Heinrich der Vogelær

Aus MediaeWiki
Zur Navigation springen Zur Suche springen

Heinrich der Vogelær nennt sich der Dichter eines Tugendexkurses inmitten des historischen Heldenepos Dietrichs Flucht. In der älteren Forschung wurde dieser noch als Verfasser oder Aufbereiter des gesamten Epos in Erwägung gezogen, in der jüngeren Forschung mitunter seine Nennung dagegen als stilistische Autorfiktion gedeutet. Davon unabhängig wird ihm aufgrund einer zweiten Nennung im Epilog eine Redaktion des Buchs von Bern (somit auch der Rabenschlacht) zugestanden. Erwogen wurde zumal, dass Heinrich Dietrichs Spitzenahn Dietwart als Idealherrscherfigur selbst in das Epos eingeführt habe. [de Boor 1962]:149

Martin vermutete aufgrund der Kenntnisse des Dichters der oberitalienischen Ortschaften, dass er militärischer Parteigänger der Hohenstaufer gewesen sei. Die Motivation für den Tugendexkurs und die Lobrede auf die Tadellosigkeit Dietwarts deutet er als eine zeitgenössische Bewertung des Dichters der Politik König Ottokars II. von Böhmen, der ab 1251 auch Herzog von Österreich wurde, über den Nachlebens politisch motiviert abfälliger berichtet wurde.[1][Martin 1866]:53 Seiner Zeit schloss Martin sich dem vorherrschenden Konsens an, Heinrich sei fahrender Sänger gewesen [Martin 1866]:51, wofür es jedoch keine Indizien gibt jenseits der recht freien Interpretation seines Beinamens.

Der Vogelær

Heinrichs Beiname ist zunächst eine im Hochmittelalter bereits veraltete Berufsbezeichnung für einen Vogelsteller, d.h. Fänger. Dabei geht es um die Jagd auf kleinere Singvögel und Tauben, nicht um die dem Falkner verantworteten Raubvögel. Sein Beiname könnte allerdings auch metaphorisch und positiv konnotiert auf den Topos des fahrenden Sängers hindeuten, wie es die ältere Forschung vermutete. Heinzle geht dagegen eher von einem wandernden Berufsliteraten aus. [Heinzle 1999]:72

Autorschaftsthese

Die älteste Forschung ging von einer Gesamtverfasserschaft Heinrichs beider Dichtungen aus. [Uhl 1896]:787 Sie stützte sich dabei auf deren stets gemeinsame Überlieferung. [von der Hagen 1825] Während Martin seiner Zeit nur noch von einem ursprünglichen Dichter beider Werke ausging widersprach er Wegener. (Siehe Redaktorthese)

(DF V. 7202 f.):
Do west der Bernaere,
leider niht der maere,
daz im leide geschach.
Daz ergie leider dar nach.

Dietrich gibt Witege sein Pferd Schemming zurück ohne die daraus folgenden Konsequenzen zu erahnen, dass Witege in der Verfolgung und Flucht ins Meer wegen seines schnellen Pferdes uneinholbar bleiben wird. Hier nimmt Dietrichs Flucht Bezug auf die anschließende Rabenschlacht, was für Peters ein Beleg für eine gemeinsame Dichtung Heinrichs ist.[Peters 1890]:5 Er führt weiterhin die Ähnlichkeiten aus in den Versen des doppelten Buhurts am Etzelhof (einschließlich des Fürstenlobs), dem in der Rabenschlacht nur erweiterten Heldenkatalog, sowie die öfters folgende Verfluchung zur Henkung und deren Vollstreckung und die Verwünschung Ermenrichs durch den Erzähler. Des weiteren stellt er den an vielen Stellen ähnlichen, sonst aber seltenen Wortschatz fest [k 1] und in den Kämpfen wiederkehrende Topoi. Die inhaltlichen Widersprüche erklärt Peters als Schwäche eines vergesslichen und mittelmäßigen Dichters.

(DF V. 7982 f.):
Diese berndiu swære,
hat Hainrich der Voglære,
gesprochen und getihtet.

Curschmann geht hier davon aus, dass nicht Heinrich von sich selbst in 3. Person dichtet, wie es in der mittelhochdeutschen Epik nicht ungewöhnlich ist, sondern dass der Erzähler hier auf ein unbekanntes Werk Heinrichs verweist. [Curschmann 1976]:379 Nach den ausführlichen Untersuchungen Leitzmanns und Steches gilt die Autorschaft von Heinrich für beide Epen als eindeutig widerlegt und auch für den Fluchtepos im Einzelnen für sehr unwahrscheinlich.[k 2]

Autorfiktion

Der zu Beginn des 9. Jahrhunderts gelebte ostfränkische König Heinrich I. erhielt in den Pöhlder Annalen zu Beginn des 12. Jahrhunderts bereits den Beinamen der Vogeler. Denkbar wird somit, dass der Dichter sich nur dessen Name als Pseudonym bedient hat, um auf ebendiesen historischen König, sein diplomatisches Wirken und seine nachlebendige Sage anzuspielen.[2] Höfler etwa stimmt damit überein und geht von einer Gesamtadaption von Vor- und Beiname zu einer gesamtliterarischen Fiktion als Inszenierung aus, sodass der historische, vorbildhafte König im Exkurs als Mahner und Tugendmeister eintritt. [Höfler 1955]:193-200

Curschmann ist von der Pseudonymisierung mithilfe des literarisch populären Namens Heinrich überzeugt. [Curschmann 1976]:381

Redaktorthese

(DF V. 1843 f.):
Der uuns das máre zusamen sloss,
der tuot unns an dem puoche kundt.

Wegener führte seiner Zeit die These an, Heinrich sei der zweite Überarbeiter ursprünglich dreier eigenständiger Dichtungen gewesen, sein Vorgänger habe diese kompiliert. Heinrich habe sodann die Ahnengeschichte um Dietwart aus einer anderen Vorlage übernommen und vorangestellt. Er kommt nach ausführlicher inhaltlicher Auseinandersetzung mit den Widersprüchen zu dem Ergebnis, dass beide Dichtungen ursprünglich von verschiedenen Dichtern stammen müssen.[Wegener 1847][k 3]

Als Redakteur des Buchs von Berne habe Heinrich den Tugendexkurs eingebettet in den Fluchtepos, die Vorgeschichte um Dietwart hinzugefügt, die dritte Schlacht ausgearbeitet und beide Epen so enger miteinander verquickt. [Hoffmann 1974]:163 Steche bemerkt, dass der Autor des Fluchtepos im Gegensatz zum Autor der Rabenschlacht Oberitalien selbst gekannt haben muss.[Steche 1939] Möglicherweise hat jedoch lediglich Heinrich in seiner Bearbeitung im Fluchtepos sein geografisches Wissen eingepflegt. Gegen die Autorschaft der Rabenschlacht spricht auch deren bemängeltes Militärwissen. [Leitzmann 1926]

Tugendexkurs und Fürstentadel

(DF V. 7953 f.):
Des swende got der fursten guot,
und sei ir sele und ir leben
dem ubelen tievel ergeben.

In drei Exkursen beklagt Heinrich den Zeitgeist und verteufelt gar die Fürsten, die den Kriegsdienst ihrer Untertanen erzwingen und die Entlohnung aussetzen wollen. Durch ihr Handeln habe der Hofstaat gänzlich an Ehre und seiner Dienstmänner Gunst verloren, letztere sei für einen erfolgreichen Kriegsdienst unverzichtbar. Sein Fluch gilt besonders denjenigen, die ihren Besitz missbräuchlich einsetzen. Hohen Fürsten stehe es an, stets helf, guote und willigem muote zu zeigen. [Lienert 2010]:157

(DF V. 192 f.):
Ir herren, ir habt nu klainen trost
die da hayssent graven, freyen, dienstman,
seit man ewr dienst nicht lonen kan

Weiter ist von Rechtsbruch und Enteignung des niederen Adels durch die Landesherren die Rede. Ähnlich wie auch in der Rabenschlacht geschieht das Beklagen nach Frau Helches Freigibigkeit (milte), obgleich in der Rabenschlacht ohne Ausschweifen. Damit verbunden beklagt Heinrich das Protestverbot gegen diese Entwicklung; sein eigener Protest sei dadurch vergebens. Er beendet mit Gottes Segen.

Räumliche und Zeitliche Einordnung

Als Schaffensraum Heinrichs gilt das Tirol. Er ist aller Wahrscheinlichkeit nach Zeitzeuge des Interregnums nach dem Untergang der Staufer-Dynastie und während dem sukzessiven Aufstieg Rudolfs von Habsburg zum neuen römisch-deutschen König. Schließlich waren die Staufer am Hofe gönnerhafte Förderer des Minnesangs und der Epik, die Habsburger besonders in persona Rudolf waren hingegen strenge und geizige Herrscher. Entsprechend beklagt Heinrich an mehreren Stellen ein Ende des belohnten Dichtertums:

(DF V. 7496 f.):
mich wundert ze allen stunden,
war die vreude si verswunden,
daz man der nû sô cleine phliget,
ich waene trûren habe gesiget,

Martin ging davon aus, dass Heinrich Zeitgenosse und österreichischer Landsmann Seifried Helblings und Ottackers von Steiermark gewesen sei, die sich ähnlich positionierten und in ihren Werken äußerten. Er setzt den Entstehungszeitpunkt des finalen Fluchtepos in die Jahre 1285 bis 1290 und somit noch vor die Regierungszeit Albrechts von Habsburg.[Martin 1866] Ehrismann rechnet für den Fluchtepos bereits mit einem Entstehungsjahr um 1280. [Ehrismann 1918]:168 Die Rabenschlacht sei dagegen erst später ausgeformt worden.[k 4] Klaass rechnet für Dietrichs Flucht mit dem Jahre 1275, die Rabenschlacht vor 1282. [Klaass 1936]:366

Einzelnachweise und Erläuterungen

  1. Ottokar war bereits 1249 von Papst Innozenz IV. wegen seiner prostauferischen Position exkommuniziert worden, stieg aber nach Geiselhaft unter seinem Vater König Wenzel I. als Zweitgeborener zum Thronanwärter Böhmens auf. 1253 wurde er gekrönt und verhalf dem Deutschorden mit expansionistischen Kreuzzügen gegen das Samland zur Christianisierung und begünstigte dadurch die ihm zu Ehren (post mortem) gedachte urkundliche Begründung Königsbergs. Nach mehreren erfolgreichen Schlachten gegen die Ungarn erwarb er sich weiteres Ansehen und nutzte dies um sich mehrmals erfolglos um die Kaiserkrone des Heiligen Römischen Reiches zu werben. 1269 erbte er das Herzogtum Kärnten und verscherzte sich dadurch die Gunst der Reichsfürsten, die ihn 1273 als Herzog Österreichs abwählten und wegen seiner Weigerung, die Länder an Rudolf von Habsburg abzutreten, gegen ihn die Reichsacht verhenkten. Mit seinem Tod am 26. August 1278 bei der Schlacht auf dem Marchfeld bei Dürnkrut besiegelte er die Niederlage gegen die Habsburger. In Folge kam es auch zum Kampf innerhalb der böhmischen Geschlechter der Premysliden und Witigonen um die Thronfolge in Böhmen.
  2. Der Stammhalter der Liudolfinger war ab 912 Herzog von Sachsen und von 919 bis 936 König des Ostfrankenreiches. Jahrzehnte nach seinem Tod verfasste ottonische Geschichtswerke würdigen insbesondere Heinrichs Einung und Befriedung des Reiches nach innen wie außen. In verklärenden Sagen schrieben die Pöhlder Annalen im 12. Jahrhundert, dass Heinrich mit dem Beinamen „der Vogler“ (auceps) Vögel jagte, als plötzlich fränkische Boten eintrafen, um ihm als König zu huldigen. Ein weiterer Beiname Heinrichs war der Finkler.

Kommentar

  1. getunget, enouwe
  2. Leider lagen mir weder Steches noch Leitzmanns Studien bei der Erstellung dieses Artikels vor, ich stütze mich hier also auf die gehäuften, bestätigenden Zitate späterer Publikationen. Falls noch Beschaffungsmöglichkeit und Einsicht in die Quellen besteht, sollen diese Untersuchungen hier noch ausführlicher besprochen werden.
  3. Wegener setzt dabei voraus, dass die Vorlagen bereits niedergeschrieben wurden.
  4. Hier irrt Martin, da die Riedegger Handschrift bereits um 1300 entstanden ist und nicht als verschriftlichte Urform gelten kann, müssen beide Epen älter und könnten bereits um 1280 zusammen gefallen sein.

Literatur

<harvardreferences /> [*Curschmann 1976] Curschmann, Michael: Zu Struktur und Thematik des Buchs von Bern, Tübingen 1976, S. 357-383. (Beiträge zur Geschichte der deutschen Sprache und Literatur, Bd. 98)

[*de Boor 1962] de Boor, Helmut: Die deutsche Literatur im späten Mittelalter, hg. von Helmut de Boor und Richard Newald, München 1962. (Geschichte der deutschen Literatur, Bd. 3)

[*Ehrismann 1918] Geschichte der deutschen Literatur bis zum Ausgang des Mittelalters, hg. von Gustav Ehrismann, München 1918.

[*Heinzle 1999] Heinzle, Joachim: Einführung in die mittelhochdeutsche Dietrichepik, Berlin/New York 1999.

[*Höfler 1955] Höfler, Otto: Die Anonymität des Nibelungenliedes, Halle 1955, S. 167-213. (Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte, Bd. 29, Ausgabe 2)

[*Hoffmann 1974] Hoffmann, Werner: Mittelhochdeutsche Heldendichtung, hg. von Erich Schmidt, Berlin 1974, S. 161–171. (Grundlagen der Germanistik, Bd. 14)

[*Klaass 1936] Klaass, Eberhard: Heinrich der Vogler, in: Deutsche Literatur des Mittelalters. Verfasserlexikon, Bd. 2, hg. von Wolfgang Stammler, Leipzig 1936.

[*Leitzmann 1926] Leitzmann, Albert: Dietrichs Flucht und Rabenschlacht, Bonn 1926.

[*Lienert 2003] Lienert, Elisabeth: Rede und Schrift. Zur Inszenierung von Erzählen in mittelhochdeutscher Heldenepik, in: Eine Epoche im Umbruch: Volkssprachige Literalität 1200-1300, hg. von Christa Bertelsmeier-Kierst und Christopher Young, Tübingen 2003, S. 123–137.

[*Lienert 2010] Lienert, Elisabeth: Die historische Dietrichepik. Untersuchungen zu Dietrichs Flucht, Rabenschlacht und Alpharts Tod, hg. von Elisabeth Lienert, Berlin 2010. (Texte und Studien zur mittelhochdeutschen Heldenepik, Bd. 5)

[*Martin 1866] Martin, Ernst: Alpharts Tod. Dietrichs Flucht. Rabenschlacht, hg. von Ernst Martin, Berlin 1866.

[*Peters 1890] Peters, Emil: Heinrich der Vogler, der verfasser von Dietrichs flucht und der Rabenschlacht, Berlin 1890.

[*Steche 1939] Steche, Theodor: Das Rabenschlachtgedicht, das Buch von Bern und die Entwicklung der Dietrichsage, Greifswald 1939. (Deutsches Werden, 16)

[*Uhl 1896] Uhl, Wilhelm: Heinrich der Vogler, in: Allgemeine Deutsche Biographie, Band 40, Leipzig 1896, S. 787–790.

[*von der Hagen 1825] von der Hagen, Friedrich Heinrich: Dietrichs Ahnen und Flucht zu den Heunen. Aus der Heidelberger und Wiener Handschrift, hg. von Friedrich Heinrich von der Hagen und Alois Primisser, Berlin 1825, S. 3–104. (Der Helden Buch in der Ursprache, Zweiter Theil)

[*Wegener 1847] Wegener, W.: Die Entstehung von Dietrichs Flucht zu den Heunen und der Rabenschlacht, 1874, S. 447–581. (Zfd Phil. Ergänzungsband)