Drachen im höfischen Roman
Merkmale und Eigenschaften von Drachen
In der Literatur des Mittelalters kursieren zahlreiche Begriffe unterschiedlichster Herkunft zur Bezeichnung eines Drachen. Die häufigsten sind: wurm (an. ormr), tracke (gr. drakón), slange und serpant (afr. serpent, lat. serpens). Es gibt keine klare Trennlinie zwischen den Begriffen. Welcher Begriff verwendet wird hing meist von der Vorlage oder der Verwendung als Reimwort ab. [1]
Die Bezeichnungen verweisen auf die frühen Vorstellungen von Drachen als „eine Vergrößerung der Schlange ins Fürchterliche.“ [2] In der Bibel gelten Schlangen als Symbole der höllischen Mächte. Daher ist es kein Wunder, dass auch der Drache im Christentum häufig mit dem Teufel in Verbindung steht. Drachen in der Hagiografie stellen häufig dessen Inkarnation dar. So teilt sich der Drache auch Fähigkeiten mit dem Teufel: Feuerspeien, sowie Gift, Rauch, Dampf und Gestank etc. sind Attribute des Teufels. [3] Die Vorstellung riesiger Schlangen hat sich mit der orientalischen von Mischwesen aus Krokodil und Raubvogel vermischt. Drachen zählen zu den zusammengesetzten Monstern, die aus Elementen verschiedener Tiere bestehen. [4] Die ausführlichste mhd. Beschreibung eines Drachen findet sich in Wirnts von Grafenberg ‚Wigalois‘. Der Drache namens Pfetan wird wie folgt beschrieben:
sîn houbt was âne mâze grôz,/ swarz, rûch; sîn snabel blôz,/ eins klâfters lanc, wol ellen breit,/ vor gespitzet, unde sneit/ als ein niuwesliffen sper;/ in sînem giele hêt er/ lange zene als ein swîn;/ breite scuopen hürnîn/ wâren an im über al;/ von dem houbet hin ze tal/ stount ûf im ein scharfer grât,/ als der kokodrille hât,/ dâ er die kiele kliubet mit;/ der wurm hêt nâch wurmes sit/ einen zagel langen (…)./ einen kamp hêt erals ein han,/ wan daz er ungevüege was;/ sîn bûch was grüene alsam ein gras, diu ougen rôt, sîn sîte gel;/ der wurm der was sinwel/ als eine kerze hin zetal;/ sîn scharfer grât der was val;/ zwei ôren hêt er als ein mûl;/ sîn âtem stanc, wand er was vûl,/ wirs dan ein âs daz lange zît/ an der heizen sunnen lît;/ ouch hêt er vil unsüeze/ als ein grîfe vüeze,/ die wâren rûch als ein ber;/ zwei schœniu vetiche hêt er/ gelîch eins pfâwen gevider;/ sîn hals was im vil nider/ gebogen ûf das grpene gras;/ sîn drozze gar von knurren was,/ als ein steinbockes horn.
(Sein Haupt war maßlos groß,/ schwarz, behaart, sein bloßes Maul/ maß einen Klafter in der Länge, eine Elle in der Breite/ und schnitt, vorn spitz zulaufend,/ wie eine frisch geschliffene Lanze;/ in seinem Rachen hatte er/ Zähne so lang wie die eines Ebers;/ breite Hornschuppen/ bedeckten ihn überall;/ vom Kopf zum Rücken hinab/ zog sich ein hoher scharfer Grat/ wie bei einem Krokodil,/ das damit Schiffe (von unten) spaltet./ Der Drache besaß nach Drachenart/ einen langen Schwanz (…)./ Er hatte einen Kamm wie ein Hahn,/ nur viel gewaltiger;/ sein Bauch war grasgrün,/ seine Augen rot, die Seiten gelb./ Der Drache war rund/ Wie eine umgedrehte Kerze (geformt);/ sein scharfer Grat war gelb;/ seine Ohren waren die eines Maultiers;/ sein Atem war übelriechend, denn er war faulig,/ schlimmer als bei Aas, das lange Zeit/ in der Sommerhitze liegt./ Außerdem hatte er sehr unförmige/ Füße wie ein Greif;/ Sie waren behaart wie bei einem Bären;/ Zwei schöne Flügel hatte er,/ die wie Pfauenfedern schillerten;/ sein Hals bog sich fast/ bis an das grüne Gras nieder./ Seine Kehle war ganz knorrig/ wie das Horn eines Steinbocks.) [5]
Obwohl Pfetan Flügel besitzt, kann er, wie alle Vertreter seiner Art, nicht fliegen. Der übel riechende Atem geht auf die Drachen der Hagiographie zurück und ist nach seinem muskulösen Schwanz eine seiner gefährlichsten Waffen. Der Drache ist der größte, stärkste und gefährlichste Gegner, auf den ein Held stoßen kann. Er ist außerdem nicht nur in der Lage den Helden, sondern eine ganze Gemeinschaft zu bedrohen. [6] Dies tut er von außerhalb der kultivierten Welt. Der Drache lebt in der Wildnis, [7] meist in der Nähe eines Gewässers. [8]
Häufig werden Drachen mit der Opferung von Jungfrauen an diese in Verbindung gebracht. Der Held, der eine Jungfrau retten kann, erhält diese meist zur Braut. Daher ist der Drachenkampf oft mit der Freierprobe verbunden. Der Schatz-Drache und der Jungfrauen verschlingende Drache gehen ursprünglich wohl auf zwei verschiedene Traditionen zurück. [9]
Drachenkampf
Die mittelalterliche Literatur kennt zahlreiche Drachentöter. Siegfried, Dietrich, Wigalois, Lanzelot, Tristan und Iwein sind nur einige davon. Der Kampf gegen einen Drachen gehörte in der Epoche um 1200 zum Standardrepertoire eines Helden. Dabei ging es entweder um Braut-, Hort-, Waffen- oder Wissenserwerb. Im höfischen Roman dominiert der Zweikampf von Held und Drache, jedoch können dem Helden dabei tierische Begleiter beistehen. [10] Im Iwein verhält es sich andersherum, hier kommt der Held einem Löwen im Kampf gegen den Drachen zur Hilfe. Oft tritt der Held den Kampf mit einer magischen Waffe, Lanze oder Schwert, an. Ein beliebtes Motiv ist das der herausgeschnittenen Drachenzunge: ein Betrüger beansprucht die Heldentat und Belohnung für sich. Der Held ist abwesend, erscheint jedoch im rechten Moment, um den Betrüger durch eine Trophäe (die Zunge) auffliegen zu lassen. Die Zunge ist jedoch nicht ungefährlich. Der Gestank, der von ihr ausgeht, lässt Tristan in einen todesähnlichen Zustand fallen. Noch nach dem Tod geht von dem Drachen Unheil und Chaos aus. [11]
Funktion des Drachen
Im höfischen Roman dient der Drache meist als abschreckendes Beispiel. Der Drache repräsentiert unhöfische Eigenschaften, die dem Leser als mahnendes Beispiel dienen sollen. [12] Der höfische Ritter besiegt das Monster und beweist dadurch die Überlegenheit der höfischen Welt. Der Dichter stellt dem Leser quasi einen moralischen Kompass vor. Die Verbindung zum Teufel wird dabei nicht mehr so stark betont wie in der Hagiographie, doch schwingt sie immer noch mit. Auch trifft nun viele andere Monster wie Zwerge, Riesen, wilde Menschen uvm., die auf einer Ebene mit dem Drachen gestellt werden können. Dennoch behält der Drache eine gewisse Sonderstellung. [13]
Beispiele
Tristan Gottfrieds von Straßburg
Tristan tötet im Rahmen eines Werbungsauftrag in Irland einen Drachen. Er soll für seinen Onkel Marke, König von Cornwall, die schöne Isolde, Tochter des irischen Königs, gewinnen. Da er jedoch zuvor deren Onkel getötet hat, ist Tristan in Irland nicht willkommen. Ihm ist jedoch bekannt, dass ein Drache das Land heimsucht und derjenige, der ihn tötet, die Prinzessin zur Braut erhält. Tristan tötet den Drachen und erhält ihre Hand, jedoch nicht für sich, sondern für seinen Onkel. Dies weicht vom geläufigen Erzählschema Aarne-Thompson 300 ab, nachdem es der Drachentöter ist, der die Prinzessin heiratet. [14] Zuvor muss er jedoch noch den betrügerischen Truchseß entlarven, der die Tötung des Drachen für sich beansprucht und als Beweis dessen Kopf präsentiert. Tristan, der nach dem Kampf in Ohnmacht viel, kann jedoch die zuvor herausgeschnittene Drachenzunge als Beweis für den Betrug des Truchseß und seine Identität als Drachentöter vorzeigen. Bei der Überfahrt nach Cornwall trinken Tristan und Isolde jedoch einen Liebestrank und beginnen eine Affäre. So gewinnt der Drachentöter zwar doch noch die Prinzessin, allerdings führt dies zu neuen Problemen. Im ‚Tristan‘ fällt die Beschreibung des Drachen deutlich kürzer aus. Es geht vor allem um seine Eigenschaften im Kampf. Diese (Feuerspeien, Gift, Rauch, Dampf und Gestank) und die Bezeichnung als vâlant (8905) stellen eine Verbindung zum Teufel her, jedoch fehlt auf der gegengesetzten Seite Tristans Verbundenheit zu Gott und die Möglichkeit, den christlichen Glauben als überlegen darzustellen, sodass die Funktion des Kampfes nicht als die eines hagiographischen Drachenkampfes ausgelegt werden kann. Den Drachen ereilt mit zwîfel (9040) jedoch eine Untugend des Artusromans, was ihm auch das Leben kostet. Die höfische Welt siegt über die unvollkommene. Bedeutender ist jedoch die Funktion des Drachenkampfes für die Brautwerbung.
Wigalois Wirnts von Grafenberg
Wie oben bereits erwähnt enthält der ‚Wigalois‘ die ausführlichste bekannte Drachenbeschreibung. Bei dieser greift Wirnt sowohl auf Legenden, als auch die Naturgeschichte zurück. Der Kampf ist im Vergleich dazu sehr kurz: Wigalois attackiert mit seiner Lanze den Drachen aus dem Hinterhalt und verletzt ihn schwer. Die Lanze hatte einst ein Engel nach Korntin, dem von dem Drachen heimgesuchten Land, gebracht. Der Drache setzt ihm nach, reißt ihm die Rüstung vom Leib und erdrosselt ihn beinahe, erliegt dann jedoch seiner Wunde. Wigalois fällt nach dem Kampf in Ohnmacht und erinnert sich beim Aufwachen nicht mehr an seine Existenz. Diese gelangt er jedoch rasch wieder und setzt seine Aventiure, die Befreiung des Landes Korntin vom heidnischen Usurpatoren Roaz, fort. Dabei bestreitet er weitere Kämpfe gegen Menschen und Monster.
Einzelnachweise
- ↑ Lecouteux, Claude: Der Drache, in: Zeitschrift für deutsches Altertum und deutsche Literatur 108 (1979), S. 13-31, hier S. 15-19
- ↑ Röhrich, Lutz: Drache, Drachenkampf, Drachentöter, in: Enzyklopädie des Märchens. Handwörterbuch zur historischen und vergleichenden Erzählforschung, Berlin/ New York 1981, Sp. 787-820, hier Sp. 793.
- ↑ Röhrich, Lutz: Drache, Drachenkampf, Drachentöter, in: Enzyklopädie des Märchens. Handwörterbuch zur historischen und vergleichenden Erzählforschung, Berlin/ New York 1981, Sp. 787-820, hier Sp. 790.
- ↑ Mühlemann, Simone: Monstrum, in: Enzyklopädie des Märchens. Band 9, Berlin 1999, Sp. 823-829, hier Sp. 824.
- ↑ Wirnt von Grafenberg: Wigalois. Text der Ausgabe von J.M.N. Kapteyn übersetzt, erläutert und mit einem Nachwort versehen von Sabine Seelbach und Ulrich Seelbach, Berlin/Boston 2014, V. 5028-5074.
- ↑ Röhrich, Lutz: Drache, Drachenkampf, Drachentöter, in: Enzyklopädie des Märchens. Handwörterbuch zur historischen und vergleichenden Erzählforschung, Berlin/ New York 1981, Sp. 787-820, hier Sp. 788.
- ↑ Rebschloe, Timo: Der Drache in der mittelalterlichen Literatur Europas, Heidelberg 2014, S. 268.
- ↑ Röhrich, Lutz: Drache, Drachenkampf, Drachentöter, in: Enzyklopädie des Märchens. Handwörterbuch zur historischen und vergleichenden Erzählforschung, Berlin/ New York 1981, Sp. 787-820, hier Sp. 791.
- ↑ Röhrich, Lutz: Drache, Drachenkampf, Drachentöter, in: Enzyklopädie des Märchens. Handwörterbuch zur historischen und vergleichenden Erzählforschung, Berlin/ New York 1981, Sp. 787-820, hier Sp. 792f.
- ↑ Hammer, Andreas: Tradierung und Transformation. Mythische Erzählelemente im „Tristan“ Gottfrieds von Straßburg und im „Iwein“ Hartmanns von Aue, Stuttgart 2007, S.112f.
- ↑ Brall-Tuchel, Helmut: Drachen und Drachenkämpfe in Geschichtsschreibung, Legende und Roman des Mittelalters, in: Saeculum 57 (2006), S. 213-230, S. 226.
- ↑ Hammer, Andreas: Tradierung und Transformation. Mythische Erzählelemente im „Tristan“ Gottfrieds von Straßburg und im „Iwein“ Hartmanns von Aue, Stuttgart 2007, S.121.
- ↑ Brall-Tuchel, Helmut: Drachen und Drachenkämpfe in Geschichtsschreibung, Legende und Roman des Mittelalters, in: Saeculum 57 (2006), S. 213-230, S. 223.
- ↑ Hammer, Andreas: Tradierung und Transformation. Mythische Erzählelemente im „Tristan“ Gottfrieds von Straßburg und im „Iwein“ Hartmanns von Aue, Stuttgart 2007, S.112.
Literaturverzeichnis
- Brall-Tuchel, Helmut: Drachen und Drachenkämpfe in Geschichtsschreibung, Legende und Roman des Mittelalters, in: Saeculum 57 (2006), S. 213-230.
- Hammer, Andreas: Tradierung und Transformation. Mythische Erzählelemente im „Tristan“ Gottfrieds von Straßburg und im „Iwein“ Hartmanns von Aue, Stuttgart 2007.
- Lecouteux, Claude: Der Drache, in: Zeitschrift für deutsches Altertum und deutsche Literatur 108 (1979), S. 13-31.
- Mühlemann, Simone: Monstrum, in: Enzyklopädie des Märchens. Band 9, Berlin 1999, Sp. 823-829.
- Rebschloe, Timo: Der Drache in der mittelalterlichen Literatur Europas, Heidelberg 2014.
- Röhrich, Lutz: Drache, Drachenkampf, Drachentöter, in: Enzyklopädie des Märchens. Handwörterbuch zur historischen und vergleichenden Erzählforschung, Berlin/ New York 1981, Sp. 787-820.
- Wirnt von Grafenberg: Wigalois. Text der Ausgabe von J.M.N. Kapteyn übersetzt, erläutert und mit einem Nachwort versehen von Sabine Seelbach und Ulrich Seelbach, Berlin/Boston 2014.