyschlag, Siegfried; Brunner, Horst (Hg.): Herr Neidhart diesen Reihen sang. Die Texte und Melodien der Neidhartlieder mit Übersetzungen und Kommentaren. Kümmerle Verlag, Göppingen 1989, S. 173.
- ↑ Beyschlag. S. 173.
- ↑ Beyschlag. S. 173.
- ↑ Beyschlag. S. 173.
- ↑ Beyschlag. S. 175.
- ↑ Beyschlag. S. 175.
Literaturverzeichnis
Beyschlag, Siegfried; Brunner, Horst (Hg.): Herr Neidhart diesen Reihen sang. Die Texte und Melodien der Neidhartlieder mit Übersetzungen und Kommentaren. Kümmerle Verlag, Göppingen 1989, S. 173-179.
Schweikle, Günther: Neidhart. J.B. Metzler, Stuttgart 1990.