Orgeluse (Wolfram von Eschenbach, Parzival)
Orgeluse, die Herzogin von Logroys, ist die Witwe des Cidegast und wird im späteren Verlauf des Parzivalromans zur Ehefrau des Gawan. Ihre Schönheit wird als außerordentlich beschrieben, die nur von Condwiramurs, der Ehefrau des Parzival, übertroffen wird. Als Witwe ist sie über lange Strecken des Romans die einzige Frau, die ihre Herrschaft selbstständig ohne Ehemann zu sicher vermag und die ihre Schönheit in Verbindung mit dem ritterlichen Minnedienst systematisch zum Erreichen ihrer Ziele einsetzt. Besonders auffällig ist ihr selbstbewusstes Auftreten und ihre spöttische Redeweise.
Allgemein
Orgeluses Verbindung von Ehe, Rache und Minnedienst
Orgeluse war mit dem Ritter Cidegast verheiratet, bis dieser von Gramoflanz getötet wurde. Gramoflanz entführte sie daraufhin und versuchte die Ehe zu erzwingen. Sie widersetzte sich im jedoch und sannte fortan auf Rache. Während der Romanhandlung wird deutlich, dass sich mehrere Ritter in ihrem Dienst befinden, wie z.B. Lischoys Gweljus oder der Turkyote, die sie benutzt um einen möglichst starken Gegner für Gramoflanz zu finden. Ebenso befand sich einst auch der Gralskönig Anfortas in ihrem Dienst, bei dem er sich auch seine schwere Verletzung zuzog. Orgeluse hatte ebenso versucht Parzival ihn ihren Dienst zu bringen, doch dieser lehnte mit dem Verweis auf seine Gemahlin Condwiramurs und seine Suche nach dem Gral ab, was der schönen Orgeluse schwer fällt zu akzeptieren:
mînen lîp gesach nie man, | Alle Männer, die mich sahen, |
ine möhte wol sîn diens hân; | konnt ich für mich dienen lassen - |
wan einer, der truoc wâpen rôt | nur nicht den in roter Rüstung [gemeint ist Parzival] |
[...] | [...] |
er sprach, er hete ein schœner wîp, | Er sagte, seine Frau sei schöner, |
unt diu im lieber wære. | außerdem sei sie ihm lieber - |
diu rede was mir swære: | dies zu hören, fiel mir schwer. |
Zum Zweck der Rache nimmt sie aber Gawan in ihren Dienst auf, der nicht nur ihre Prüfungen besteht, sondern auch das Abenteuer auf Schastel marveile überlebt. Der Zauberer Clinschor hatte entschieden, dass derjenige, der das Abenteuer auf der Burg überlebt, Herr über dieses Gebiet und die dort Lebenden sein solle. Mit Orgeluse hatte er vertraglich ausgemacht, dass sie eben dieser Person auch ihre Liebe anbieten solle. Sie hatte dadurch gehofft Gramoflanz anzulocken, der am Abenteuer im Schastel marveile scheitern und umkommen sollte. Der Zweikampf zwischen Gawan und Gramoflanz wird durch die Vermittlung von König Artus mit Rücksicht auf die Liebesbeziehung zwischen Gramoflanz und Itonje, Gawans Schwester, abgesagt. Orgeluse muss ihren Hass gegenüber Gramoflanz überwinden und ihm den Versöhnungskuss geben, was ihr sichtlich schwer fällt:
ir süezer munt rot gevar | Da gab ihr schöner, roter Mund |
den künec durch suone kuste, | dem König einen Friedenskuß. |
dar umb si weinens luste | Sie war dabei den Tränen nah. |
si dâhte an Cidegastes tôt: | Ihr fiel der Tod des Cidegast ein: |
dô twanc si wîplîchiu nôt | die Leidensfähigkeit der Frau |
nâch im dennoch ir riuwe | erzwang auch jetzt noch Schmerz um ihn. |
welt ir, des jeht für triuwe. | Nennt es Treue, wenn ihr wollt. |
Orgeluses Schöhnheit
Orgeluses Aussehen wird beschrieben, als Gawan ihr das erste mal begegnet und ihre Schönheit schlägt ihn gleich in Bann. Allein Condwiramurs schafft es, sie an Schönheit zu übertreffen. Es ist deshalb auch nicht verwunderlich, dass sich eine Vielzahl an Rittern in ihrem Dienst befindet.
mit clârheit süeze was daz wîp, | Die Frau war hübsch, war voller Anmut |
wol geschict unt kurtoys. | war wohlgeformt und courtois; |
si hiez Orgelûse de Lôgroys. | sie hieß Orgelleuse de Logrois. |
och sagt uns d'âventiur von ir, | Ferner erzählt uns die histoire, |
si wære ein reizel minnen gir, | sie sei der Liebeslust ein Köder, |
ougen süeze ân smerzen, | sei eine wahre Augenweide, |
unt ein spansenwe des herzen. | sei Schleudersehne für das Herz. |
Orgeluses Auftreten und Redeweise
Nach dem System der Kalokagathie könnte man meinen, dass "Orgeluse ein tugendhafter, guter Mensch sein müsse", sofern man also von äußerer auf innere Schönheit schließt.[*Michailowitsch 2007] Doch ihr Verhalten und ihre Rede widerspricht diesem Prinzip, denn sie verhält sich unhöfisch, ja regelrecht frech. Für Gawan, den höfischen und vorbildlichen Ritter, hat sie zuerst nur Spott und Hohn übrig. Seine erste Aufgabe in ihrem Dienst ist eher ein Botengang, der gegenüber dem Ritter eine Demütigung darstellen soll. Die Menschen in Orgeluses Gefolge sehen diese Demütigung mit Bekümmern:
>mîner frowen trügeheit | >Unsre Herrin, sie ist falsch, |
wil disen man verleiten | sie will den Mann zu einer |
ze grôzen arbeiten. | großen Plackerei verleiten. |
ôwê daz er ir volgen wil | Wie schlimm, daß er ihr folgen muß - |
ûf alsus riwebæriu zil.< | nur leidvoll kann dies alles enden.< |
Ebenso traurig ist ein grauhaariger Ritter, der Gawan bittet, seiner Herrin nicht weiter zu dienen und sie folgendermaßen charakterisiert:
wan diu ist bî der süeze al sûr, | Sie ist beides: süß und bitter, |
reht als ein sunnenblicker schûr. | wie Hagelschlag aus heiterem Himmel. |
Da zu Beginn Orgeluse, abgesehen von ihrer Schönheit, hauptsächlich negativ dargestellt wird, wendet sich der Erzähler an dieser Stelle an den Leser und bittet darum, die Herzogin nicht gleich zu verurteilen:
swer nu des wil volgen mir, | Beispiel |
der mîde valsche rede gein ir. | Beispiel |
Beispiel | Beispiel |
Beispiel | Beispiel |
Beispiel | Beispiel |
Beispiel | Beispiel |
Orgeluses Wandlung
Die Liebesbeziehung zwischen Gawan und Orgeluse
Bezüglich einer genaueren Darstellung des Minneverhältnisses zwischen Gawan und Orgeluse sei auf den separaten Artikel Gawan und die Facetten der Minne verwiesen.
Quellennachweise
Alle Versangaben beziehen sich auf die Ausgabe: Wolfram von Eschenbach: Parzival. Mittelhochdeutscher Text nach der sechsten Ausgabe von Karl Lachmann. Übersetzung von Dieter Kühn. Kommentiert von Eberhard Nellmann, Deutscher Klassiker Verlag, Frankfurt am Main, 2006.
<HarvardReferences /> [*Bumke 2004] Bumke, Joachim: Wolfram von Eschenbach, 8. Aufl., Stuttgart/Weimar 2004 (Sammlung Metzler 36). [*Michailowitsch 2007] Michailowitsch, Ute: "[S]o frech dürfen schöne Frauen sonst kaum irgendwo sein". Zur Orgeluse-Episode in Wolframs von Eschenbach Parzival. In: Studia Universitatis Babeş-Bolyai, Philologia, LII, 1, 2007.