Sexualität und Erotik (Gottfried von Straßburg, Tristan)
Der Tristan-Roman ist voll von sexuellen und erotischen Momenten. Das sinnliche, wie körperliche Erleben von Liebe, Sexualität, Treue und Freundschaft, ist handlungskonstituierende Größe. Wie ich in diesem Artikel erörtern will, ist es das Fleischliche, das Verlangen, was alle Handlungsstränge antreibt und überformt. Es sollen einige erotischen/sexuellen Motive aufgearbeitet und ihre Bedeutung für den Tristanstoff analysiert werden. Im Zentrum dabei soll stehen, Rollen die Figuren der Isolden mit ihrer Weiblichkeit sexuelles Verlangen motivieren und wie dieses VErlangen schließlich Einfluss hat auf die Handlung. Es soll gezeigt werden, dass das Weibliche im Roman treibende Größe und konfliktkonstituierend ist. Ein weiterer Aspekte soll das Verhältnis zwischen Tristan und Männern sein: Findet ausschließlich Freundschaft statt, oder lassen sich im Umgang der "Freunde" homoerotische Tendenzen erkennen? Zu guter Letzt soll betrachtet werden, wie andere Charaktere des Romans mit ihrer Libido umgehen und zu welchen inneren und äußeren Konflikten diese führt.
Wer pflückt den Apfel und sät Zwietracht?
Tristans und Isoldes erster Kontakt
Betrachtet man Isoldes erstes Erscheinen, so fällt auf, dass nicht etwa diejenige blonde Isolde gemeint ist, sondern deren Mutter: Sie tritt als Heilerin auf, um Tristans Giftwunde zu versorgen. Dabei ist sie voller Mitleid für den verwundeten Spielmann, nicht zuletzt deshalb, weil sie von Tristans Höfischheit beeindruckt ist. Tristan wird von ihr geheilt, weil er einem Ritterideal entspricht. Als Gegenleistung für seine Heilung, soll er die blonde Isolde in höfischem Verhalten (morâliteit V. 8004) und Künsten unterrichten (V. 7967 ff.). Noch erhält keiner von beiden sexuelle Attraktivität; beide sind nur sozial äußerst attraktiv. Tristan wegen seines guten Aussehens und Höfischheit, muss als Idealbild des Ritters betrachtet werden, da das Aussehen nicht zuletzt Abbild alles Inneren ist[Haug: S. 609]. Bei Isolde verhält es sich genau gleich; sie ist das Idealmodell einer frouwe. Zwischen ihnen gibt es keine Erotik, nur keusche, maximal freundschaftliche Zuneigung, weil sie voneinander profitieren können. Tristan genest, Isolde lernt von Tristans künstlerischem Können und wird so der allgemeinen höfischen Norm noch ähnlicher[Haug: S. 609].
Marke und Tristan als ein Herrscher und Bruch
Einige Zeit später empfiehlt Tristan Marke sich eine Frau zu nehmen (V. 8355). Zu diesem Zeitpunkt sind Tristan und Marke von sehr ähnlicher Gestalt. Beide, oder vielleicht gerade in Kombination und Ergänzung bilden ein ritterliches Herrscherbild, das mustergültig ist. Tristans höfische Erziehung und seine jugendliche Potenz, paaren sich mit Markes Altersweisheit und Erfahrung. Ein gerechter, starker, (männlicher) Herrscher entsteht. Tristan und Marke könnte man als eine Person, eine Seele, ein Leib verstehen, da sie sich derartig nahe stehen und ähnlich sind. Auf Tristans Empfehlung hin, schickt Marke Tristan (wen sonst, denn nur Tristans Jugend, Erziehung und Stärke können seinen Plan durchsetzten), um die schöne Isolde als Braut für Marke zu gewinnen. In den Versen 8253 - 8295 schwärmt Tristan - nicht sexuell - von Isolde und empfiehlt sie über 40 Verse lang Marke. Sie ist lustic, ûz erkorn, lûtere, liehte, lûter, ein kint von gebaerden und von lîbe, um nur einige Attribute zu nennen. Ihre sexuelle Attraktivität wird mit keinem Wort erwähnt, diese ist hier maximal impliziert. Tristan beschreibt sie bezeichnenderweise als Helena (V. 8267). Man bedenke, dass Helena der Grund für den Trojanischen Krieg lieferte. Sie selbst war der Streitpol, der die Freundschaft der Griechen mit den Trojanern beendete, die Völker entzweit. Marke und Tristan werden entzweit werden durch eben diese helenische Isolde und der Kampf zwischen dem entzweiten Herrscherbild wird ebenfalls durch die Instanz der List entschieden. Marke entschließt sich also zur politischen Hochzeit und Tristan macht sich auf, Isolde zu gewinnen. Er schafft es. Nur ist ihm Isolde mittlerweile nicht mehr wohl gesonnen, da sie erfahren hat, dass Tristan ihren Onkel umbrachte. Doch wie findet die Trennung Tristans von Marke genau statt? Isolde, die für Marke bestimmt sein soll - aus weltlicher Sicht - aber sexuell und emotional Tristan verführt, offenbahrt gerade dadurch ihre Liebesmacht. Die Schwäche des Mannes wird der Macht der Frau gegenübergestellt. Schwachheit, dein Nam' ist (Mann)! -[1]. Der Mann ist verführbar, Tristan, das Ideal, plötzlich nicht mehr unantastbar. Ihm steht ein moralisch einwandfreier Marke gegenüber, der sich wirklich zu Isolde hingezogen zu fühlen und sie auch ohne Trank - und nicht nur politisch - zu lieben scheint. Wir haben nun wieder zwei Seelen und zwei Körper - zwei Männer. Der verführte, potente Liebhaber und der moralische, liebende Gehörnte. Diese Charaktere können nicht mehr zusammen finden. Venus treibt den Keil tief zwischen diese Männer. Tristan hintergeht also Marke und handelt unmoralisch, unhöfisch und Marke lässt sich von seinen Beratern aufwiegeln gegen Tristan, dem er anfängt - zurecht - zu misstrauen. Es gibt kein reines höfisches Ritterideal mehr. Tristan handelt verwerflich, Marke ist ohne Tristan nicht vollständig; deshalb nur können seine Berater Zwietracht säen. Mit dem verlorenen idealen Ritter ist die höfische Gesellschaft aus den Angeln gehoben, das Weltbild verrückt.
Einbruch der Liebe
Durch den Liebestrank, den die zwei fataler Weise anstatt Wein trinken, um ihren Waffenstillstand zu besiegeln wird Isolde gleichsam zur Venus. Tristan verliebt sich unzerrtrennlich in sie - Isolde sich in ihn. Isolde ist von nun an umkämpftes Sex- und Statussymbol des Romans. Durch die Entfachung der fleischlichen Lust zwischen Tristan und Isolde (natürlich auch Liebe) ist nur noch ein Bruch mit Marke möglich. Tristan und Isolde fühlen sich immer stärker körperlich zueinander hingezogen und fangen an Marke zu betrügen. Ein Treuebruch Tristans Marke gegenüber, der ihm aber gleichsam Isolde zur Frau macht. Und zugleich der Ehebruch Isoldes, die Marke heiraten musste. Wie stark der sexuelle Trieb des Liebespaares sein muss, zeigt die Tatsache, dass Isolde sich schon auf der Überfahrt nach Cornwall, also noch vor der Heirat mit Marke, somit außerehelich und ledig, entjungfern lässt (V. 12404). Sie ist dadurch sozial disqualifiziert. Sie geht jeder weiblichen höfischheit Qualität verlustig, zu der eben auch die voreheliche Keuschheit gehört. Nun kann man behaupten es läge alles nur am Trank als magische, übernatürliche Größe, doch muss man betrachten wer den Trank braute - Isoldes Mutter nämlich, eine weise, gelehrte, emanzipierte Frau. Sie ist autark, stark, autoritär, selbstbewusst und selbstständig. So kann sie Herrscherin über die Iren sein und die Wissenschaft der Alchemmie betreiben. Es ist zwar nicht untypisch für die mittelalterliche Epik, dass eine Frau emanzipierte Züge besitzt, aber doch dass sie so viel Einfluss auf die Politik besitzt und Naturwissenschaften betreibt. Eine weibliche Herrscherin, Beraterin des Königs, der sich mehr auf ihr Urteil zu verlassen scheint, als auf ein Männliches. Diese Frau stellt mit ihrer Persönlichkeit jede soziale-höfische Ordnung auf den Kopf, zumindest die Ordnung auf der britischen Insel, auch indem sie mit ihrer "Zauberei" Liebe und Fleischeslust produziert. Eine Frau bringt also die Lust in jene heile, geordnete Welt Tristans, die allen Frieden zerstört. Diese Tatsache erinnert an den paradiesischen Sündenfall. Gleichzeitig macht es die Isoldefiguren zur Allegorie der Weiblichkeit und der mit der Weiblichket verbundenen Erotik. Liebe ist somit die Magie einer Eva, nachdem sie vom Baum der Erkenntnis gegessen hat[Haug: S. 604]. Weiblichkeit ist somit der Schlüssel zur Zwietracht und zum Konflikt zwischen den Männern und dem Konflikt Tristans mit der höfischen Gesellschaft. So wird aber auch deutlich, dass der Mann der weiblichen Kunst unterlegen ist und ohnmächtig bleibt. Die Frau ist also gerade nicht das schwache Geschlecht, das der eigenen Libido erliegt, sondern der Mann, der sich von der Sexualisierung des Geschehens durch die Frau völlig überrumpeln lässt.
Die Rolle der einzelnen Isolden und der Frau
Dabei ist es nicht einmal sonderlich bedeutsam, welche Isolde gemeint ist. Die Mutter Isolde braut den Trank und hält so das ganz haptisches Zeugnis ihrer Macht in Händen. Für die blonde Isolde, an die Tristan gebunden wird, opfert er alles: Die Aussicht auf Herrschaft in Markes Reich, Markes Erbe, Markes Freundschaft, seine Ehre, Markes Ehre und seine Stellung in der Gesellschaft. Weil ihn Isolde Weißhand so sehr an die blonde Isolde erinnert, heiratet er diese aus Sehnsucht nach der blonden Isolde. Die Macht der Isolde Weißhand ist es also wiederum Tristan an sich zu binden. Alle drei Isolden haben also die Macht den Mann für sich in Besitz zu nehmen. Natürlich ist der Minnetrank das greifbarste Element und klarstes Dingsymbol ihrer Magie. Betrachten wir Isoldes Entjungferung nochmals: Auch Isolde scheinen alle Konsequenzen egal zu sein. Sie erschafft als sexuelle Isolde den locus amoenus ,indem sie alle sozialen Werte und politischen Strukturen niedertritt. Mit der Konstituierung des locus amoenus in der absoluten Liebe des Paares, wird gleichzeitig aber auch der locus terribilis erschaffen - die Gesellschaft, in der sie so nict leben können, weil sie sich entehren. Dieser Konflikt endet in der Flucht ins Paradies. In der Minnegrotte, kann alle Lust und Körperlichkeit frei sein. Marke legitimiert schließlich die Zuneigung Tristans zu Isolde, bzw. Isoldes zu Tristan, bevor sie sein weltliches Reich verlassen. Auch Brangäne erfüllt ihr Weiblichkeitsklischee. Nur liegt ihre Potential gerade im Unvermögen - sie ist nicht achtsam genug und lässt es zu, dass der falsche Liebestrank als Friedenstrank getrunken wird.
Fleischliche Lust
Brangäne
An dieser Stelle möchte ich zunächst auf Brangäne eingehen. Sie nimmt eine äußerst eigenartige Rolle ein. Sie ist es, die an Isoldes statt mit Marke Isoldes Brautnacht verbringt - ein großes Opfer, denn sie vertuscht Isoldes verlorene Jungfräulichkeit, indem sie ihre eigene Jungfräulichkeit opfert und sich somit - wie vormals schon Isolde - ins soziale Aus stellt. Nun gibt es mehrere Gründe welche erklären, warum Brangäne auf Isoldes Drängen hin schwört, sich Marke hinzugeben. Erstens erweist sie Isolde damit einen Freundschaftsdienst, indem sie deren Ehre rettet und den Verrat an Marke vertuscht. Somit rettet sie vorerst auch das junge, heimliche Liebesglück Tristans und Isoldes. Zweitens hat Brangäne von der älteren Isolde den Auftrag erhalten, Alles für die jüngere Isolde zu tun, sie zu beschützen und zu hüten. Indem sie den Trank nicht genug gesichert hat, ist sie ihrer zugedachten Aufgabe nicht nachgekommen und hat sich somit schuldig gemacht. Getrieben von ihrem schlechten Gewissen stimmt sie also dem Beischlaf zu. Aufgrund dieser Pflichterfüllung finde ich den Begriff Freundschaft, angewendet auf Brangäne und Isolde, nicht unbedingt passend. Besser wäre es wohl, von „Treueschaft“ zu sprechen. Der Beischlaf ist mit der zweiten Begründung also eine Art Buße, mit dem sich Brangäne entsühnt.
- dô sie vür Îsolde
- geleistet, daz si solde,
- unde ir teidinc ergie,
- von dem bette sî sich lie. (V. 12631 - 12634)
Nachdem Brangäne ihre Schuldigkeit jedoch getan und sich also entsühnt hatte, verlies sie Marke gewissenhaft. Dieses Beispiel soll zeigen, welche Flexibilität das Thema Sexualität im Tristan-Roman besitzt. Zum einen ist es eine perverse Erniedrigung einer jungen Frau als Treuedienst und Buße, zum anderen aber auch soziale Norm. Die Ehe wird immerhin mit dem Beischlaf vollzogen und gefestigt.
Truchseß
Minnegrotte
Zusammen liegen vs. zusammenliegen - Freundschaft, Homo- und Heterosexualität, Keuschheit
Minnegrotte
Tristan und Marjodo
Tristan und Marke
Fazit
Einzelnachweise
- ↑ Shakespeare, William; Hamlet; Reclam Verlag; Stuttgart; 1969; I, 2; S. 15.
Literatur
- Zitationen aus dem Tristan-Text sind zu finden in: Gottfried von Straßburg: Tristan. Mittelhochdeutsch/Neuhochdeutsch. Nach dem Text von Friedrich Ranke neu hg., ins Neuhochdeutsche übers., mit einem Stellenkommentar und einem Nachwort von Rüdiger Krohn. Stuttgart 2007-2008. (RUB 4471-4473).
<HarvardReferences />
- Ehrismann, Otfrid: Theologie und Erotik. Die geistesgeschichtliche Wende der 'Tristan'-Rezeption und ihr Heiterkeitsdefizit, in: Uf der mâze pfat. Festschrift Werner Hoffmann, hg. von Waltraud Fritsch-Rößler, Göppingen 1991 (Göppinger Arbeiten zur Germanistik), S. 115-134.
- [*Haug] Haug, Walter: Gottfrieds von Straßburg 'Tristan'. Sexueller Sündenfall oder erotische Utopie, in: Strukturen als Schlüssel zur Welt. Kleine Schriften zur Erzählliteratur des Mittelalters, hg. von Walter Haug, Tübingen 1989, S. 600-611.
- Jaeger, Charles Stephen: Ennobling love. In search of a lost sensibility, Philadelphia 1999 (The Middle Ages series).
- Jaeger, Charles Stephen: Mark and Tristan. The Love of Medieval Kings and their Courts, in: in hôhem prîse. Festschrift Ernst S. Dick, hg. von Winder McConnell, Göppingen 1989 (Göppinger Arbeiten zur Germanistik), S. 183-197.
- Krohn, Rüdiger: Erotik und Tabu in Gottfrieds 'Tristan': König Marke, in: Stauferzeit. Geschichte, Literatur, Kunst, hg. von Rüdiger Krohn, Stuttgart 1979 (Karlsruher Kulturwissenschaftliche Arbeiten), S. 362-376.