Das Turnier von Kanvoleis (Wolfram von Eschenbach, Parzival)
Das Turnier von Kanvoleis ist das zentrale Ereignis des II. Buchs von Wolframs von Eschenbach Parzival. Es steht in einer Reihe mit Gahmurets Kampf vor Patelamunt in dem ersten Buch und Parzivals Kampf um Belrapeire in Buch 4. Die Vätergeneration der eigentlichen Helden des Parzival-Romans kämpft bei diesem Turnier um die Hand der jungfräulichen Witwe Herzeloyde und um die Herrschaft über ihre Länder. Gahmuret geht bereits bei dem Vorabendturnier als Sieger hervor und wird der Mann Herzeloydes.
Die Handlung
Nachdem Gahmuret seine erste Frau die Königin Belacane von Zazamanc verlassen hat, gelangt er mit einem Schiff über das Meer nach Spanien. In Toledo erfährt er, dass sein Cousin Kaylet nach Waleis abgereist ist, um dort an dem Turnier von Kanvoleis teilzunehmen. Die verwitwete Königin Herzeloyde hat dieses Turnier ausgeschrieben und als "prîs" (60,17: Preis) sich selbst und die Herrschaft über ihre zwei Länder Waleis und Norgals versprochen. (Vgl. 60,16f.) Gahmuret reist dorthin. Bereits bei seiner Ankunft in der Stadt wird er von der Königin Herzeloyde und von vielen Schaulustigen bewundert. Aus aller Herren Länder sind Ritter angereist, um an diesem Turnier teilzunehmen. Das Versperspiel beginnt und entwickelt sich zu einem verlustreichen Kampf, in dem die Gesetze der höfischen Ritterschaft keine Geltung mehr haben. [Bumke 2004: Vgl. S. 49] Während des Vesperspiels erhält Gahmuret einen Brief von der frisch verwitweten Königin Ampflise aus Frankreich, in dem sie ihm ihre Liebe und die Herrschaft über ihre Länder anbietet. (Vgl. 76,23-77,18) Neben dieser Botschaft erreicht Gahmuret auch die Botschaft von dem Tod seines Bruders Galoes (Vgl. 80,14-18) und dem Tod seiner Mutter Schoette (Vgl. 92,26-30). Da bereits bei dem Versperspiel ein Großteil der Anführer gefangengenommen wurde, wird das eigentliche Turnier abgesagt und Gahmuret zum Sieger erklärt. Als Gahmuret zunächst auf seinen Anspruch verzichten möchte und sich auch die Boten Ampflises gegen die Heirat von Herzeloyde und Gahmuret aussprechen, wendet sich Herzeloyde an einen Richter, der ihr das Recht zuspricht. (Vgl. 95,27-96,5) Herzeloyde wird daraufhin die zweite Frau von Gahmuret nach dem Hand-und-Land-Prinzip.
Verbindende und vorausweisende Funktion
Gahmuret und Herzeloyde
Das Tunier von Kanvoleis übernimmt eine verbindende Funktion in dem zweiten Buch des Parzival-Romans: [Schirok: Vgl. S. 413] Herzeloyde und Gahmuret, die zukünftigen Eltern Parzivals, begegnen sich zum ersten Mal. Im Anschluss an den Sieg Gahmurets bei dem Vorabendturnier von Kanvoleis beschließen Herzeloyde und Gahmuret dank eines Richterspruches ihre Ehe. Durch diese Zusammenführung Herzeloydes und Gahmurets ist der Grundstein für die eigentliche Handlung des Parzival-Romans gelegt, denn wenige Monate später geht Parzival, der "âventiur hêrre" (140,13: Held der Geschichte?), aus dieser Ehe hervor. Ferner benutzt Wolfram von Eschenbach das Turnier von Kanvoleis um die Eltern des Titelhelden in einem positiven Licht erscheinen zu lassen: Gahmuret wird als der glänzendste Ritter seiner Zeit und Herzeloyde als absolut, gegen alle Widerstände liebende Frau dargestellt.[Brunner : Vgl. S. 61]
Die Vätergenerationen
Parallelen
Das Turnier von Kanvoleis ist nicht das erste große Turnier, das in Parzival geschildert wird. Als Gahmuret in Buch I in Zazamanc ist, nimmt er an dem Kampf vor Patelamunt teil. Dieser Kampf weist erhebliche Parallelen zu dem Turnier von Kanvoleis auf: [Bumke 2004: Vgl. S. 49] Gahmuret reist in ein fremdes Land und kämpft dort vor der Stadt auf der Seite der Herrscherin des Landes. Sowohl in Kanvoleis als auch in Patelamunt sind eine Vielzahl von Rittern aus den unterschiedlichsten Ländern an den Kämpfen beteiligt. Während sich bei dem Turnier von Kanvoleis Ritter aus halb Westeuropa [Bumke 2004: Vgl. S. 50] einfinden, nimmt der Kampf vor Patelamunt "weltumspannende Dimensionen" [Bumke 2004: S. 46] an. Beide Male geht Gahnmuret als Sieger aus den Kämpfen hervor und heiratet die Herrscherin des Landes nach dem Hand-und-Land-Prinzip. Gahmuret zeugt sowohl mit Belacane als auch mit Herzleoyde ein Kind. Er verlässt jedoch beide Frauen noch bevor seine Söhne, Feirefiz und Parzival, geboren sind. Dieses Prinzip der Doppelung zieht sich durch den gesamten Parzival und hat daher bei Wolfram von Eschenbach einen leitmotivischen Charakter. Die Parallelen zu dem Turnier von Kanvoleis beschränken sich jedoch nicht ausschließlich auf die Gahmuret-Handlung. Auch Parzival, Gahmurets Sohn, kämpft in Buch 4 in dem Kampf um Belrapeire für eine Königin, Condwiramurs, und erobert durch seinen Sieg ihre Hand und die Herrschaft über ihr Land. Ähnlich wie Gahmuret verlässt Parzival bald seine schwangere Frau. Das Turnier von Kanvoleis und der Kampf vor Patelamunt übernehmen hier eine vorausweisende Funktion. Ein Vergleich der in ihrer Grundstruktur sich gleichenden Episoden stellt aber auch zentrale Unterschiede zwischen Gahmuret und des eigentlichen "mæres hêrren" (338,7: Helden der Geschichte), Parzivak, heraus. Im Gegensatz zu Gahmurets Liebesbeziehungen steht Parzivals Ehe unter dem Zeichen der Keuschheit und die Liebe zu seiner einzigen Frau, Condwiramurs, wird ihn durch den gesamten Roman hinweg begleiten und stärken.
Erzähltechnik
Quellennachweise
<HarvardReferences />
[*Brunner] Brunner, Horst: Artus der wise höfsche man. Zur immanenten Historizität der Ritterwelt im Parzival Wolframs von Eschenbach, in: Germanistik in Erlangen. Hundert Jahre nach der Gründung des Deutschen Seminars, hg. von Dietmar Peschel (Erlanger Forschungen A/31), Erlangen 1983, S. 61-73.
[*Bumke 2004] Bumke, Joachim: Wolfram von Eschenbach, 8. Aufl., Stuttgart/Weimar 2004 (Sammlung Metzler 36).
[*Schirok] Schirok, Bernd: Perspektiven der Interpretation, in: Wolfram von Eschenbach. Ein Handbuch, hg. von Joachim Heinzle, Berlin/New York 2011, S. 411-?