Sexualität und Erotik (Gottfried von Straßburg, Tristan)

Aus MediaeWiki
Zur Navigation springen Zur Suche springen

Der Tristan-Roman ist voll von sexuellen und erotischen Momenten. Das sinnliche, wie körperliche Erleben von Liebe, Sexualität, Treue und Freundschaft, ist handlungskonstituierende Größe. Wie ich in diesem Artikel erörtern will, ist es das Fleischliche, das Verlangen, was alle Handlungsstränge antreibt und überformt. Da dieses Thema sehr umfangreich, wenn nicht sogar ausufernd (gerade deshalb aber sehr spannend erscheint), ist, möchte ich versuchen einzelne Momente und Figuren herauszufiltern, um anhand derer die Wichtigkeit der Sexualität in diesem Roman zu erörtern. Nicht zuletzt haben Thomas Mann, Richard Wagner, diverse Drehbuchautoren und etliche Künstler und Schriftsteller die Liebesmotive des Tristans, besonders alle erotischen, in übertragener und abgeänderter Form aufgenommen. Die rein physische Liebe, die Lust, das Verlangen und die Körperlichkeit nimmt einen viel wesentlicheren Raum ein, als die keusche, freundschaftliche, „reine“ und psychische Liebe.

Erscheinungsformen von Sexualität und Erotik

Tristans Zeugung

Treueschwur und Treuebruch

Freundschaft und Enthaltsamkeit

Wer pflückt den Apfel und sät Zwietracht?

Tristans und Isoldes erster Kontakt

Betrachtet man Isoldes erstes Erscheinen, so fällt auf, dass nicht etwa diejenige blonde Isolde gemeint ist, sondern deren Mutter: Sie tritt als Heilerin auf, um Tristans Giftwunde zu versorgen. Dabei ist sie voller Mitleid für den verwundeten Spielmann, nicht zuletzt deshalb, weil sie von Tristans Höfischheit beeindruckt ist. Tristan wird von ihr geheilt, weil er einem Ritterideal entspricht. Als Gegenleistung für seine Heilung, soll er die blonde Isolde in höfischem Verhalten (moraliteit) und Künsten unterrichten. Noch erhält keiner von beiden sexuelle Attraktivität; beide sind nur sozial äußerst attraktiv. Tristan wegen seines guten Aussehens und Höfischheit, muss als Idealbild des Ritters betrachtet werden, da das Aussehen nicht zuletzt Abbild alles Inneren ist. Bei Isolde verhält es sich genau gleich; sie ist das Idealmodell einer frouwe. Zwischen ihnen gibt es keine Erotik, nur keusche, maximal freundschaftliche Zuneigung, weil sie voneinander profitieren können. Tristan genest, Isolde lernt von Tristans künstlerischem Können.

Marke und Tristan als ein Herrscher und Bruch

Einige Zeit später empfiehlt Tristan Marke sich eine Frau zu nehmen. Zu diesem Zeitpunkt sind Tristan und Marke sehr deckend geformt. Beide, oder vielleicht gerade in Kombination und Ergänzung bilden ein ritterliches Herrscherbild, das mustergültig ist. Tristans höfische Erziehung und seine jugendliche Potenz, paaren sich mit Markes Altersweisheit und Erfahrung. Ein gerechter, starker, (männlicher) Herrscher entsteht. Tristan und Marke könnte man als eine Person, eine Seele, ein Leib verstehen, da sie sich derartig nahe stehen und ähnlich sind. Auf Tristans Empfehlung hin, schickt Marke Tristan (wen sonst, denn nur Tristans Jugend, Erziehung und Stärke können seinen Plan durchsetzten), um die schöne Isolde als Braut für Marke zu gewinnen. In den Versen 8253 - 8295 schwärmt Tristan - nicht sexuell - von Isolde und empfiehlt sie über 40 Verse lang Marke. Sie ist lustic, ûz erkorn, lûtere, liehte, lûter, ein kint von gebaerden und von lîbe, um nur einige Attribute zu nennen. Ihre sexuelle Attraktivität wird mit keinem Wort erwähnt, diese ist hier maximal impliziert. Tristan beschreibt sie bezeichnenderweise als Helena (V. 8267). Man bedenke, dass Helena der Grund für den Trojanischen Krieg lieferte. Sie selbst war der Streitpol, der die Freundschaft der Griechen mit den Trojanern beendete, die Völker entzweit. Marke und Tristan werden entzweit werden durch eben diese helenische Isolde und der Kampf zwischen dem entzweiten Herrscherbild wird ebenfalls durch die Instanz der List entschieden. Marke entschließt sich also zur politischen Hochzeit und Tristan macht sich auf Isolde zu gewinnen. Er schafft es. Nur ist ihm Isolde mittlerweile nicht mehr wohl gesonnen, da sie erfahren hat, dass Tristan ihren Onkel umbrachte.

Einbruch der Liebe

Durch den Liebestrank, den die zwei fataler Weise trinken, anstatt Wein, um ihren Waffenstillstand zu besiegeln wird Isolde zur Venus. Isolde ist von nun an umkämpftes Sex- und Statussymbol des Romans. Durch die Entfachung der fleischlichen Lust zwischen Tristan und Isolde (natürlich auch Liebe) ist nur noch ein Bruch mit Marke möglich. Tristan und Isolde fühlen sich immer stärker körperlich zueinander hingezogen und fangen an Marke zu betrügen. Ein Treuebruch Tristans Markes gegenüber, der ihm aber gleichsam Isolde zur Frau macht. Und zugleich der Ehebruch Isoldes, die Marke heiraten musste. Wie stark der sexuelle Trieb des Liebespaares sein muss, zeigt die Tatsache, dass Isolde sich schon auf der Überfahrt nach Cornwall, also noch vor der Heirat mit Marke, somit außerehelich und ledig, entjungfern lässt. Sie ist dadurch sozial disqualifiziert. Sie geht jeder weiblichen höfischheit Qualität verlustig, zu der eben auch die voreheliche Keuschheit gehört. Tristan hat es da als Mann leichter. Nun kann man behaupten es läge alles nur am Trank als magische, übernatürliche Größe, doch muss man betrachten wer den Trank braute - Isoldes Mutter nämlich, eine weise, gelehrte, emanzipierte Frau. Sie ist autark, stark, autoritär, selbstbewusst und selbstständig. So kann sie Herrscherin über die Iren sein und die Wissenschaft der Alchemmie betreiben. Es ist zwar nicht untypisch für die mittelalterliche Epik, dass eine Frau dominante Züge besitzt, aber doch dass sie so viel Einfluss auf die Politik besitzt und Naturwissenschaften betreibt. Eine weibliche Herrscherin, Beraterin des Königs, der sich mehr auf ihr Urteil zu verlassen scheint, als auf ein Männliches. Diese Frau stellt mit ihrer Persönlichkeit jede soziale-höfische Ordnung auf den Kopf, zumindest die Ordnung auf der britischen Insel, indem sie mit ihrer Zauberei Liebe und Fleischeslust produziert. Die Magie einer Eva, nachdem sie vom Baum der Erkenntnis gegessen hat. Eine Frau bringt also die Lust in jene heile, geordnete Welt Tristans, die allen Frieden auflöst. Diese Tatsache erinnert an den paradisischen Sündenfall. Das macht die Isoldefiguren zur Allegorie der Weiblichkeit und der mit der Weiblichket verbundenen Erotik. Sie ist somit Schlüssel zur Zwietracht und zum Konflikt zwischen den Männern und dem Konflikt Tristans mit der höfischen Gesellschaft.

Die Rolle der einzelnen Isolden

Dabei ist es nicht einmal sonderlich bedeutsam, welche Isolde gemeint ist. Auch Brangäne erfüllt ihr Weiblichkeitsklischee. Sie ist nicht achtsam genug und lässt es zu, dass der falsche Liebestrank als Friedenstrank getrunken wird. Um wieder zu Isolde zu kommen, betrachten wir ihre Entjungferung nochmals aus einem anderen Blickwinkel: Isolde sind alle Konsequenzen egal, weil sie als sexuelle Isolde den locus amoenus erschafft, indem alle sozialen Werte und politischen Strukturen niedertritt. Für das Liebespaar bedeutet das aber, dass sie outcasts sind in der Gesellschaft, welche für sie locus terribilis - dieser Konflikt endet in der Flucht ins Paradies. In der Minnegrotte, kann alle Lust und Körperlichkeit frei sein. Doch darf man den Minneort zwar als Lusttempel ansehen, nicht jedoch, als Sodom oder Gomorrha. Marke legitimiert schließlich die Zuneigung Tristans zu Isolde, bzw. Isoldes zu Tristan, bevor sie sein weltliches Reich verlassen. Doch wie findet die Trennung Tristans von Marke genau statt? Durch die Erschaffung einer Venus, die ich nun als Begriff für personifizierte Weiblichkeit verwenden mag, weil kein Name des Romans allein dafür stehen kann, die für Marke bestimmt sein soll - aus weltlicher Sicht - aber sexuell und emotional Tristan verführt, wird die Schwäche des Mannes die Macht der Frau durch die Erotik gegenübergestellt. Der Mann ist verführbar, Tristan, das Ideal, plötzlich nicht mehr unantastbar. Ihm steht ein moralisch einwandfreier Marke gegenüber, der sich wirklich zu Isolde hingezogen fühlt und sie auch ohne Trank - und nicht nur politisch - liebt. Wir haben nun wieder zwei Seelen und zwei Körper - zwei Männer. Der verführte, potente Liebhaber und der moralische, liebende Gehörnte. Diese Charaktere können nicht mehr zusammen finden. Die Venus treibt den Keil tief zwischen diese Männer. Tristan hintergeht also Marke und handelt unmoralisch, unhöfisch und Marke lässt sich von seinen Beratern aufwiegeln gegen Tristan, dem er anfängt - zurecht - zu misstrauen. Es gibt kein reines höfisches Ritterideal mehr. Tristan handelt verwerflich, Marke ist ohne Tristan nicht vollständig, deshalb nur können seine Berater Zwietracht säen. Mit dem verlorenen ideal Ritter, ist die höfische Gesellschaft aus den Angeln gehoben, das Weltbild verrückt.

Fleischliche Lust

Brangäne

An dieser Stelle möchte ich zunächst auf Brangäne eingehen. Sie nimmt eine äußerst eigenartige Rolle ein. Sie ist es, die an Isoldes statt mit Marke Isoldes Brautnacht verbringt - ein großes Opfer, denn sie vertuscht Isoldes verlorene Jungfräulichkeit, indem sie ihre eigene Jungfräulichkeit opfert und sich somit - wie vormals schon Isolde - ins soziale Aus stellt. Nun gibt es mehrere Gründe welche erklären, warum Brangäne auf Isoldes Drängen hin schwört, sich Marke hinzugeben. Erstens erweist sie Isolde damit einen Freundschaftsdienst, indem sie deren Ehre rettet und den Verrat an Marke vertuscht. Somit rettet sie vorerst auch das junge, heimliche Liebesglück Tristans und Isoldes. Zweitens hat Brangäne von der älteren Isolde den Auftrag erhalten, Alles für die jüngere Isolde zu tun, sie zu beschützen und zu hüten. Indem sie den Trank nicht genug gesichert hat, ist sie ihrer zugedachten Aufgabe nicht nachgekommen und hat sich somit schuldig gemacht. Getrieben von ihrem schlechten Gewissen stimmt sie also dem Beischlaf zu. Aufgrund dieser Pflichterfüllung finde ich den Begriff Freundschaft, angewendet auf Brangäne und Isolde, nicht unbedingt passend. Besser wäre es wohl, von „Treueschaft“ zu sprechen. Der Beischlaf ist mit der zweiten Begründung also eine Art Buße, mit dem sich Brangäne entsühnt. dô sie vür Îsolde geleistet, daz si solde, unde ir teidinc ergie, von dem bette sî sich lie. (V. 12631 - 12634) Nachdem Brangäne ihre Schuldigkeit jedoch getan und sich also entsühnt hatte, verlies sie Marke gewissenhaft. Dieses Beispiel soll zeigen, welche Flexibilität das Thema Sexualität im Tristan-Roman besitzt. Zum einen ist es eine perverse Erniedrigung einer jungen Frau als Treuedienst und Buße, zum anderen aber auch soziale Norm. Die Ehe wird immerhin mit dem Beischlaf vollzogen und gefestigt.

Truchseß

Minnegrotte

Zusammen liegen vs. zusammenliegen - Freundschaft, Homo- und Heterosexualität, Keuschheit

Minnegrotte

Tristan und Marjodo

Tristan und Marke

Fazit

Einzelnachweise

Literatur

  • Ehrismann, Otfrid: Theologie und Erotik. Die geistesgeschichtliche Wende der 'Tristan'-Rezeption und ihr Heiterkeitsdefizit, in: Uf der mâze pfat. Festschrift Werner Hoffmann, hg. von Waltraud Fritsch-Rößler, Göppingen 1991 (Göppinger Arbeiten zur Germanistik), S. 115-134.
  • Haug, Walter: Gottfrieds von Straßburg 'Tristan'. Sexueller Sündenfall oder erotische Utopie, in: Strukturen als Schlüssel zur Welt. Kleine Schriften zur Erzählliteratur des Mittelalters, hg. von Walter Haug, Tübingen 1989, S. 600-611.
  • Jaeger, Charles Stephen: Ennobling love. In search of a lost sensibility, Philadelphia 1999 (The Middle Ages series).
  • Jaeger, Charles Stephen: Mark and Tristan. The Love of Medieval Kings and their Courts, in: in hôhem prîse. Festschrift Ernst S. Dick, hg. von Winder McConnell, Göppingen 1989 (Göppinger Arbeiten zur Germanistik), S. 183-197.
  • Krohn, Rüdiger: Erotik und Tabu in Gottfrieds 'Tristan': König Marke, in: Stauferzeit. Geschichte, Literatur, Kunst, hg. von Rüdiger Krohn, Stuttgart 1979 (Karlsruher Kulturwissenschaftliche Arbeiten), S. 362-376.