Reinharts Bosheit (Reinhart Fuchs)

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Dieser Artikel beschäftigt sich mit der Bösartigkeit des Fuchses Reinhart aus dem von Heinrich der Glîchezære[1] verfassten Tierepos. Die verschiedenen Stufen seiner Listen sollen analysiert werden, mit der Absicht, die Entwicklung seiner Bosheit zu dokumentieren. Somit werden sowohl Reinharts Absicht und Bereitwilligkeit, Schaden anzurichten, als auch die Wahrnehmung Reinharts Moral in den Fokus gerückt.

Historische Hintergründe

Der Fuchs wird bereits im Mittelalter mit Schlauheit, Täuschung und Hinterlistigkeit verbunden und ist ein Symbol der dunklen Künste. Im Vergleich zu heute hatte man im Mittelalter andere Blickwinkel. Somit wurden Füchse nicht nur aus der Perspektive der Naturwissenschaft betrachtet, sondern auch aus der der Heilkunde. Füchse wurden als ein schlechtes Omen angesehen und mit schwarzer Magie und dem Bösen in Bezug gesetzt. Die symbolische Bedeutung des Fuchses hat ihren Ursprung in dem altdeutschen Physiologus, wo der Fuchs als ein ideenreiches aber negativ gestimmtes Tier dargestellt wird. [Müllneritsch 2010: 291ff.]

Die Verbindung mit der Heilkunde und magischen Kräften, die im Mittelalter eine große Rolle spielen, zeigen sich auch im "Reinhart Fuchs" an einigen Stellen, wie zum Beispiel am Ende, wieder. Im Zusammenhang mit dem Aberglaube, der Fuchs sei ein Zeichen des Bösen und ein "Hexentier", was so weit verankert war, dass man die Bezeichnung "Fuchs" mied, bekommt die Stelle an der sich Reinhart als Arzt ausgibt eine tiefgründigere Bedeutung, die man aus der Perspektive des 21. Jahrhunderts leicht übersieht. Er bringt statt Heilung Verderben mit sich.

Der Fuchs hat sich seinen Weg in viele Fabeln gebahnt und wird oft mit denselben bereits erwähnten Merkmalen ausgestattet. Trotz der eigentlichen Verwandtschaft zwischen Füchsen und Wölfen, die daher abgeleitet wird, dass beide zu der Familie der "Hundeartigen" gehören, fallen sich diese in Fabeln und anderen Geschichten immer wieder in den Rücken. So scheint es als sei die Geschichte der Wolfsfamilie und Reinhart Schicksal und in Stein gemeißelt. [Müllneritsch 2010: 291ff.]

Stufen der Listen

Die Geschichte beginnt damit, dass der Fuchs als schlau und listig ("kundigkeit") dargestellt wird. Bei der Vorstellung des Fuchses wird Reinhart mit "iz"="es" eingeführt. Damit scheint er zunächst eher mit der tierischen Welt in Verbindung gebracht zu werden. Kurze Zeit später bekommt er aber das Personalpronomen "er", was ihn personifiziert. Damit wird dem Fuchs ein Charakter zugeteilt. Die Inkonsistenz stellt bei der Art, mit der man an den Text herangehen sollte, ein Problem dar. Man hat die zwei folgenden Möglichkeiten: Entweder man sieht den Fuchs als ein Tier, das kein Bewusstsein besitzt und somit auch keine Moral, wodurch sein Handeln nicht beurteilt oder bewertet werden können, oder man sieht Reinhart als einen Charakter. Wenn man Reinhart als einen Charakter betrachtet, kann sein Handeln analysiert und kommentiert werden. Im Folgenden wird der Schwerpunkt auf Reinhart als Charakter gesetzt, dennoch werden einige Argumente auf sein Dasein als Tier basieren.

Gescheiterte Streiche

Am Anfang kann man eine Reihe von Listen sehen, die alle fehlschlagen. Reinhart scheitert dabei, die Hühner und den Raben zu überlisten und seine Jagd ist somit nicht erfolgreich. Jedoch muss man trotz der hinterhältigen Absichten Reinharts anmerken, dass diese auf seine tierischen Instinkte zurückzuführen sind, wenn man sein Verhalten aus der Sicht einer biologischen Tierwelt betrachtet. Reinhart muss schließlich etwas fressen, um zu überleben. In diesen Episoden scheint der Fuchs nicht nur zu handeln, um anderen Schaden zuzufügen, sondern sich auch darauf zu konzentrieren, an Futter zu gelangen.

(V. 255-275)
Mittelhochdeutsch Übersetzung Mittelhochdeutsch Übersetzung
Nv horet, wie Reinhart, Nun hört, wie Reinhart, dines vater trewe waren gvt, Die Treue deines Vaters war gut,
der vngetrewe hovartta, der untreue Höfling ovch hore ich sagen, daz sippeblvt Auch höre ich, dass man sagt, dass Blutsverwandtschaft
warb vmb sines neven tot. sich um den Tod seines Neffen bemühte. von wazzere niht vertirbet. von Wasser nicht vertrieben wird.
daz tet er doch ane not. Das tat er jedoch ohne Grund. trvt neve, nv bedenke mich! Geliebter Neffe, nun bedanke ich mich!
Er sprach: ,lose, Dizelin, Er sagte: Lieber, Dizelin, din neve alsvst erstirbet. Dein Neffe geht auf diese Weise zugrunde.
hilf mir, trvt neve min! Hilf mir, mein geliebter Neffe! daz macht dv erwenden harte wol. Das lässt dich wohl stark zurückschrecken.
dir ist leider miner not niht kvnt: Dir ist meine Verzweiflung leider nicht bekannt: vom stanke ich grozen kvmmer dol.' Der Gestank bereitet mir große Sorgen.
ich wart hvete vru wunt; ich wurde heute früh verwundet; Der rabe zehant hinnider vlovc, Der Rabe flog sofort herab,
der kese liet mir ze nahen bi. Der Käse liegt mir zu nahe. dar in Reinhart betrovc. da betrog ihn Reinhart.
er smecket sere, ich vurcht, er si Er schmeckt sehr, ich fürchte, er sei er wolde im helfen von der not Er wollte ihm aus der Not helfen,
mir zv der wunden schedelich. schädlich für meine Wunden. dvrch trewe, daz was nach sin tot. aus Treue, das war später sein Tod.

Dennoch fehlt der Methode, mit der Reinhart sich den anderen Tieren nähert, jegliche Empathie. Er schmeichelt den Tieren, um ihr Vertrauen zu erlangen – nur um sie dann zu betrügen. Durch die Personifikation der Tiere scheint das Jagen eine ganz neue Bedeutung zu erlangen. Das Tierepos weist den Tieren Gefühle, Gedanken sowie Eigenschaften (Intelligenz) zu, wodurch das Handeln des Fuchses nicht mehr auf animalische Instinkte zurückgeführt werden kann, sondern impliziert, dass der Fuchs Verstand hat und somit auch ein Gewissen besitzen sollte.

Reinharts Scheitern am Anfang zeigt, dass die anderen Tiere, vor allem die kleineren wie der Hahn, der Rabe und der Kater, sich vor ihm in Acht nehmen und damit rechnen, überlistet zu werden. Diese Vorsicht erschwert Reinhart die Jagd.

Erster erfolgreicher Streich mit den Wölfen

Obwohl Füchse keine Rudeltiere sind, sucht Reinhart sich Verbündete und gelangt zu der Wolfsfamilie. Im Gegensatz zu den "Gegnern", die Reinhart bis jetzt hatte, sind die Wölfe nicht wachsam und wenn doch, reicht ihnen die Aussage Reinharts, dass sie stärker sind und somit einen Vorteil ihm gegenüber hätten. Das Angebot, mit Reinhart zusammenzuarbeiten, scheint auch verlockend. Die Wölfe sind für Reinhart anfangs nur ein Mittel zum Zweck. Jedoch scheint es vorerst nicht, als würde er sie überlisten wollen, er will sich einfach nur ihrer Kräfte bedienen.

Und tatsächlich läuft der erste Streich, den Reinhart zusammen mit den Wölfen ausführt, erfolgreich:

(V. 458-474; V.485-490)
Mittelhochdeutsch Übersetzung Mittelhochdeutsch Übersetzung
Reinhart hvb sich sa, Darauf eilte Reinhart zu einer Stelle, e dan der gebvre mochte wider kvmen, ehe der Bauer zurückkommen konnte,
do der gebvr hine solde gan. wo der Bauer vorbeikommen musste. so hat er den bachen genvmen hatte er den Schinken weggenommen
einen vuz begonde er vf han Er zog einen Fuß an vnd hat in schire vressen und ihn schleunigst verschlungen.
vnde sere hinken, und hinkte sehr; Y sengrin begonde lachen, Isengrin fing an zu lachen:
er liez den rvcke sinken, dazu knickte er den Rücken ein, Reinhartes wart vergessen. An Reinhart dachte keiner.
recht als er ime were enzwei. als sei er ihm zerschlagen. (...)
der gebvre in vaste aneschrei, Der Bauer schrie heftig auf ihn ein. er sprach: , wol mich des gesellen min! "Wohl mir bei diesem Gefährten!
den bachen warf er vf daz gras, Er warf den Schinken ins Gras, wi mochte wir baz inbizzen sin? Wie hätten wir einen hübscheren Bissen finden können?
nach Reinhartes kel ime gach was. denn ihm war es nur noch um Reinharts Kehle zu tun; ich weiz im disez ezzens danch.' Für diese Mahlzeit ist ihm mein Dank gewiss."
sin colbe was vreislich. seine Keule sah entsetzlich aus. do weste er niht den nachclanch. Er ahnte aber noch nicht das Ende.
Reinhart sach vmme sich Reinhart blickte sich um Reinhart qvam spilinde vnde geil, Reinhart näherte sich ganz vergnügt
vnde zoch in zv dem walde. und lockte ihn zum Wald hin. er sprach: ,wa ist hin min deil?' und meinte: "Wo ist mein Anteil geblieben?"
Ysingrin hvb sich balde: Isengrin machte sich rasch auf den Weg:

Diese Stelle zeigt nicht nur Reinharts ersten erfolgreichen Streich, sondern womöglich auch den Grund, weshalb er anfängt, seine Listen auf etwas anderes zu konzentrieren als die Jagd. Trotz der Personifikation des Fuchses bleibt Reinhart weiterhin ein Fuchs, futterneidisch und aggressiv. Die Wölfe lassen ihm nichts von der Beute übrig, die er durch seinen Plan und dem Ablenkungsmanöver erbeutet, was Reinhart mehr stört als er vorerst zeigt. Sein ganzes Verhalten nach dieser Szene scheint sich zu verändern und auf Rache abzuzielen. Die Veränderung des Fuchses lässt Reinhart jetzt mehr wie eine Figur wirken als ein Tier. Er plant bewusst den Untergang der Wölfe und fokussiert seinen Hass auf Isengrin. Reinhart scheint noch mehr als zuvor zu bemerken, dass seine Streiche eher auf Kosten anderer erfolgreich sind. Er lernt geduldiger zu sein und zuzuschlagen, wenn es keiner erwartet, ganz im Gegensatz zu seinem Benehmen in der Episode mit dem Raben oder der Meise. In der Wolfsepisode nistet Reinhart sich vorerst bei seinem "Gevatter" ein. Isengrins Naivität trägt zum Teil an dem Fortschreiten von Reinharts hinterlistigem Verhalten bei. Reinhart wird in seinen Steichen, die inzwischen bösartiger Absicht sind, nicht gestoppt.

Reinhart erfährt bei den Wölfen kein Widerstand, da sowohl Hersant, als auch Isengrin sich von der Tatsache ablenken lassen, dass sie dem Fuchs überlegen sind und ihn jederzeit von seinem Handeln abhalten könnten, sollte es ihnen Schaden ("ich bin listic, starc sit ir, ir mochtet gvten trost han zv mir." vgl. V.397).

Listen werden zu Straftaten

Reinhart scheint so sehr von der Eigensinnigkeit der Wölfe gekränkt zu sein, dass er weitere Versuche, Nahrung zu finden, unterlässt und sich stattdessen auf die Bestrafung der Wölfe fokussiert. Sein erster Streich scheint noch recht harmlos, da er Isengrin und Hersant dazu überredet, Wein zu klauen, was dazu führt, dass Isengrin anfängt, betrunken zu singen und sich selbst zu verraten. Reinhart ergreift die Flucht und lässt die beiden Wölfe zurück, die von den Menschen geschlagen werden, jedoch entkommen können. Reinharts Rache hört aber nicht auf nachdem er den Wölfen eine Lektion erteilt, sondern steigert sich immer weiter. Isengrin gibt in dieser Instanz nicht dem Fuchs die Schuld und betrachtet ihn weiterhin naiv als Vetter. Dies ändert sich erst als er in eine Falle gelockt wird und ein Gerücht hört, dass Reinhart Hersant bestattet habe. Isengrin ist wütend und vergisst seine Wunden. Der Wolf sucht Reinhart in seiner Wut auf, diese verraucht aber bei dem Geruch von gebratenen Aalen. Die Verfressenheit des Wolfes ermöglicht es Reinhart, ihn weiterhin zum Narren zu halten. Reinhart wird von Streich zu Streich rücksichtsloser. Seine Absicht, es den Wölfen heimzuzahlen, dass sie ihm nichts übriggelassen haben, wendet sich der Erniedrigung und Vernichtung Isengrins zu. Nicht nur inhaltlich ist die Auseinandersetzung zwischen dem Fuchs und dem Wolf der Höhepunkt des ersten von zwei Hauptteilen, sondern auch für die Struktur des Textes. Die sieben Episoden, in denen sich Fuchs und Wolf immer wieder gegenübertreten sind in einer Zentralkomposition zueinander gesetzt, deren Mitte die Interaktion am Fischweiher bildet. [Ruth 1980: 22] Die drei Episoden in der Mitte der Komposition beinhalten Reinharts Veränderung zu einem Charakter, der aktiv böse ist.

Die erste Szene ist die Tonsur des Wolfes, bei der Reinhart den Wolf nicht nur fürs Leben kennzeichnet, indem er ihm das Kopffell und die Haut verbrüht, sondern ihm zusätzlich quälende Schmerzen zufügt, die an Folter grenzen und die er dem Wolf gegenüber als notwendig rechtfertigt. Diese Aktion kann weder auf seine tierischen Instinkte zurückgeführt werden, noch anders als mit dem Drang zur Rache erklärt werden. Reinhart scheint in dieser Szene jeden Skrupel zu verlieren. Diese Skrupellosigkeit wird intensiver als Reinhart den Wolf hinterlistig dazu überredet, seinen Schwanz in das frierende Wasser baumeln zu lassen, um zu fischen. Damit überlässt Reinhart den Wolf seinem Schicksal, was zufälligerweise das Leben des Wolfes schont. Reinharts Intention ist eine viel grausamere. Er will den Wolf sterben sehen, egal ob an Hunger oder dem Jäger. Reinhart – als intelligente Figur – weiß, was es für den Wolf bedeuten würde, festgefroren zu sein. Die Brunnenszene beinhaltet so etwas wie Karma, Reinhart wird von der Wasseroberfläche überlistet und springt in den Brunnen. Jedoch schafft er es auch wieder raus, indem er den bereits zerschundenen Isengrin erneut überlistet und ihn dazu bringt, den Platz mit ihm zu tauschen, sodass der Wolf im Brunnen festsitzt und später von den Mönchen fast zu Tode geprügelt wird, jedoch ironischerweise erneut überlebt, wegen den Entstellungen, die Reinhart ihm zugefügt hat. Reinharts Streiche, die nie als harmlos aufgetreten sind, können in diesen Episoden nicht mit dem Argument der Futtersuche gerechtfertigt werden. Die Auslöschung eines Wolfes ist kein natürliches Verhalten eines Fuchses.

Yisegrins Kathastrophen in 7 Szenen [2] (Nochmal schauen wie man das Bild größer machen kann)
Mittelhochdeutsch Übersetzung
Reinhartis drivwe warin laz, Von Treue konnte bei Reinhart keine Rede sein;
er gefror ie baz unde baz. immer mehr fror jener ein.
,Dirre eimir swerit', sprach lsingrin. "Der Eimer wird mir zu schwer", klagte Isengrin.
,da han ich gezellit drin "Ich habe schon dreißig Aale darin gezählt",
drizic ale', sprach Reinhart, antwortete Reinhart,
,diz wirtein nuzze vart; "das Unternehmen wird sehr erfolgreich;
kunnint ir stille gestan, wenn Ihr Euch nur ruhig verhaltet,
zehinzic wellint drin gan.' werden hundert hineingehen."
Alsez do begunde dagen, Als es nun Tag wurde,
Reinhart sprach: meinte Reinhart:
,ich wil ivch mere sagin: "Ich kann nur sagen:
ich furhte, wir unsir giticheit wir müssen unsere Gier
uil sere engeltin; mir ist leit, - fürchte ich-sehr büßen; es macht mir Sorge,
daz so uil uisce drinne ist; dass so viele Fische im Eimer sind;
ich neweiz der zuo neheinen list. denn jetzt ist meine Kunst am Ende:
ir mugint sie niht uz erhebin. Ihr dürftet sie kaum herausheben können;
sehint, ob ir sie mugint irwegin.' seht zu, ob Ihr sie auch nur ein wenig fortbewegen könnt,
lsingrin geriet zucken, Isengrin begann zu ziehen,
daz is begunde drucken aber das Eis hielt
den zagel, er muoze da stan. seinen Schwanz fest, so dass er bleiben musste.
Reinhart sprach: ,ich wil gan Reinhart sagte: "Ich werde mich
nah unsirn bruoderin darhaim: zu unseren Mitbrüdern nach Hause aufmachen,
dirre gewin wirt niht clein.' denn dieser Erfolg ist wahrlich nicht gering."
Der dag begunde uf gan, Da wurde es vollends Tag,
Reinhart huob sich dannan. und Reinhart machte sich davon.


Nach allem, was Reinhart den Wölfen antut und endlich vor Gericht geführt wird, flieht er in einen Dachsbau – gefolgt von Hersant, Isengrins Gattin, die stecken bleibt und somit Reinhart ausgeliefert ist, der sie vor allen Anwesenden erniedrigt. Reinharts Verhalten Isengrin und seiner Gefährtin gegenüber wird von Episode zu Episode unkontrollierter und gewalttätiger.(vgl. Gewalt und Herrschaft (Reinhart Fuchs))

Mittelhochdeutsch Übersetzung
do gewan si schire schande genuc: Nachdem sie sicher genug Schande erlitten hatte:
sine mochte hin noch her, Sie steckte fest und konnte weder rein noch raus,
Reinhart nam des gvten war, Reinhart nahm sein Glück wahr,
zv eime andern loche er vz spranc, und sprang zu einem anderen Loch wieder raus,
vf sine gevateren tet er einen wanc. seinem Gevatter/Freund fügte er (seelischen) Schaden zu.
Isengrine ein herzen leit geschach: Isengrin tat das Herz weh:
er gebrvtete si, daz erz an sach. Er vergewaltigte sie, so dass er es mit ansehen musste.
Reinhart sprach: ,villibe vrvndin, Reinhart sagte: ,Sehr geliebte Freundin,
ir schvlt talent mit mir sin. Ihr werdet heute den ganzen Tag mit mir sein.
izn weiz niman, ob got wil, Es weiß keiner, ob Gott will,
dvrch ewer ere ich iz gerne verhil.' (aber) ich verheimliche es gerne um Eurer Ehre willen.'
vern Hersante schande was niht deine,
si beiz vor zorne in die steine, sie biss vor Wut in die Steine,
ir kraft konde ir nicht gefrvmen. ihre Kraft konnte ihr nicht helfen.

Reinhart entkommt auch diesmal trotz seiner offenkundigen Straftat und lässt unbekümmert die entehrte Wölfin liegen. Konnte man seine Taten bis jetzt noch rechtfertigen, so geht an dieser Stelle die Möglichkeit, den Fuchs zu entschuldigen, verloren. Die Bosheit des Fuchses ist nicht mehr nur auf seine Gier und auf seinen Egoismus zurückzuführen, die in der Tierwelt in gewisser Weise zum Überlebensinstinkt dazuzugehören scheinen, sondern beruhen auf der puren Absicht des Fuchses, andere Beteiligte zu verletzen und ihnen Schaden zuzufügen. Diese Absicht ist in einigen seiner vorherigen "Listen" oder besser gesagt "Straftaten" (vgl.Täter und Opfer (Reinhart Fuchs) ) enthalten, kann aber ab der Vergewaltigung deutlich als solche gesehen werden. Seine Rache, die durch das Merkmal eines Fuchses futterneidisch zu sein erklärt werden kann, verliert den Fokus.

Man könnte versuchen, mit Fortpflanzungsinstinkten zu argumentieren, jedoch können sich Wölfe und Füchse nicht paaren, außerdem scheint Reinhart sich seiner Aktionen bewusst zu sein. Sein Handeln zielt nicht nur auf das Vergnügen mit Hersant ab, sondern dient zusätzlich der emotionalen Verletzung von Isengrin, der das Ganze mit ansehen muss, nachdem er sowohl sein Schwanz als auch sein Genital verloren hat und somit seinen Status als Mann und Beschützer seiner Familie. [Mecklenburg 2017:77]

Rachezug außer Kontrolle

Wenn man nur kurz annimmt, dass Rache an sich nicht schon als böse gesehen werden kann und somit Reinharts Aktionen damit erklärt werden können, stößt man dennoch auf ein Problem. Nimmt man sein Futterneid als Auslöser seiner Rache, kann man zumindest den Teil seiner Rache verstehen, in dem er Isengrin und seine Frau erniedrigt und durch die Schläge der Mönche bestraft. Warum also hört Reinhart nach dieser Strafe nicht auf? Isengrin will sich seinerseits rächen "daz lant ime an daz lebin gan!" (V. 616) und Reinhart weiß davon "Reinhart zoch sich zov vestin. er uorhte vremide gesti" (V. 635 f.). Reinhart gerät in eine Situation, in der er verfolgt wird. Füchse sind schlaue Tiere und stellen sich oft tot oder flüchten, wenn sie in Gefahr sind. Reinhart dagegen nimmt es mit Isengrin auf. Alleine die Bereitwilligkeit Reinharts den Wolf anzugreifen, vor allem auf einer geistigen Ebene durch Listen, zeigt, dass Reinhart ein Bewusstsein hat und dieses Bewusstsein lässt seine bösen Absichten zu. Solange diese Absichten an die Wölfe gerichtet sind, fallen sie noch unter die Rache und können trotz der Grausamkeit zumindest nachvollzogen werden.

An dieser Stelle sollte etwas, das Reinhart selbst zu Scantecler gesagt hat angeführt werden: "er ist tvmb, sam mir got, der mit sdtaden ridtit, daz man im gespridtit, oder swer danne ist claffens vol, so er von redtte swigen sol."; Übersetzung: "Bei Gott, dumm ist, wer zu seinem eigenen Schaden Rache übt, wenn man über ihn herzieht, oder wer dann loskläfft, wenn er besser schweigen würde." (vgl. V. 162-166). Reinhart scheint also der Ansicht zu sein, dass Rache einen selbst in eine Position bringen kann, die ungünstig ist. Er ist der Meinung, dass es dumm wäre, sich zu rächen, wenn man sich damit selbst schadet. Dennoch beginnen seine Rachezüge. Entweder Reinhart ist so sehr von seiner Fresssucht geblendet, dass er nicht mehr rational denken kann, oder aber er ist so sicher und selbstbewusst, dass er es schaffen kann, ohne selbst in Gefahr zu geraten, dass er es dennoch tut.

Diese Rache gerät jedoch außer Kontrolle als sich die anderen Tiere, die Reinhart bis jetzt überlistet hat, den Wölfen anschließen und alle beschließen, dass Der Hoftag (Reinhart Fuchs) einberufen werden muss.

Reinhart könnte fliehen. Er hat drei Tage, in denen er jeweils besucht wird, um vor Gericht gebeten zu werden. Egal ob aus Trotz, Sturheit, Arroganz oder Hass, Reinhart beschließt zu bleiben und alle zu vernichten, die sich gegen ihn verschwören. Er schafft eine Situation, in der der Löwe – der "König der Tiere" – von ihm abhängig ist und nutzt dessen Macht (vgl. Gewalt und Herrschaft (Reinhart Fuchs) ) über die Tiere aus. Er lässt seine Gegner häuten und umbringen, bevor er den König selbst umbringt. Der Löwe wird von dem Fuchs vergiftet, was den Glauben der Menschen im Mittelalter widerspiegelt, der Fuchs sei mit Heilkunde und bösen Kräften in Verbindung zu bringen.[Müllneritsch 2010: 296-297] Reinhart zeigt in keiner Weise Reue oder Mitgefühl und fordert lediglich Krimel, den Einzigen den Reinhart als Familie anerkennt, auf, mit ihm von der Mordszene zu fliehen und verspottet im Gehen noch eines seiner Opfer.

Bösartigkeit

Sieht man den Fuchs am Anfang der Geschichte eher als ein Tier, das für sein Überleben sorgt, so sind seine Listen, trotz der Absicht seine Gegner umzubringen, eine Methode der Jagd. Reinhart besitzt das Recht zur Selbsterhaltung. Dieses Naturrecht kann gewisse Straftaten, die Reinhart aus einer humanen Sicht am Anfang begehen würde, wenn seine Listen erfolgreich wären, entschuldigen. Der Fuchs ist ein karnivores Tier und kann sich nicht von Pflanzen ernähren, weshalb das versuchte Erlegen von Scantecler und Pinte, der Meise und Diezelin nachvollzogen und gerechtfertigt werden kann. [Hübner 2016:87ff.] Die Jagdart mit der Reinhart arbeitet, nämlich seinen Gegnern schmeicheln und ihr Vertrauen gewinnen, ist zwar eine überaus bewusste Methode, die mit der menschlichen Art zu betrügen in Bezug gesetzt werden kann, aber dennoch eine Jagdmethode. Somit wäre Reinhart zumindest nicht von Grund auf böse, sondern muss seine Bosheit im Laufe der Geschichte akkumuliert haben.

Sollte man Reinhart hingegen von Anfang an als eine Figur oder einen Charakter sehen, welche(r) ein Bewusstsein besitzt und somit auch ein Gewissen besitzen sollte, kann man seine Taten auch als geplante Hinterhalte und Morde sehen, die nicht nur der Ernährung dienen, sondern Reinhart Spaß machen, was Reinhart jedoch von Beginn an als eine krankhafte Persönlichkeit identifizieren würde.

Egal ob man nun seine Taten als absichtlich böse oder gerechtfertigt aber negativ sieht, man kann eine deutliche Veränderung, sowohl in der Struktur als auch im Verlauf der Geschichte, beobachten. Während das Handeln des Fuchses am Anfang noch als simultanlogisch beschrieben werden könnte, ändert sich etwas nach der Begegnung mit den Wölfen. Reinhart wird plötzlich von einer Motivation geleitet. Diese Motivation ist die Rache, die er an den Wölfen nehmen will. Durch diese Änderung wird das Verhalten von Reinhart zu einem sukzessivlogischen Verhalten.[Bertau 1983:19ff.] Er konzentriert seine destruktiven Listen auf die Wölfe bis diese keine Gegner mehr darstellen. Zu diesem Zeitpunkt hat Reinhart schon jegliche tierische Instinkte, die seine Aktionen erklären und rechtfertigen würden, abgelegt. Er handelt auf diese Weise nicht mehr um sich zu ernähren, fortzupflanzen oder es den Wölfen heimzuzahlen, sondern er will allen zeigen, dass sie sich nicht mit ihm anlegen sollten. Die Situation, in der sich Reinhart befindet, scheint am Ende hoffnungslos für ihn. Die Tatsache, dass er nicht flieht sondern stattdessen den König persönlich betrügt (",daz ich Reinharten ie gesach, owe er hat mirgiftgegeben ane schulde: ich hat ime niht getan.") macht ihn nicht nur seiner entfernten Verwandtschaft (Hundeartigen) gegenüber, sondern auch allen Tieren gegenüber, zum Verräter.

Reinhart: Moral-Wahrnehmung

Wenn man sich Reinharts Moral und Gewissen (Reinhart Fuchs) anschaut, kann man sehen, dass diese Begriffe zumindest aus einer menschlichen Standardperspektive nicht in Reinharts Wesen gefunden werden können. Seine Moral und sein Gewissen hindern ihn an keiner seiner Listen. Wenn man nach Hübner argumentiert, kann man sagen, dass Reinhart in seinem Handeln erfolgreich ist, da man in einer amoralischen Welt amoralisch handeln muss, um zu überleben. Und wie zuvor erwähnt, hat Reinhart wie alle anderen Tiere ein Recht zur Selbsterhaltung.[Hübner 2016:81ff.] Es stellt sich die Frage, ob sein Handeln, trotz der schlauen amoralischen Art, vernunftbedingt und gerechtfertigt ist und Reinhart somit sympathisch oder zumindest nicht antipathisch wirkt. Die Frage der Sympathie kann auf mehrere Arten beantwortet werden, da sich bestimmt Argumente für und gegen Reinhart als eine sympathische Figur finden lassen (z.B.: Reinhart verletzt viele Tiere oder Reinhart ist schlau und man feiert seinen Erfolg). Jedoch ist die Frage der Vernunft und der Rechtfertigung zumindest etwas objektiver zu betrachten. Wie bereits oft erwähnt, gibt es ein Wendepunkt in dem ersten Hauptteil nach der Begegnung mit den Wölfen. Ab dieser Stelle werden Reinharts Entscheidungen immer irrationaler und können nicht mehr so interpretiert werden, dass der Fuchs gezwungen ist, so zu agieren. Es dient nicht der Selbsterhaltung, dass er Isengrin foltert, Hersant vergewaltigt, Tiere häuten und umbringen lässt, oder am Ende den Löwenkönig vergiftet. Diese Aktionen sind nicht mit Vernunft zu erklären, sondern zeugen von einer Besessenheit, andere zu vernichten. Seine "Streiche" sind keine Streiche oder eine Jagdmethode, sondern Straftaten. Man sieht an keinem Punkt in der Geschichte, dass Reinhart über sein Handeln zweifelnd nachdenkt, was zwar nicht gegen ein Bewusstsein spricht, sehr wohl aber gegen ein Gewissen.

Fazit

Schlussendlich kann gesagt werden, dass Reinharts Boshaftigkeit, egal ob bereits von Anfang an vorhanden oder ab einem bestimmten Zeitpunkt erworben, in verschiedenen Stufen auftritt, so wie seine "Listen". Gegen Ende sind diese immer willkürlicher und scheinen grundloser, aber nicht ungeplant, als würde Reinhart es amüsant finden, dass er so mit anderen umgehen kann ohne dafür bestraft zu werden ("saget, edeler schribere, was di hvt ze swere, daz ich si vech niht sehe tragen? ich wil evch werliehe sagen: mich dvnket an den sinnen min, svlt ir zv winter imannes vorspreche sin,der mvez ev einen bellitz lihen," vgl. 2005 ff.).

Die Bosheit manifestiert sich nicht nur in seinen Taten, sondern auch in der immer spöttischer werdenden Art, in der er redet. Am Anfang schmeichelt er den anderen Tieren, scheint sich beinahe unterzuordnen, um ihre Achtsamkeit zu schwächen ("ich horte gerne din singen" vgl. V. 236). Später erlangt er das Vertrauen des Wolfes erneut, indem er sich von ihm entfernt und vorgibt beleidigt zu sein. Somit überlässt er es Isengrin, nach Versöhnung zu streben, wodurch er den Wolf erneut in eine Falle lockt (",wan gan ir von der ture?" vgl. V. 655). Am Ende ist die Ironie, mit der Reinhart anderen Tieren gegenübertritt, kaum zu übersehen ("kvnic, was sol dirre doz? ich bin in mangen hof kvmen, daz ich seiden han vernvmen solche vngezogenheit. des war, iz ist mir vur evh leit." vgl. V.1866 ff.). Das alles weist darauf hin, dass Reinhart sich im laufe der Geschichte verändert und diese Veränderung eindeutig einer Moral- und Gewissenlosigkeit entgegenstrebt, die ihn als boshaft darstellt.

Literaturverzeichnis

  • [*Müllneritsch 2010] Müllneritsch, Helga: Die Darstellung des Fuchses in der mittelalterlichen Dichtung, Graz, S. 289-306
  • [*Ruth 1980] Ruh, Kurt: Höfische Epik des deutschen Mittelalters. Bd. 2: 'Reinhart Fuchs', 'Lanzelet', Wolfram von Eschenbach, Gottfried von Straßburg, Berlin 1980 (Grundlagen der Germanistik 25)
  • [*Mecklenburg 2017] Mecklenburg Michael: mir ist lait, daz der man min / ane zagel muz wesen (V. 1058f.). Zur Überlagerung von Animalität, Geschlecht und Emotion in Heinrichs Reinhart Fuchs, in: Abenteuerliche ‚Überkreuzungen‘. Vormoderne intersektional, hg. von Susanne Schul, Mareike Böth und Michael Mecklenburg, Göttingen 2017 (Aventiuren 12)
  • [*Hübner 2016] Hübner, Gert: Schläue und Urteil. Handlungswissen im ‚Reinhart Fuchs‘, in: Techniken der Sympathiesteuerung in Erzähltexten der Vormoderne. Potentiale und Probleme, hg. von Friedrich M. Dimpel und Hans Rudolf Velten, Heidelberg 2016
  • [*Bertau 1983] Bertau, Karl: 'Reinhart Fuchs'. Ästhetische Form als historische Form, in: ders.: Über Literaturgeschichte. Literarischer Kunstcharakter und Geschichte in der höfischen Epik um 1200, München 1983
  1. Alle weiteren Versangaben beziehen sich auf: Heinrich der Glîchezâre: Reinhart Fuchs. Mittelhochdeutsch/Neuhochdeutsch, hg. und übersetzt von Karl-Heinz Göttert, Reclam, Stuttgart 1976.
  2. Ruh, Kurt: Höfische Epik des deutschen Mittelalters. Bd. 2: 'Reinhart Fuchs', 'Lanzelet', Wolfram von Eschenbach, Gottfried von Straßburg, Berlin 1980 (Grundlagen der Germanistik 25), S.22.