Drachenkampf (Gottfried von Straßburg, Tristan)

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Dieser Artikel befasst sich mit der Drachenkampfszene in Gottfrieds Tristan.

Drache

Zur Deutung des Drachens, als allgemeines Symbol, möchte ich im folgenden Abschnitt das Herder-Lexikon der Symbole heranziehen und den durchaus aufschlußreichen Lexikoneintrag dazu hier zitieren: "Drache, in den myth. Vorstellungen vieler Völker lebendes Mischwesen aus Schlange, Echse, Vogel, Löwe usw., häufig mit mehreren Köpfen. In vielen Religionen verkörpert er (vielfach der Schlange nahestehend) gottfeindl. Urmächte, die überwunden werden müssen. In Zshg. damit haben sich mehrere D.ntötermythen herausgebildet (Indra, Zeus, Apollo, Siegfried, Georg). - Im AT verkörpert der D. (dem Leviathan nahestehend) das Weiterwirken es vorweltl. Chaos, das die Schöpfung bedroht und das besiegt werden muß. In der Apokalypse verfolgt der D. als Prinzip des Satans die mit der Sonne bekleidete Frau, die das (Christus-)Kind gebiert; er wird v. dem Erzengel Michael gestürzt. - In Sagen u. Märchen erscheint der D. häufig als Bewacher eines Schatzes oder einer geraubten Königstochter u. verkörpert somit die Schwierigkeiten, die vor Erreichen eines hohen Zieles überwunden werden müssen. - C.G. Jung sieht in den Drachenkämpfermythen den Ausdruck eines Kampfes zw. dem ich u. regressiven Kräften des Unbewussten. - Im Hinduismus u. Taoismus gilt der D. als machtvolle geistige Wesenheit, die den Trank der Unsterblichkeit hervorbringen kann. [...]"[1]

Drache als personifizierte Hölle

Drachen sind uns bekannt aus Märchen, Erzählungen, heldenepischen Texten und sogar aus der Bibel. Gehören die Lindwürmer oder Drachen in der Heldenepik beinahe schon zum Standartinventar und ihr Tod zur Basisaufgabe eines jeden Helden, der die Ritterschaft erlangen will, so verkörpern sie in der Bibel den Teufel, Satan oder schlicht: Das Böse. In noch älteren Darstellungen, beispielsweise in keltischen, indischen oder mesopotamischen Schöpfungsmythen, steht der (meist schlangenähnliche) Drache auch für das Urchaos, das zu Beginn der Welt vom Schöpfergott besiegt wurde. In alten Erzählungen ist das Töten des Drachen durch den Helden daher nicht allein eine mutige Tat, sondern ein fast zeremoniell notwendiges Erneuern der kosmischen Ordnung, die (symbolisiert durch die Bedrohung durch den Drachen) in Gefahr ist, in das Urchaos zurückzufallen. [2]

In neueren Heldenerzählungen, zu denen auch die Drachenkampfszene im Tristan gehört, wurde die ursprüngliche Bedeutung des Kampfes als Reaktualisierung des Schöpfungsaktes umgedeutet. Hier wird der Drache für den Fortgang der Handlung instrumentalisiert: Er ist der Preis für die Königstochter Isolde. Da Isolde aber über alle Maßen schön und damit auch über alle Maßen wertvoll ist, muss der Drache eine wahre Ausgeburt der Hölle und das Böse in Fleisch und Blut sein. Es sind einige Textstellen zu finden, die den Tristan-Drache als chaosbringenden Feind des Landes, als tödliche Bedrohung und Geißel der Menschen beschreiben. Zur Charakterisierung des Drachens in seiner Bestialität trägt bereits der Ort, an dem er haust, bei:


er nam im in der wilde

manege kêre und manege vart.

[…]

wider daz tal z´Alferginân.

(V. 8936 ff.)


Die Wildnis gilt in der höfischen Epik als der unkultivierter, chaotischer Raum, der die Dämonie des Bösen unterstreicht [3] . Das tal z´Alferginân (V. 8940) hat Gottfried wohl aus seiner Vorlage entnommen, auf die er sich wenig später beruft. Die Ortsbezeichnung dürfte auf ein afrz. l´enfer guignant (von guigner >lauern<) zurückgehen und mit >lauernde Hölle< zu übersetzen sein. [4] Auch die Waffen und Mittel des Schreckens, die der Drache einsetzt, deuten auf die personifizierte Hölle hin, es ist von: Rauch, Flammen, Sturm (rouch unde vlammen unde wint V. 8971), Gebrüll, Feueratem, Zähne und Feuer, Dampf und sogar vom tiuveles kint (V. 8972), vom Kind des Teufels die Rede.

Drache und Brautwerbung

Die Brautwerbung ist ein wichtiges Motiv im Tristan, sowie in fast allen mittelalterlichen Heldenepen. Oftmals spielt der unvermeidbare Drachenkampf dabei eine entscheidende Rolle. Kommt nicht für jeden Helden irgendwann der Moment im Leben, in welchem er auszieht um sich eine Jungfrau zu erobern? Wer die hohe Kunst der höfischen Minne versteht, heldenhaft, stark und schön ist, der braucht eine Frau, die alle Eigenschaften in sich vereint, für die es sich lohnt, einen Drachen, oder wenigstens einen mittelgroßen Lindwurm zu erlegen. Dass dieser Kampf gegen den Drachen in der Moderne ab und an als Auseinandersetzung mit der Schwiegermutter interpretiert wird, ist eine interessante Vorstellung, auch wenn sie wesentlich weniger heldenhaft klingt, als das romantisch-verklärte Bild des Drachentöters. Der Tod des Drachen führt bei Gottfried nicht unmittelbar zur Eroberung der Jungfrau, auch wenn das Motiv gegeben ist, denn Tristan tritt seine Ansprüche an Isoldes Hand, die nach dem Sieg über den Drachen rechtmäßig ihm gehören würde, an Marke ab. Der Kampf gegen den Drachen ist hier also kaum mehr als ein Mittel zum Zweck, die Werbung um Isolde zu unterstützen.

Morold und der Drachenkampf als Dopplung

Natürlich drängt sich zu der Drachenepisode der Vergleich mit dem vorangegangenen Kampf gegen Morold auf. Kaum ein Interpret kommt an diesem Vergleich vorbei, da die Dopplung ein bekanntes, und häufig eingesetztes Stilmittel in Gottfrieds Tristan darstellt. Allerdings gibt es auch entscheidende Unterschiede, obwohl der Held in beiden Episoden als Retter erscheint, so wirkt er in den Kampf mit den Drachen wesentlich menschlicher, wenn auch nicht weniger heldenhaft.

Ließ der Kampf gegen Morold beim Leser schon von Anfang an keinen Zweifel über Tristans Sieg, so ist der Drachenkampf in dieser Hinsicht wesentlich dramatischer beschrieben. Tristan zeigt zum ersten Mal trotz seines Heldenmutes menschliche Schwächen wie Angst und Entsetzen. Nach dem Kampf muss er sich ausruhen, wohingegen er nach dem Kampf gegen Morold noch die Energie hatte, trotz Verletzung, seinen Feinden gegenüber zu treten (zu weiteren Überlegungen zum "Erschöpfungs"-Motiv siehe unten). Außerdem geht auch noch von dem toten Drachen eine Gefahr für Tristan aus: Wie beim Sieg über Morold hinterlässt auch der Drache Tristan ein todbringendes Abschiedsgeschenk: Es ist es das Gift der herausgeschnittenen Drachenzunge, welches Tristan bewusstlos werden lässt und diese Verletzung wirkt beängstigender und stärker als die Wunde, welche Morold ihm zugefügt hat, dringt sie doch diesmal bis in Tristans Innerstes vor und vergiftet ihn umgehend.

Das Schlafmotiv: Erschöpfung nach dem Kampf?

Wie eingangs bereits erwähnt hat sich das Erklärungsmuster zur Interpretation des Drachenkampfes in der Menschheitsgeschichte stark verändert. Wo der Drache früher das Chaos symbolisierte, das der Held in Nachahmung der Götter bezwingen und damit die kosmische Ordnung bewahren musste, wurde diese tiefere mythologische Ebene später nicht mehr verstanden. Wenn der Held in älteren Sagen (z.B. Herakles nach dem Kampf gegen den durch Waffen nicht verwundbaren nemeischen Löwen) nach dem Kampf in langwährenden Tiefschlaf fällt, so ist das eine Symbolisierung eines Gangs durch die Unterwelt, durch den Tod, der die Entsprechung des Chaos ist, das im Drachen verkörpert ist. Zur Umdeutung des Schlafes schreibt Wolfgang Hierse:

"Der mythische Sinn dieses scheinbar erlittenen Todes wurde von späteren Erzählern nicht mehr recht verstanden. Es verwundert deshalb nicht, daß dieser Todes-Schlaf von einer rationalistischeren Zeit umgedeutet wurde in einen Erschöpfungs-Schlaf nach den Anstrengungen des vorangegangenen Kampfes oder erklärt wurde als Vergiftungserscheinung, die sich der Held infolge einer Verletzung durch den giftigen Drachen zugezogen hätte. Diese geistige, später dann körperliche Abwesenheit des Helden bildet die organische Voraussetzung für den Fortlauf der Handlung: sie ermöglicht den Betrug des Verräters." [5]

Der Truchseß ersticht den toten Drachen

Der Tod des Drachen dient im Tristan, wie in vielen anderen neueren Erzählungen und Märchen, dem rechtmäßigen Erwerb der Königstochter, ihr Werber muss sich durch seinen Mut und seine Fähigkeiten ihrer als würdig erweisen. Im Kampf gegen den Drachen kann Tristan keine List anwenden, Isoldes Hand kann nicht durch Betrug erworben werden. Zur Verdeutlichung dieser Tatsache und als Kontrastfigur zu Tristan wird der feige Truchseß vorgeführt. Der Truchseß wartet lange schon auf eine Gelegenheit Isolde für sich zu gewinnen, ist jedoch selbst zu feige für den Kampf und in seinen Eigenschaften der jungen Königin selbst verhasst. Seine Bemühungen bestehen darin immer an Ort und Stelle zu sein, wenn jemand gegen den Drachen reitet, aber beim Kampf selbst schleunigst zu verschwinden.


Und alse ie man ze velde reit

durch gelücke und durch manheit,

sô was ouch der truhsaeze dâ

eteswenne und eteswâ

[…]

wan ern gesach den trachen nie,

ern kêrte belderîchen ie.

(V. 8953 ff.)


Als Tristan den Drachen ersticht, hört der Truchseß den Todesschrei der Bestie und reitet sofort los, dabei wird jedoch immer seine Feigheit und Unehrenhaftigkeit erwähnt


bî dem sô habete er lange

trahtende cleine und ange.

In nam der kurzen reise

grôz angest unde vreise.

(V. 9113)


Schließlich erreicht er den toten Drachen, der scheinbar noch im Tode so furchterregend ist, dass der Truchseß umgehend kehrt macht und dabei sogar vom Pferd fällt, was Gottfried dem Leser in einer überaus komischen Art und Weise vor Augen malt. Ob dies jedoch an der schrecklichen Drachengestalt oder schlicht an der Feigheit des Truchseß liegt, lässt der Text offen. Das Pferd zurück lassend sucht der Truchseß schließlich sein Heil in der Flucht und wagt erst, zum Schauplatz des Kampfes zurück zu schleichen, als er merkt, dass er nicht verfolgt wird. Hier werden wieder die bewusst verdeutlichten Unterschiede zwischen Tristan und dem Truchseß hervorgehoben: Während der Truchseß schurkisch, feige und heimlich handelt, reitet Tristan trotz seiner Furcht heldenhaft und stetig gegen den Drachen an, so lange bis dieser seinen Verletzungen erliegt. Der Truchseß „ersticht“ schließlich den bereits toten Drachen und macht sich dann auf die Suche nach Tristan, dem wahren Bezwinger der Bestie, um diesen hinterhältig zu ermorden, er kann ihn jedoch nicht finden. Um seinen Sieg beweisen zu können steckt der Truchseß dem toten Drachen sein Speer in den Schlund, als habe er ihn selbst erlegt. Dann lässt er den Kopf abholen, zeigt all seinen Verwandten und Bekannten den Kampfschauplatz und bittet sie zu verbreiten, was sie dort gesehen haben. Erst durch die spätere Verhandlung, Tristans Auftritt und das Vorzeigen der zuvor herausgeschnittenen Drachenzunge, kann der betrügerische Truchseß schließlich der Lüge überführt werden. Nachdem er öffentlich des Betrugs überführt und gedemütigt wird verschwindet der namenlose Truchseß aus der Geschichte.

Fazit

Der Kampf gegen den Drachen darf selbstverständlich in keinem mittelalterlichen Text fehlen und ein wahrer Held wie Tristan ist natürlich der einzige, der das Land von solch einer Bedrohung befreien kann. Allerdings unterscheidet sich sein Motiv sehr von den üblichen Gründen, er tötet den Drachen um in Markes Namen um Isolde zu werben. Es geht also weder um eine selbstlose Heldentat, noch um einen Beweis seiner Ritterlichkeit oder die Rettung einer Jungfrau, fast scheint der Kampf gegen den Drachen lediglich eine weitere List zu sein, die Tristan einsetzt, um einerseits die Iren milde zu stimmen und sie Marke, als Heiratskandidaten, schmackhaft zu machen, da er gleichzeitig um seine eigene Stellung bei Hofe fürchtet. Für Gottfried bedeutet der Kampf lediglich ein weiteres Mittel zur Spiegelung, welche er im Morold-Kampf und dem Kampf gegen den Riesen wieder gibt und gleichzeitig eine willkommene Gelegenheit die, früher sehr populäre, Gestalt des sogenannten Frauenritters auf die Schippe zu nehmen.


  1. Herder Lexikon, Symbole. Band 4187, S. 36
  2. Hierse, Wolfgang Das Ausschneiden der Drachenzunge und der Roman von Tristan / vorgelegt von Wolfgang Hierse, Tübingen, Univ., Diss., 1969, hier S. 24-26 und S. 32-33
  3. Herman, Henning, Identität und Personalität in Gottfried von Straßburgs Tristan, aus: Schriften zur Mediävistik Band 8, Hamburg 2006 .
  4. Vgl. Gottfried von Straßburg Tristan Band 3 Kommentar Rüdiger Krohn
  5. Hierse, Wolfgang Das Ausschneiden der Drachenzunge und der Roman von Tristan / vorgelegt von Wolfgang Hierse, Tübingen, Univ., Diss., 1969, hier S. 57