Musenanrufung (Gottfried von Straßburg, Tristan): Unterschied zwischen den Versionen

Aus MediaeWiki
Zur Navigation springen Zur Suche springen
Keine Bearbeitungszusammenfassung
Keine Bearbeitungszusammenfassung
Zeile 3: Zeile 3:
==Mythologische Personen und ihre allegorische Bedeutung<ref>Zitationen dieses Kapitels aus: Gottfried von Straßburg;  Ranke, Friedrich (Übers.); Tristan, Band 1 und 2; Reclam; Stuttgart;  2007</ref>==
==Mythologische Personen und ihre allegorische Bedeutung<ref>Zitationen dieses Kapitels aus: Gottfried von Straßburg;  Ranke, Friedrich (Übers.); Tristan, Band 1 und 2; Reclam; Stuttgart;  2007</ref>==
===Apollo===
===Apollo===
Der griechische Gott Apollon galt als Anführer der Musen, wie auch an seinem Beinamen "Musagetes" ersichtlich.
===Die neun Musen===
===Die neun Musen===


Gottfried spricht in diesem Abschnitt von den neun olympischen Musen, auch Mnemoiden genannt. Diese weiblichen mythologischen Gestalten gelten als die Töchter des Zeus und der Mnemosyne.
Gottfried spricht in diesem Abschnitt von den neun ''Camênen''.
Sie sind die Schutzgöttinnen der Künste und verbinden sich in den griechischen Mythen mit Helden, denen sie mit ihrer jeweiligen Kunst zur Seite stehen.
 
Im folgenden sind ihre Aufgaben und anbefohlenen Künste den Namen zugeordnet.
''Apolle und die Camênen,'' <br/>
''der ôren niun Sirênen,'' <br/>
''die dâ ze hove der gâben pflegent,'' <br/>
(V. 4.871-4.873)
 
Die Kamönen waren altitalienische Quellgöttinnen, die im Mittelalter mit den olympischen Musen, auch Mnemoiden genannt, gleichgesetzt wurden. Auch die ''Sirênen'' aus  4.872, die mythologisch andere Gestalten sind, erfuhren diese Gleichsetzung und stehen daher bei Gottfried ebenfalls für die Musen <ref>Krohn, Rüdiger: Stellenkommentar zu Gottfried von Straßburg: Tristan. Mittelhochdeutsch/Neuhochdeutsch. Nach  dem Text von Friedrich Ranke neu hg., ins Neuhochdeutsche übers., Bd. 3, 8./9./12. Aufl., Stuttgart 2007-2008 (RUB  4471-4473).  </ref> . Diese weiblichen mythologischen Gestalten gelten als die Töchter des Zeus und der Mnemosyne. Sie sind die Schutzgöttinnen der Künste und verbinden sich in den griechischen Mythen mit Helden, denen sie mit ihrer jeweiligen Kunst zur Seite stehen. Im folgenden sind ihre Aufgaben und anbefohlenen Künste den Namen zugeordnet.


{| border="1"  
{| border="1"  
Zeile 42: Zeile 50:




Diese Einteilung wird erstmals von Hesiod im 6. Jh. v. Chr. vorgenommen, auch legt er die Zahl der Musen auf neun fest.  
Diese Einteilung wird erstmals von Hesiod im 6. Jh. v. Chr. vorgenommen, auch legt er die Zahl der Musen auf neun fest. Sitz der Musen ist der Berg Helikon, wo auch die Quelle Hippokrene entspringt. Das geflügelte Musenpferd Pegasus hatte sie, der Überlieferung nach, durch einen Hufschlag freigelegt.
Die Musen zählen zum Gefolge Apolls und sind am Musenberg Helikon beheimatet, wo die Quelle Hippokrene entspringt, welche von Pegasus, dem geflügeltem Musenpferd (gr. hippo) durch einen Hufschlag freigelegt worden ist. Im Barock sind der Berg und die Musenquelle ein beliebtes Motiv der Dichtung.
 


===Vulkan===
===Vulkan===
Zeile 49: Zeile 57:
Lat. vulcanos, ist der Gott des Feuers und der Schmiedekunst. Unter anderem fertigte er die Rüstung des Apoll, ebenso dessen Pfeile und das goldene Szepter des Jupiter. Von seiner Gemahlin Venus wird er aufgrund seiner Hässlichkeit und Behinderung (er hinkt) ständig betrogen, unter anderem mit Mars, dem Gott des Krieges.
Lat. vulcanos, ist der Gott des Feuers und der Schmiedekunst. Unter anderem fertigte er die Rüstung des Apoll, ebenso dessen Pfeile und das goldene Szepter des Jupiter. Von seiner Gemahlin Venus wird er aufgrund seiner Hässlichkeit und Behinderung (er hinkt) ständig betrogen, unter anderem mit Mars, dem Gott des Krieges.


Von Gottfried wird Vulkan nun dergestalt in den Roman eingebracht, dass er angibt, Vulkan habe auch Tristans Rüstung und Waffen geschmiedet. Tristan trägt folglich göttliche Artefakte, die eine Niederlage und den Schwund seines Muts unmöglich machen. Gleichzeitig wird Tristan mit dem schönen Apoll gleichgesetzt, dem Vulkan wie schon erwähnt seine Rüstungsteile schmiedete. Tristan erstrahlt im Glanze eines großmächtigen Gottes, geschmückt durch Kühnheit und Stärke (Eber-Symbol auf dem Schild). Allerdings prangt ein Feuerstrahl zum Zeichen der Liebesqual. Hier lässt sich eine Parallele zu Vulkan erkennen: Der Feuerstrahl ist seine Insignie (er ist der Gott des Feuers) und die Liebesqual litt er, wie Tristan sie leiden wird, wenn auch die Ursache jeweils eine andere ist. Durch diese Symbolik werden der Siegeszug und die Qualen der Liebe Tristans vorweg genommen.
Gottfried gibt an, Vulkan habe auch Tristans Rüstung und Waffen geschmiedet. Diese Stelle wurde von der Forschung als Anspielung auf die "Eneide" Henrichs Von Veldeke gewertet. Dort wird ausführlich geschildert, wie Vulkan Waffen und Rüstung für Eneas anfertigt. Damit trägt der Held hier wie dort göttliche Artefakte, die eine Niederlage und den Schwund seines Muts unmöglich und ihn selbst unverwundbar machen. Gleichzeitig wird der Held mit dem schönen Apoll gleichgesetzt, dem Vulkan wie schon erwähnt seine Rüstungsteile schmiedete.  
    und seite iu daz, wie Vulkân
Auf Tristans Schild prangt ein Eber, ein Tier, das in zahlreichen Werken der mittelalterlichen Literatur für Kampfzorn und Kühnheit steht. Allerdings besteht auch eine Deutungstradition, die den Eber als "inbegriff zerstörerischer Kraft" interpretiert. Auch der Truchsess Marjodo träumt einen Ebertraum, in dem ein wütender Eber das Ehebett Markes zerwühlt und beschmutzt. Hierin sieht die Forschung einen deutlichen Bezug.
    der wîse, der maere,
    der guote listmachaere
    Tristande sînen halsperc,
    swert unde hosen und ander werc,
    daz den ritter sol bestân,
    durch sîne hende lieze gân
    schône und nâch meisterlîchem site;
    wie er‘m entwürfe unde snite;
    den kuonheit nie bevilte,
    den eber an dem schilte;
    wie er‘m den helm betihte
    und oben dar ûf rihte
    al nâch der minne quâle
    die viurîne strâle; (V. 4932-4946)


===Kassandra===
===Kassandra===


Kassandra begegnet uns in der antiken Mythologie als Tochter von Priamos, dem König von Troja, und der Hekabe. Aus Liebe zu ihr schenkte der Gott Apoll ihr die Gabe der Vorhersehung, doch als sie seine Liebe zurückwies und er seine Gabe nicht wieder rückgängig machen konnte, fügte er stattdessen den Fluch hinzu, dass ihre Vorhersagen niemals Glauben finden sollten. <br/>
Kassandra begegnet uns in der antiken Mythologie als Tochter von Priamos, dem König von Troja, und der Hekabe. Aus Liebe zu ihr schenkte der Gott Apoll ihr die Gabe der Vorhersehung, doch als sie seine Liebe zurückwies und er seine Gabe nicht wieder rückgängig machen konnte, fügte er stattdessen den Fluch hinzu, dass ihre Vorhersagen niemals Glauben finden sollten.
Im Krieg um Troja warnte Kassandra ihre Landsmänner vor der List der griechischen Belagerer, dem Trojanischen Pferd. Ein Sklave, der angab, von den Griechen zusammen mit dem Pferd als Opfergabe für die Götter am Strand zurückgelassen worden zu sein, berichtete, die Feinde Trojas hätten die Belagerung aufgegeben hatten und seien nach zehn Jahren bitteren Krieges unverrichteter Dinge wieder auf Griechenland zu in See gestochen seien. Kein Trojaner glaubte Kassandras Warnungen, weil diese ihre Vorhersagen in Trance machte und deswegen für verrückt gehalten wurde. Kassandra überlebte den Brand Trojas und wurde von Agamemnon als Sklavin nach Mykene geführt, wo sie dessen Tod voraussagte. Wieder wurde ihr kein Glaube geschenkt. Bald wurde Agamemnon von seiner Frau Klytämnestra und ihrer Buhlschaft Aigistos (Bruder des Agamemon) im Bad erstochen. Aus Furcht vor Kassandras Gabe, erdolchte Klytämnestra auch sie. Der Fluch, der Apolls verletzter Liebe entsprang, verursachte in Kassandras Leben also viel Schmerz; sie wurde gemieden und gefürchtet - ihre Erkenntnisfähigkeit wurde ihr negativ angelastet.
 
Im Mittelalter galt Kassandra auch als Meisterin der Web- und Stickereikunst. Dazu Rüdiger Krohn: "Womöglich hat bei dieser Umdeutung die tradierte germanische Vorstellung von den Nornenm die den Schicksalsfaden der Menschheit spinnen, eine gewisse Rolle gespielt."
 
In Gottfrieds Tristan-Roman tritt Kassandra in eben der Rolle der Weberin von Tristans Gewand auf:
 


Bei Gottfried ist Tristans Gewand von Kassandra gewoben worden. Dadurch trägt es die Attribute der mythologischen Gestalt. Es verleiht Tristan einen von den Göttern geschärften Verstand. Allerdings führt diese Gabe nicht wie bei Kassandra ins Verderben, sondern hilft ihm, alle Unternehmungen mit Hilfe des Verstands erfolgreich zu bestehen. Tristans politische Raffinesse trägt Früchte.
Allerdings ist das Bild der webenden Kassandra nicht der Überlieferung entlehnt, denn in den antiken Texten wird Kassandra nie als Weberin dargestellt. Gottfried benutzt dieses Bild lediglich, um Tristans Brillianz zu versinnbildlichen.
     und wie mîn vrou Cassander,
     und wie mîn vrou Cassander,
     diu wîse Troiaerinne,
     diu wîse Troiaerinne,
Zeile 84: Zeile 80:
     der geist ze himele, als ich‘z las,
     der geist ze himele, als ich‘z las,
     von den goten gefeinet was: (V. 4950-4960)
     von den goten gefeinet was: (V. 4950-4960)
Krohn verweist in seinem Stellenkommentar auf eine Passage aus dem "Moritz von Craûn", in der ebenfalls von Kassandra als Webmeisterin die Rede ist.


==Sprachliche Auffälligkeiten==
==Sprachliche Auffälligkeiten==

Version vom 29. November 2010, 14:07 Uhr

Dieser Artikel beschäftigt sich mit dem Erzähler::Exkurs von Vers 4.860 bis 4.974, in dem der Erzähler Apollo, die Musen, Vulkan und Kassandra anruft, und mit der Frage, inwiefern es überrascht oder auch nicht, dass in diesen mittelalterlichen Roman mythische Stoffe der Antike einfließen.

Mythologische Personen und ihre allegorische Bedeutung[1]

Apollo

Der griechische Gott Apollon galt als Anführer der Musen, wie auch an seinem Beinamen "Musagetes" ersichtlich.

Die neun Musen

Gottfried spricht in diesem Abschnitt von den neun Camênen.

Apolle und die Camênen,
der ôren niun Sirênen,
die dâ ze hove der gâben pflegent,
(V. 4.871-4.873)

Die Kamönen waren altitalienische Quellgöttinnen, die im Mittelalter mit den olympischen Musen, auch Mnemoiden genannt, gleichgesetzt wurden. Auch die Sirênen aus 4.872, die mythologisch andere Gestalten sind, erfuhren diese Gleichsetzung und stehen daher bei Gottfried ebenfalls für die Musen [2] . Diese weiblichen mythologischen Gestalten gelten als die Töchter des Zeus und der Mnemosyne. Sie sind die Schutzgöttinnen der Künste und verbinden sich in den griechischen Mythen mit Helden, denen sie mit ihrer jeweiligen Kunst zur Seite stehen. Im folgenden sind ihre Aufgaben und anbefohlenen Künste den Namen zugeordnet.

Name anbefohlene Künste
Klio Geschichtsschreibung
Melpomene Tragödie
Terpsichore Chorlyrik und Tanz
Thalia Komödie
Euterpe Lyrik und Flötenspiel
Erato Liebesdichtung
Urania Sternkunde
Polyhymnia Gesang und Leierspiel
Kalliope epische Dichtung, Rhetorik und Philosophie


Diese Einteilung wird erstmals von Hesiod im 6. Jh. v. Chr. vorgenommen, auch legt er die Zahl der Musen auf neun fest. Sitz der Musen ist der Berg Helikon, wo auch die Quelle Hippokrene entspringt. Das geflügelte Musenpferd Pegasus hatte sie, der Überlieferung nach, durch einen Hufschlag freigelegt.


Vulkan

Lat. vulcanos, ist der Gott des Feuers und der Schmiedekunst. Unter anderem fertigte er die Rüstung des Apoll, ebenso dessen Pfeile und das goldene Szepter des Jupiter. Von seiner Gemahlin Venus wird er aufgrund seiner Hässlichkeit und Behinderung (er hinkt) ständig betrogen, unter anderem mit Mars, dem Gott des Krieges.

Gottfried gibt an, Vulkan habe auch Tristans Rüstung und Waffen geschmiedet. Diese Stelle wurde von der Forschung als Anspielung auf die "Eneide" Henrichs Von Veldeke gewertet. Dort wird ausführlich geschildert, wie Vulkan Waffen und Rüstung für Eneas anfertigt. Damit trägt der Held hier wie dort göttliche Artefakte, die eine Niederlage und den Schwund seines Muts unmöglich und ihn selbst unverwundbar machen. Gleichzeitig wird der Held mit dem schönen Apoll gleichgesetzt, dem Vulkan wie schon erwähnt seine Rüstungsteile schmiedete. Auf Tristans Schild prangt ein Eber, ein Tier, das in zahlreichen Werken der mittelalterlichen Literatur für Kampfzorn und Kühnheit steht. Allerdings besteht auch eine Deutungstradition, die den Eber als "inbegriff zerstörerischer Kraft" interpretiert. Auch der Truchsess Marjodo träumt einen Ebertraum, in dem ein wütender Eber das Ehebett Markes zerwühlt und beschmutzt. Hierin sieht die Forschung einen deutlichen Bezug.

Kassandra

Kassandra begegnet uns in der antiken Mythologie als Tochter von Priamos, dem König von Troja, und der Hekabe. Aus Liebe zu ihr schenkte der Gott Apoll ihr die Gabe der Vorhersehung, doch als sie seine Liebe zurückwies und er seine Gabe nicht wieder rückgängig machen konnte, fügte er stattdessen den Fluch hinzu, dass ihre Vorhersagen niemals Glauben finden sollten.

Im Mittelalter galt Kassandra auch als Meisterin der Web- und Stickereikunst. Dazu Rüdiger Krohn: "Womöglich hat bei dieser Umdeutung die tradierte germanische Vorstellung von den Nornenm die den Schicksalsfaden der Menschheit spinnen, eine gewisse Rolle gespielt."

In Gottfrieds Tristan-Roman tritt Kassandra in eben der Rolle der Weberin von Tristans Gewand auf:


   und wie mîn vrou Cassander,
   diu wîse Troiaerinne,
   ir liste und alle ir sinne
   dar zuo haete gewant,
   daz sî Tristande sîn gewant
   berihte unde bereite
   nâch solher wîsheite,
   sô si‘z aller beste
   von ir sinnen weste,
   der geist ze himele, als ich‘z las,
   von den goten gefeinet was: (V. 4950-4960)

Krohn verweist in seinem Stellenkommentar auf eine Passage aus dem "Moritz von Craûn", in der ebenfalls von Kassandra als Webmeisterin die Rede ist.

Sprachliche Auffälligkeiten

Bedeutung der Textstelle zur Selbstpositionierung des Erzählers

Fußnoten

  1. Zitationen dieses Kapitels aus: Gottfried von Straßburg; Ranke, Friedrich (Übers.); Tristan, Band 1 und 2; Reclam; Stuttgart; 2007
  2. Krohn, Rüdiger: Stellenkommentar zu Gottfried von Straßburg: Tristan. Mittelhochdeutsch/Neuhochdeutsch. Nach dem Text von Friedrich Ranke neu hg., ins Neuhochdeutsche übers., Bd. 3, 8./9./12. Aufl., Stuttgart 2007-2008 (RUB 4471-4473).

Literaturverzeichnis

  • Schwab, Gustav; Die schönsten Sagen des klassischen Altertums; Gondrom, Bindlach; 2006.