Die Darstellung der Juden in Passions- und Osterspielen

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Das Phänomen des Antijudaismus lässt sich in den meisten christlichen Liturgiefamilien beobachten, mitunter auch im Geistlichen Spiel. Gerade in Passions- und Osterspielen lässt sich eine Vielzahl Merkmale ausmachen, welche auf eine Gezielte Herabwürdigung Juden hindeuten.

Definition Antijudaismus

Unter Antijudaismus versteht man christliche Judenfeindschaft. In der Antike und im Mittelalter waren hetzerische Schriften und Predigten der Kirche verantwortlich für die Verbreitung von Judenhass. Juden wurde vorgeworfen, dass sie Jesus nicht als Messias anerkennen, und sie wurden des Gottesmordes beschuldigt. Seit dem 4. und 5. Jahrhundert sind auch tätliche Übergriffe auf Synagogen und Juden bekannt. Ab dem 6. Jahrhundert wurden antijüdische Verbote und Vorschriften erlassen, wie beispielsweise, dass Juden und Christen nicht gemeinsam essen durften, interreligiöse Heirat verboten war und auch eine Kennzeichnung durch einen „Judenhut“ oder „Judenfleck“ zur Pflicht wurde. Juden war es auch nicht erlaubt, sich in Zünften zu organisieren, handwerkliche Berufe auszuüben oder Land zu erwerben. Dies drängte viele Juden in kaufmännische Berufe sowie in den Kredithandel, der Christen von der Kirche untersagt war. Es gab immer wieder Missionsbestrebungen, welche die Juden zum Christentum bekehren wollten, und Judenfeindschaft wurde auch Teil der Volksfrömmigkeit. Wiederkehrende antijudaistische Vorwürfe und Legenden wie die, dass Juden Brunnen vergifteten, Ritualmorde an Christen verübten, geschäftlichen Wucher trieben und Jesus lästerten hatten ihren Ursprung in Sozialneid und Unwissen über das Judentum, jedoch auch in antijudaistischer Propaganda der Kirche. Oft kam es durch sie zu Pogromen und Verfolgungen. Im 13. und 14. Jahrhundert wurden Juden und Jüdinnen aus England und Frankreich sowie im 15. Jahrhundert aus Spanien und Portugal vertrieben. [1]

Charaktereigenschaften, die den Juden zugeschrieben werden

Der im Mittelalter weit verbreitete christliche Antijudaismus findet sich in den Passions- und Osterspielen der Zeit wider. Die Christen entwickelten ein jüdisches Feindbild, um in Abgrenzung zu diesem die eigene Identität zu definieren und zu stabilisieren. Sie etablierten Vorurteile, die gegen die gesamte Gruppe der Juden gerichtet wurden. Die Juden wurden also nicht als eine Gruppe komplexer, vielfältiger Individuen begriffen, sondern ihnen allen wurden pauschal dieselben, scheinbar typischen Charaktereigenschaften zugeschrieben. Die wenigen Merkmale und Eigenschaften, über welche die Juden definiert wurden, waren gegensätzlich zu dem Bild, über welches die Christen sich selbst definierten. Die Negativsetzung der Gruppe der Juden diente also auch der Idealisierung der eigenen, christlichen Gruppe.

Das Feindbild der Juden wurde von den Christen konstruiert und entsprach damit sichtlich nicht der Realität. Dennoch stützte es sich in Teilen auf realen Gegebenheiten, was seine Wirksamkeit garantierte. Das jüdische Feindbild baute in hohem Maße auf der Tatsache auf, dass viele Juden gutverdienende Kaufleute waren. Vorurteile, die sich aus dieser Tatsache speisten waren unter anderem, dass die Juden habgierig und materialistisch seien. Das Innsbrucker Osterspiel beispielsweise inszeniert die Juden als manipulative Gruppe, welche die Menschen mit ihrem vielen Geld zum Bösen verführt. So heißt es im Innsbrucker Osterspiel:


V. 176-181

Quintus Judæs dicit:

Ir herren, wult ir nemen solt,
beide silber vnd golt,
vnd wullit huts by dem grabe
dry nacht vnd dry tage,
wir wullen uch geben lon vnd lons wert
vnd alles dez vwir hercze begert.


Eine weitere historische Tatsache, auf die sich Vorurteile stützten war, dass die Juden im Unterschied zu den Christen nicht an Jesus als Sohn Gottes und Messias glaubten. Aufgrund ihrer, aus christlicher Sicht, fehlenden Einsicht, dass es sich bei Jesu um den Sohn Gottes handelt, wurde ihnen Verstocktheit und Dummheit vorgeworfen. Exemplarisch dafür ist die Szene im Redentiner Osterspiel, in der die Juden sich weigern der Auferstehung Jesus Glauben zu schenken. Der vierte Ritter richtet in diesem Zusammenhang folgende Worte an den Juden Anna:


V.848-865

Quartus Miles:

Anna, dummer man,
Lat desse rede bestan!
Ik wyl dy segghen sware mere,
Dat Jhesus is eyn grot here.
Ik sach dat vor war,
Dat de enghel van deme hemmel clar
Myt eneme groten schyne quam
Unde de vrowen to sik nam
An dat graf und sprak Aldus:
"Jhesus Nazarenus
De is up ghestan
Unde is to Galilee gan."


Es blieb jedoch nicht beim verhältnismäßig harmlosen Vorwurf der Verstocktheit. Die Juden wurden als Feinde Jesu inszeniert und in diesem Zusammenhang als manipulative Lügner charakterisiert. Deutlich wird das im Redentiner Osterspiel, als der Jude Cayfas die Ritter mit Geld besticht, die Auferstehung Jesu zu leugnen:


V.866-873

Tunc facto consilio Cayfas dicit:
Gy riddere unde gy vramen helde,
Set, nemet desse ghelde
Unde swyget desse rede,
De gy vornemen an des graves stede.,
Vraghet ju we, wor de licham sy,
Spreket: „gy scholen des loven my:
De junghere hebben ene ut deme grave stalen.“
So blyven desse dink vorhalen.

Methoden der Separierung der Christen von den Juden

Eine notwendige Voraussetzung für den Antijudaismus stellte die Separierung der Juden, von der christlichen Mehrheitsgesellschaft, dar. Diese Methoden fanden sich nicht nur in der mittelalterlichen Realität, sondern auch in Passions- und Osterspielen. Juden wurden in diesen Spielen als „die Anderen“ und die Antagonisten der Christen gezeichnet. Als Legitimation dafür diente die, als absolut wahr empfundene biblische Ostergeschichte, nach der die Juden die treibende Kraft hinter der Kreuzigung Jesu wären. Belege dafür lassen sich in mehreren Osterspielen finden. Im St. Galler Passionsspiel beispielsweise reagieren die Juden auf Pilatus Reue, im Bezug auf die bevorstehende Kreuzigung Jesu, folgendermaßen:

V. 1246-1249:

Die rede dunket vns gar guot!

vber vns so muoze kommen sin bluot

vn vber vnser kindelin:

dar an salt du vnschuldig sin!''


Im Redentiner Osterspiel gibt Pilatus folgendes von sich (V. 1023-1043):

My dunket doch, de joden sint gheschant.

Semoghen dat hir unde dar wynden,

Ik kan nycht wars aneren redenvinden.

Hebbe i k d e rede rechte vorstan,

Sohebben sedorliken dan,

Dat Jhesus is van en ghestorven.

Sehebben sik ewich hertelet vorworven.

Jhesus, de dar was kamen van gade,

De is uppe stan van deme dode:

Dat wolden senu gerne bedecken.

Tiware, semoten syner alle smecken!

Dat hebben sesulven vore spraken

Unde wert myt rechte anenghewraken.

Ik hadde gerne sen, dat he hadde ghenesen.

Ik sprak: „ik wil synes blodes unschuldich wesen!

Do repen sealle

Myt sogroteme schalle:

„Dar is uns umme soeyn wynt!

Syn blot gaover uns unde unse kynt

Dat mach enaldus wol kamen

'To ereme groten unyramen.

In diesen Textstellen ist die Legitimation für die Diskriminierung und Separierung der Minderheit, in der mittelalterlichen Gegenwart, schon enthalten. Die unterstellte Bösartigkeit der Juden wird in einigen Szenen noch, durch den Vergleich mit dem sympathieerweckenden Verhalten christlicher Figuren, hervorgehoben. Ein Beispiel dafür ist das Innsbrucker Osterspiel, in welchem die drei Marien das positive Gegenstück zu den, als verschlagen und hinterlistig charakterisierten, Juden bilden. So spricht die „dritte Maria“ (V.847ff.):

min lyber herre ist nu tot,

den dy Juden haben ermort

an schulde, alz ir dicke habet gehort.''

Hier wird nicht nur die „jüdische Schuld“ am Tode Jesu herausgestellt, sondern diesem Verbrechen auch noch mitleidserweckende (christliche) Sympathieträger, in Gestalt von drei trauernden hübschen Frauen, gegenübergestellt. Eine weitere Methode der Separierung mag auf den ersten Blick harmloser wirken, darf jedoch in ihrer Wirkung auch nicht unterschätzt werden. Die Rede ist von den pseudohebräischen Gesängen, die in vielen Passions- und Osterspielen zu finden sind. Diese sollen die Juden sowohl lächerlich machen, als auch ihre Fremdheit herausstellen.[2] Als Beispiel seien hier die Verse 57-61 aus dem Innsbrucker Osterspiel genannt:

Chodus chados adonay

sebados sissim sossim

chochun yochun or nor

yochun or nor gun

ymbrahel et ysmahel

ly ly lancze lare

vczerando ate lahu dilando

sicut vir melior yesse

ceuca ceuca ceu

capiasse. amel !''

Methoden der Entindividualisierung

Ein weiteres Merkmal des Antijudaismus ist die Entindividualisierung jüdischer Figuren in den einzelnen Spielen. Jüdische Figuren tragen oftmals keine eigenen Namen und werden auch sonst nur durch ihr Jüdischsein charakterisiert. Durch verschiedene Methoden werden diese gezielt als graue, charakterlose Masse oder als irrelevante Einzelpersonen dargestellt. Beispiele dafür findet man etwa im Innsbrucker Osterspiel, wo es unter anderem heisst:
Tunc Judæi cantant Judaicum: Nun Singen die Juden in ihrer Sprache:
Tertius Judæus dicit: Der dritte Jude spricht:
Pimus Judæus cantat: Der erste Jude singt:
Weiter verfügen die jüdischen Figuren in den meisten Fällen über keinen eigenen Charakter, beziehungsweise keinen eigenen Willen. Sie werden immer als Gruppe angesprochen oder handeln als Kollektiv. Beispielhaft geschieht dies im Redentiner Osterspiel:
(V. 123) He wil umme alzo dane sake here kamen, Des de joden scholen nemen vramen. Er wird aus einem Grunde herkommen, der den Juden nützen wird.
(V. 813) Here unde al gy joden, des lovet my: Herr und all ihr Juden, glaubt mir:
(V. 920) Ja, Pilate here, dat is alzo, Des sint wy unde alle de joden unvro. Ja, Pilatus, Herr, das ist so, darüber sind wir und alle Juden nicht froh.

Literaturverzeichnis

Primärliteratur

Das Innsbrucker Osterspiel. Das Osterspiel von Muri. Mittelhochdeutsch und Neuhochdeutsch, hg. von Rudolf Meier, Stuttgart 1974.

Das Redentiner Osterspiel. Mittelniederdeutsch und neuhochdeutsch. Übersetzt und kommentiert von Brigitta Schottmann. Reclams Universal-Bibliothek 9744 [5], Stuttgart 1986.

Sekundärliteratur

[*Frey 1992] Frey, Winfried: Pater noster Pyrenbitz. Zur sprachlichen Gestaltung jüdischer Figuren im deutschen Theater des Mittelalters. In: ASCHKENAS. Zeitschrift für Geschichte und Kultur der Juden, 2 (1992).

Weblinks

<HarvardReferences /> [*Schlerckmann 2009] Schlerckmann, Isabel: SIG Factsheet, In: Schweizerischer Israelitischer Gemeindebund. 01. September 2009, abgerufen am 20. Juli 2021.

  1. [*Schlercker 2009]
  2. [Frey 1992: 51]