Gottesurteil (Gottfried von Straßburg, Tristan)

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Gottesurteil mit glühenden Eisen

Dieser Artikel beschäftigt sich mit der Episode von Vers 15.267 bis 15.764, in der Isolde einem Gottesurteil::Gottesurteil unterzogen wird, um ihre Unschuld zu beweisen und sich jedes Verdachts des Ehebruch::Ehebruchs zu entledigen.

Hinführung (bis V. 15.533)

Im Laufe der Zeit erwacht bei dem betrogene Ehemann Isoldes, König Marke, immer wieder der Verdacht auf ein verbotenes Liebesverhältnis zwischen seinem Neffen Tristan und Königin Isolde. Jedes Mal gründet sich dieser Verdacht auf verräterische Spuren, die Tristan und Isolde durch einige Unvorsichtigkeit hinterlassen haben, und die mehr oder weniger eindeutig auf ihr Verhältnis hinweisen. Doch nie kann Marke seinen Verdacht bestätigen: Den beiden Liebenden gelingt es stets aufs Neue, mit List den Verdacht zu wiederlegen und sich aus den Anschuldigungen ihrer Feinde (v.a. des Truchsesses Marjodo und des Zwerges Melot) zu entwinden. Nachdem Marke allerdings beim Aderlass-Hinterhalt bei seiner Rückkehr von der Messe derart zweideutige Spuren findet, dass sie zugleich Tristans und Isoldes Schuld und Unschuld zu belegen scheinen, ist er ratlos. Er beschließt, dass er mit Isolde nicht holt oder heinlîch sein, also liebevollen oder vertrauten Umgang mit ihr haben könne, ehe sie nicht öffentlich ihre Unschuld bewiesen und die Gerüchte widerlegt habe. Auf einem Konzil in London wird bald darauf beschlossen, dass Isolde sich dem Gottesurteil mit dem glühenden Eisen anvertrauen soll, wozu sie sich auch bereit erklärt.

Das Gottesurteil

List (V. 15.534)

Um der Strafe Gottes und der Offenbarung ihrer Beziehung zu Tristan zu entgehen, bittet Isolde diesen in einem Brief nach Caerleon, wo er sie am Ufer erwarten soll. Tristan erscheint verkleidet als Pilger.

"Tristan kam dar
in pilgerînes waete.
sîn antlütze er haete
misseverwet unde geswellet,
lîp unde wât verstellet."
(V.15560-15565)

Isolde erkennt ihn sofort und bittet darum, von ihm an Land getragen zu werden. Auf dem Weg flüstert sie ihm zu, er solle sich, sobald er den Strand erreiche, fallen lassen und mit ihr auf der Erde liegen bleiben. Tristan tut was Isolde ihm aufträgt - er täuscht einen Sturz vor und bleibt an ihrer Seite, in ihren Armen liegen.

"...er der künigîn gelac
an ir arme und an ir sîten."
(V.15596-15597)

Isolde hält ihre Gefolgsleute davon ab, den Pilger Tristan für den Sturz zu bestrafen, weswegen ihr viel Ehre zugesprochen wird. Nun erklärt sie ihrem Ehemann Marke, dass es ihr nach dem Sturz mit dem Pilger nicht mehr möglich sei zu beschwören, dass nie ein Mann außer Marke an ihrer Seite und in ihren Armen lag.

"daz ich daz niht verrihten kan,
daz âne Marken nie kein man
an mînen arm kaeme
noch daz nie man genaeme
sîn leger an mîner sîten."
(V.15625-16629)

Mit diesem Ausspruch leitet sie bereits die eigentliche List ein, welche im Ablauf des Gottesurteils ersichtlich wird.

Deutung

Das Gottesurteil lässt sich etwa vor dem Hintergrund eines rein theologischen Moralverständnises oder im Sinne des Ordals (Gottesurteil) als rechtlichem Weg zur Wahrheitsfindung auslegen. Diese rechtlichen und theologischen Aspekte sind die üblichen, doch aus historischen Quellen ergeben sich noch andere Zugänge. Quellen zeigen etwa, dass Ordale nicht nur aus naivem Gottvertrauen abgehalten wurden. Stattdessen dienten sie auch der Förderung staatlicher und kirchenpolitischer Interessen oder dem Durchsetzen einheimischer Konventionen.[Kucaba 1997:vgl. 73f.]

Bezogen auf den Tristan Gottfrieds von Straßburg sehen einige Forscher das Ordal als Mittel König Markes bei der Wahrheitssuche im Falle der Liebesaffäre zwischen Tristan und Isolde.[1] Doch lässt sich dagegen zeigen, dass Markes Ratlosigkeit nach der Mehlspanprobe (V. 15268-15279) kein Bestreben, die Wahrheit herauszufinden, erkennen lässt. Vielmehr will Marke die ihn belastende zwîvelbürde, „das gleichzeitige Bestehen von Wahrheit und Lüge“[Kucaba 1997:75] aus der Welt schaffen, aber nicht etwa indem Gewissheit geschaffen (s. V. 15263, 16275-15729), sondern so, dass der Hof von dem Verdacht abgebracht werde. Ebenso nur auf Beseitigung der Zweifel, nicht aber auf Erlangung von Gewissheit ausgerichtet sind Markes Beratungen mit seinen Ratgebern (V. 16295-15299) oder die Anklage des lastermaere (V. 15328), nicht aber Tristan und Isolde selber, in London.[Kucaba 1997:ebd.]

In der ersten Rede des Bischofs von Themse geht dieser dem Wahrheitsgehalt der Beschuldigung nur nach, um die Anklage auf ihre Stichhaltigkeit zu überprüfen (V. 15267-15386). Auch in V. 15296-15409 steht weniger der Wahrheitsgehalt der Liebesaffäre als die Beschaffenheit des Gerüchtes und seiner Verbreitung im Vordergrund. Das wirkliche Problem, das der Bischof äußert, ist der „höfische[] Ordnungsverlust durch die wuchernde, abträgliche Repräsentation der Königin und des Königsneffen, die letztlich auch das königliche Prestige tangieren“, was Kucaba als „Disjunktion zwischen Faktizität und Rede“ fasst.[Kucaba 1997:76] Die zweite Rede des Bischofs (V. 15435-15451) verdeutlicht, dass nicht Wahrheit geschaffen, sondern das Gerücht ausgemerzt werden soll. Explizit wird dies in V. 15459-15464 deutlich, Markes Absicht ist die Zerstörung des Gerüchtes, welches als lüge bezeichnet und bewertet wird.[Kucaba 1997:77]

Verständlich wird diese Trennung von Wahrheit und Repräsentation, wenn man die Normen der höfischen Welt näher betrachtet. Der höfische Verhaltenskodex verlangt, dass bestimmte Dinge, wie die erotische Liebe, restringiert und nicht thematisiert werden. So sprechen auch König Marke und der Bischof nicht direkt über den Akt der Liebe, sondern nur über deren „sprachliche Repräsentation“. Denn: „Höfische Selbst- und auch Herrscherrepräsentation zielt keineswegs darauf, jegliche bestehende Wahrheit zu äußern oder gar wahrzunehmen. Im Gegenteil, sie erfordert, daß gewisse Fakten und Elemente ausgegrenzt und die Dinge, welche die Werte und die Ideologie des adeligen Hofs wahrnehmbar machen und affirmieren, hervorgekehrt werden sollen.“[Kucaba 1997:78] Es wird also einer strikten „Hofästhetik“ gefolgt, und nicht etwa Wahrheitsprinzipien. höfscheit definiert Kucaba als „ein vom wahren Affekt losgelöstes, diplomatisches Verhalten, das nicht egoistischen Gefühlen, sondern der Harmonie der gesellschaftlichen Interaktion dienen soll“, sie ist daher nicht ausschließlich im Sinne ihres Wahrheitsgehaltes zu beurteilen. Vielmehr besteht eine Inkompatibilität anstößiger Wahrheiten mit den Konventionen der höfscheit.[Kucaba 1997:79] Die Existenz der Liebesbeziehung scheint zweitrangig, wichtiger ist vielmehr der Umgang damit, dass sie öffentlich wurde, und nicht im Geheimen stattfindet. Letzteres erst bricht die höfischen Konventionen und greift die Ehre König Markes an. Affektbeherrschung scheint eine wichtige Maxime darzustellen. „Der König besteht weniger auf eheliche Treue als auf Treue zu seinen höfischen Idealen.“ Es soll also wenigstens „die Fiktion ehelicher Treue aufrechterhalten werden.“[Kucaba 1997:81f.]

Isoldes Antwort auf die Rede des Bischofs vermittelt, dass sie ganz in Markes Sinne nicht etwa Wahrheit in die Affäre bringen und ihre Unschuld beweisen will, sondern (mit ihrer Unschuld) aller arcwân beseitigt, und ihre sowie die êre mînes hêrren unde mîn (Isoldes) gerettet werden soll (V. 15513-15517). Das Gottesurteil im Tristan stuft Kucaba nicht als Instrument zur Wahrheitsfindung ein, sondern als ein von König Marke politisch und gesellschaftlich umfunktioniertes Mittel, „die labil gewordene Situation am Hof zu stabilisieren.“[Kucaba 1997:83] Isolde folgt hierbei also bloß den von Marke vorgegebenen Richtlinien. Und Marke räumt ihr den nötigen Spielraum ein, etwa bei der Findung der Eidesformel.

Anmerkungen

  1. Vgl. dazu etwa Rosemary Norah Combridge: Das Recht im 'Tristan' Gottfrieds von Straßburg. Berlin 1964.

Literaturangaben

  • [*Kucaba 1997] Kucaba, Kelley: Höfisch inszenierte Wahrheiten. Zu Isoldes Gottesurteil bei Gottfried von Strassburg. In: Fremdes wahrnehmen – fremdes Wahrnehmen. Studien zur Geschichte der Wahrnehmung und zur Begegnung von Kulturen in Mittelalter und früher Neuzeit. Hrsg. von Wolfgang Harms / C. Stephan Jaeger / Alexandra Stein. Stuttgart / Leipzig 1997. S. 73-93.