Das Gottesbild Parzivals (Wolfram von Eschenbach, Parzival)
Der Artikel soll die Wandlung des Gottesbild Parzivals genauer untersuchen. Inwiefern ist das von der Mutter definierte Gottesbild von Dauer und inwiefern spielen die ihm widefahrenden Ereignisse auf der aventîure-Fahrt eine prägende Rolle? Zu Fragen wird auch sein, inwiefern Parzivals Gottesbild eine entscheidende Rolle für die Erfüllung der Prophezeiung - Parzival erlöst Anfortas - darstellt.
Phase 1: Das Gottesbild der Mutter
Das Kind Parzival wird – fernab von jeglicher menschlichen Zivilisation – im Wald von der Mutter aufgezogen. Sein einziger Bezugspunkt – die Mutter – definiert also zunächst auch sein Gottesbild: Auf die Nachfrage, was Gott denn sei, antwortet sie:
» sun, ich sage dirz âne spot. |
_____ |
„Mein Sohn, ich will’s dir sagen, |
er ist noch liehter denne der tac, |
_____ |
ganz im Ernst: Er ist noch heller |
der antlitzes sich bewac |
_____ |
als der Tag; Er macht sich |
nâch menschen antlitze. |
_____ |
zum Ebenbild des Menschen. |
sun, merke eine witze, |
_____ |
Und merke dir die Lehre, Sohn: |
und flêhe in umbe dîne nôt: |
_____ |
bete zu Ihm in der Not. |
sîn triwe der werlde ie helfe bôt. « |
_____ |
Schon immer stand Er zu den Menschen..“ [1] |
(Pz. III, 119, 18-24) |
Es wird also ein ausgesprochen kindlich-naives und keineswegs differenziertes Gottesbild vermittelt, geschweige denn eine Anleitung gegeben, wie man mit Gott gewinnbringend in Kontakt treten kann. Und so ist der „tumbe Tor“ auch durch seine Erziehung entschuldigt, wenn er den ersten Rittern gegenüber steht und sie aufgrund ihrer strahlenden Rüstung für Götter hält.
Phase 2: Theodizeefrage und Lossagung von Gott
Nach Parzivals erster gescheiterter Gralsbegegnung in Munsalvaesche und der anschließenden öffentlichen Ächtung durch Cundry am Artushof, ist für den Gralsritter der Schuldige schnell gefunden – Gott. Es handelt sich also nicht ausschließlich um eine höfisch-gesellschaftliche Krise; Parzival stürzt viel mehr in eine tiefe religiöse Unzufriedenheit. Besonders deutlich wird dies, als Gawan ihm vor seiner Abreise Gottes Beistand wünscht und Parzival im Gegenzug die Theodizee-Frage stellt.
» der Wâleis sprach "wê waz ist got? | _____ | Der Waliser: "Ach, was ist Gott?! |
wær der gewaldec, sölhen spot | _____ | Wenn Er so allmächtig wäre, |
het er uns pêden niht gegebn, | _____ | Seine Macht auch offenbarte, |
kunde got mit kreften lebn. | _____ | hätt Er uns die Schmack erspart. |
ich was im diens undertân, | _____ | Seit ich von Seiner Gnade weiß, |
sît ich genâden mich versan." « | _____ | bin ich Ihm im Dienst ergeben -[2]" |
(Pz. VI, 332, 1-6) |
Doch Parzival geht noch weiter. Direkt im Anschluss sagt er sich vollständig von Gott los.
» nu wil i'm dienst widersagn: | _____ | ich künde Ihm den Dienst nun auf! |
hât er haz, den wil ich tragn. « | _____ | Haßt Er mich, so nehm ich's hin...[3] |
(Pz. VI, 332, 7f.) |
Die Ächtung lässt Parzival also in beiden Welten, der höfischen und der geistlichen, auf der Reputationsleiter wieder ganz unten beginnen.
Phase 3: Trevrizent – Parzivals religiöses Gewissen
Etwa viereinhalb Jahre irrt Parzival durch verschiedene Gebiete, ja ganze Länder auf der Suche nach dem Gral, überall erringt er großen ritterliche Ruhm, dennoch: der erneute Gralsbesuch bleibt aus. Auf einer seinen Irrfahrten gelangt er schließlich ein weiteres, drittes Mal zu Sigune. Als er ihr sein Leid klagt und um einen Rat bittet, ist sie als Erste in der Lage zu formulieren, an was es Parzival wirklich mangelt. Zumindest scheint sie es zu ahnen, wenn sie ganz bewusst Gott ins Spiel bringt.
»si sprach "nu helfe dir des hant, | _____ | Sie sagte: "Möge Er dir helfen, |
dem aller kumber ist bekant; | _____ | Der von allen Nöten weiß, |
ob dir sô wol gelinge, | _____ | damit du so erfolgreich wirst, |
daz dich ein slâ dar bringe, | _____ | daß dich die Hufspur dorthin führt, |
aldâ du Munsalvæsche sihst, | _____ | wo du den Mont Sauvage erblickst - |
dâ du mir dîner freuden gihst. | _____ | du sagst mir selbst, dort sei dein Heil.[4] |
(Pz. IX, 442, 9-14) |
Aber sein Hass auf Gott steht ihm weiterhin im Weg. Er kann noch so nah an Munsalvaesche vorbeireiten, zu Gesicht bekommt er weder die Festung, noch das, was sich darin abspielt. Lediglich einen Kampf mit einem der Gralsritter absolviert er, in direkter Nähe zu der Burg. Aber auch hier versucht er erst gar nicht, zu fragen, ob und wie er zur Gralsburg kommt, seine einzigen Gedanken sind, wie er den nächsten Zweikampf gewinnen kann. Doch Aussicht auf Besserung ist in Sicht: Parzival begegnet dem Einsiedler Tevrizent. Bezeichnenderweise gelangt er zu ihm, da er am heiligen Karfreitag bewaffnet und in voller Rüstung umherstreift und von einer pilgernden Familie aufgehalten wird, die ihm ein demütiges Leben und Gottvertrauen vorleben, was Parzival zum Nachdenken und Umdenken bewegt. Er räsoniert anschließend auch:
er sprach "ist gotes kraft sô fier | _____ | Er sprach: "Ist Gottes macht so groß, |
daz si beidiu ors unde tier | _____ | daß Er die Pferde, alle Tiere |
unt die liut mac wîsen | _____ | und die Menschen lenken kann, |
sîn kraft wil i'm prîsen. | _____ | so preis ich vor Ihm seine macht. |
Beispiemac gotes kunst die helfe hân, | _____ | Kann mir Seine Weisheit helfen, |
diu wîse mir diz kastelân | _____ | so lenke sie den kastilianer |
dez wægest umb die reise mîn: | _____ | auf diesem Ritt, so gut es geht |
sô tuot sîn güete helfe schîn: | _____ | damit beweist er Seine Güte. |
nu genc nâch der gotes kür. | _____ | Lauf zum Ziel, das Gott dir zeigt!" |
(Pz. IX, 452, 1-9.) |
Bereits zum zweiten Mal überlässt Parzival seinem Pferd die Zügel und zum zweiten Mal lässt sich Gottes Arm dahinter erahnen: Parzival gelangt zu seinem Oheim Tevrizent. Aber Parzivals Gotteshass ist noch nicht überwunden, er klagt dem frommen Einsiedler sein Leid mit Gott.