Das Motiv der Doppelung (Wolfram von Eschenbach, Parzival)
Das Motiv der Dopplung durchzieht das Werk Wolframs leitmotivisch. Parzival benötigt nicht nur einen doppelten Anlauf, um Anfortas von seinen Leiden erlösen zu können; der säkularen Artuswelt Hartmanns von Aue wird zudem im "Parzival" die geistlich-christliche Gralsburg Munsalvaesche zur Seite gestellt. So ist das Motiv der Doppelung in vielen weiteren Paaren angelegt: Doppelte Protagonisten mit Parzival und Gawan; Orient und Okzident; zweifache Erziehung (Gurnemanz und Trevrizent); usw...
Orient und Okzident
Wolfram bemüht sich in "Parzival" intensiv um eine Darstellung des Orients, die für den Literaturbetrieb des Mittelalters relativ ungewöhnlich anmutet. Diese Sicht auf den Orient kann anhand mehrerer Antagonismen aufgezeigt werden, die Wolfram in ihrer Gegensätzlichkeit auch immer wieder zu versöhnen sucht.
Parzival und Feirefiz
Parzival und Feirefiz sind Söhne ein und desselben Vaters, allerdings unterschiedlicher Mütter.[1] Die beiden Brüder treffen in der Handlung erst relativ spät aufeinander und erkennen sich zunächst nicht, was zu einer kriegerischen ersten Begegnung führt. Interessant an diesem Kampf ist vor allem die absolute Gleichwertigkeit der Kämpfenden: Sie stehen sich in ihren Fähigkeiten in nichts nach, sie beschwören beide die kraftgebende Macht der Minne herauf und schöpfen beide Kraft aus verschiedenen Steinen: Parzival aus dem Gral; Feirefiz aus Edelsteinen aus dem Orient. Der Erzähler zieht hier bewusst Parallen zwischen den Brüdern. Die durch Hautfarbe, Religion und geographischer Herkunft ungleichen und verschiedenen Brüder scheinen sich so fremd nicht zu sein.[2][Bumke 2004: 115f.][Delabar 1990: 169-179.]
Christen und Heiden
In der Literaturproduktion bis zum Hochmittelalter war das Verhältnis gegenüber der Alterität - insbesondere gegenüber der fremden Religion - von Ressentiments geladen und mitnichten um Objektivität und Differenzierung bemüht[Schmieder, Kühnel, Fried]. In den meisten Schriften war die eigene, christlich geprägte Kultur sowohl moralisch als auch technisch um Längen überlegen, alle Individuen außerhalb dieses Kulturkreises dagegen "Untermenschen".[S,K,F] Umso ersauntlicher erscheint Wolframs Darstellung der "Heiden" im Parzival, sind sie doch ausgesprochen zivilisiert, human und auch optisch ansprechend.[3] Doch so schön und anmutig Belacane und ihr gesamter Hofstaat auch durch den Erzähler beschrieben werden, so verwendet Gahmuret dennoch ihren anderen Glauben als Argument, um sie zu verlassen und in die Ferne zu ziehen.[4] Und auch an späterer Stelle gilt für Feirefiz, dass er dem "falschen" Glauben abschwören, ja sich taufen lassen muss, um das für ihn ausersehene Amt am Gralshof antreten zu können.[5] Der heidnische Glauben wird dem Christlichen also auch bei Wolfram noch untergeordnet, allerdings nicht mehr in der Form herabgewürdigt, dass er als niedere Form der Religion erscheint. In einer vornehmlich christlich geprägten Gesellschaft bedarf es eben auch des christlichen Glaubens, um sich zu bewähren. Deshalb muss Feirefiz sich taufen lassen und deswegen verlässt Gahmuret (als Vertreter des christlichen Mitteralters im Orient) Belacane. Dass diese - für das Seelenheil notwendige - Bedingung Christ zu sein, keineswegs auch für den "heidnischen" Orient gilt, scheint bei Wolfram deutlich angelegt - und lässt damit ein für die Zeit ungewöhnliches Toleranzdenken erkennen.
Geographische Aspekte[6]
Die überwiegend im christlichen Abendland angesiedelte Handlung wird in einer Art Klammer durch Orientbezüge abgerundet. Die Gahmuretabschnitte am Anfang, sowie Feirefiz Übersiedeln nach Indien, um dort das Herrschergeschlecht der Priesterkönige zu gründen, schlagen die Brücke über die christlich-abendländischen Handlungsorte und sorgen so für eine „stark orientbestimmte Umrahmung“[Kunitzsch 1984: S. 79][Bumke 2004: S. 191f.][Spiewok 1977: S. 28].
Zwischenergebnis
Es lässt sich konstatieren, dass Wolframs "Parzival" ganz bewusst die Integration des Orients in den Literaturbetrieb des Hochmittelalters versucht; und das nicht in einer herabwürdigenden Art und Weise: Vermittelt wird ein Bilde des "edlen Heiden"[Deckert 2007: S. 1]
Parzival und Gawan
Transzendenz und Immanenz - Zum Verhältnis von Geistlichkeit und Weltlichkeit
säkularer Artushof und geistlich-christliche Gralsburg
Zweifache Erziehung: Grunemanz und Trevrizent
"Artusreife ist nicht gleichbedeutend mit Gralsreife" [Spiewok 1977: S. 29]
Zur Frage der "Doppelwegstruktur" im Parzival
Anmerkungen
- ↑ Vgl. dazu die Artikel Belacane und Herzeloyde!
- ↑ Die Parallelen sollen sich in der bombastischen Auflistung der unterworfenen Gegner auf die Nachfrage Artus fortsetzen
- ↑ Vgl. bspw.: Pz. I, 54, 21-26.
- ↑ Pz. I, 55, 25; und Pz. I, 57, 25f.
- ↑ Pz. XVI, 816, 26-30; sowie Pz. XVI, 818, 2-12.
- ↑ Vgl. dazu auch den Abschnitt Der Orient als Handlungsort, der eine Auflistung der orientlischen Schauplätze in "Parzival" enthält.
Literatur
<harvardreferences />
[*Bumke 2004] Bumke, Joachim: Wolfram von Eschenbach, 8. Aufl., Stuttgart/Weimar 2004.
[*Delabar 1990] Delabar, Walter: Erkantiu sippe und hoch gesellschaft. Studien zur Funktion des Verwandtschaftsverbandes in Wolframs von Eschenbach "Parzival", Göppingen 1990.
[*Kunitzsch 1984] Kunitzsch, Paul: Erneut: Der Orient in Wolframs ‘Parzival’, in: Ruh, Kurt (Hrsg.): Zeitschrift für deutsches Altertum und deutsche Literatur 113. Bd., Kassel 1984, S. 79–111.
[*Spiewok 1977] Wolfram von Eschenbach: Parzival, hrsgg., übertr. und eingeleitet von Wolfgang Spiewok, Leipzig 1977.