Die ritterlichen Tugenden im Parzival, (Wolfram von Eschenbach, Parzival)
Ritterliche Tugenden im Allgemeinen
Das Leben eines Ritters im höfischen Roman war geprägt von Tugenden. Diese bestanden aus verschiedenen Pflichten und Rechten, die dem Ritter zuteil wurden und ihn als einen adeligen Mann auszeichneten. Der folgende Artikel geht auf die ritterlichen Tugenden in Wolframs von Eschenbach Parzival ein und beleuchtet diese aus verschiedenen Perspektiven.
Die Belehrung Gurnemanz
Eine Belehrung zum richtigen Verhalten eines adligen jungen Mannes findet sich im dritten Buch. Parzival wird dort vom dem Wirt Gurnemanz über die unterschiedlichen Tugenden aufgeklärt, nach denen er sich zu verhalten hat. In diesem Auszug aus dem "Tugend-Katalog" erwähnt der Wirt folgende Punkte:
Genügsamkeit
(170, 16-20)
Original | Übersetzung |
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ir sult niemer iuch verschemn.
verschamter lîp, waz touc der mêr? der wont in der mûze rêr, dâ im werdekeit entrîset unde in gein der helle wîset. |
Seid niemals unverschämt -
ein Leib, dem das Gefühl von Scham und Schande abgeht, was sollte der noch taugen? Der ist ein Habicht in Mauser, mit dem geht's abwärts: Sein Adel fällt ihm aus und deutet ihm den Weg, den er zur Hölle nehmen wird. |
Laut dem Tugend-Katalog des Wirtes Gurnemanz musste ein Ritter gütig und hilfsbereit, arm und reich zugleich, vernünftig und kühn sein (171. 3-8). Des Weiteren sollte er männlich und edel sein, um den Frauen zu gefallen, gleichzeitig jedoch soll er die Frau ehren und ihre Klugheit nicht unterschätzen (172, 7-10).
Erbarmen und Güte
(170, 23-28)
Original | Übersetzung |
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ist hoch und hoeht sich iwer art,
lât iweren willen des bewart, iuch sol erbarmen nôtec her: gein des kumber sît ze wer mit milte und mit gürte: vlîzet iuch diemüete |
Wenn Euer Adel hoch ist und noch höher werden soll,
so habt acht auf Euren Willen, dass Ihr Euch der Leute, die in Not leben müssen, erbarmt. Gegen ihre Leiden müsst ihr kämpfen mit der Kraft des Schreckens und der Güte; Ihr müsst Euch bemühen, den Menschen zu helfen. |
Sehr wichtig für einen Ritter war das Bild, das er von Frauen und Männern haben sollte. Es war ein ungeschriebenes Gesetz, dass Mann und Frau zusammen gehörten und dass diese seit jeher untrennbar eine Einheit bildeten. Auch wird Parzival von Gurnemanz aufgetragen, wie er seine Rüstung zu pflegen hat und wie er sich selbst pflegen muss, um den Frauen am Hof zu gefallen.
Frage und Antwort
(171, 13-21)
Original | Übersetzung |
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gebt rehter mâze ir orden.
ich pin wol innen worden daz ir râtes dürfic sît: nu lât der unfuoge ir strît. irn sult niht vil gevrâgen: ouch sol iuch niht betrâgen bedâhter gegenrede, diu gê reht als jenes vrâgen stê, der iuch wil mit worten spehen. |
Genau so, wie rechtes Maß es fordert, sollt ihr handeln.
Ich habe wohl gesehen, dass Ihr Belehrung nötig habt. Von nun an lasst schlechtes Benehmen seiner Wege gehen. Ihr sollt nicht viel fragen. Ihr sollt aber nicht zögern, vernünftig Antwort zu geben, und zwar so, dass sie an der Frage nicht vorbeigeht, die der andere stellt: Der will Euch ja kennenlernen im Gespräch. |
Die Liste der ritterlichen Tugenden erstreckt sich über weitere vier Seiten und beinhaltet vom Reiten bis zur richtigen Handhabung der schönen Damen viele verschiedenen Pflichten, die der junge Parzival noch zu lernen hat. Dieser Ausschnitt aus dem "Tugend-Katalog" des Wirtes Gurnemanz macht deutlich, dass ein Ritter, der adeliger Herkunft war und sein Ansehen am Hofe stärken wollte, verschiedenen gesellschaftlichen Normen unterlag. Ein wichtiger Aspekt der ritterlichen Tugend war die Fähigkeit zum Kampf. Voraussetzung dafür war die Beherrschung des Pferdes und die damit verbundene Beziehung zum Reiten. Im Kampf musste der Ritter mit Lanze und Schild umgehen können und den Gegner aus dem Sattel stoßen, um einen Zweikampf zu gewinnen.
Fazit
Diese oben beschriebenen Tugenden sind nur ein Teil dessen, was im Parzival an ritterlichen Tugenden vermittelt wird. Sie sind jedoch prägend für Parzival und verändern den jungen Adeligen. Ein Ritter zeichnete das Privileg einer adeligen Erziehung dadurch aus, dass er die erlernten Fähigkeiten und Tugenden anwendete und damit seinen Stand in der höfischen Gesellschaft festmachte. Des Weiteren finden sich zahlreiche Beispiele für die Erprobung dieser erlernten Fähigkeiten im Parzival wieder, welche auf die ritterlichen Tugenden schließen lassen.
Quellenverzeichnis
Bumke, Joachim: Wolfram von Eschenbach. 8. Auflage. Stuttgart/Weimar 2004.
Dallapiazza, Michael: Wolfram von Eschenbach - Parzival. Berlin 2009.
Deinert, Wilhelm: Ritter und Kosmos im Parzival. München 1960.
Reichert, Hermann: Wolfram von Eschenbach, "Parzival" für Anfänger. Wien 2007.
Schulz, Albert: Die Gegensätze des heiligen Grales und von Ritters Orden. Halle 1862.
Sieverding, Norbert: Der ritterliche Kampf bei Hartmann und Wolfram. Heidelberg 1985.