Die "Reinmar-Lieder" Walthers von der Vogelweide (Ricarda Bauschke)

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Literarische Kommunikation als Form der Selbstinszenierung

Einleitende Informationen

Ricarda Bauschke thematisiert in ihrem Essay[1] das „Schachlied“ genannte Werk Walthers von der Vogelweide. Dieses stellt eine Parodie des Liedes „Ich wirbe umb allez daz ein man“[2] (Lied XI, 1; M. F. 159, 1) Reinmars von Hagenau dar. Zum besseren Verständnis hier die persiflierten Passagen aus Reinmars Lied in der Übersetzung Schweikles: Der Sänger bevorzugt sein „wîp“ gegenüber anderen mit den Worten „Lobe ich sie, wie man andere Damen lobt, das nimmt sie mir niemals als angemessen ab“ und kommentiert ihre Tugendhaftigkeit mit den Worten „daz ist in mat!“ (in etwa: Das ist das Matt für alle anderen Frauen, keine kann ihr gleichkommen). Eine weitere Stelle, auf die sich Walthers Parodie bezieht, handelt vom Kussraub Reinmars (Lied XI, 3; M. F. 159, 37): „[...] dass ich von ihrem wohl-redenden Mund einen Kuss stehlen kann [...]“. Für den Fall, dass die Dame ihm dies übelnehmen sollte, nimmt er sich vor: „Da nehme ich ihn eben und trage ihn wieder dahin zurück, wo ich ihn wegnahm“. In Lied XIX, 3; M. F. 170, 15 bezeichnet Reinmar seine Auserwählte schließlich als „mîn ôsterlîcher tac“, „seinen österlichen Tag“, paraphrasierbar als „seine Auferstehungsfreude“.

Zusammenfassung des Essays

Stand der Überlieferung

Der Essay beginnt mit einem Überblick zu Überlieferungssituation und Edition von Walthers Lied[3], das nur in Handschrift C (Manessische Liederhandschrift) vorzufinden ist. Die dortige Fassung weist deutliche metrische Abweichungen zu Reinmars Lied auf, was im Widerspruch zur Vorrede „In dem dône: Ich wirbe umb allez, daz ein man“ steht. Dennoch kritisiert Bauschke metrisch bearbeitete Varianten etwa von Karl von Kraus, die eine völlige Angleichung an Reinmar zum Ziel haben, da die erforderlichen Konjekturen stets spekulativ bleiben müssten.

Walthers Text

Anschließend wird eine Paraphrase und Wiedergabe des Gedankenganges von Walthers Text vorgenommen. Bauschke betont vor allem den parodistischen Charakter des Liedes, durch den Walther Kritik an Reinmars Lied übt und den der Schreiber von Handschrift C durch den Vermerk „In dem dône: Ich wirbe umb allez daz ein man“ kenntlich gemacht hat. Walther benutzt weiterhin einen Sprecherwechsel, indem zunächst in der ersten Strophe ein anderer Dichter Reinmars Vorgehen kritisiert, während in der zweiten Strophe die Frau zur Sprache kommt, der Reinmar den Kuss gestohlen hat. Die Kritik des Dichters bezieht sich vor allem auf das Überloben Reinmars, der seine Frau in der Tugendhaftigkeit „ander frouwen“ (XI,1, V. 5)[4] voranstellt, sie somit auf Kosten aller anderen Frauen erhöht. Dies „spreng[e]“ das „System ´Minnesang`“ (S. 66). Walther zeige, dass Reinmar damit seiner Dame keinen Gefallen tut („bezzer wære mîner frouwen senfter gruoz“, 81,1, V. 8)[5]. Die Vorwürfe, die Reinmars Dame in Walthers Lied gegen Reinmar erhebt, beginnen zunächst mit der Vergewisserung ihrer moralischen Integrität – die ja auch Reinmar betont hatte – und der ein Kussraub nicht schaden könne. Vielmehr würde sich der Raubende dadurch zum Dieb herabqualifizieren. Die Dame lehnt Reinmars Minne damit endgültig ab. Im Anschluss werden verschiedene Übersetzungsvorschläge des Verses „bezzer wære mîner frouwen senfter gruoz“ (81,1, V. 8) diskutiert, der konstitutiv für das Verständnis des ganzen Liedes sei. Bauschke wendet sich gegen die vielfach vertretene Interpretation der Worte „mîner frouwen“ als Genitivattribut zum Subjekt "gruoz" (Paraphrase: „Besser wäre der sanfte Gruß meiner Dame“) und spricht sich für die Lesart als freier Dativ aus (Paraphrase: „Meiner Dame wäre ein sanfterer Gruß lieber“)[6].

Typenhorizont

Walthers Lied, so Bauschke, ist ausschließlich als Antwort auf Reinmars provozierende Äußerungen und nicht als programmatisches Minnelied zu deuten. Der von der älteren Forschung vertretenen Auffassung, es handele sich hierbei um eine generelle Absage an Reinmars Verzichtethik, liege die Annahme zugrunde, Walthers Kritik falle unangemessen scharf aus. Sie müsse daher durch die Interpretation des Liedes als Minneprogramm gerechtfertigt werden. Als Gegenargument führt Bauschke an, dass Walthers Kritik durch die Art und Weise des Angriffs von Reinmar durchaus begründet sei. Dass dies die Zeitgenossen auch so empfunden hätten, lege unter anderem ein Zitat Wolframs von Eschenbach nahe, in dem sich dieser implizit, aber eindeutig auf die beiden Lieder bezieht.

Ein weiterer Beleg der These, es handele sich um eine eigenständige Minneprogrammatik, sei ebenfalls nicht haltbar, nämlich die Annahme, die beiden Frauen aus Strophe I und II seien identisch, gar auf eine historische Person zurückführbar. Laut Bauschke beziehe sich Strophe I vielmehr allgemein auf die „Dame als Teil der Minnesangpoetik“ (S. 72), während in Strophe II eine konkret existierende "frouwe" entworfen werde, die dennoch den traditionellen Rolleneigenschaften des Minnesangs entspreche. Im Vergleich mit Reinmars stumm bleibendem "wîp", welches keine Reflexion der Frauenrolle innerhalb des Minnesangs darstelle, zeige Walthers "frouwe" einerseits die „poetologische Dimension“ (S. 72) der „Minnesang – frouwe“ (ebd.), andererseits die Tatsache, dass diese ausschließlich innerhalb der Dichtung existiere.

Walther und Reinmar

Für die Beziehung zwischen Walther und Reinmar ergeben sich laut Bauschke aus dem thematisierten Lied folgende Konsequenzen:

  • Sie haben sich gekannt (da Walthers Lied dem Publikum nur mit Kenntnis der Verse Reinmars` verständlich sein konnte).
  • Sie befanden sich eine Zeit lang am selben Ort; man nimmt an, es handele sich um den Babenberger Hof zu Wien
  • Ihre sogenannte "Fehde" erreichte einen hohen Grad an Popularität, da die eigentlich zeitverhaftete Parodie Aufnahme in die viel später verfasste Manessische Liederhandschrift fand.

In der Diskussion, ob Reinmars Lied M. F. 196,35ff. einen weiteren Beitrag im Disput mit Walther darstellt, ergreift Bauschke abschließend für die Seite Partei, die zumindest in Strophe II eine Antwort Reinmars auf die Vorwürfe Walthers sieht. Reinmar nehme eine subjektive Position ein; Damit begegne er der Kritik Walthers, durch ein objektiv scheinendes Urteil seine Dame in unzulässiger Weise über andere erhoben zu haben. Das Lied, so Bauschke, funktioniere aber auch außerhalb des Fehde-Kontextes als Verteidigung gegen im Lied imaginierte Kritiker.

Quellen

  1. Bauschke, Ricarda (1999): Die "Reinmar-Lieder" Walthers von der Vogelweide. Literarische Kommunikation als Form der Selbstinszenierung. Heidelberg: C. Winter.
  2. Zitate und Übersetzungen aus Reinmars Lied sind entnommen aus: Reinmar (2002): Lieder. Nach der Weingartner Liederhandschrift (B) ; mittelhochdeutsch/neuhochdeutsch. Durchges. und bibliogr. erg. Ausg. Hg. v. Günther Schweikle. Stuttgart: Reclam.
  3. Walther; Cormeau, Christoph; Lachmann, Karl; Bein, Thomas; Brunner, Horst (1996): Leich, Lieder, Sangsprüche. 14., völlig neubearbeitete Aufl. der Ausg. Karl Lachmanns /. Berlin ;, New York: W. de Gruyter.
  4. Reinmar (2002): Lieder. Nach der Weingartner Liederhandschrift (B) ; mittelhochdeutsch/neuhochdeutsch. Durchges. und bibliogr. erg. Ausg. Hg. v. Günther Schweikle. Stuttgart: Reclam.
  5. Zur Übersetzung dieser umstrittenen Zeile ausführlich: Wapnewski, Peter (1975): Waz ist minne. Studien zur Mittelhochdeutschen Lyrik. München: Beck, S. 83ff.
  6. Ausführlicher: Wapnewski, Peter (1975): Waz ist minne. Studien zur Mittelhochdeutschen Lyrik. München: Beck, S. 83ff.