Neidharts Desillusionierung des Kreuzugsgedankens anhand des Sommerlieds 11

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«Neidharts Lyrik ist literarischer Gegensang, ist Parodie, gerichtet im besonderen gegen die Rituale des Hohen Sangs.» [Schweikle 1990:131] Diese Feststellung Günther Schweikles lässt sich auch auf Neidharts Kreuzzugslyrik beziehen, die sich stark von der traditionellen Kreuzzugslieder Friedrich von Hausens, Albrecht von Johansdorfs oder Heinrich von Rugges unterscheidet. Seine Kreuzzugslieder sind enorme Formen des Gegensangs, in welchen sich, die für Neidhart typischen, Umkehrstrukturen finden. Er parodiert so nicht nur die konstitutiven Elemente und traditionellen Motive der Kreuzzugslyrik, sondern kehrt diese auch um oder hebt diese auf. Der vorliegende Artikel beschäftigt sich mit Neidharts Desillusionierung des Kreuzzugsgedankens. Hierbei soll anhand Neidharts Sommerlied 11 erarbeitet werden, wie Neidhart an die 1220/1230 fest etablierte Gattung der Kreuzzugslieder anknüpft, dabei aber bewusst am traditionellen Typus vorbeischreibt, um den Kreuzzugsgedanken zu desillusionieren. Dorothea Klein weist hinsichtlich Neidharts Sommerlied 11 darauf hin, dass dieses allerdings mehr als nur ein Kreuzlied darstelle und Neidhart innerhalb des Gattungsrahmen Kreuzlied eine «systematische Umbesetzung» vorgenommen hätte. [Klein 2000:2] Daher wird im vorliegenden Artikel auch untersucht, wie Neidhart in Sommerlied 11 mit traditionellen Motiven und Diskursen umgeht, wobei der Fokus besonders auf den traditionellen Motiven des minnesängerlichen Kreuzzugslieds, sowie dem Boten- und Abschiedsmotiv liegt.

Die traditionelle Kreuzzugslyrik um 1190

Die Kreuzzüge haben, mit ihren Pilgerfahrten ins Heilige Land und ihren kriegerischen Auseinandersetzungen mit den Heiden zur Befreiung des Heiligen Grabs, die Kultur Europas im 12. Und 13. Jahrhundert stark geprägt. Auch die Lyrik das Thema Kreuzzug aufgenommen und verarbeitet. Hierbei wurden Kreuzzugsaufrufe formuliert Die ersten deutschen Kreuzlieder stammen aus den Jahren des dritten Kreuzzugs Friedrich Barbarossas 1189-1192. Diese Verspätung der deutschen Kreuzzugslyrik ist zum einen mit der Ablehnung der Kreuzzugsidee in Deutschland beim ersten Kreuzzug, zum andern mit der Bevölkerungsgruppe der Teilnehmer am zweiten Kreuzzug zu erklären. Zwar war die deutsche Beteiligung an diesem sehr hoch, allerdings setzten sich die Teilnehmer eher aus niedrigeren Bevölkerungsschichten zusammen. [Böhmer 1968:13] Maria Böhmer weist hinsichtlich der Kreuzzugslyrik darauf hin, dass sie grundsätzlich nicht als eine Gattung zu verstehen ist, «sondern als eine im Wesentlichen durch den Inhalt, bestimmte Gruppierung der mittelhochdeutschen Dichtung, die zunächst weder über den ästhetischen noch über den sozialen Bereich der einzelnen Werke etwas aussagen kann». [Böhmer 1968:5] Das hat zur Folge, dass man der Kreuzzugslyrik an sich nicht gerecht werden könne, wenn man sie ausschließlich in Verbindung mit den Kreuzzügen betrachtet. Konstitutive Elemente der Kreuzzugslyrik sind der Abschied im heimatlichen Bereich und von der vrouwe, die Sorge um ein tugendhaftes Leben der zu Hause verbliebenen Frau und die Hoffnung auf Gotteslohn, der mit dem Herrn oder der Familie und vrouwe in der Heimat geteilt werden kann. Das Sänger-Ich sieht sich in den Kreuzliedern zwei im Widerspruch stehenden Dienstverpflichtungen gegenüber: Dem Frauenminnedienst und dem Gottesminnedienst. Durch die Verpflichtung im Dienste Gottes aufzubrechen, wird der Bereich des Gottesminnediensts herausgehoben, wodurch ein Konflikt mit dem Frauenminnedienst entsteht. Beide Dienstverpflichtungen würden den Ritter eigentlich ganz beanspruchen, weshalb ihn dieser Konflikt ins Leid stürzt. In den Kreuzliedern wird diese Problematik zwischen den zwei Polen Gottesminne und Frauenminne reflektorisch gelöst. Die Lösung dieses dilemmatischen Verhältnisses fällt meist zugunsten der Gottesminne aus, da sie der irdischen Bindung überlegen ist. Zwar gibt es auch Kreuzlieder, in denen das Problem offen gelassen wird und sich nicht ausschließlich für die Gottesminne entschieden wird, wie beispielsweise bei Albrecht von Johansdorf, allerdings stellt in allen Liedern die Trennung den lyrischen Grundvorgang da, was bedeutet, dass die Lieder zwischen Kreuznahme und Aufbruch zum Kreuzzug liegen. [Böhmer 1968:27] Die traditionelle mittelhochdeutsche Kreuzzugslyrik befasst sich also nicht speziell mit historischen Tatsachen, sondern verbindet Grundelemente des geistlichen Lieds mit denen des weltlichen Minnelied, «nämlich die Verpflichtung der Kreuznahme als Ausdruck einer existentiellen Treue zu Gott und die Minne, die ein ebenso existentielles Treueverhältnis zur Frau begründet.» [Klein 2000:18] Die Verteilung der beiden Themenbereiche Minne und Kreuzzug variiert in den verschiedenen Kreuzliedern. Die Kreuzzugsmotivik kann sich entweder auf eine Strophe beschränken, oder in das Minnethema verwoben sein. [Weber 1995:16] Auch wird nicht die Entscheidung zur Kreuzzugsteilnahme abgewogen. Die Kreuznahme ist die Voraussetzung der Situation, die die Kreuzlieder auslöst. [Böhmer 1968:28] Das religiöse Argumentationsmuster der Lieder bleiben immer die gleichen. Georg Wolfram stellt so vier immer wiederkehrende Gedankenkreise auf: «Gott hat für uns gelitten, Wir müssen es ihm vergelten, auch unsere Sünden fordern eine Sühne, wir erwerben durch unseren Dienst die ewige Seligkeit». [Wolfram 1886:97] Dieses gleichbleibende Argumentationsmuster entspricht der kirchlichen Propaganda, ist allerdings in das ritterliche Weltbild integriert. [Böhmer 1968:28] Hinzu kommt das rechtliche Argument, für die Begründung der Kriegsfahrt. Grundlage hierfür bildet der terra-sancta-Gedanke, nach welchem das Heilige Land, rechtmäßig der lateinischen Kirche als Nachfolger Christi gehört. [Weber 1995:16] Im Allgemeinen sind Kreuzlieder höfische Lieder, die von Rittern verfasst und an den Höfen öffentlich vorgetragen wurden. Dies bedeutet, dass die Autoren unter ihrem eigenen Publikum gelebt und deren Lebens- und Verhaltensformen geteilt haben. Daher musste der Autor seine Lieder auch an die situationsbedingten Erwartungen seines Publikums anpassen, weshalb die Inhalte der Kreuzlieder auch stark vom Publikum selbst geprägt wurden. [Böhmer 1968:21]



Literaturverzeichnis

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Textausgabe

Die Lieder Neidharts, hg. v. Edmund Wießner, fortgef. v. Hanns Fischer, 5., verb. Auflage, rev. v. Paul Sappler, mit einem Melodieanhang v. Helmut Lomnitzer, Tübingen 1999 (ATB 44).

Forschungsliteratur

  • [*Schweikle 1990] Schweikle, Günther: Neidhart, Stuttgart 1990.
  • [*Klein 2000] Klein, Dorothea: Der Sänger in der Fremde. Interpretation, literarhistorischer Stellenwert und Textfassungen von Neidharts Sommerlied 11, in: Zeitschrift für deutsches Altertum und deutsche Literatur 129 (2000), S. 1-30.
  • [*Böhmer 1968] Böhmer, Maria: Untersuchungen zur mittelhochdeutschen Kreuzzugslyrik, Roma 1968.
  • [*Weber 1995] Weber, Barbara: Œuvre-Zusammensetzung bei den Minnesängern des 13. Jahrhunderts, Göppingen 1995.
  • [*Wolfram 1886] Wolfram, Georg: Kreuzpredigt und Kreuzlied, in: zeitschrift für deutsches Altertum 30 (1886).