Gahmuret und Feirefiz - ein Vergleich

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Dieser Artikel soll sich mit den Parallelen im Lebensweg von Gahmuret und seinem Sohn Feirefiz beschäftigen, sowie Unterschiede herausstellen. Konkret soll untersucht werden, in welchen Bereichen Feirefiz Gahmuret ähnelt und inwiefern er eine gesteigerte Version seines Vaters darstellt. [1] [2] [3]

Wer sind Gahmuret und Feirefiz?

Gahmuret ist der jüngere von zwei Söhnen des Königs Gandîn. Sein älterer Bruder trägt den Namen Galoes. Gahmuret und seine Verwandten gehören dem Geschlecht der Anschouwe und der Mazadansippe an. Relativ zu Beginn der Handlung des Parzival stirbt Gahmurets Vater. In der Folge zieht Gahmuret als Ritter in den Orient hinaus. „Der hoehsten hant zu dienen ist [hierbei] das erklärte Ziel des Helden“ (Müller 67), wodurch er sich Ruhm und Ehre verdienen möchte. Nach seinem Dienst bei der hoehsten hant, dem Barûc von Baldac, gelangt Gahmuret in das Königreich Zazamanc, wo er seine erste Ehe mit der heidnischen Königin Belacane beschließt. Aus der Beziehung von Gahmuret und Belacane geht der gemeinsame Sohn Feirefiz hervor. Gahmuret verlässt seine heidnische Frau jedoch, bevor Feirefiz geboren wird. Nach seiner Rückkehr ins Abendland heiratet Gahmuret ein weiteres Mal. Die Beziehung von Gahmuret und Herzeloyde, einer Christin, führt zur Geburt von Gahmurets zweitem Sohn, der Parzival getauft wird. Sowohl Parzival als auch Feirefiz lernen ihren Vater niemals kennen, da Gahmuret ein weiteres Mal dem Ruf des Barûc folgt und in der Folge bei einem Kampf im Orient ums Leben kommt (vgl. 105, 14 - 17).

Kurz nachdem sie von Gahmuret verlassen und ihren Sohn Feirefiz zur Welt gebracht hat, stirbt Belacane an gebrochenem Herzen (vgl. 750, 24 - 26). Feirefiz wächst dementsprechend als Waise im Heidenland auf. Außerdem hat Gott ihn - dem Erzähler zufolge - mit einem Wunder versehen und ihm einen zweifarbigen Körper mit schwarz-weiß-gefleckter Haut geschenkt. Dies wird direkt bei der Beschreibung von Feireiz' Geburt als das ihn auszeichnende Merkmal genannt:


Mittelhochdeutsch Neuhochdeutsch
diu frouwe an rehter zît genas

eins suns, der zweier varwe was,

an dem got wunders wart enein:

wîz und swarzer varwe schein.

Als die rechte Zeit gekommen war,

da brachte die Dame einen Sohn zur Welt, der war von zweierlei Farbe;

an ihm wollte Gott ein Wunder wirken:

Weiß schien seine Haut und schwarz.

57, 15 - 18


Feirefiz wird durch sein einzigartiges Aussehen also von seiner Geburt an als eine Figur mit besonderem Status dargestellt. Nach diesen Beschreibungen von Feirefiz im ersten Buch des Parzival erfährt der Leser zunächst nichts mehr über ihn, bis er im Buch VI in Erzählungen von Cundrîe und Ekubâ als "mittlerweile mächtige[r] Minneritter und König des Orients" (Müller, 11) bezeichnet wird. Ein persönliches Auftauchen von Feirefiz als erwachsener Mann wird jedoch erst im Buch XV und XVI in die Handlung integriert. Nach seinem Überschreiten der Grenze zum Abendland trifft Feirefiz auf Parzival und trägt einen Bruderkampf mit ihm aus, der letzten Endes friedlich ausgeht. Später konvertiert Feirefiz zum Christentum und heiratet Repanse de Schoye, die Trägerin des Grals. Mit ihr kehrt er nach Indien zurück, was zur "Christianisierung des Orients und [der] Begründung [s]eines eigenen Geschlechts, dem der Priesterkönige [...]" [Müller 2008:11] führt. [4]

Gahmuret, Feirefiz und die Frauen

Zu Beginn dieses Artikel findet sich ein kurzer Überblick zu Gahmurets Liebesbeziehungen im Parzival sowie zu Feirefiz' Ehe mit Repanse de schoye. In Bezug auf die Reihenfolge der Beziehungen mit Frauen verschiedenen Glaubens weist das Liebesleben von Feirefiz deutliche Übereinstimmungen mit Gahmurets Liebesleben auf. Vater wie Sohn führen zunächst eine Beziehung mit einer Heidenkönigin, brechen diese ab und ehelichen dann eine christliche Adelsdame.

Im Falle Gahmurets ist seine erste, heidnische Frau die schon erwähnte Königin Belacane, die Mutter von Feirefiz. Wie Gahmuret dient auch Feirefiz zunächst einer Heidin, nämlich der indischen Königin Secundille in minne, wie zum ersten Mal in Buch X erwähnt wird. Im Gegensatz zu Gahmuret ist Feirefiz aber weder mit Secundille verheiratet, noch haben sie ein gemeinsames Kind. Feirefiz' Liebe zu Secundille scheint stark zu sein. denn als es zu einem Bruderkampf zwischen Parzival und Feirefiz kommt, verleiht ihm der Gedanke an Secundille Kraft und Zuversicht. Dies ändert sich jedoch geradezu schlagartig als seine Augen auf die Gralsträgerin Repanse fallen. Feirefiz löst nun seine triuwe zu Secundille und fällt in einen derartigen Liebestaumel, dass er sich sogar taufen lässt, um Repanse heiraten zu können (vgl. 817, 1f). Während Gahmuret seine Belacane "nun gar nicht nach höfischer Sitte schwanger zurück[ließ]" [Raucheisen 1997: 66], ist Feirefiz Secundille zwar auch nicht mehr treu, macht sich jedoch ethisch-moralisch nicht im gleichen Sinne schuldig, da er keine schwangere Ehefrau verlässt.

Auffallend ist, dass Vater wie Sohn beide eine heidnische Frau verlassen und eine christliche Frau heiraten, mit der sie bis zu ihrem Tod im ehelichen Bündnis bleiben. Die jeweilige Motivation für das Verlassen der Heidin sind jedoch unterschiedlicher Natur. Im Fall von Feirefiz begründet sich das Auflösen des Minneverhältnisses auf der neuen Bekanntschaft mit Repanse. Feirefiz' Liebe zu Repanse spielt auch eine große Rolle in seiner Entscheidung zur Taufe und damit Konvertierung zum Christentum, denn er "begehrt nicht die Taufe, sondern die schöne Repanse, die Taufe ist ihm nichts als ein Mittel zur Liebeserfüllung". [Kellner 2009:37] Gahmuret hingegen wird nicht durch Herzeloyde veranlasst, Belacane zu verlassen, da er sie erst zu einem späteren Zeitpunkt in der Handlung kennenlernt. Stattdessen nennt er in einem Abschiedsbrief die Diskrepanz ihrer Konfessionen als Grund (vgl. 55, 25/26), während er sich dem Erzähler zufolge nach aventiure und ritterschaft sehnt (vgl. 54, 17 - 20).

Grenzüberschreitungen

Gahmurets Überschreiten der Grenze zwischen Orient und Okzident, sowie seine Beziehung mit der Heidin Belacane, machen die Existenz seines Sohnes, der den Orient und den Okzident in sich vereint, erst möglich. "[M]it Gahmuret greift die Mazadansippe [also] in den Orient aus, in Feirefiz verschränken sich Osten und Westen, Heidentum und Christentum genealogisch." [Kellner 2009:35]

Kellner fasst all die Weisen, auf die Gahmurets erster Sohn Grenzen vereint oder überschreitet wie folgt zusammen: "Feirefiz hat die Rolle als Grenzgänger zwischen Orient und Okzident im Blut, sie ist ihm in seiner Elsternfarbigkeit geradezu auf den Leib geschrieben, [...]. Jener bewegt sich nicht nur wie sein Vater in beiden Welten, im Orient und im Okzident, jener ist nicht nur wie sein Vater ein Liebling der Frauen, welcher zunächst eine schwarze (Secundille) und dann eine weiße Dame (Gralsträgerin Repanse de schoye) heiratet, sondern er wechselt auch seine religiöse Identität: Er lässt sich schließlich taufen [...]" [Kellner 2009:35] Dieses Zitat fasst zusammen, dass Feirefiz einerseits allein durch seine Geburt und seine schwarz-weiße Haut Elemente des Orients und des Okzidents passiv in sich vereint und andererseits wie sein Vater aktiv Grenzen überschreitet. Durch die Farben seiner Haut ist schon von außen erkennbar, dass Feirefiz Gegensätze wie schwarz und weiß in sich vereint. Auch führt Feirefiz wie sein Vater Beziehungen mit Frauen, die verschiedenen Religionen und Ethnien angehören, doch er geht noch einen Schritt weiter und überschreitet durch die Taufe persönlich die Grenze von christlichem Unglauben zu christlichem Glauben.

Beide, Vater wie Sohn, sind Grenzgänger-Figuren. Feirefiz verkörpert den Typus der Grenzgänger-Figur jedoch auf eine gesteigerte Art und Weise, da er selbst den Glauben wechselt, anstatt nur Beziehungen mit Frauen verschiedenen Glaubens zu haben. Kellner argumentiert, dass Feirefiz' Wechsel der Konfessionen sein genealogisches Erbe aus der "Nähe zum Christentum, die sich in der Tränentaufe und in den inneren Werten, der kiusche, seiner Mutter Belakane (28, 10 – 17) bereits gezeigt hatte [darstellt] [...]. Genealogisch gedacht, wird jener Mangel an Heil, in dem Belakane trotz ihrer inneren Vorbildlichkeit und ihrer äußerlichen Bereitschaft zur Taufe (56, 28 – 30) verharrte, eine Generation später, im Sohn Feirefiz ausgeglichen." [Kellner 2009:35] Demzufolge wäre Feirefiz Konvertierung zum Christentum als genealogische Konsequenz Belacanes zu denken und nicht unbedingt als Erbe Gahmurets. Allerdings ist dieses finale und absolute Überschreiten von Feirefiz eine solch klare Steigerung der temporären Grenzüberschreitungen, die Gahmuret zu Lebzeiten unternimmt, dass mindestens beide Elternteile als Kausalitäten für Feirefiz' Glaubenswechsel in Betracht gezogen werden müssen.

Durch Feirefiz' Wechsel der Konfessionen tritt er gleich zweimal in Gebiete über, die der jeweils anderen Religion zugeschrieben sind, welcher er jenem Moment des Überschreitens nicht angehört. Zurecht fragt Nicole Müller: "[W]ie schafft es ein Heide zum Gral und dann als Christ zurück in den Orient?" [Müller 2008:12] Sie fasst damit die zwei ungewöhnlichsten Grenzüberschreitungen des Feirefiz in einer Frage zusammen. Eine dieser beiden Grenzüberschreitung ist Feirefiz' Rückkehr in den Orient. Wäre er Heide geblieben, wäre seine Rückkehr nach Indien nichts Besonderes, doch weil er seine Konfession wechselt, ist die Rückkehr der Beginn der Christianisierung des Orients. Spätestens im Schluss der Feirefiz-Handlung vermischen sich also durch die Figur Feirefiz Christen- und Heidentum, indem christliche Elemente in den Orient eingeführt werden.

Detaillierte Informationen zum Thema Grenzen zwischen Heiden- und Christentum finden sich im separaten Artikel Das Heidentum als Hindernis.

Integration in die jeweils fremde Welt

Von einer wirklichen Integration Gahmurets in den Orient kann man zu seinen Lebzeiten nicht sprechen, obwohl er sich dem Orient und dem Barûc doch immerhin so verbunden fühlt, dass er nach seiner Rückkehr in die Heimat aufgrund einer Notlage des Barûcs noch einmal in den Orient aufbricht. Als er infolgedessen im Orient umkommt, wird er jedoch symbolisch in das Land integriert. Sein Begräbnis findet in Bagdad statt und beinhaltet sogar christliche Symbole wie das Kreuz, was bedeutet, dass Gahmuret wortwörtlich als Christ in heidnische Erde aufgenommen wird. Außerdem wird Gahmuret von nun an von den Heiden als Gott verehrt und so posthum in die heidnische Religion intergriert (vgl. 106, 29 - 107, 24).

In Bezug auf die Frage nach Feirefiz' vollständiger Integration in die christliche Welt spalten sich die Meinungen der Forschung. Eine Meinung, die von Nicole Müller vertreten wird, ist folgende: "Feirefiz [wird] vollständig in die Gralswelt integriert: Über den Lehnseid an den obersten Lehnsherrn, über den Taufakt selbst ist er ein Mitglied der Sippe der Christen und über die Minnebeziehung zu Repanse ist er auch noch mit der Titurel-Sippe verwandt." [Müller 2008:303] Müller belegt diese Interpretation damit, dass Feirefiz' auffallendstes Merkmal, welches seine spezielle Position als grenzüberschreitende und -vereinende Person symbolisiert, nämlich seine schwarz-weiße Haut, nach seiner Hochzeit mit Repanse nicht mehr erwähnt wird: "Hat sich bislang die Figur des Feirefiz dadurch ausgezeichnet, seine genealogische Einbindung und seine Heidenschaft ständig über seinen zweifarbigen lîp präsent zu halten, so ist dieser nun gänzlich aus der Handlung verschwunden.“ [Müller 2008:303] Beate Kellner vertritt hier eine andere Meinung, die sich darauf begründet, dass es in der Feirefiz-Handlung sowie im gesamten restlichen Parzival nicht um das Auslöschen einer bestimmten Weltsicht, Glaubensrichtung oder Lebensart und das Annehmen einer anderen geht, sondern um das Ineinanderfließen von gegensätzlichen Welten [Kellner 2009: vgl.38]. Ihrer Ansicht nach bleibt "[i]n Feirefiz' Art, in seinem Blut, in der Farbe seiner Haut und in der von ihm ausgehenden Genealogie [...] die heterogene Herkunft aus der Verbindung eines Christen und einer Heidin, die Spannung zwischen Ost und West erhalten." [Kellner 2009:37]

Anmerkungen

  1. Alle folgenden Versangaben beziehen sich auf die Ausgabe: Wolfram von Eschenbach: Parzival. Text und Übersetzung. Studienausgabe. Mittelhochdeutscher Text nach der sechsten Ausgabe von Karl Lachmann. Übersetzung von Peter Knecht. Mit einer Einführung zum Text der Lachmannschen Ausgabe und in Probleme der 'Parzival'-Interpretation von Bernd Schirok, 2. Aufl., Berlin/ New York 2003.
  2. Ein weiterer interessanter Vergleich ist der zwischen Feirefiz' Halbbruder und ihrem gemeinsamen Vater: Parzival und Gahmuret im Vergleich
  3. Zur Wissenserweiterung der Figuren Feirefiz, Parzival und Gahmuret dient auch der Vergleich zwischen den beiden Halbbrüdern: Parzival und Feirefiz
  4. Weitere Informationen zu Verwandtschaftsbeziehungen im Parzival sowie Linien mit und ohne Ahnherrn, im Besonderen zur Mazadansippe unter dem Ahnherrn Titurel, finden sich im separaten Artikel Verwandtschaftsbeziehungen


Literaturnachweise

<HarvardReferences/> [*Kellner 2009] Kellner, Beate: Wahrnehmung und Deutung des Heidnischen in Wolframs von Eschenbach "Parzival". In: Wechselseitige Wahrnehmungen der Religionen im Spaetmittelalter und in der Fruehen Neuzeit. Ort unbekannt, 2009.
[*Müller 2008] Müller, Nicole: Feirefiz - Das Schriftstück Gottes. Frankfurt am Main u.a., 2008.
[*Raucheisen 1997] Raucheisen, Alfred: Orient und Abendland: Ethisch-moralische Aspekte in Wolframs Epen Parzival und Willehalm. Frankfurt am Main u.a., 1997.