Beowulf

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Stoffkreis

Historisch

Der Mittelpunkt der Sage bildet der dänische Hof, daher ist es nicht verwunderlich, dass der Autor zunächst mit einer Lobpreisung an den dänischen Stammbaum beginnt. Jedoch sind alle Figuren des Werkes mythische Gestalten. Die Namen des Dänischen Stammbaums richten sich an der alt Nordischen Tradition und können deshalb in einen groben zeitlichen Kontext gesetzt werden. In der hälfte des 12. Jahrhundert findet wird bereits in der Chronik des William of Malmsbury die latinisierten Namen des westsächsischem Stammbaums, wie beispielsweise Beowius und Sceldius. Beowulf gehört somit zu den Gauten, dem heutigen Südschweden, an. Anhand real historischen Ereignissen kann ebenso ein grober Zeitraum geschätzt werden. So fällt 512 Hygelacs der in fränkischen Quellen Cochilacius oder Hugilaicus genannt wird, in der Schlacht am Niederrein. Der Beutezug Hygelac findet sich an vier Stellen des Beowulf wieder (1202-1214, 2354-2368, 2501-2508, 2913-2921) und setzt damit die geschilderten Ereignisse zwischen den Jahren 450 und 550.

Sagenhaft

Frühe Forschungen war der Ansicht, dass sich Beowulf aus verschiedenen Helden- und Preisliedern zusammengesetzt worden war. Durch einen Mönch im 7. Jahrhundert wurden diese Lieder aus der heidnischen Kultur zusammengetragen und durch christliche Werte umgeformt und niedergeschrieben. Das Sagenhafte findet sich primär in den drei Haupthandlungen des Epos wieder (der Grendelkampf, der Grendelmutterkampf und der Drachenkampf). Einen sagenhaften Bezug zum Beowulf findet sich ebenfalls in der nordischen Sage Grettissage.
Wir dürfen wohl annehmen, dass die Quelle der Grettissaga dem Beowulf viel ähnlicher war (als die Saga selber). [1]

Sutton Hoo

In der Sutton-Hoo Ausgrabungsstätte wurde 1939 ein Schiffsgrab eines angelsächsischen Königs entdeckt. Die Provenienz der kultischen Gegenstände sind germanisch-heidnisch angelegt und beinhalten nicht nur klassische wie Helm, Schwert, Schild und Trinkhorn, sondern ebenso einige fränkische Goldmünzen. Anhand der fränkischen Goldmünzen lässt sich das Grab auf die Jahre 620-625 datieren. Wird von diesem Fund ausgegangen, so wird zum einen die enge Beziehung zu Skandinavien deutlich und zum anderen die Frage nach der heidnisch-germanischen Bestattung durch die dänisch-schwedische Herrkunft deutlich.

Christliche Elemente

Der christliche Glauben im Beowulf steht außer Frage. Im Mittelpunkt des Geschehens steht der christliche Gott, dennoch gibt es Ausnahmen. Die Analogien im Text lassen die Voraussetzung an den heidnischen Glauben voraussetzen. Somit muss der Verfasser sich nicht nur mit der christlichen, sondern auch mit dem heidnischen Glauben auseinandergesetzt haben. Einen Gegensatz zu diesen religiösen Richtungen wird vor allem in den Versen 171-188 thematisiert.

Mittelhochdeutsch Übersetzung
helle gemundon An die Hölle dachten sie in ihrem Sinn; den Schöpfer kannten sie nicht,
in mōdsefan, metod hīe drehten god, den Richter der Taten, noch wussten sie (etwas) vom Herren Gott,
nē hiē hūru heofena helm herian ne cūþon, noch verstanden sie es, den Schützer des Himmels zu preisen,
wunders waldend. den Walter der Herrlichkeit.

(V. 171-188) [2]

Jedoch bleiben beiden Religionen nur vage beschreiben. Die Deutung der Christen lässt Beowulf in zwei Richtungen deuten. Zum einen eine allegorische Deutung, bei der Beowulf als Retter und Erlöser hingestellt wird, zum anderen exegetische Richtung. In ihr wird versucht Beowulf in einen patristischen Kontext zu stellen.

Entstehungsgeschichte und Eckdaten

Entstehungszeit und Entstehungsort

Genaue Daten, wann das Werk entstanden sei, sind nicht bekannt. Es wird bereits auf 700 n. Chr., noch vor dem Nibelungenlied, datiert. Anhand sprachlicher Eigentümlichkeiten wurde die Entsehung des Werkes zunächst 750 n. Chr. geschätzt.Dies wurde jedoch wieder verworfen, da es aus Sprachwissenschaftlicher Sicht Ungereimtheiten aufwies, wie beispielsweise eine inkorrekte Form der kontrahierten Vokale in einigen Wörtern. Neue Forschungen zeigen, dass es in der zweiten Hälfte des 7. Jahrhunderts eingeordnet werden kann. Anhand der nordischen Heldendichtungen des 6.-7. Jahrhunderts lässt sich dies genauer einkreisen. Mithilfe einer archäologischen Entdeckung des Schiffsgrabes eines angelsächsischen Königs von Sutton-Hoo im Jahr 1939 kann die Entstehungszeit des Werkes auf das 7. Jahrhundert datiert werden. Die Bezeichnung ‚Angelsachsen‘ zielt dabei mit Bestimmtheit auf die germanischen Stämme der Küstenlandschaften im 5. und 6. Jahrhundert ab, die zwischen den Niederlanden und Norwegen auf die britische Insel gewandert waren. Sie eroberten diese Insel und verdrängten daraufhin die Kelten. Unter Sir Robert Cotton wurde in seiner Bibliothek zwei Kodizes vereint. Zum einen der Southwick-Kodex in der die Folios 4-93 enthalten sind. Zwar waren im Kodex ebenso die Folio 1-3 enthalten, jedoch wurden diese 1913 durch fehlendes altenglisch, entfernt. Der zweite Kodex umfasst die Restlichen Folios 94-209 und wird als Nowell-Kodex bezeichnet. In diesem Kodex befinden sich unter anderem ein Prosatext, der sich thematische mit ‚exotischen Monster‘ befasst. So findet sich unter diesen Prosatexten eine Beowulf Passage. Durch einen Brand in der Cotton-Bibliothek am 23.10.1731 wurden die Seiten des Beowulfs beschädigt.

Der Autor

Einen konkreten Autor für dieses Werk gibt es nicht, viel mehr basiert es auf vielen zusammengesetzten Überlieferungen und Sagen. John Ronald Reuel Tolkien setzte sich intensiv mit dem Beowulf auseinander und kam zu Folgender Theorie. Beowulf sei ein poetisches Werk von einem Autor, der versucht, die vergangenen, heroischen und sorgenvollen Zeiten in etwas permanentes und Symbolisches zu schaffen. Er versucht erstens sich an die Aufgabe zu wagen, die christlichen Wertvorstellungen mit der Sage zu vereinen und dies auf Papier zu bringen. Und zweitens versucht der Autor mithilfe des Werkes das Überbringen von alten Traditionen und Werten. In seiner Vorlesung ist Tolkien der Meinung Its author is stillconcerned primarily with man on earth, rehandling in a new Perspektive an ancient theme: that man, each man and all men, and all their Works shall die. [3] Martin Lehnert beschäftigt sich ebenso mit der Frage des Autors und gelangt zu Folgendem Ergebnis. Der Dichter des Beowulf Werkes sei vornehmlich ein humanistischer, geistlicher mit Beziehung zum mercischem Hof. Er sei mit germanischen Sagen gut vertraut. Besonders Vergils Aeneis scheint ihn beeinflusst zu haben (was sich auf das 8. Jahrhundert zurückführen lässt, da dieses Werk zu dieser Zeit das meistgelesene weltliche Lateinbuch in England war). (Er versucht die heidnisch-germanischen Ideale mit der der christlich-antiken zu vereinen, welches ihm nicht an allen Stellen gelungen ist.). Der Indentität des Autor anhand der Figuren ausfindig zu machen, ist zwar ein guter Ansatz, jedoch vergeblich.
The search for the identity of the Beowulf Poet seems largely futile, and what Thorkelin sagely observed in 1815 obtains today: 'one might as well roll the rock of Sysiphus' as try to identify 'our unnamed, unwept poet'. Specifying what type of Poet the author was, on the other hand (e.g. singer of tales or a literate author, either layperson or cleric), remains an important, if elusive, enterprise [4]

Inhalt und Struktur mit Textbeispiel

Das Epos beginnt mit einer Einführung ins dänische Königsgeschlecht der Schildinge, vom mythischen Begründer des dänischen Königshauses Scyld, über dessen mythischen Nachkommen Beowulf (hierbei handelt es sich nicht um den Protagonisten des Epos), den halbhistorischen Healfdene, und dessen historisch-belegbaren Söhne Heorogar, Hrothgar und Halfa sowie einer Tochter. Der Dänenkönig Hrothgar lässt die große Festhalle Heorot errichten. Es folgen nächtliche Angriffe des Ungeheuers Grendel, welcher sich über in der Halle schlafende Gefolgsleute hermacht und sie tötet. Die Halle wird nach wiederholten Angriffen des Ungeheuers aufgegeben. Beowulf, der Neffe des Gautenkönigs Hygelac, beschließt Hrothgar zu helfen und reist mit seinen Gefolgsleuten nach Dänemark um gegen Grendel zu kämpfen. Er stellt sich Grendel im Zweikampf und siegt. Es herrscht Jubel über Beowulfs Erfolg. Beowulf wird von Hrothgar für seinen Sieg reich beschenkt und gepriesen. Die Feierlichkeiten werden erweitert um die sogenannte Finnsburgepisode: Hrothgars Hofsänger trägt ein Lied über den Kampf um Finnsburg vor. Anschließend muss sich Beowulf im Kampf gegen die rachsüchtige Mutter Grendels beweisen, welche die Festhalle Heorot attackiert, um den Tod ihres Sohnes zu vergelten. Er verfolgt sie in ihre Unterwasserhöhle, wo er sie nach hartem Kampf tötet und die Leiche Grendels vorfindet, den er abschließend enthauptet. Den Kopf und ein erbeutetes Schwert trägt er zurück zu den wartenden Männern. Es folgt ein Festmahl, und Hrothgar hält eine moralisierende Rede. Reich beschenkt kehren Beowulf und die Gauten zurück ins Gautenland und berichten König Hygelac von ihrem Erfolg. Beowulf überbringt die erhaltenen Schätze dem König und erhält im Gegenzug von diesem ein Schwert, einen Fürstentitel und großen Landbesitz. Nach dem Tod König Hygelacs und dessen Sohnes Heardred wird Beowulf zum Gautenkönig gewählt und regiert 50 Jahre lang glücklich, bis der Frieden jäh gestört wird: ein entlaufener Sklave stößt auf eine Drachenhöhle und entwendet einen goldenen Becher. Erzürnt über den Diebstahl zerstört der Drache große Teile des Landes, darunter auch Beowulfs Festhalle. Der König entscheidet sich gegen den Drachen zu kämpfen, um so der Verwüstung Einhalt zu gebieten. Beowulf ahnt einen schlimmen Ausgang des Kampfes, und hält vor seinen Gefolgsleuten eine düstere Rede, bevor er sich dem Drachen gegenüberstellt. Der folgende Drachenkampf kostet sowohl Beowulf als auch den Drachen das Leben. Der sterbende König besieht den Drachenschatz und gibt Anweisungen für seine Bestattung in einem Grabhügel am Meer. Beowulf wird wie gewünscht von seinen Gefolgsleuten beigesetzt, zusammen mit dem erkämpften Drachenhort. Sein Verwandter Wiglaf wird der neue König der Gauten.

Struktur

Der Beowulf weist ein besonderes Stilmittel auf, dass Verflechtungsstruktur bzw. interlace structure genannt wird. Der Begriff der interlace structure wurde zum ersten Mal von John Leyerle als künstlerisches Stilmittel altenglischer Manuskriptillustrationen und Schnitzereien auf ein literarisches Werk, den Beowulf, übertragen. [5] Dieses Stilmittel zeichnet sich dadurch aus, dass alle Stränge der Nebenhandlung wie in einem Gewebe mit der Haupthandlung verflochten sind. Die vielen inhaltlichen Exkurse und abschweifenden Episoden im Epos, wie zum Beispiel die Finnsburg-Episode oder die Hygd-Abschweifung nach dem Kampf gegen Grendels Mutter, sind auf diese Weise eng mit der Haupthandlung verbunden und tragen thematisch zum Handlungsverlauf bei. Löst man auch nur einen Strang der Nebenhandlung aus dem Gewebe heraus, so würde das gesamte narrative Flechtwerk zerfallen. [6] Die Verflechtungsstruktur im Beowulf betont nicht Beowulfs Weg zum Heldentum oder persönliche Eigenschaften des Helden, sondern legt den Schwerpunkt auf die Kämpfe gegen die drei Monster. Biographische Informationen werden hier und da eingestreut und mit anderen narrativen Strängen verflochten. [7] In der Forschung herrscht keine Einigkeit über eine strukturelle Gliederung des Epos. Es gibt zwei weit verbreitete Ansätze zur Unterteilung des Texts, einmal eine Unterteilung die den Helden Beowulf in den Mittelpunkt stellt, und eine Unterteilung die sich auf die Kampfhandlungen konzentriert. Es gibt drei Kämpfe, die die Haupthandlung ausmachen und jeweils ungefähr ein Drittel der Handlung stellen. Interpreten des Epos, welche es unter einem heldenzentrischen Gesichtspunkt untersuchen, unterteilen das Epos i.d.R. nach dessen Jugend und Alter. [8] Forscher, welche einen handlungsbezogenen Ansatz vertreten, unterteilen das Epos hingegen meist in drei Teile, entsprechend der drei Kämpfe, die Beowulf bestreitet. [9] Der Stoff des Epos wird vom Dichter als seinem Publikum bekannt vorausgesetzt. Der Fokus liegt also weniger auf dem chronologischen Handlungsablauf und dem Inhalt, sondern vielmehr auf der Erzählweise. Dies bietet Raum für eine Vielzahl an Ausschmückungen und Variationen innerhalb des narrativen Geflechts. . [10]

Textbeispiel

Mittelhochdeutsch Übersetzung
Hwæt. We Gardena in geardagum Also, wir erfragten [mit Erfolg] in Vorzeittagen
þeodcyninga þrym gefrunon, den Ruhm der Speerdänen […], der Volkskönige,
hu ða æþelingas ellen fremedon. wie die Edelinge [tapfere Taten] [voll-]führten
Oft Scyld Scefing sceaþena þreatum, Oft entzog Scyld Scefing den Scharen der Feinde,
monegum mægþum meodosetla ofteah, manchen [Volks]stämmen [die] Metsitze
egsode eorl[as], Syððan ærest wearð erschreckte [die] Krieger, nachdem [er] zuerst
feasceaft funden; […] hilflos aufgefunden worden war. […]

(V.1–7) [11]

Bei diesem Textbeispiel handelt es sich um die Einleitungspassage des Beowulf, bezogen auf die Genealogie der Schildinge/Dänen. Das Epos ist verfasst in einem typisch altenglischem Versrhythmus bestehend aus Stabreimversen mit alliterierenden Langzeilen, getrennt durch eine Zäsur (i.d.R. gibt es zwei Starkdurchsilben in jeder Halbzeile). [12]

Die Kämpfe mit den Monstern

Kampf mit Grendel (V.86–1250)

Grendel ist ein Monstrum, bezeichnet als ein ellengaest earfoðlîce (V.86) [13], der als Schwellenwesen (wörtlich mearcstapa, V.104) die dänischen Moore bewohnt. Genealogisch wird er dem biblischen Kainsgeschlecht zugeordnet. (V.107) Der Text kennzeichnet das Kainsgeschlecht als Ursprung aller Ungeheuer, die der göttlichen Ordnung zuwider stehen. Grendel wird in einem christlichen Kontext als dämonischer, von Gott verstoßener Unhold dargestellt. Er verfügt über keinerlei Waffen und Rüstung und tötet schlafende Gefolgsleute in der Festhalle mit bloßen Händen. Zwölf Jahre lang besetzt er Heorot in der Rolle eines Hallenhalters. Beowulf entschließt sich zum Kampf gegen Grendel, um dem König der Dänen zu helfen und ihm die Nutzung Heorots wieder zu ermöglichen. Er lauert dem Ungeheuer nachts in der Festhalle auf, indem er sich schlafend stellt. Grendel greift nach dem Helden. Beowulf packt das Ungeheuer und besiegt ihn im Kampf mit bloßen Händen, indem er ihm einen Arm abreißt. Der tödlich verwundete Grendel flieht zurück in sein Unterwasserversteck in den Mooren. Den Arm nagelt Beowulf als Beweis seines Sieges über den Eingang der Festhalle. Der Kampf kann im Gesamtkontext des Werks als der Beginn einer Fehde, die sich im Kampf gegen Grendels Mutter fortsetzt, gewertet werden. [14]

Grendels Mutter (V.1251–1800)

Der Kampf mit Grendels Mutter wird oftmals in der Abfolge der Kampfepisoden vernachlässigt. Die Episode ist ein Bindeglied zwischen den zwei anderen Kämpfen, welches eine sinnvolle Aufteilung des Epos erschwert: Der Kampf steht einer gleichmäßigen Zweiteilung des Werks nach Beowulfs Alter und Jugend im Wege, da sie den Jugendteil um einige hundert Verse verlängert, und hat insgesamt weniger Verse als die Grendel- oder die Drachenepisode. [15] Häufig wird Grendels Mutter lediglich als eine Doppelung ihres Sohnes aufgefasst, nicht als eigenständige Gegnerin Beowulfs.[16] Das Motiv für diesen zweiten Kampf ist Rache. Grendels Mutter rächt den Tod ihres Sohnes, indem sie zunächst einen von Hrothgars engsten Vertrauten, Æschere, in der Festhallte packt und tötet. Grendels Mutter kann als Inversion des im Beowulf exemplifizierten angelsächsichen Frauenideals interpretiert werden: sie übernimmt neben der Rolle als Mutter Grendels auch die des männlichen Rächers, indem sie die Heorot angreift.[17] Ihr entgegengestellt sind die beiden menschlichen Königinnen Wealtheow und Hygd, deren Aufgaben im Epos sich auf Friedensstiftung und Vermittlung beschränken. [18] Nach der Tötung Æscheres flüchtet das Grendels Mutter zurück in ihr Moorversteck, wo sich auch die Leiche Grendels befindet. Beowulf verfolgt sie in die Tiefe und es folgt ein handgreiflicher Kampf, der in ihrem Tod endet. Der Held bemächtigt sich eines Riesenschwerts, dass er in dem Versteck findet, köpft die Leiche Grendels, und kehrt zurück an die Oberfläche.

Der Kampf mit dem Drachen (V.2200–2710)

Der Drache gilt in der mittelalterlichen Literatur als größter und gefährlichster Gegner eines Helden. [19] In diesem Epos ist Beowulf als außergewöhnlicher Held der Einzige, der gegen das Ungeheuer bestehen kann. Der Drache als heldenepisches Ungeheuer ist ausgestattet mit einer Vielzahl an gefährlichen Eigenschaften: Beschrieben als eine krokodilartiger wyrm (V.2343) verfügt er über einen giftigen Biss, Feueratem, und die Fähigkeit zu Fliegen. (V.2522-2524) Bis auf seinen Unterbauch ist er, ähnlich wie Fafnir in der Nibelungensage, unverwundbar. Der Drachenkampf ist räumlich vor der Schatzhöhle des Ungeheuers situiert. Das Motiv des Drachens als Hortwächter ist ein bekanntes Motiv in mittelalterlichen Erzählschemata, und findet sich unter anderem auch im Drachentöterschema nach Aarne und Thompson. [20] Der Kampf gegen den Drachen dient jedoch im Beowulf nicht dem Erwerb einer Frau oder der Heldeninitiation, sondern bildet den tragischen Abschluss eines Heldenlebens. [21] Die Schilderung der Drachenkampfepisode antizipiert gleich mehrmals ausdrücklich den nahenden Tod Beowulfs.(V.2419; V.2340–2343) Der Kampf lässt sich in drei Abschnitte gliedern, die jeweils mit einem Angriff des Drachens korrespondieren. [22] Während des ersten Angriffs versagt Beowulfs Schwert Nægling: es vermag die Drachenhaut nicht zu durchdringen. Auch sein Eisenschild hält den heißen Drachenflammen nur mit Mühe stand. Die Kampfhandlung wird an dieser Stelle unterbrochen, um Wiglaf, einen Verwandten Beowulfs, in den Kampf einzuführen. Nach einer vorwurfsvollen Rede an Beowulfs Gefolgsleute, welche aus Angst vor dem Drachen geflohen sind, kommt Wiglaf dem König zu Hilfe, um den zweiten Angriff des Drachen zu überstehen. Geschützt hinter dem Eisenschild schlägt Beowulf nochmals zu, und diesmal zerbricht sein Schwert. Der dritte Angriff des Ungeheuers erweist sich als verheerend: Der Drache fügt Beowulf eine lebensgefährliche Halswunde zu. Wiglaf schafft es, den Drachen an einer verletzlichen Stelle zu treffen, und der Feueratem versiegt. Der tödlich verwundete Beowulf zückt ein Messer und besiegt den Drachen mit einem Stoß on middan (V.2705), in den Bauch des Drachen. Tolkien sieht in der Figur des Drachen im Beowulf einerseits eine Personifikation von Gier, Bösartigkeit und Zerstörung auf einer zwischenmenschlichen Ebene, aber andererseits auch ein übergeordnetes, schicksalhaftes Übel welches nicht zwischen ‚Gut‘ oder ‚Böse‘ zu unterscheiden vermag. [23]

Die Funktion der Monster im Werk

Grendel und Grendels Mutter

Hier ist die Funktion der beiden Monster, Beowulf verschiedene Kämpfe zu bieten, bei welchen er sich bewähren kann. Die Monster sind eine Landplage und eine Bedrohung für die Bevölkerung. Indem Beowulf sie besiegt, kann er sich als mutiger, tapferer und guter König bewähren.

Der Drache

Der Drache dient im Beowulf zum einen als Hüter des Schatzes, solange bis ihm ein Becher aus dem Schatz gestohlen wird. Dann wandelt sich seine Funktion. Daher ist es zum anderen die Funktion des Drachen, Rache auszuüben. Durch seine Wut über den Diebstahl rächt sich der Drache und wird dadurch zur Landplage, was Beowulf dazu provoziert, den Kampf mit dem Drachen auszuüben. Der Drache initiiert somit den Endkampf.
Durch den Kampf mit dem Drachen kann sich der Held normalerweise bewähren, etwa bei der Brautwerbung oder während seiner Ausbildung als Ritter. Der Drache trägt hier somit zur Entwicklung des Helden bei. Indem der Heilige in der Literatur den Drachen besiegt, findet eine Legitimation des Christentums statt. Der Drache stellt dabei eine Figur des Bösen dar, die nur aus der Hölle stammen kann. Indem ein Heiliger den Drachen besiegt, kann die Macht der Kirche und des christlichen Glaubens aufgezeigt werden. Nicht so im Heldenepos Beowulf, denn hier stirbt der Held. Er kann sich nicht gegen den Drachen bewähren und stirbt im Kampf gegen ihn.
Wenn der Drache im Beowulf weder der Bewährung des Helden, noch der Legitimation der christlichen Kirche dient, so stellt sich die Frage, welche Funktion der Drache im Werk hat. Beowult ist kein Heiliger und auch kein Ritter in der Ausbildung. Er hat seine Entwicklung schon hinter sich und hat sich bereits in vielen Kämpfen bewährt. Demnach hat er keine Bewährung durch den Kampf mit dem Drachen nötig. Er legitimiert sich auch nicht als Heiliger. Viel mehr wird durch Beowulfs persönliches Schicksal die Rolle eines perfekten Christen gezeigt, was der Drache erst ermöglicht. Denn durch den Drachen stirbt Beowulf und kann damit einem befriedigenden und gottesfürchtigen Tod entgegensehen. Die Funktion des Drachen am Ende des Werkes ist demnach, Beowulf zu töten, um dessen ehrenvollen Heldentod zu ermöglichen. Zum anderen hat der Tod des Drachen dennoch die Funktion, den Sieg des christlichen Glaubens und des tapferen Kampfes, auch Wiglafs, aufzuzeigen, der alle bösen Mächte besiegen kann.

Das Motiv des imperfekten Helden im Ausgang des Werkes

Normalerweise werden die Drachen am Ende einer Geschichte getötet. Zahlreiche Beispiele bestätigen diese Regel, etwa die Legende um den heiligen Silvester, Tristan oder das Nibelungenlied. Beowulf stellt jedoch eine Ausnahme dar, denn hier stirbt der Held am Ende des Werkes, indem er von dem Drachen, gegen den er gerade ankämpft, getötet wird. Beowulf stirbt kurz nach dem Kampf an den Verletzungen, die der Drache ihm zugefügt hat. Dieser Ausgang stellt eine Besonderheit da, die sich ansonsten nur noch bei Otnit finden lässt, der ebenfalls durch einen Drachen getötet wird. Er wird von diesem während er schläft zu seinen Jungen gebracht, die ihn aus seiner Rüstung heraussaugen, bis er schließlich den Tod findet. Diese beiden Helden stechen hervor, denn normalerweise wird der Drache in der mittelalterlichen Literatur von einem Helden oder einem Heiligen besiegt. Durch den Kampf mit dem Drachen kann sich der Held bewähren, etwa bei der Brautwerbung oder während seiner Ausbildung als Ritter. Der Drache trägt hier somit zur Entwicklung des Helden bei. Indem der Heilige in der Literatur den Drachen besiegt, findet eine Legitimation des Christentums statt. Der Drache stellt dabei eine Figur des Bösen dar, die nur aus der Hölle stammen kann. Indem ein Heiliger den Drachen besiegt, kann die Macht der Kirche und des christlichen Glaubens aufgezeigt werden. Im Heldenepos Beowulf jedoch stirbt der Held. Er kann sich nicht gegen den Drachen bewähren und stirbt im Kampf gegen ihn. Noch tragischer ist die Niederlage des Otnit, denn dieser stirbt nicht im Kampf, sondern wird im Schlaf von einem Drachen umgebracht.

Wenn der Drache im Beowulf weder der Bewährung des Helden, noch der Legitimation der christlichen Kirche dient, so stellt sich die Frage, welche Funktion der Drache im Werk hat und warum Beowulf am Ende des Epos sterben muss. Dadurch, dass Beowulf am Ende des Werkes stirbt, stellt er einen imperfekten Helden dar. Er hat zwar zuvor bereits viele Kämpfe gewonnen, letztendlich kann er sich jedoch nicht gegen seinen Endgegner, den Drachen, bewähren. Der Tod wird normalerweise negativ konnotiert. Dass Beowulf stirbt, kann als Fehler, Beziehungsweise Imperfektion des Helden angesehen werden. Fraglich ist, was es mit dem Motiv des imperfekten Helden im Beowulf auf sich hat. Der Drache im Werk stirbt zwar letztendlich auch, er wird von Beowulf und seinem Neffen gemeinschaftlich getötet, noch bevor Beowulf den Wunden aus dem Kampf erliegt. Der Glaube an Gott ist im Werk omnipotent [24]. Auch Beowulf ist ein gottesfürchtiger König. Für ihn bedeutet der Tod demnach nicht die letzte Station und das Ende aller Dinge, da er an einen Himmel glaubt. Er sieht demnach dem Tod mutig entgegen und mit dem Wissen, dass er den Drachen getötet hat, auch wenn er dabei ebenfalls sterben muss, und für sein zurückbleibendes Volk den Drachenschatz geborgen hat, den sein Neffe dem Volk zu Gute kommen lassen wird, kann er beruhigt in den Tod gehen[25], denn seinem hinterbliebenen Neffen und seinem Volk geht es gut und Beowulf kann trotzdem als Held sterben. So ist Beowulf zwar ein imperfekter Held, jedoch ist er trotzdem ein Held und ein perfekter Christ, der seine Pflicht über den Tod hinaus erfüllt und sich in Gottes Hände begibt. Um diese Gottesfürchtigkeit und die Präsenz Gottes über den Tod hinaus zu zeigen, muss Beowulf sterben, was diesen jedoch in ein gutes Licht rückt und für diesen ein gutes Ende bedeutet. Demnach hat das Motiv des imperfekten Helden hier keine negative Bedeutung. Durch seinen Tod wird Beowulf noch einmal erhöht und die Erwartungen des christlichen Glaubens werden in seinem Tod widergespiegelt und glorifiziert.

Einzelnachweise

  1. Lehnert, Martin: Altenglisches Elementarbuch. Einführung, Grammatik, Texte, Bd. 2210, Berlin 1990, S.13.
  2. Alle Versangaben beziehen sich auf folgende Textausgabe: Beowulf, eine Textauswahl mit Einleitung, Übersetzung, Kommentar und Glossar, hg. von Ewald Standop, Berlin 2005.
  3. Tolkien, John Ronald Reuel: Beowulf. The monsters and the critics, Oxford 1936. S. 21.
  4. Bjork, Robert E.;John D. Niles: A Beowulf handbook. Nebraska 1997. S. 30f.
  5. Eine ausführliche Auseinandersetzung mit der Verflechtungsstruktur im Epos findet sich in Leyerle, John. The Interlace Structure of Beowulf, University of Toronto Quarterly, 1967, 37 Jg., Nr.1, S.1-17.
  6. Einführung in: Beowulf, ein altenglisches Heldenepos, übersetzt und hg. von Martin Lehnert, Leipzig 1986, S.12–13.
  7. Hume, Kathryn. The Theme and Structure of ‘Beowulf.’ Studies in Philology, 1975, 72 Jg., Nr.4, S.2–3.
  8. Hume, Kathryn. The Theme and Structure of ‘Beowulf.’ Studies in Philology, 1975, 72 Jg., Nr.4, S.3–4.
  9. Zu den Vertretern der dreigliedrigen Unterteilung zählen unter anderem Adrien Bonjour und J.R.R. Tolkien. Vergleiche Hume, Kathryn. The Theme and Structure of ‘Beowulf.’ Studies in Philology, 1975, 72 Jg., Nr.4, S.3–4.
  10. Einführung in: Beowulf, ein altenglisches Heldenepos, übersetzt und hg. von Martin Lehnert, Leipzig 1986, S.13.
  11. Alle Versangaben beziehen sich auf folgende Textausgabe: Beowulf, eine Textauswahl mit Einleitung, Übersetzung, Kommentar und Glossar, hg. von Ewald Standop, Berlin 2005.
  12. Einführung in: Beowulf, ein altenglisches Heldenepos, übersetzt und hg. von Martin Lehnert, Leipzig 1986, S.19–20.
  13. Alle folgenden Versangaben beziehen sich auf diese Textausgabe: Beowulf, eine Textauswahl mit Einleitung, Übersetzung, Kommentar und Glossar, hg. von Ewald Standop, Berlin 2005.
  14. Für eine ausführliche Auseinandersetzung mit dem Fehden-Motiv im Beowulf, siehe Kahrl, Stanley J. Feuds in Beowulf: A Tragic Necessity? The University of Chicago Press Journals, Modern Philology, 1972, 69 Jg., Nr.3, S.189–197.
  15. Nitzsche, Jane C. The Structural Unity of Beowulf: The Problem of Grendel's Mother. Texas Studies in Literature and Language, 1980, 22 Jg., Nr. 3, S.287.
  16. Frühe Beowulfstudien übergehen Grendels Mutter oft ganz, oder behandeln sie als eine Art zweiten Grendel, siehe unter anderem J.R.R. Tolkien (Literaturverzeichnis)
  17. Nitzsche, Jane C. The Structural Unity of Beowulf: The Problem of Grendel's Mother. Texas Studies in Literature and Language, 1980, 22 Jg., Nr. 3, S.299.
  18. ebd.
  19. „Drache.“ Enzyklopädie des Märchens, Handwörterbuch zur historischen und vergleichenden Erzählforschung, Band 3, hg. von Kurt Ranke, Hermann Bausinger, Wolfgang Brückner et al. Berlin/New York, 1981, S. 788.
  20. Uther, Hans-Jörg: The types of international folktales, 1. Animal tales, tales of magic, religious tales and realistic tales, with an introduction, Band 1, Helsinki 2004, S.174.
  21. Für eine Einführung Motive und Funktionen verbunden mit der Figur des Drachen in der mittelalterlichen Literatur siehe, wie zuvor zitiert, „Drache.“ Enzyklopädie des Märchens, Handwörterbuch zur historischen und vergleichenden Erzählforschung, Band 3, hg. von Kurt Ranke, Hermann Bausinger, Wolfgang Brückner et al. Berlin/New York, 1981, S. 792 – 815.
  22. Sisam, Kenneth. Beowulf's Fight with the Dragon. The Review of English Studies, 1958, 9 Jg., Nr.34, S. 136–139.
  23. Tolkien, J.R.R. Beowulf: The monsters and the critics. Proceedings of the British Academy. 1936, 22 Jg., S. 245–295.
  24. GARDE, Judith. Christian and Folkloric Tradition in the Beowulf: Death and the Dragon Episode. Literature and theology, 1997, 11. Jg., Nr. 4, S. 325.
  25. GARDE, Judith. Christian and Folkloric Tradition in the Beowulf: Death and the Dragon Episode. Literature and theology, 1997, 11. Jg., Nr. 4, S. 341.

Literaturverzeichnis

  • Beowulf, eine Textauswahl mit Einleitung, Übersetzung, Kommentar und Glossar, hg. von Ewald Standop, Berlin 2005.
  • Beowulf, das angelsächsische Heldenepos, zweisprachige Ausgabe, Altenglisch-Deutsch, neue Prosaübersetzung, Originaltext, versgetreue Stabreimfassung, übersetzt, kommentiert und mit Anmerkungen versehen von Hans-Jürgen Hube, Wiesbaden 2012. S. 3-10.
  • „Drache.“ Enzyklopädie des Märchens, Handwörterbuch zur historischen und vergleichenden Erzählforschung, Band 3, hg. von Kurt Ranke, Hermann Bausinger, Wolfgang Brückner et al. Berlin/New York, 1981, S. 788–815.
  • Garde, Judith. Christian and Folkloric Tradition in the Beowulf: Death and the Dragon Episode. Literature and theology, 1997, 11. Jg., Nr. 4.
  • Hume, Kathryn. The theme and structure of ‘Beowulf.’ Studies in Philology, 1975, 72 Jg., Nr.4, S. 1–27.
  • Kahrl, Stanley J. Feuds in Beowulf: A tragic necessity? The University of Chicago Press Journals, Modern Philology, 1972, 69 Jg., Nr.3, S.189–197.
  • Leyerle, John. The interlace structure of Beowulf, University of Toronto Quarterly, 1967, 37 Jg., Nr.1, S.1–17.
  • Sisam, Kenneth. Beowulf's fight with the Dragon. The Review of English Studies,1958, 9 Jg., Nr.34, S. 129–140.
  • Tolkien, J.R.R. Beowulf: The monsters and the critics. Proceedings of the British Academy. 1936, 22 Jg., S. 245–295.
  • Uther, Hans-Jörg: The types of international folktales, 1. Animal tales, tales of magic, religious tales and realistic tales, with an introduction, Band 1, Helsinki 2004, S.174.