Das Leid im Parzival (Wolfram von Eschenbach, Parzival)
In Wolframs von Eschenbach Parzival ist das Leid des Menschen in der Welt und die Überwindung des Leids ein entscheidendes Thema und in vielerlei Hinsicht präsent. Es scheint ein Grundgedanke des Romans zu sein, dass Leid auf jeden Menschen fällt in unterschiedlichster Art und auf individuelle Weise getragen oder überwunden wird. Bereits der Prolog thematisiert neben Liebe und Glück auch das Leid:
nu hoert dirre âventiure site. | Hört lieber, was es mit der Geschichte auf sich hat: |
diu lât iuch wizzen beide | Sie wird euch |
von liebe und von leide: | Glück und Leiden zeigen, |
[1] (Pz. 3,28-30)
Das Leid im Parzival
Durch den Weg Parzivals stellt Wolfram dar, dass in der Welt zu leben heißt, Leid zu erfahren und es zu überwinden. Der Protagonist Parzival scheint fast schicksalhaft in Leid zu verfallen und bringt ebenso sich selbst und seinen Mitmenschen tiefes Leid. Das Leid kann nach Wolfram in triuwe getragen werden und zum Tod führen. Jedoch kann es auch überwunden und durch das Leid in der Überwindung höchste Freude und Ehre erlangt werden. Wolfram stellt dar wie die Auflehnung gegen das Leid falsche Reaktionen hervorruft und der Mensch nur langsam zur richtigen Erkenntnis gelangt. Präzise beschreibt er wie der Mensch durch das Leid wächst und was das Leid für die seelische Existenz bedeutet. Das langsame Reifen des Helden ist begleitet von leidvollem Erleben in der Welt. Es scheint als verfalle er schicksalhaft in Leid. Das Leiden ist im Parzival ständig präsent, im menschlichen Dasein allgemein, welches hilflos dem Leiden ausgesetzt ist und durch Begegnungen mit anderen Menschen scheinbar zwangsweise in das Leid verstrickt ist. Immer wieder bringt der Mensch Leid über andere oder sich selbst und muss Leid erdulden. Auch werden Menschen dargestellt, die, da sie Schuld auf sich geladen haben, in Leid geraten aber häufig auch solche, die schuldlos in Leid geraten. Wolfram stellt da wie der Mensch Leid für sich oder für andere verschuldet und herbeiführt, sei es durch falsches Verhalten, unbewusst, ungewollt oder bloß durch die eigene Art. Im Folgenden soll speziell Parzivals Leid und seine Entwicklung durch das Leid analysiert werden. Auch werden einzelne Figuren, die während der Handlung in Leid verfallen aufgezeigt. Hierbei ist besonders dauraufinzuweisen, dass es meist Parzival ist, welcher das Leid auslöst.
Gahmuret
In der Vorgeschichte wird Gahmurets Leid dargestellt. Durch den Tod seines Vaters wird er seines Landes sowie seiner Herrschaft beraubt und vertrieben. In der Ferne versucht er sich in ritterlichen Kämpfen zu bewähren, findet dort jedoch den Tod. Dies stürzt seinen Bruder in Leid, da er ihn zurückhalten wollte. Auch den Frauen Belancane und Herzeloyde bringt er Leid, das Leid der Minne und der Trauer, da er beide verlässt.
Herzeloyde
Herzeloydes Leid beginnt mit dem Tod ihres geliebten Mannes Gahmurets. In Kummer und Klage versunken zieht sie sich zusammen mit ihrem Sohn in die Waldeinsamkeit zurück. Als Parzival jedoch loszieht um Ritter zu werden, wird das Leid für sie unerträglich. Sie stirbt wie es scheint an ihrem gebrochenen Herzen.
Sigune
Sigune leidet ebenfalls unter dem Tod ihres Geliebten Schionatulanders. Er starb in einr Tjost, welche sie von ihm als Minnedienst forderte. Ihr Leid erhält einen Sinn, da sie ihre Forderung als maßlos ansieht und die Schuld für den Tod ihre Geliebten auf sich läd. Sie begiebt sich in Buße, Läuterung und Sühne, verliert ihre Schönheit, lebt in Askese fernab der Gesellschaft in tiefem Jammer und Leid versunken. Ihr Leid und ihre Klage werden im neunten Buch religiös konnotiert, da sie ihr Leid und Leben sukzessive an den Toten angleicht. In der Vereinigung mit dem Geliebten wird ihr Leid schließlich vollendet, sie findet Ruhe im Tod. [Mertens Fleury Katharina 2006]
Jeschute
Parzival treibt Jeschute ins Unglück, da er aus tumpheit den Auftrag seiner Mutter ausführt. Er beraubt sie ihres Ringes, ihrer Brosche uns eines Kusses und ist somit Auslöser der Demütigung durch ihren Ehemann Orilus. Diesem ist allerdings nicht bewusst, dass seine Gattin nicht willentlich Ehebruch beging, sondern von Parzival genötigt wurde. Wolfram beschreibt, dass Jeschute ihr Leid demütig trägt, somit von Gott wieder aufgenommen wird und sich ihr Leid in große Freunde umwandelt. Jeschutes Leidensweg ist einer der Belege dafür, dass für Wolfram das Leid nicht auswegslos ist. Der Mensch kann durch den Glauben an Gott durch Gottes Gnade von seinem Leid erlöst werden. Er stellt immer wieder eine christliche Lösung für das Leid dar.
Gurnemanz
In der Figur Gurnemanz stellt Wolfram eine Form des leidvollen menschlichen Daseins dar [Maurer Friedrich 1969]. Sein Leiden ist begründet in der Trauer um seine drei verstorbenen Söhne, sowie seine Gattin, welche der Verlust der Söhne selbst zum Tode führte. Jedoch bringt auch Parzival Leid über Gurnemanz, da er seine Tochter Lianze nicht zur Frau nimmt und dadurch kein neuer Sohn für Gurnemanz wird.
Condwinamur
Auch hier ist es Parzival, der Leid über Condwinamur bringt. Er stürzt sie in tiefe Trauer, da er sie verlässt. Bereits kurz nachdem er sie von ihrem Leid durch die Belagerung befreite und mit ihr die Ehe einging.
Anfortas
Anfortas leidet aus Sünde. Er verbrachte sein Leben nicht in kiusche, obwohl gerade er als Gralsskönig zur Befolgeung dieser ethischen Forderung in höchstem Maße verpflichtet gewesen wäre. Darus folgt Anfortas immenses Leid:
ez was worden wette | Die beiden waren fertig miteinander: |
zwischen im und der vröude: | er und das Glück. |
er lebte niht wan töude. | Sein Leben war nur mehr ein Sterben. |
(Pz. 230,18-20)
Sein Leid ist so groß, dass es sogar auf die ganze Gralsgesellschaft übergreift. Als Parzival auf Munsalvaesche gelangt, bietet sich ihm ein Bild von nôt und jâmer.
Parzivals Leid
Seit seiner Geburt ist Parzival mit dem Leid konfrontiert. Auf seinem Weg begegnet er dem Leid, verursacht und behebt es. Bereits in seiner Kindheit erlebt er das Leid seiner Mutter Herzeloyde, die sich in tiefer Trauer um ihren Gatten Gahmuret befindet. Sein Rittertum ist gezeichnet von Begegnungen mit dem Leid. Als er auf Jeschute trifft, fügt er ihr Leid zu, indem er sie durch den Raub ihres Ringes und einen Kuss entehrt. Dadurch trägt er wiederum Verantwortung für das Leid, welches ihr durch ihren Gatten Orilus angetan wird. Orilus fügt Jeschute körperliche Gewalt zu und erniedrigt sie öffentlich. Hier verursacht Parzival ein weiteres Mal, jedoch nun indirekt, Leid. Durch den Mord an seinem Verwandten Ither bringt er wiederum Leid in die Welt. Er tötet Ither und löst dadurch tiefe Trauer bei den Frauen auf dem Artushof aus. Auch hier beschreibt Wolfram wie Parzival zuerst Leid direkt verursacht und ein weiteres Mal nun jedoch indirekt, da der Tod weiteres Leid in Form von Trauer herbeiführt. In den folgenden Begegnungen wird ihm Leid vorgeführt. Zuerst durch seine Cousine Sigune, welche unter tiefem Jammer und Trauer um ihren Geliebten Schionatulander leidet und ein weiteres Mal durch Gurnemanz, welcher tiefen Schmerz aufgrund des Todes seiner drei Söhne und seiner Frau leidet. Parzival wiederum bringt Gurnemanz neues Leid, da er seine Tochter Lianze nicht zur Frau nimmt und somit nicht der von Gurnemanz ersehnte neue Sohn für ihn wird. Nach Maurer stellt die Begegnung mit Anfortas Leid, einen entscheidenden Einschnitt in Parzivals Entwicklung dar [Maurer 1969]. Auf Munsalvaesche erlebt er verschiedenste Ausdrucksformen des Leids. Es herrscht allgemein eine drückende, stumme Trauer und weitverbreitet ist der Kummer unter den Rittern und der Gralsgesellschaft. Der Kummer ist Ausdruck des Mitleids gegenüber Anfortas, welcher sich aufgrund seiner Sünde in tiefem Leid befindet. Zum diesem Leid schweigt Parzival. Jedoch nicht ohne Mitleid zu empfinden, sondern weil er sich an Gurnemanz´ Lehre erinnert.
durch zuht in vrâgens doch verdrôz. | doch wollte er nicht ungezogen sein und scheute sich deshalb zu fragen. |
er dâhte ´mir riet Gurnamanz | Er dachte: >Gurnamanz |
mit grôzen triwen âne schranz, | hat mir beigebracht - er ist mir gut und seine Treue ohne Scharte -, |
ich solte vil gevrâgen niht. | daß ich nicht viel fragen soll. |
(Pz. 239,10-13)
Katharina Mertens Fleury merkt hierzu an, dass bei Parzival höfische zuht und affektive Leidenspartizipation miteinander in Spannung stünden. Zwar empfinde er Mitleid, hielte sich aber gehorsam an die Lehre Gurnemanz. Überdies habe er bisher erfahren, dass seine Neugierde bisher immer durch die Erklärung gestillt wurde. So hat Gurnemanz ihn über seine Trauer aufgeklärt und auch Condwinamur berichtete über das Leid auf Pelrapeire. Katharina Mertens Fleury schließt daraus, dass Parzival damit rechnet noch über den Leidenszustand aufgeklärt zu werden. Er stelle die Frage nicht aus mangelndem Mitleid, sondern aus mangelnder Erfahrung mit dem Leid. [Mertens Fleury 2006: S.148]
Durch das Frageversäumnis gelangt er selbst in weiteres und tieferes Leid. Bereits in der Nacht verfolgen in schwere Träume, welche ihm vorausdeuten, dass in Leid erwartet, welches er bisher nicht kannte.
Parzivâl niht eine lac: | Parzivâl lag nicht alleine; |
geselleclîche unz an den tac | mit ihm in seinem Bett war bis zum Morgen |
was bî im strengiu arbeit. | die böse Qual |
(Pz. 245,4) „Es sind Leiden, deren Ursache Parzival bei sich selber suchen muss, und das schmerzt tiefer als angetanes Leid.“ Maurer spricht bei dem folgenden Leid vom Leid der Entehrung.[Maurer 1969: S.119] Es trifft ihn schwer, da er gerade begonnen hatte von ihm angetandes Leid wieder gutzumachen, indem er Orilus und Jeschute wiederversöhnte. Zunächst erfährt er dies durch Sigune, welche ihn für sein mangelndes Mitleid gegenüber Anfortas anklagt und kurz darauf verflucht ihn Cundrîe öffentlich für seine untriuwe, sein mangelndes erbarmen und unterstellt ihm, Schande über den Artushof zu bringen. Dies geschieht zu einem Zeitpunkt als Parzival gerade zu höchster Ehre emporgestiegen ist. Die Worte Cundrîes und Sigunes berauben ihn seiner Ehre und er stürzt in tiefes Leid. Da er sich seines Versagens nicht bewusst ist, sich zu Unrecht angeklagt fühlt, verfällt er in Trotz und zwîvel. Dieser zwîvel verhärtet sich als Gawan ihm Gott als Trostspender vorschlägt. Er beginnt über Gott zu lästern und sagt ihm schließlich die Feindschaft an. Die Folge des schweren Leidens der Entehrung ist somit die Absage an Gott. Wolfram stellt dadurch Parzivals falsche Gotteskenntnis dar, sein mangelndes Vertrauen in die Gnade Gottes. Die Gotteslästerung, der Trotz gegen ihn und schließlich die Absage an Gott sind nach christlichem Verständnis Sünde. Wolfram zeigt, dass tiefes Leid zu Sünde führt und dies ist eine bewusste und willentliche Schuld, welche Parzival durch sein Verhalten auf sich legt. Wolfram stellt jedoch einen Weg aus dem Leid dar. Es ist der Weg der Umkehr durch kiusche und schame. Nach der Belehrung Trevrizents bekennt er sich seiner Schuld, die schame verhindert, dass er völlig in Sünde verfällt . Wolfram zeigt einen Ausweg aus dem Leid, welches durch Sünde verschuldet wurde. Durch riuwe erfährt Parzival die Gnade Gottes und wird somit von seinem Leid erlöst.
Quellennachweise
- ↑ Alle folgenden Versangaben beziehen sich auf die Ausgabe: Wolfram von Eschenbach: Parzival. Text und Übersetzung. Studienausgabe. Mittelhochdeutscher Text nach der sechsten Ausgabe von Karl Lachmann. Übersetzung von Peter Knecht. Mit einer Einführung zum Text der Lachmannschen Ausgabe und in Probleme der 'Parzival'-Interpretation von Bernd Schirok, 2. Aufl., Berlin/New York 2003.
<HarvardReferences />
Forschungsliteratur
[*Mertens Fleury Katharina 2006] Mertens Fleury Katharina, Leiden lesen, Bedeutungen von compassio um 1200 und die Poetik des Mit-Leidens im ,Parzival` Wolframs von Eschenbach, Berlin 2006
[*Maurer Friedrich 1969] Maurer Friedrich, Leid, Studien zur Bedeutungs- und Problemgeschichte besonders in den großen Epen der Staufischen Zeit, München, 1969