Die Brautwerbung (Eilhart von Oberg, Tristrant und Isalde)

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Hauptartikel: Die mittelhochdeutsche Bearbeitung der Tristansage

Definition Erzählschema

Das Erzählschema beschreibt in der Literaturwissenschaft einen für bestimmte (manchmal sogar alle) narrativen Texte typischen Handlungs- oder Erzählablauf. Das Erzählschema umfasst im engeren Sinn die wichtigsten Elemente der Handlung (histoire) und ist für Textgruppen oder Gattungen charakteristisch. Im weiteren Sinn wird es aber auch auf Formen der literarischen Gestaltung (discours) angewendet. Dieses Prinzip, einer verschiedenen Texten gemeinsamen (Handlungs-)Struktur, ist seit der mediävistischen Forschung des 19. Jahrhunderts bekannt. Insbesondere Texte aus dem Kontaktbereich Mündlichkeit-Schriftlichkeit orientieren sich häufig an schematischen Mustern. Narrative Texte werden entweder gattungsübergreifend in solchen Strukturen analysiert oder mit einer Spezifizierung auf bestimmte Werkgruppen oder Gattungen.[Martinez 2007]

Wichtige Handlungsrollen

Brautwerber

Ein herausragender Herrscher, der innerhalb seines Herrschaftsbereiches keine ebenbürtige Ehefrau finden kann. Von seiner Heirat hängt aber oftmals die geordnete Zukunft des gesamten Reiches ab.

Brautvater

Oftmals Opponent des Brautwerbers, der eine besondere Schutzmacht gegenüber der Braut darstellt. In seiner Vortrefflichkeit gleicht er dem Werber oder übertrifft ihn sogar.

Braut

Nach dem Prinzip "dem Besten die Schönste" als besonders höfisch und schön dargestellte Frau, welche eine geeignete Ehefrau für den Werber sein kann.

Bote

Ein besonders Loyaler Gefolgsmann des Werbers, welcher manchmal anstelle des Werbers ins "Diesseits" entsendet wird. Interessant ist die Konzeption des Boten in König Rother, wo der König selbst sich im Laufe der Handlung als Bote tarnt.

Nenner

Mit außergewöhnlichem Wissen ausgestatteter Berater, der dem Werber eine geeignete Braut vorschlägt.

Raumstruktur und Handlungsfixpunkte

Als älteste Dichtung im Brautwerbungsschema zählt König Rother. Grundsätzlich ist eine Ableitung der ältesten Formen aber schwierig, weil viele Brautwerbungsepen unzureichend datiert sind.

Einfache/Ungefährliche Brautwerbung

Die einfache/ungefährliche Brautwerbung läuft in folgenden Schritten ab (die einfache Brautwerbung kommt ohne Gegenspieler aus):[Cadalbert 1985]

Herrscherbeschreibung

Vortrefflichkeit des Herrschers und Begründ des Umstandes, dass in seinem Herrschaftsbereich keine ebenbürtige Frau gefunden werden kann.

Ratszene

Familie, Vasallen oder Berater raten dem Herrscher zur Ehe. Oftmals mit dem Ziel einer dauerhaften Sicherung der Erbfolge, auch um die eigene gesellschaftliche Stellung für die Zukunft abzusichern. Ein Nenner informiert den Herrscher über eine mögliche Braut außerhalb seines Herrschaftsbereiches.

Beschreibung der Braut

Dient u.a. der Bestätigung, dass die Braut dem Werber tatsächlich ebenbürtig ist.

Werbung und Vermählung

Ehe

Gefährliche Brautwerbung

In der gefährlichen Brautwerbung steht eine Person (meistens der Brautvater) als Hindernis zwischen Brautwerber und Braut. Dieses Hindernis muss zunächst überwunden werden. Die Überwindung mit List und Gewalt gleicht einer Bezwingung der Hütergewalt des Brautvaters. Manchmal ist auch eine Bekehrung (Taufe, Wunder) nötig, welche die Neutralisierung der im Heidentum ruhenden Inzestabsicht vollzieht. Am Ende dieser Phase findet entweder eine Versöhnung zwischen Brautvater und Brautwerber statt oder die Tötung des Kontrahenten. Ziel ist auf jeden Fall die Sicherung der persönlichen Verbundenheit zwischen Werber und Braut. Die Auseinandersetzungen zwischen Brautvater und Brautwerber resultieren oftmals in mehreren Ausfahrten, Eroberungen und Rückeroberungen der Braut durch Brautvater und Brautwerber.[Cadalbert 1985] Die Brautwerbung ist in den meisten Fällen durch eine "bipolare Raumstruktur" gekennzeichnet. Die unterschiedlichen Räume werden als "Diesseits [und] Jenseits"[Schulz 2012] betitelt. Das "Diesseits" bezeichnet den Herrschaftsbereich des Brautwerbers, während der Herrschaftsbereich des Brautvaters das "Jenseits bildet. Kennzeichnend für die Brautwerbung ist es, dass der Brautwerber in seinem direkten Umfeld keine geeignete Kandidatin findet, weshalb er seinen Machtbereich verlassen muss. Dazu muss der Werber oder sein Helfer das Meer überqueren, welches die beiden Räume voneinander trennt. Erst im "Jenseits" ist die Suche nach einer ihm ebenbürtigen Braut erfolgreich.[Schulz 2012]

Die Handlungsfixpunkte des Brautwerbungsschemas sind an Ort und Handlungsrollen gebunden und folgen einem bestimmten Ablauf, wobei die „Nichterfüllung eines Handlungsfixpunktes [..] als Schemabruch gewertet werden [muss]“. [Cadalbert 1985]

Handlungsfixpunkte sind: [Schulz 2012]

  1. Herrscherbeschreibung
  2. Ratszene
  3. Verpflichtung der Dienstleute/Werbungshelfer/Boten
  4. Botenfahrt
  5. Ankunft im Reich des Brautvaters
  6. Kontaktaufnahmen mit Brautvater und Braut
  7. Entführung der Braut
  8. Verfolgung durch Brautvater
  9. Heimführung der Braut
  10. Hochzeit

Die Brautwerbung bei Eilhart von Oberg

Das Brautwerbungsschema, wie es hier aufgezeigt ist, ist keine Seltenheit in der mittelhochdeutschen Literatur. Vor allem in "Spielmannsdichtungen"[Schulz 2012], die der Heldendichtung und der Legende nahe stehen, ist dieses Konzept häufig aufzufinden. Man unterscheidet zwei Kategorien der Brautwerbung: die "einfache (=unproblematische) Werbung" und die "gefährliche Brautwerbung"[Schulz 2012] . Wie der Name vermuten lässt, ist bei der gefährlichen Brautwerbung immer eine Gefahr für das Leben des Werbers mit inbegriffen. In vielen höfischen Romanen wird das Schema der gefährlichen Brautwerbung auf den Werber angewendet. Hier handelt es sich dann um meist gewalttätige "Usurpatoren" [Schulz 2012], die sich einer wehrlosen Frau bemächtigen wollen. Es existiert ebenfalls eine dritte Kategorie der Brautwerbung, die größtenteils in Aventiureromanen zu finden ist. Bei dieser Art der Brautwerbung steht im Vordergrund die "partnerbezogene Werbung" [Schulz 2012] gefolgt von der Ehe.
In Eilharts Tristrant dagegen "muß der Held als herausragender, kundiger Werbungshelfer für seinen Onkel agieren; das Problem, das hier zunächst eine Rolle spielt, ist, [...] daß derjenige, an den die Werbung delegiert wird, über weitaus größere Qualitäten verfügt als derjenige, der die Werbung eigentlich betreibt."[Schulz 2012]. Tristrant ist der eigentliche Held des Romans, er wird hervorgehoben und bestreitet die Abenteuer und Kämpfe. Er ist auch derjenige, der sich das Recht an Isalde im Kampf erwirbt. Marke dagegen will eigentlich gar nicht heiraten und versucht mit der List der Haarsträhne, sich nicht für den Bund der Ehe zu verpflichten. Er ist in gewisser Weise der Anti-Held dieser Episode.

Die Raumaufteilung im "Tristrant" entspricht der typischen "bipolaren Raumstruktur" des Brautwerbungsschemas, demzufolge sich der Raum in "Jenseits" und "Diesseits" aufteilt. Diese Räume sind durch das Meer voneinander getrennt.[Schulz 2012] In Eilharts "Tristrant" ist das "Diesseits" König Markes (der Brautwerber) Reich Cornwall. Isaldes Vater (Brautvater) ist Herrscher über Irland, welches das "Jenseits" bildet. Marke muss seinen Machtbereich verlassen, beziehungsweise seinen Helfer Tristrant losschicken, um außerhalb des Diesseits nach der passenden Braut zu suchen. Zwar hat Marke eine andere Motivation, weit weg von seiner Heimat zu suchen, dennoch begibt sich Tristrant auf große Fahrt über das Meer, um Isalde zu finden.

Das Ablaufschema sieht in den meisten Fällen wie folgt aus: um sein Geschlecht weiterhin in der Erbfolge der Dynastie zu erhalten, muss ein junger König eine geeignete Frau finden. Diese befindet sich meist weit weg von ihm, in einem fernen Land jenseits des Meeres. Er begibt sich zu ihr, um sie aus der Obhut ihres Vaters zu befreien, der sie meist nicht hergeben will. Wenn er sie trifft, überredet er sie zur gemeinsamen Flucht. Die beiden werden vom wütenden Vater der Braut verfolgt, es kommt zum Kampf und der Werber gewinnt und kann die Braut nach Hause in sein Reich führen.
Im Tristan ist dieses Schema vertauscht. Die Rolle des "außergewöhnlichen Helden"[Schulz 2012] wird von Tristan übernommen, der aber König Marke bei weitem überlegen ist und der eigentliche Werber sein sollte. Tristan und Isolde sind merkmalsgleich. Sie sind beide höfisch und damit eigentlich füreinander prädestiniert. Da hier aber die Rollen vertauscht sind, kann Tristrant sie nicht zur Frau nehmen. Er ist nur der Übermittler. Der eigentliche Werber ist zu schwach oder nicht ehrenvoll genug, sich selbst um die Werbung zu kümmern. Bei der Tristandichtung ist jedoch nicht nur die Rollenverteilung ungewöhnlich, auch der Ablaufplan entspricht nicht der gängigen Methode der Brautwerbung: Die Handlungsfixpunkte sind nicht so eindeutig wie bei einer nahezu idealtypischen Brautwerbung (z.B. im Vergleich zu König Rother). Die genealogische Einführung beginnt nämlich mit Tristans Geburt und das Leben Markes steht lange eher im Hintergrund, obwohl er der werbende König ist und Tristan sein Bote (wenn natürlich der Werdegang dem Edelmut Markes zu verdanken ist). Auch die Ratsszene ist nur bedingt vorhanden. Es ist zwar die Rede davon, dass eine Heirat des Königs von Seiten des Hofes gewünscht wird, allerdings taucht kein wirklicher Nenner auf. Vielleicht sind die Schwalben eine Art Nenner, obwohl sie eigentlich mehr Rätsel als Kenntnis bringen. Recht typisch verläuft die Benennung Tristans als Boten und die Landung des Helden an einem heimlichen Ort nach der Seefahrt. Die Fahrt selbst erinnert aber eher an eine Irrfahrt, wie man sie aus der Aventiure kennt, als an eine zielstrebige Werbungsfahrt. Weiterhin gibt es keine Entführungssequenzen, da die Heimreise das Schema endgültig sprengt. Während dieser beginnt die Liebesgeschichte zwischen Tristrant und Isalde, als sie sich den Liebestrank einverleiben und damit der Minne verfallen. Die anschließende Auseinandersetzung vollzieht sich nicht mehr zwischen den Polen Brautwerber-Brautvater, sonder zwischen dem Brautwerber und seinem Boten. Cadalbert zufolge ist das Werk Eilhart von Obergs eine durch das Schema der Brautwerbung teilbestimmte mittelhochdeutsche Dichtung. Aufgrund des Umstandes, dass die Brautwerbung nicht aus voller Überzeugung Markes hervorspringt, sondern eigentlich nur ein Ablenkungsmanöver von den Forderungen des Hofes ist (Konsens ist nur scheinbar!), befindet sich Tristan nicht auf einer klassischen Werbungsfahrt. Er zieht irrend umher und ähnelt fast schon eher einem Aventiure-Ritter. Das unterstreicht nochmal, dass seine Verliebtheit in Isolde I eigentlich kein geplanter Affront gegen Marke ist, sondern Teil „seines Abenteuers“, worin der Minnetrank seine Handlungen lenkt.

Textstellen in Eilharts Tristan


Zu ainem mal frund und man
giengen fur den kung stan
Trystrand namen sie dar zu.
den kung batten sie nun,
daß er ain wib näm,
du im wol gezäm:
daß im so mancher riet.
(Vers 1419-1426)


"daß muß dir got vergelten",
sprach der kung rich,
und hieß im herrlich
ein gut schiffelin beratin
mit al deme, daz her dar czu hate, [...]
(Vers 1534-1538)


"Trystrand ist ain edel man
und ain held gut.
nun merckt in uwerm mut:
hett er all uwer maug erschlagen,
ir möchtent es gern verclagen,
dann daß man uch geb dem,
der uch nit zäm."
(Vers 2044-2050)


"Daß lob ich" sprach der kung her
und zwifelnd lenger nicht mer.
(Vers 2107-2108)


Trystrand sprach san:
"herr, ir sölt verstan,
wie ich die maid will niemen,
wann eß ir wol mag gezimmen:
ich will sie bringen dem nefe min,
by dem mag sy gern sin:
der ist ein kung herr.
zu jung ich dar zu wär,
daß ich ain wib näm so fru."
(Vers 2339-2347)

Literatur

Alle Versangaben nach: Eilhart von Oberg. Tristrant und Isalde, hg. von Danielle Buschinger und Wolfgang Spiewok, Greifswald 1993. (Greifswalder Beiträge zum Mittelalter 27)

[*Schulz 2012] Schulz, Armin: Erzähltheorie in mediävistischer Perspektive. Hg. von Manuel Braun, Alexandra Dunkel, Jan-Dirk Müller, Berlin – Boston 2012, S. 191-214.

[*Cadalbert 1985] Schmid-Cadalbert, Christian: Der Ornit AW als Brautwerbungsdichtung. Ein Beitrag zum Verständnis mittelhochdeutscher Schemaliteratur, Bern 1985.

[*Martinez 2007] Martinez, Matias: Art. Erzählschema, in: Klaus Weimar (Hg.), Reallexikon der deutschen Literaturwissenschaft. Neubearbeitung des Reallexikons der deutschen Literaturgeschichte, Bd.1, Berlin/New York 2007.