Mischwesen in der mittelalterlichen Literatur

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Definition

Die Mischwesen sind in der griechischen Mythologie vor allem als Chimären bekannt. Im Mittelalter werden viele Mischwesen, häufig auch aus der antiken Mythologie in der Literatur behandelt. Als Mischwesen werden Hybridformen zwischen Mensch und Tier bezeichnet. Diese weisen oftmals Attribute von Tieren auf, sind aber dennoch zu Teilen menschlich.[1] Somit sind ihre Gestalt und ihre Eigenschaften auch variabel und vielfältig. Durch die Abweichung von einer „normalen“ menschlichen Gestalt, gelten die Mischwesen im Mittelalter somit als monstera.

Werwölfe

Der Werwolf

Zu den bekanntesten Mischwesen gehört der Werwolf. Es handelt sich hier um einen Mensch, der sich vorübergehend in einen Wolf verwandelt. Die Werwolfvorstellungen sind überwiegend europäisch und von Fragmentierung und Neuerfindung geprägt. Das Wort Werwolf ist eine Zusammensetzung aus den Worten „Wolf“ und „Wer“. „Wer“ kann einerseits mit dem Wort Mensch übersetzt werden, kann aber auch von dem Wort „Warg“ (Würger) abgeleitet werden. Der „warg“ ist ein gesellschaftlicher Außenseiter, im engeren Sinne ein Verbrecher oder Ausgestoßener. Der Werwolf ist vorwiegend männlich und ihm werden oft Dinge wie Inzest, Brutalität und Sexualverbrechen vorgeworfen und daher im christlichen Denken oft mit dem Teufel in Zusammenhang gebracht. Die einflussreichste Gruppe der Werwolferzählungen stammt aus dem Hochmittelalter, unter ihnen der Lai „Bisclavret“ von Marie de France und die altnordische „Völsunga Saga“. Im 16. und 17. Jahrhundert kam es im Zuge der Hexenprozesse auch immer wieder zu Werwolfprozessen. Im Verlauf des 20. Jahrhunderts wird der Werwolf Thema von Unterhaltungsliteratur und Comics und stellt eine der wichtigsten Figuren des Horrorfilms da. Im Zuge dieser Filme hat sich ein ganz neuer Komplex der Motivik entwickelt, wie den Einfluss des Vollmonds auf die Verwandlung und den ansteckenden Biss.[2]

Bisclavret

Ein edler Ritter lebt mit seiner Frau in der Bretagne. Es stellt sich heraus, dass er ein Werwolf ist. Angewidert von dem Gedanken ihres Mannes in Wolfsgestalt beschließt die Frau, ihm seine Kleider zu rauben, ohne die er sich nicht mehr in einen Menschen zurück verwandeln kann. Sie schickt einen Ritter, die Kleidung zu stehlen und heiratet ihn danach. Bisclavret ist gezwungen in Wolfsgestalt im Wald zu leben. Ein Jahr lang streift er durch die Wälder und lebt von der Jagd, bis der König durch diesen Wald reitet. Bisclavret erkennt ihn, huldigt vor ihm und küsst ihm die Füße. Der König erkennt das menschliche Wesen des Wolfes und nimmt ihn mit an seinen Hof, wo er an der Seite des Königs lebt. Er verhält sich allen gutmütig gegenüber, bis er erst den neuen Mann, dann seine Frau sieht und beide angreift. Die Frau verliert dabei ihre Nase. Der König und seine Berater erkennen darin, dass Bisclavret ein Unrecht erfahren hat und nimmt das Paar fest. Unter Folter gesteht die Frau ihren Verrat und gibt das Versteck der Kleidung Bisclavrets preis. Bisclavret kann sich nun wieder in seine menschliche Gestalt verwandelt und erhält vom König seine Ländereien zurück. Seine Frau sowie ihr Mann werden aus dem Land verbannt und viele ihrer weiblichen Nachkommen werden ohne Nase geboren.[3] Die Gestalt des Werwolfs ist hier positiv besetzt. Bisclavret behält während der Verwandlung sein menschliches Naturell bei und wird von seiner Frau nur aufgrund Äußerlichkeiten verraten. Er greift zu keinem Zeitpunkt unschuldige Menschen an und ist in der Lage den König zu erkennen und sich dementsprechend zu verhalten. Trotz monströsem Äußeren behält er seine Tugenden bei. Er ist Opfer einer Frau, die ihn nur aufgrund von Äußerlichkeiten verurteilt. Dafür erhält sie die passende Strafe eigener Verstümmelung zu ihrem Vergehen.

Der Werwolf bei Giraldus

Auch in der „Topographia Hibernica“ von Giraldus Cambrensis werden wie bei Marie de Frances „Bisclavret“ die Mischwesen in Form des Werwolfes thematisiert, wobei beide Texte bei der Darstellung des Werwolfes in mehreren Punkten übereinstimmen. Wird bei Marie de France dem Werwolf durch den König Gerechtigkeit zuteil, so bei Giraldus durch einen Priester. Auch die Feststellung eines menschlichen Verstandes und menschliches Verhalten trotz Tiergestalt ist signifikant für beide Erzählungen. Dennoch geht die Vermenschlichung bei Giraldus einen Schritt weiter, denn hier kann der Werwolf sogar mit menschlicher Stimme reden. Identisch bei beiden Texten ist auch das Grundschema der offenbar nur äußerlichen Verwandlung. Aber es gibt auch einige Unterschiede: das Ablegen und Verstecken der Kleidung, ist bei Giraldus nicht vorhanden; ebenfalls wird nur ein bloßer Aufenthalt im Wald erwähnt; die Rückkehr in die menschliche Gestalt dauert bei Marie de France lediglich drei Tage, bei Giraldus sieben Jahre. Hier hat die Verwandlung auch nichts mit dem Wiederfinden der Kleidung zu tun, sondern vielmehr mit der Verfluchung durch einen Abt.[4] Bei Giraldus wird neben dem Werwolf auch eine Werwölfin vorgeführt. Sowohl Marie de Frances „Bisclavret“, als auch Giraldus Cambrensis „Topographia Hibernica“ thematisieren das Verstehen und Lieben des an Lykanthropie erkrankten Menschen. Es handelt sich somit um eine christliche Auslegung des Werwolfmotivs. Eine Bedeutung in jener christlichen Sphäre wird den Texten damit zuteil, in dem der Mensch, als Schöpfung Gottes, jedoch in Physiognomik eines Werwolfes, seiner vollen Würde vergewissert wird und somit auch eine Hinführung zu Gott erfährt.[5]

Völsunga Saga

König Völsung, Urgroßenkel Odins, wird von Siggeir, dem Mann seiner Tochter Signy, verraten und getötet. Seine zehn Söhne werden gefesselt und im Wald ausgesetzt. Jede Nacht kommt eine Wölfin und tötet einen von ihnen, bis nur noch der Zwillingsbruder Signys, Sigmund, lebt. Signy schickt ihm einen Verbündeten, der Sigmund Gesicht mit Honig beschmiert. Als die Wölfin in dieser Nacht kommt, leckt sie Sigmund das Gesicht ab, er schafft es sich in ihrer Zunge festzubeißen und befreit sich somit. Die Wölfin, wie sich herausstellt König Siggeirs Mutter in verwandelter Form, stirbt an diesen Verletzungen. Sigmund flieht und ist ab diesem Tag gezwungen im Wald zu leben und plant seine Rache an König Siggeir. Signy wird zweimal schwanger und schickt beide ihre Söhne im Alter von 10 Jahren zu Sigmund in den Wald, um ihm bei den Racheplänen zu unterstützen. Beide werden aber als zu schwach angesehen und von Sigmund auf Anraten Signys getötet. Eines Nachts vertauscht Signy ihre Gestalt mit der einer Hexe. Sie geht zu Sigmund in den Wald und verführt ihn. Sie wird schwanger und bringt Sinfjötli zu Welt. Er wird ebenfalls im Alter von zehn Jahren zu Sigmund geschickt. Sinfjötli wird als stark genug angesehen und beginnt sich mit Sigmund auf die Rache vorzubereiten. Sie begehen Raubmorde um Sinfjötli zu erziehen. Eines Tages finden sie in einer verlassenen Waldhütte zwei schlafende Königssöhne, über denen Wolfsfelle hängen. Sie ziehen die Felle an und bemerken dann, dass die Felle verwunschen sind. Sie verwandeln sich in Wölfe und können die Felle nur alle fünf Tage ausziehen. Trotz Wolfsgestalt können sie ihr Geheule deutlich verstehen und verabreden, getrennte Wege zu gehen, machen aber ein Zeichen aus, falls sie mehr als sieben Leuten begegnen sollten. Sigmund hält sich an diese Abmachung, Sinfjötli nicht. Er tötet alleine elf Leute. Sein Vater stellt ihn zur Rede und Sinfjötli prahlt mit seiner jugendlichen Kraft, die die Sigmunds überstiege. Provoziert von diesen Worten springt Sigmund ihm an die Kehle und zerfetzt sie. Danach wacht er über den Verletzten, bis ein Rabe ihm ein magisches Blatt von Odin bringt, durch das die Verwundung augenblicklich heilt. Sigmund und der geheilte Sinfjötli verbrennen die Wolfsfelle, als sie sie ablegen können, und befreien sich so von dem Fluch. Nach der Vollendung der Verwandlung schaffen sie es ihre Rache zu verwirklichen und kehren in ihre Heimat zurück. Sinfjötli wird bald darauf von der Frau Sigmunds vergiftet. Sigmund lebt noch lange weiter, heiratet ein zweites Mal und stirbt schließlich auf dem Schlachtfeld, als seine Frau hochschwanger ist. Kurz vor seinem Tod prophezeit er, dass ein ungeborener Sohn der größte Held aller Zeiten werden würde. Und tatsächlich: einige Zeit danach wird Siegurd der größte Held seiner Zeit geboren.[6]

Sonstige

Kentauren

Neben den Werwölfen kommen in der Literatur des Mittelalters auch andere Mischwesen vermehrt vor, welche unter anderem der griechischen Mythologie entstammen. So trifft im „Eckenlied“ der Riese Ecke auf einen Kentauren, welcher als merwunder, als wildes Naturwesen auftritt.[7] Durch die mittelalterliche Rezeption der antiken mythologischen Wesen werden Kentauren die Position als Zusammenkunft von Natur und Kultur aberkannt und sie werden oftmals als dämonisch oder wie in Wirnt von Grafenbergs „Wigalois“ sogar teuflisch dargestellt. Sie tauchen oft als wilde Wesen, bewaffnet mit Speeren, Bogen oder Feuer, auf und bilden somit einen starken Kontrast zum Protagonisten, welcher meist ritterliche Attribute erfüllt. Ein Beispiel für ein positives Auftreten der Kentauren stellt der in Konrad von Würzburgs „Trojanerkrieg“ vorkommende Kentaur Schyron dar, welcher als Achills Erzieher das Wilde des Tieres mit einem Mensch höfischer Herkunft vereint.[8]

Melusine

In „Melusine“, von Thüring von Ringoltingen 1456 nach französischer Vorlage geschrieben, lasset sich ebenfalls ein Mischwesen finden. Die Melusine selber ist eine Mischung aus Mensch und Wasserschlange. Ihre Mutter Persine ist eine „Marthe“, ein übernatürliches Wesen. Persine heiratet einen Mann Helmas und nimmt ihm das Versprechen ab, sie nicht direkt nach der Geburt ihres Kindes aufzusuchen. Er hält sich nicht an diese Abmachung und Persine muss mit ihren drei Töchtern fliehen. Jahre Später erfahren die Töchter von dem Tabubruch des Vaters und sperren ihn in einen Berg ein. Um dies zu vergälten verhängt Persine über jede ihrer Töchter einen Fluch. Die beiden ältesten Töchter müssen beide etwas bewachen und auf die Erlösung durch einen Mann warten. Melusine muss einen Mann finden, der damit einverstanden ist sie an keinem Samstag zu sehen, da sie sich an diesen Tagen vom Nabel abwärts in eine Schlange verwandelt. Sie heiratet Reymund und nimmt ihm das Versprechen ab, dass er sie an keinem Samstag aufsuchen wird. Sie bekommen zehn Kinder, die alle auf irgendeine Art äußerlich entstellt sind. Eines Tages kann Reymund der Versuchung nicht mehr wiederstehen und sucht seine Frau an einem Samstag auf und fällt damit, ebenso wie Helmas durch die Prüfung. Allerdings folgt daraufhin eine Versöhnung und Reymund wird vor eine Zweite Prüfung gestellt. Diese besteht darin in Ihrem Sohn einen guten Ritter zu sehen. Auch diese besteht er nicht und sieht nur das Böse in seinem Sohn. Von da an beginnt, was Melusine schon am Beginn der Ehe prophezeit hat, sollte Reymund ihre Vorschriften nicht einhalten: Der Untergang des Geschlechts. Die Melusine wird hier nicht als rein Böse dargestellt. Sie erhält zwar einmal die Woche eine monströse Gestalt und wird dadurch für ihr verwerfliches Handeln bestraft, besitzt aber auch gute Eigenschaften. Sie kann den gemischten Charakter ihres Sohnes erkennen, der zwar schlechte Taten begeht, aber auch Gutes leistet. Zudem ist Reymund derjenige, der durch seine Neugier und das Nichteinhalten der von Melusine aufgestellten Bedingungen, Unheil über Melusine, sein Söhne und sich selber bringt.[9]

Weitere Mischwesen

Es gibt eine Vielzahl an verschiedenen Mischwesen, welche in der mittelalterlichen Literatur vorkommen. Weitere Beispiele sind:

  • Meerjungfrauen, beziehungsweise Wassermänner
  • Satyr
  • Hippogryph: halb Greif halb Pferd
  • Basilisken: Oberkörper eines Hahns und Unterleib einer Schlange

Einzelnachweise

  1. Echelmeyer, Nora: Von kunden, risen und teuffellichen man – Monsterdarstellungen im ‚Dresdner Heldenbuch‘, Gerlingen 2015, S. 19f.
  2. Vgl.: De Blécourt, Willem: Wolfsmenschen, Enzyklopädie des Märchens, hg. von Rolf Wilhelm Brednich [u.a.], Bd.14, Berlin 2014, S. 975 - 982.
  3. Vgl.: De France, Marie: Die Lais. Bisclavret, in: Klassische Texte des romanischen Mittelalters in zweisprachiger Ausgabe, hg. v. Hans Robert Jauss und Erich Köhler, München 1980 (Band 19), S. 187 – 207.
  4. Bambeck, Manfred: Das Werwolfmotiv im Bisclavret, in: Wiesel und Werwolf: typologische Streifzuege durch das romanische Mittelalter und die Renaissance, hg. v. Friedrich Wolfzettel und Hans-Joachim Lotz, Stuttgart 1990, S. 141.
  5. Ebd. S. 143-147.
  6. Nordische Nibelungen. Die Sagas von den Völsungen von Ragnar Lodbrok und Hrolf Kraki, hg. von Ulf Diederichs, München 1993(Diederichs gelbe Reihe Alt-Island 54), S. 9-37.
  7. Braunshofer, Bianca-Maria: Eckes Weg – Dietrichs Raum?, Wien 2012, S. 25.
  8. Friedrich, Udo: Menschentier und Tiermensch: Diskurse der Grenzziehung und Grenzüberschreitung im Mittelalter, Göttingen 2009, S. 240f.
  9. Vgl.: von Ringoltingen, Thüring: Melusine. In der Fassung des Buchs der Liebe (1587), Stuttgart 2014.