Sangspruch
Neben der Minnelyrik ist der Sangspruch die zweite Hauptgattung mittelalterlicher Lyrik. Ursprünglich findet man Sangsprüche hauptsächlich in mittellateinischer, aber auch in provenzalischer und altfranzösischer Literatur. Im Mittelhochdeutschen war der Sangspruch kaum vertreten[Ehrismann: S.16]. Er zeichnet sich durch thematische Heterogenität sowie räsonierenden, belehrenden oder preisenden Charakter aus. Themen im Sangspruch sind Moral- und Lebenslehre, religiöse Unterweisung, Herrenlob und -tadel sowie die ungesicherte Existenz der Berufsliteraten[Klein: S.166].
Entwicklung und Charakteristika
Die Sangspruchdichtung zeichnet sich vom 12. bis zur Mitte des 14. Jahrhunderts durch eine starke Tendenz zur Eigenständigkeit der Einzelstrophe aus. Jede Strophe kann für sich allein vorgetragen werden und bildet ein abgeschlossenes Ganzes, wobei es Ausnahmen gibt, bei denen Strophen formal und inhaltlich miteinander verknüpft werden.[Baldzuhn: S.55] „Aber aufs Ganze gesehen ist die Eigenständigkeit der Einzelstrophen in der Sangspruchdichtung dieser Zeit weit größer als im Minnesang." (Baldzuhn 2002, S.55) Die entscheiden Aussagen werden am Schluss platziert.
Die Eigenständigkeit der Einzelstrophe löst sich zur Mitte des 14. Jahrhunderts allmählich auf. Der Sangspruch entwickelt sich über die Reformation zum Meistersang. Jener zeichnet sich im Gegensatz zum Sangspruch durch mehrstrophige Lieder aus. Überlieferte Einzelstrophen aus älteren Zeiten werden durch neu gedichtete Strophen ergänzt[Baldzuhn: S.55].
Sangspruch bei Spervogel
Spervogel gilt als der erste große Sangspruchdichter. Die Texte des zweiten großen Sangspruchdichters Herger können inzwischen Spervogel zugeschrieben werden[Scholz: S.41]. Im Nachlass von Spervogels Sangspruchdichtung lassen sich zwei Töne mit gut 50 Strophen finden. Formal gesehen handelt es sich um unstollige Sechs- bis Siebenzeiler, die Strophen mit Kurzzeilen wechseln sich mit solchen ab, die sowohl Kurz- als auch Langzeilen aufweisen. Religiosität, Gnomik, Tierfabeln und Probleme des Herrendienstes und Fahrendenschicksals werden bei Spervogel thematisch behandelt[Scholz: S.41].
Sprecherrollen im Sangspruch
Die Sprecherrollen sind in der Sangspruchdichtung selbstverständlich genauso vielfältig und verschieden, wie in den anderen lyrischen Gattungen der mittelalterlichen Literatur. Aufgrund des oft vorhandenen belehrenden Grundtenors, ist es jedoch besonders häufig, dass die während der Aufführung anwesenden Zuhörer, auch die eigentlichen Adressaten sind, die teilweise sogar direkt angeredet werden. So stellt beispielsweise der Beginn des Gedichts "Ihr sult sprechen willekommen" von Walther von der Vogelweide eine direkte Anrede des Publikums dar und der Sprecher setzt sich noch in der gesamten ersten Strophe mit dem tatsächlich anwesenden Publikum auseinander.
Im Minnesang dagegen ist eher eine Tendenz zu erkennen, die Zuhörer in einer Zeugenrolle zu belassen, die von außen das Gedicht beobachten. Eine Ausnahme, in der der Sprecher das Publikum direkt anspricht ist Walthers Minnelied "Under der linden", wo es im letzten Vers der zweiten Strophe heisst: "Seht, wie rôt ist mir der munt."
Sangspruch bei Walther
Bei Walther lassen die selben Themen wie auch bei Spervogel finden. Walther ergänzt diese Themen noch durch formale und inhaltliche Neuerungen. In beidem war Walther von der Vogelweide traditionsbildend. Der Sangspruch entwickelt sich unter Walther mehr zu einer persönlichen Angelegenheit, wo bei Spervogel noch „man“ stand, steht bei Walther „ich“. Er wagt es zudem, religiöse Themen mit ironischen und sarkastischen Tönen zu versehen. Eine der größten Innovationen Walthers ist jedoch, dass er das Thema Politik in die Lyrik einführt. Er nimmt Bezug auf Personen wie Zeitgeschichte und setzt sich mit dem Zustand der Gesellschaft und der Welt überhaupt auseinander[Scholz: S.41]. Weiterhin führte Walther Neuerungen auf formaler Ebene ein. Während die Vorgänger (Spervogel, Herger) jeweils nur in einem Ton einfacher Bauart dichteten, benutzte Walther an die zwanzig Töne für seine Sprüche. Ein Ton wird jeweils für eine bestimmte Reihe von thematisch zueinander passenden Strophen eingesetzt.
Literatur
<HarvardReferences />
- [*Klein] Klein, Dorothea: Mittelalter. Lehrbuch Germanistik, Stuttgart/Weimar 2006
- [*Baldzuhn] Baldzuhn, Michael: Vom Sangspruch zum Meisterlied, Band 120. Tübingen 2002
- [*Scholz] Scholz, Manfred Günter: Walther von der Vogelweide. 2.Auflage. 2005
- [*Ehrismann] Ehrismann, Otfrid: Einführung in das Werk Walthers von der Vogelweide. 1.Auflage. 2008