812: Eine Anweisung Karls des Großen bezüglich immigrierter Hispani: Unterschied zwischen den Versionen

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In den 780ern war den ''Hispani'' von Karl dem Großen gestattet worden, sich auf unbebautem Brachland im Südwesten des Frankenreiches anzusiedeln und dieses durch Kultivierung im Laufe von dreißig Jahren in ihren erblichen Besitz zu überführen. Dieser Prozess der gestaltenden Landnahme wird im ''Praeceptum ''als ''aprisio'' bezeichnet.<ref name="ftn7">Zu diesem Begriff bzw. dieser Form der Landnahme, siehe Jarrett, Settling the King’s Lands, S. 320-342; Lewis, ''Development, ''S. 70-72. Zu seiner Einordnung in die Diskussion um Feudalismus und Lehenswesen siehe Reynolds, ''Fiefs and Vassals'', S. 109-111. Lewis, ''Development'', S. 17-19, argumentiert, dass es sich nicht um kriegsverwüstetes Land handelt, da kriegerische Handlungen in dieser Region immer nur kurzfristig und jeweils nur auf einen Teil des Südwestens beschränkt waren. Somit hätten sie keine großflächigen Verwüstungen anrichten können. Das Vorhandensein von Brachland erklärt er somit aus einer wenig intensiven Landnutzung. Auf der Basis der Untersuchungen von Higounet, L’Occupation, S. 301-330, zur Nutzung von Agrarflächen durch das Kloster Moissac behauptet er, dass im Rahmen der ''aprisio'' im Südwesten des Frankenreiches immer nur bereits urbar gemachte aber wieder verlassene Agrarflächen kultiviert worden seien.</ref> Es wird deutlich, dass sich die Immigranten aus der Perspektive Karls in den letzten dreißig Jahren als ruhige und loyale Untertanen erwiesen hatten, vor nicht allzulanger Zeit aber von Seiten der Grafen, ihrer ''iuniores'' und auch der ruralen Bevölkerung (''pagenses'') unter Druck geraten waren. Das ''Praeceptum'' ermahnt die Grafen (''comites'') nicht nur, den Landbesitz der hispanischen Immigranten unversehrt zu erhalten und keine eigenen Steuern auf ihn zu erheben. Es fordert sie auch auf, schon durchgeführte Besitzentwendungen oder gar Vertreibungen wieder rückgängig zu machen.
In den 780ern war den ''Hispani'' von Karl dem Großen gestattet worden, sich auf unbebautem Brachland im Südwesten des Frankenreiches anzusiedeln und dieses durch Kultivierung im Laufe von dreißig Jahren in ihren erblichen Besitz zu überführen. Dieser Prozess der gestaltenden Landnahme wird im ''Praeceptum ''als ''aprisio'' bezeichnet.<ref name="ftn7">Zu diesem Begriff bzw. dieser Form der Landnahme, siehe Jarrett, Settling the King’s Lands, S. 320-342; Lewis, ''Development, ''S. 70-72. Zu seiner Einordnung in die Diskussion um Feudalismus und Lehenswesen siehe Reynolds, ''Fiefs and Vassals'', S. 109-111. Lewis, ''Development'', S. 17-19, argumentiert, dass es sich nicht um kriegsverwüstetes Land handelt, da kriegerische Handlungen in dieser Region immer nur kurzfristig und jeweils nur auf einen Teil des Südwestens beschränkt waren. Somit hätten sie keine großflächigen Verwüstungen anrichten können. Das Vorhandensein von Brachland erklärt er somit aus einer wenig intensiven Landnutzung. Auf der Basis der Untersuchungen von Higounet, L’Occupation, S. 301-330, zur Nutzung von Agrarflächen durch das Kloster Moissac behauptet er, dass im Rahmen der ''aprisio'' im Südwesten des Frankenreiches immer nur bereits urbar gemachte aber wieder verlassene Agrarflächen kultiviert worden seien.</ref> Es wird deutlich, dass sich die Immigranten aus der Perspektive Karls in den letzten dreißig Jahren als ruhige und loyale Untertanen erwiesen hatten, vor nicht allzulanger Zeit aber von Seiten der Grafen, ihrer ''iuniores'' und auch der ruralen Bevölkerung (''pagenses'') unter Druck geraten waren. Das ''Praeceptum'' ermahnt die Grafen (''comites'') nicht nur, den Landbesitz der hispanischen Immigranten unversehrt zu erhalten und keine eigenen Steuern auf ihn zu erheben. Es fordert sie auch auf, schon durchgeführte Besitzentwendungen oder gar Vertreibungen wieder rückgängig zu machen.


Ihre gute Beziehung zum Herrscher mag es den ''Hispani'' erleichtert haben, den König aufgrund des erlittenenen Unrechtes direkt anzusprechen. Der Ausstellungsort des ''Praeceptum'' in Aachen und die Formulierung ''ad nos venientes ''implizieren nicht automatisch, dass eine Begegnung der 42 namentlich genannten ''Hispani'' mit dem Kaiser in Aachen stattfand.<ref name="ftn8">Depreux, ''Prosopographie'', geht im Zusammenhang mit den Einträgen zu den oben genannten ''comites'' allerdings davon aus. </ref> Man könnte sich vorstellen, dass der Erlass erst nach einer außerhalb Aachens stattgefundenen Begegnung mit dem Kaiser ausgestellt wurde. Da Karl der Große aber zwei Jahre vor seinem Tod (814) nicht mehr so viel herumreiste wie noch in früheren Jahren, erscheint es allerdings vorstellbar, dass die Gruppe der Petenten direkt in Aachen aufschlug und dort das ''Praeceptum'' ausgestellt bekam.<ref name="ftn9">Vgl. Gauert, Itinerar, S. 17: „Nach 806 hat er es [Aachen] nur noch aus aktuellem Anlaß und zur gewohnten Jagd in den Ardennen verlassen.“</ref> Zu überlegen wäre ferner, ob die Formulierung ''ad nos venientes ''lediglich dahingehend zu verstehen ist, dass der Kaiser durch einen Repräsentanten der Petentengruppe oder sogar schriftlich adressiert wurde. Die Umsetzung der kaiserlichen Bestimmungen wiederum sollte zunächst durch die Entsendung eines Königsboten (''missus''), des Erzbischofs Johannes von Arles, dann durch die Intervention von Karls Sohn Ludwig, zu dieser Zeit noch Unterkönig von Aquitanien, garantiert werden.== Kontextualisierung, Analyse, Interpretation  ==
Ihre gute Beziehung zum Herrscher mag es den ''Hispani'' erleichtert haben, den König aufgrund des erlittenenen Unrechtes direkt anzusprechen. Der Ausstellungsort des ''Praeceptum'' in Aachen und die Formulierung ''ad nos venientes ''implizieren nicht automatisch, dass eine Begegnung der 42 namentlich genannten ''Hispani'' mit dem Kaiser in Aachen stattfand.<ref name="ftn8">Depreux, ''Prosopographie'', geht im Zusammenhang mit den Einträgen zu den oben genannten ''comites'' allerdings davon aus. </ref> Man könnte sich vorstellen, dass der Erlass erst nach einer außerhalb Aachens stattgefundenen Begegnung mit dem Kaiser ausgestellt wurde. Da Karl der Große aber zwei Jahre vor seinem Tod (814) nicht mehr so viel herumreiste wie noch in früheren Jahren, erscheint es allerdings vorstellbar, dass die Gruppe der Petenten direkt in Aachen aufschlug und dort das ''Praeceptum'' ausgestellt bekam.<ref name="ftn9">Vgl. Gauert, Itinerar, S. 17: „Nach 806 hat er es [Aachen] nur noch aus aktuellem Anlaß und zur gewohnten Jagd in den Ardennen verlassen.“</ref> Zu überlegen wäre ferner, ob die Formulierung ''ad nos venientes ''lediglich dahingehend zu verstehen ist, dass der Kaiser durch einen Repräsentanten der Petentengruppe oder sogar schriftlich adressiert wurde. Die Umsetzung der kaiserlichen Bestimmungen wiederum sollte zunächst durch die Entsendung eines Königsboten (''missus''), des Erzbischofs Johannes von Arles, dann durch die Intervention von Karls Sohn Ludwig, zu dieser Zeit noch Unterkönig von Aquitanien, garantiert werden.


== Kontextualisierung, Analyse, Interpretation  ==
Das ''Praeceptum'' vom 2. April 812 ist nur vor dem Hintergrund verschiedener Ereignisse in und um die fränkisch-umayyadische Grenzzone der vorangegangenen einhundert Jahre zu verstehen. Am Anfang standen muslimische Razzien ins fränkische Gebiet, die nicht nur in der bekannten Schlacht von Tours und Poitiers gipfelten, sondern auch zu etwa vier Jahrzehnten muslimischer Herrschaft in Narbonne führten (ca. 719-759), die erst Karls Vater Pippin (regn. 751/752-768) im Jahre 759 beendete.<ref name="ftn10">Vgl. <span style="background-color:transparent;">720-759: Das Chronicon Anianense zu Beginn und Ende muslimischer Herrschaft über Septimanien</span>.</ref> Schon unter Pippin hatte sich ein karolingisches Ausgreifen auf die Iberische Halbinsel angedeutet, als ihm nach Aussage fränkischer Quellen der muslimische Gouverneur von Barcelona und Girona 752 beide Städte zur Herrschaft anbot.<ref name="ftn11">''Annales Mettenses priores'', ed. Bernhard von Simson (MGH SS rer. Germ. 10), Hannover: Hahn, 1905, a. 752, S. 43.</ref> Mit Karls Eingreifen auf der Iberischen Halbinsel im Jahre 778 wendete sich das Blatt dahingehend, dass nun tatsächlich karolingische Kräfte Gebiete im Nordosten der Iberischen Halbinsel in Beschlag nahmen und damit eine karolingisch beherrschte Pufferzone um die 801 eroberte Stadt Barcelona ins Leben riefen, die den Grundstein für das spätere Katalonien legte.<ref name="ftn12">Zu diesem ganzen Themenkomplex siehe Sénac, ''Carolingiens et al-Andalus'', S. 13-85, mit einer chronologischen Tafel S. 145-146. Zur Loslösung Kataloniens aus dem karolingischen Orbit dann Zimmermann, Datation, S. 345-375<nowiki>; Zimmermann, Origine</nowiki>, S. 237-255. </ref>
Das ''Praeceptum'' vom 2. April 812 ist nur vor dem Hintergrund verschiedener Ereignisse in und um die fränkisch-umayyadische Grenzzone der vorangegangenen einhundert Jahre zu verstehen. Am Anfang standen muslimische Razzien ins fränkische Gebiet, die nicht nur in der bekannten Schlacht von Tours und Poitiers gipfelten, sondern auch zu etwa vier Jahrzehnten muslimischer Herrschaft in Narbonne führten (ca. 719-759), die erst Karls Vater Pippin (regn. 751/752-768) im Jahre 759 beendete.<ref name="ftn10">Vgl. <span style="background-color:transparent;">720-759: Das Chronicon Anianense zu Beginn und Ende muslimischer Herrschaft über Septimanien</span>.</ref> Schon unter Pippin hatte sich ein karolingisches Ausgreifen auf die Iberische Halbinsel angedeutet, als ihm nach Aussage fränkischer Quellen der muslimische Gouverneur von Barcelona und Girona 752 beide Städte zur Herrschaft anbot.<ref name="ftn11">''Annales Mettenses priores'', ed. Bernhard von Simson (MGH SS rer. Germ. 10), Hannover: Hahn, 1905, a. 752, S. 43.</ref> Mit Karls Eingreifen auf der Iberischen Halbinsel im Jahre 778 wendete sich das Blatt dahingehend, dass nun tatsächlich karolingische Kräfte Gebiete im Nordosten der Iberischen Halbinsel in Beschlag nahmen und damit eine karolingisch beherrschte Pufferzone um die 801 eroberte Stadt Barcelona ins Leben riefen, die den Grundstein für das spätere Katalonien legte.<ref name="ftn12">Zu diesem ganzen Themenkomplex siehe Sénac, ''Carolingiens et al-Andalus'', S. 13-85, mit einer chronologischen Tafel S. 145-146. Zur Loslösung Kataloniens aus dem karolingischen Orbit dann Zimmermann, Datation, S. 345-375<nowiki>; Zimmermann, Origine</nowiki>, S. 237-255. </ref>


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