Drachen in der Heldenepik
Wortherkunft
Der Begriff ‚Drache‘ leitet sich vom lateinischen Wort ‚draco‘ ab und kam erst durch die Römer zu den Germanen. Davor war in Texten häufig von ‚Wurm‘ die Rede. [1] Weitere Bezeichnungen für Drachen in mittelalterlichen Texten sind zudem ‚tracke‘, ‚slange‘ oder ‚serpant‘, aber auch ‚lintwurm‘ beziehungsweise ‚lintdrache‘. [2] Im altenglischen kann auch die Rede von einem ‚wyrm‘ sein. [3]
Merkmale und Attribute von Drachen allgemein
Drachen sind monströse Fabelwesen, die sich in ihrem Erscheinungsbild aus verschiedenen Tiergestalten zusammensetzen. Während des europäischen Mittelalters verbanden sich zwei, zunächst von einander getrennte Vorstellungen über das Aussehen von Drachen miteinander und etablierten das Bild des Untiers, das bis in die heutige Zeit bekannt und vorherrschend ist. [4] Die eine Vorstellung stammt aus den nordischen und germanischen Sagen, in denen Drachen häufig mit Schlangen verglichen oder als solche beschrieben wurden, woraus auch die Bezeichnung ‚Wurm‘ für Drachen resultiert. Drachen waren diesen Texten und Zeichnungen entsprechend ungeheure Schlangen. So wird Fafnir in der Völsunga-Saga immer wieder als Schlange oder schlangenähnlich beschrieben und auch die Midgardschlange der nordischen Mythologie ähnelt in ihrem Aussehen dem Reptil. Das Bild von Flugdrachen fehlt in der nordischen Mythologie vollständig. [5] Die Vorstellung des riesigen Schlangenwurms verband sich mit einer Darstellungstradition aus dem mediterranen und klein-asiatischen Raum, wo der Drache als ein Mischwesen aus Krokodil und Raubvogel gesehen wurde. [6] Vor allem das Krokodil scheint mit seiner schuppigen Oberseite, dem verletzlichen Bauch sowie dem Kamm auf dem Rücken als Vorbild gedient zu haben. Neben diesen Merkmalen gehört der kräftige Schwanz zu den wesentlichen Attributen eines Drachen, der eine gewaltige Kraft besitzt. So können Drachen mir ihren Schwänzen ihre Gegner umschlingen oder die See aufwühlen. Drachen können zudem mehrere Köpfe besitzen und zeichnen sich durch ihren starren, durchdringenden Blick sowie ihrem Feueratem aus, der auch durchaus giftig sein kann. [7] Drachen gelten in der abendländischen Tradition seit dem Mittelalter als Inbegriff von Chaos und Zerstörung und stören damit die Ordnung. Durch ihre Größe, ihren Feueratem, den starren Blick und ihre Kraft sind sie das Böse in Person und werden zum höchsten Gegner eines Helden, der, im Bemühen um die Wiederherstellung der Ordnung, gegen diesen Endgegner antritt. Gleichzeitig können diese Monster auch positive Eigenschaften besitzen. Drachen sind nicht nur die zerstörerischen Feinde der Menschen, sondern besitzen auch die Gabe der Weisheit, können Vorhersagen treffen oder über tiefere Einsichten verfügen. Gleichwohl sind Drachen im abendländischen Raum vorwiegend negativ geprägt [8] Die ausführlichste Beschreibung eines Drachen in einem mittelalterlichen Text im deutschsprachigen Raum ist im höfischen Versroman Wigalois des Wirnt von Gravenberc zu finden [9] Die mittelalterliche Heldenepik selbst legt nur ein spärliches Zeugnis über das Aussehen von Drachen ab, lediglich die für Drachen typischen Attribute werden stetig wiederholt. [10]
Definition Heldenepik
Als Heldenepik bezeichnet man gemeinhin die ersten Zeugnisse volkssprachlicher Literatur. Die Gattung des Epos ist bereits in der Antike, vor allem durch Homers Epen wie der Ilias oder Odyssee bekannt und verbreitet und durch einen einheitlichen Stil und Aufbau geprägt. Im Gegenzug dazu bilden die Epen der germanischen Tradition keine geschlossene Einheit, sondern zeichnen sich vielmehr durch unterschiedliche Formate und Traditionen aus. [11] Heldenepen sind meist anonym verfasst beziehungsweise sind die Autoren nicht bekannt. Als Grund für die Anonymität wird gemeinhin vermutet, dass Heldenepen als Bericht über die Vergangenheit angesehen wurden und daher keines Autors bedurften. Diese Kunde wurde immer wieder anders oder neu gefasst, das heißt den Gegebenheit oder Gepflogenheiten der Zeit angepasst und dementsprechend verändert, sodass ein Heldenepos keinen Autor hat. Vielmehr ist der Dichter eines Heldenepos Glied in einer Traditionskette innerhalb der er am Stoff dieses Epos arbeitet. Heldenepen galten im Mittelalter als historische Überlieferung und ihr Inhalt hatte demnach häufig einen historischen Kern, der aber meist nur grob mit realgeschichtlichen Gegebenheiten zusammenhingen. [12] „Heldenepik personalisiert und kondensiert historische Geschichtszusammenhänge, macht aus der Geschichte von Völkern die von einzelnen Helden und schiebt weit auseinanderliegende Vorgänge zu einem einzigen Konfliktzusammenhang zusammen.“ [13] Charakteristisch für die germanischen Heldenepen ist ihr Bezug zur germanischen Heroic Age, der Zeit der Völkerwanderung, die als Eintritt in die Geschichten dienen können, sowie die Mythisierung der Helden, die sich in der Verknüpfung der Helden in verschiedenen Geschichten zeigt. [14] Zu sehen ist dies beispielsweise in der Figur Sigfried, der im deutschen Nibelungenlied eine prominente Rolle spielt und in der isländischen Völsunga-Saga unter dem Namen Sigurd ebenfalls auftaucht. Zu den bekanntesten germanischen Heldenepen zählen das deutsche Nibelungenlied und der altenglische Epos Beowulf.
Drachenkampf
Funktion von Drachen in der Heldenepik
Drachen als Schatzhüter
Drachen fungieren insbesondere in Heldensagen häufig als Schatzhüter. Diese Funktion hat ursprünglich nichts mit dem Jungfrauen oder Prinzessinnen fressenden Ungeheuer zu tun, sondern mit einem alten Totenglauben, der besagt, dass sich Geizhälse nach ihrem Tod in Drachen verwandeln und ihren Schatz behüten. Zu sehen ist dies ansatzweise im Drachen Fafnir aus der Völsunga-Saga, der sich nach dem von ihm begangenen Vatermord in einen Drachen verwandelt und fortan den erbeuteten Schatz hütet. Neben dieser isländischen Sage finden sich auch im altenglischen Beowulf und in anderen deutschen wie skandinavischen Heldensagen Schätze hütende Drachen. [15]
Beispiele
Beowulf
Völsunga-Saga
Einzelnachweise
- ↑ Tuczay, C.: "Drache und Greif. Symbole der Ambivalenz", in: Mediaevistik, 19 (2016), S. 175
- ↑ Lecouteux, Claude: "Der Drache", in: Zeitschrift für deutsches Altertum und deutsche Literatur 1 (1979), S.15.
- ↑ Rörich, Lutz: "Drache, Drachenkampf, Drachentöter", in: Enzyklopädie des Märchens. Handwörterbuch zur historischen und vergleichenden Erzählforschung, hg. von Kurt Ranke, Bd. 3, Sp. 790.
- ↑ Tuczay, C.: "Drache und Greif. Symbole der Ambivalenz", in: Mediaevistik, 19 (2006), S. 175
- ↑ Lecouteux, Claude: "Der Drache", in: Zeitschrift für deutsches Altertum und deutsche Literatur, 1 (1979), S.18
- ↑ Tuczay, C.: "Drache und Greif. Symbole der Ambivalenz", in: Mediaevistik 19 (2006), S. 175
- ↑ Lutz Rörich: "Drache, Drachenkampf, Drachentöter", in: Enzyklopädie des Märchens. Handwörterbuch zur historischen und vergleichenden Erzählforschung, hg. von Kurt Ranke Bd. 3, Sp. 790
- ↑ McConnell, Winder: "Mythos Drachen", in: Dämonen, Monster, Fabelwesen, hg. von Ulrich Müller, Werner Wunderlich, St. Gallen 1999, S. 172-173
- ↑ Lecouteux, Claude: "Der Drache", in: Zeitschrift für deutsches Altertum und deutsche Literatur 1 (1979), S. 23
- ↑ Tuczay, C.: "Drache und Greif. Symbole der Ambivalenz", in: Mediaevistik 19 (2006), S. 177
- ↑ Rebschloe, Timo: Der Drache in der mittelalterlichen Literatur Europas, Heidelberg 2014, S. 156
- ↑ Müller, Jan-Dirk: "Grammatik des Heldenepos. Das Nibelungenlied", in: Höhepunkte des mittelalterlichen Erzählens. Heldenlieder, Romane und Novellen in ihrem kulturellen Kontext, hg. von Hans Sauer, Gisela Seitschek, Bernhard Teuber, Heidelberg 2016, S. 79-80.
- ↑ Müller, Jan-Dirk: "Grammatik des Heldenepos. Das Nibelungenlied", in: Höhepunkte des mittelalterlichen Erzählens. Heldenlieder, Romane und Novellen in ihrem kulturellen Kontext, hg. von Hans Sauer, Gisela Seitschek, Bernhard Teuber, Heidelberg 2016, S. 80
- ↑ Rebschloe, Timo: Der Drache in der mittelalterlichen Literatur Europas, Heidelberg 2014, S. 156
- ↑ Tuczay, C.: "Drache und Greif. Symbole der Ambivalenz", in: Mediaevistik 19 (2006), S. 181-182