Die mittelalterliche Ständeordnung

Aus MediaeWiki
Zur Navigation springen Zur Suche springen

Der Begriff "Ständeordnung" beschreibt die gesellschaftliche Ordnung von Menschen nach Ständen bzw. dem Prinzip der Stratifikation. Es existierte im Mittelalter zunächst keine einheitliche Bezeichnung für nhd. Stand. Stattdessen waren die lateinischen Wörter status, ordo, corpus, conditio und gradus, sowie in deutschsprachigen Texten die Wörter name, leben, ê, reht, orden, art und ambet gebräuchlich.

Es wird angenommen, dass mhd. stant erst im 14. Jhdt. entstanden ist und erst im 15. Jhdt. für die Ständeordnung in den Ländern verwendet wurde.


Die Thematisierung der Ständeordnung in der mittelalterlichen Literatur

Kleriker, Ritter und Bauer. (Cleric, Knight, and Workman). British Library, Man.-Nr. Sloane 2435 f.85, ca. 14./15. Jh.
In driu geteilet waren
von erst die liute, als ich las:
buman, ritter und pfaffen.
ieslich nâch sîner mâze was
gelich an adel und an art
dem andern ie'. [...] (Frauenlob/ Heinrich von Meissen, VII, 22, 1-6) [1].


Übersetzung: Von Anfang an waren die Menschen in drei Gruppen geteilt, wie ich gelesen habe: Bauern, Ritter und Geistliche. Sie waren, jeder auf seine Art und Weise, einander immer gleich an Adel und Abstammung.


Was heute als mangelnde soziale Gleichheit kritisiert würde, wurde im Mittelalter ganz anders aufgefasst: auf die Gleichheit der Stände wird in der Textpassage explizit hingewiesen.

Das nebenstehende Bild soll diese mittelalterliche Betrachtungsweise illustrieren: Geistlicher, Ritter und Bauer stehen hier auf einer Stufe, wenngleich die den Bauernstand repräsentierende Person etwas abseits steht und nicht in das Gespräch eingebunden ist.


Got hât driu leben geschaffen:
gebûre, ritter unde pfaffen; [...] (Freidank, Bescheidenheit, 27, 1-2) [2].
Übersetzung: Gott hat drei Stände erschaffen: Bauern, Ritter und Geistliche.


Freidank weist hier auf die religiöse Dimension hin: Die mittelalterliche Ständeordnung wurde als eine von Gott gegebene Ordnung verstanden und der Versuch eines Heraustretens aus dieser Ordnung dementsprechend als Sünde bestraft. Seit dem 10. Jhdt. bestand diese Vorstellung der von Gott durchgeführten Gruppierung der Menschen entsprechend ihrer jeweiligen Tätigkeiten:

  • Beten ("Tu supplex ora") --> Kleriker
  • Schützen ("Tu protege") --> Adlige
  • Arbeiten/ Feld bestellen ("Tuque labora") --> Bauern

Die historische Realität

Heinrichs von Meissen Vorstellung von der Gleichheit der Stände kann der Realtät nicht standhalten. Es sei denn man legt zugrunde, dass von Meissen von der Gleichheit der Menschen innerhalb eines Standes sprach. Eine Gleichheit über die Standesgrenzen hinweg war jedenfalls nicht gewährleistet: Vielmehr war das Verhältnis von Herrschenden (Freie, lat. potentes) und Dienenden (Unfreie, lat. pauperes) von massiver sozialer Ungleichheit hinsichtlich rechtlicher und materieller Aspekte geprägt, was von Heinrich von Meissen idealisiert dargestellt wird.

In Hugo von Trimbergs Der Renner (1300) jedoch erheben Bauern ihre kritische Stimme und stellen die vorhandene Situation in Frage:

[...] wie gefüeget sich daz,
[...]
Sint ein liute eigen, die andern frî? (V. 1323-26)
Übersetzung: Wie passt das zusammen, dass die einen Leute unfrei und die anderen frei sind?


Folglich kann die gesellschaftliche Situation durch die Dichotomie Ideal vs. Wirklichkeit, sowie Literatur vs. Realität beschrieben werden, das heißt es herrschte ein Spannungsfeld von realer Alltagswelt und utopischen Bildern/ Entwürfen.

Zitatnachweise, Literatur

  1. Conzelmann, Jochen/ Redzich, Carola: Textkompendium zur Einführung in die mittelalterliche Literatur, 4. Aufl., Freiburg i. Br. 2007, S. 17.
  2. Bumke, Joachim: Höfische Kultur: Literatur und Gesellschaft im hohen Mittelalter, 12. Aufl., dtv München 2008, S. 39.
  • Bumke, Joachim: Höfische Kultur: Literatur und Gesellschaft im hohen Mittelalter, 12. Aufl., dtv München 2008.
  • Weddige, Hilkert: Einführung in die germanistische Mediävistik, 7. Aufl., C.H.Beck München 2008.