Walther und die Höfe - die Sangsprüche (Otfrid Ehrismann)
In seiner "Einführung in das Werk Walthers von der Vogelweide"[1] gibt Otfrid Ehrismann im 4.Kapitel Einblick in die Sangsprüche Walthers. Auf Grundlage seiner Untersuchungen zu zwei der bekanntesten Lieder dieser Gattung, dem Reichston[2] und dem Philippston[3], wird der vorliegende Artikel seine Hauptthesen zusammenfassen und einen kleinen Einblick in die Diskussion über die beiden Werke geben.
Bauformen und Melodien
Neben seinem Minnesang und teilweise auch seiner religiösen Dichtung ist Walther auch vor allem für seine Sangspruchdichtung bekannt. Er etablierte sie neben seinen Minneliedern und "näherte z.T. beide Gattungen einander an"[4]. In den Sangsprüchen nimmt der Sänger Stellung zu gesellschaftlichen, politischen oder persönlichen Problemen. Als Bauform gilt in der Regel die Kanzone, von der drei verschiedene Arten auftreten: Der Abgesang kann entweder am Ende des Liedes nach den beiden Stollen auftreten, oder die beiden Stollen umklammern, dann spricht man von einer Gespaltenen Weise (1). Die beiden Stollen sind meistens vom Aufbau her gleich (2), jedoch gibt es auch Fälle, in denen vor dem Abgesang zwei unterschiedliche Stollen aufeinander folgen (3). Die Thematik der Texte wurde durch die Melodien, in denen sie vorgetragen wurden "auf die Ebene einer anspruchsvollen Hofkunst gehoben"[5], jedoch sind kaum Melodien zu den einzelnen Liedern überliefert.
Die einzelnen Töne
Bevor Ehrismann auf die einzelnen Töne eingeht, gibt er einen Einblick in die Herrschaftsdiskussion, die um 1200 herrschte, vor deren Hintergrund man seiner Meinung nach die Inhalte der Sangsprüche erst verstehen kann. Seit dem 13.Jahrhundert konkurrierte das theoretische Modell des Staates mit dem der Kirche als Träger der Gemeinschaft und des Rechts. Zugespitzt formuliert gab es einen Konflikt zwischen Papstkrone und Königskrone, dessen unmittelbarer Zeitzeuge Walther von der Vogelweide war. Laut Ehrismann kommt es gar nicht darauf an, ob Walther in seinen Liedern explizit darauf Bezug nimmt, sondern da sich seine Lieder auf die Gesellschaftsordnung des Reichs beziehen, wird seine Sangspruchdichtung automatisch selber Teil des geschichtlichen Konflikts.
Reichston
Von den eingangs formulierten formellen Charakteristika der Waltherschen Sangspruchdichtung grenzt Ehrismann den Reichston ab, da er "als einziger nicht von der Kanzonenform ableitbar"[6] sei. Die drei Lieder, die zusammen den Reichston bilden, sind in unterschiedlicher Reihenfolge in drei Handschriften[7] überliefert, beginnend jedoch immer mit der Strophe "ich saz ûf einem steine". Diese thematisiert, so Ehrismann, den gegenwärtigen Zustand der feudalen Gesellschaft und ist in ihrem Aufbau viergeteilt. Wird in den ersten sieben Versen der nachdenkliche Sänger selber beschrieben, legt er in den nächsten sieben Versen dar, wie er sich eine bessere Gesellschaft vorstellt, um gleich darauf in den Versen 15-19 resigniert festzustellen, dass diese "Möglichkeit der Werteverwirklichung" im Moment gar nicht möglich sei. In den abschließenden Versen begründet er diese Unmöglichkeit mit dem aktuellen Zustand in der Welt.
Das Lied "Ich sach mit mînen ougen" folgt in den Handschriften B und C an zweiter Stelle und ist zeitlich genauer zu verordnen als das erste Lied. So bezieht es sich laut Ehrismann entweder auf das jahr 1201 oder die Jahre 1205/07, in denen es jeweils zu Konflikten zwischen päpstlichen und kaiserliche Fraktionen gekommen war. Diesen strît beobachtet das Ich des Liedes, das in den letzten Versen aus der Sicht eines Klausners über die Wahl des seiner Meinung nach zu jungen Papstes Innozenz klagt.
Ehrismann weist in seinen Ausführungen dem dritten Lied "Ich hôrte ein wazzer diezen" die "deutlichsten zeitpolitischen Anspielungen"[8] zu. Die erste Hälfte dieser Verse beschreibt die Herrschaftsordnung in der Tierwelt, und wie selbstverständlich es dort auch zu Konflikten käme, dieser aber alle einer klaren Hierarchie und einem klaren Recht untergeordnet seien. Einen markanten Unterschied gibt es hier zwischen den Handschriften. Heißt es in Handschrift A in den Versen 5/6: "swaz kriuchet unde vliuget / und bein zer erden biuget", so teilen der Text in den Handschriften B und C die Tierwelt in andere Kategorien ein: "swaz fliuzzet oder fliuget / oder bein zer erde biuget". Einmal wird die tierische Welt also in Tiere des Wassers, der Luft und der Erde eingeteilt, ein andermal mit einem weiteren Vers in kriechende, laufende, schwimmende und fliegende Tiere. Ehrismann referiert hier auch auf Haiko Wandhoff[9], der in diesen beiden Kategorisierungen zwei im Mittelalter konkurriende Naturkonzeptionen sieht, und es für falsch hält, eine der beiden Darstellungen als Fehler des Abschreibers abzutun. Im zweiten Teil des Liedes beklagt der Sänger, dass es in den deutschen Ländern nicht auch solch eine klare Ordnung gäbe, wie in der Tierwelt und schließt seine Ausführungen mit dem Wunsch ab, Philipp möge König werden, und somit alle niederen Königsanwärter zurückdrängen. Philipp von Schwaben, der 1198 unter unzureichend formalen Kriterien zum König erhoben wurde, stand Otto als Konkurrent gegenüber, der zwar unter allen formalen Kriterien zum König ernannt wurde, dem jedoch die ebenfalls Herrschaft legitimierende Königskrone fehlte. Walther klagt in seinem Lied das Legitimationsdefizit Philipps an.
Philippston
Die Legitimationsproblematik bezüglich des Königs Philipp greift Walther auch in seinem Ersten Philippston auf, indem er in der ersten Strophe die königliche Krone als wie geschmiedet für Philipp sieht und weiterhin sagt, dass jeder der die Herrschaft Philipps anerkenne, die Krone als Leitstern erblicken würde. Das Lied ist laut Ehrismann von einer tiefen und vielschichtigen Symbolik durchzogen, die beim Hörer ein hohes Maß an Weltwissen voraussetzte. So sei der Leitstern auch eine Metapher für die heilige Maria, die auch in Strophe 2 als Symbol bei der Krönungszeremonie Philipps erscheint, die nämlich an Weihnachten in Magdeburg stattfinde, was dem Namen nach auf die Jungfrau Maria referiert. Walther bezieht in diesem Ton klar politische Stellung für die Staufer und König Philipp, der mit seiner Krönungszeremonie auch seinen Konkurrenten Otto demütigen will, dem sämtliche Krönungsinsignien fehlen.
Quellen und Anmerkungen
- ↑ Ehrismann, Otfrid: Einführung in das Werk Walthers von der Vogelweide, Darmstadt 2008, im Folgenden zitiert als Ehrismann.
- ↑ Walther von der Vogelweide: Leich, Lieder, Sangsprüche. 14., völlig neubearb. Aufl. der Ausg. Karl Lachmanns mit Beiträgen von Thomas Bein und Horst Brunner, hg. von Christoph Cormeau, Berlin/New York 1996, S. 11-13.
- ↑ Ebd., S. 30-38.
- ↑ Ehrismann, S. 47.
- ↑ Ehrismann, S. 49
- ↑ Ehrismann, S. 50.
- ↑ Kleine Heidelberger Liederhandschrift (A), Weingartner Liederhandschrift (B), Große Heidelberger Liederhandschrift oder Codex Manesse (C).
- ↑ Ehrismann, S. 53.
- ↑ Wandhoff, Haiko: "swaz fliuzet oder fliuget oder bein zer erde biuget". Konkurrierende Naturkonzeptionen im Reichston Walthers von der Vogelweide, in: Natur im Mittelalter. Konzepte - Erfahrungen - Wirkungen, hg. von Peter Dilg, Berlin 2003, S.360-372.