Natureingang und Symbolik in den Liedern Neidharts: Unterschied zwischen den Versionen
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===Unterscheidung Sommer- und Winterlieder=== | ===Unterscheidung Sommer- und Winterlieder=== | ||
Neidharts Sommer- und Winterlieder unterscheiden sich nicht nur durch ihre offensichtlich jahreszeitliche Konstituierung, sondern weisen auch inhaltliche und strukturelle Unterschiede auf, anhand derer die beiden Liedformen unterschieden werden können. So ist der Natureingang zwar in den Winterliedern oftmals von geringerem Umfang, nimmt aber trotzdem eine prägende Rolle durch seine Eingangsstellung sowie die darauffolgenden Klage des Sängers ein. Die Sommerlieder beginnen im Kontrast dazu mit einem Lob des Sommers und dessen natürlicher Merkmale worauf ein Freudenaufruf des Sängers folgt. Bereits in den ersten Zeilen und Strophen wird dadurch schon eine entscheidende Unterscheidung zwischen den Liedtypen getroffen. Die Sommerlieder kreieren eine Atmosphäre der Freude wohingegen die Winterlieder von Klage und Leid definiert werden. Die setzt sich auch im weiteren Verlauf der Lieder fort, wenn in den Sommerliedern Dialoge beschrieben werden, in welche Liebe, Freude und Zuneigung thematisiert werden, während die Winterlieder meist von Gewalt, Streit und Unrecht zwischen den dörpern sowie dem Sänger handeln. Auch durch die handelnden und beschriebenen Personen kann eine klare Unterscheidung getroffen werden. Die Dialoge und Monologe der Sommerlieder werden von Frauen geführt (Mutter-Tochter und Mädchen) während in den Winterliedern vor allem das (meist gewalttätige) Verhalten von Männern untereinander Handlungsmittelpunkt ist. Daraus etabliert sich nicht nur der ‘Gegensatz‘ Sommer-Winter, sondern auch weiblich-männlich. | Neidharts Sommer- und Winterlieder unterscheiden sich nicht nur durch ihre offensichtlich jahreszeitliche Konstituierung, sondern weisen auch inhaltliche und strukturelle Unterschiede auf, anhand derer die beiden Liedformen unterschieden werden können. So ist der Natureingang zwar in den Winterliedern oftmals von geringerem Umfang, nimmt aber trotzdem eine prägende Rolle durch seine Eingangsstellung sowie die darauffolgenden Klage des Sängers ein. Die Sommerlieder beginnen im Kontrast dazu mit einem Lob des Sommers und dessen natürlicher Merkmale worauf ein Freudenaufruf des Sängers folgt. Bereits in den ersten Zeilen und Strophen wird dadurch schon eine entscheidende Unterscheidung zwischen den Liedtypen getroffen. Die Sommerlieder kreieren eine Atmosphäre der Freude wohingegen die Winterlieder von Klage und Leid definiert werden. Die setzt sich auch im weiteren Verlauf der Lieder fort, wenn in den Sommerliedern Dialoge beschrieben werden, in welche Liebe, Freude und Zuneigung thematisiert werden, während die Winterlieder meist von Gewalt, Streit und Unrecht zwischen den dörpern sowie dem Sänger handeln. Auch durch die handelnden und beschriebenen Personen kann eine klare Unterscheidung getroffen werden. Die Dialoge und Monologe der Sommerlieder werden von Frauen geführt (Mutter-Tochter und Mädchen) während in den Winterliedern vor allem das (meist gewalttätige) Verhalten von Männern untereinander Handlungsmittelpunkt ist. Daraus etabliert sich nicht nur der ‘Gegensatz‘ Sommer-Winter, sondern auch weiblich-männlich. <br /> | ||
Durch die unterschiedliche Darstellung der Jahreszeiten wird eine „Opposition von Sommer und Winter“ (Braun) etabliert, welche auf der Basisposition von Fehlen vs Vorhandensein aufbaut (Eder). Jedes Motiv wäre demnach nach dieser Position ausgerichtet. Belege für diese These finden sich beispielsweise klar in den Beschreibungen der Vögel (schweigen vs singen) und der Blumen bzw. der Heide (blühen vs nicht-blühen) ( | Über das Inhaltliche hinaus findet sich auch ein struktureller Unterschied in der genutzten Strophenform. Während in den Winterliedern Kanzonenstrophen verwendet werden, nutzen die Sommerlieder Reienstrophen. Auch die Sprecherrolle variiert abhängig von den Liedtypen. Während in den Winterliedern ganz klar der Sänger das werbende Sprecher-/Sänger Ich verkörpert, was nicht zuletzt durch zahlreiche Verweise auf den Wunsch zu singen und das drohenden Verbot ebendessen durch die dörper hervorgehoben wird, ist die Sängerrolle in den Sommerliedern noch unklar. Der einleitende Natureingang kann nicht eindeutig dem Sänger zugeschrieben werden, und „der von Reuental“, welcher oftmals mit dem Sänger gleichgesetzt wird, ist Gesprächsobjekt innerhalb der Dialoge und Monologe, aber kein aktiver Sprecher. <br /> | ||
Trotz der zahlreichen Unterschiede eint ein Faktor die Jahreszeiten und die Menschen: der Tanz. Sowohl in Sommer- als auch in Winterliedern wird zum Tanz aufgerufen und unabhängig von den Jahreszeiten kommen die Menschen zusammen, um zu tanzen. Dies geschieht jedoch an andere Orten. Im Sommer findet diese Zusammenkunft draußen in der Natur statte: Heide, Anger und Straße sind Schauplätze dieser gesellschaftlichen Treffen während im Winter nur die Stube, eine Art Gasthaus, für soziale Interaktion bleibt. Allein die räumlichen Gegebenheiten rufen so unterschiedliche Gefühle hervor. Während ein Tanz auf einer Wiese in der Natur ein Gefühl von Freiheit und Unbeengtheit auslöst, sorgt die Vorstellung von vielen Menschen in einer engen Stube für gegenteilige Assoziationen. Begleitet wird diese Opposition von den Unterschieden in den ausgeübten Tänzen. Während in der Stube eher höfische Tänze beschrieben werden, stehen im Sommer Bauerntänze im Vordergrund. Dies unterstreicht zusätzlich den jahreszeitlichen Kontrast von Anspannung und Ausgelassenheit.<br /> | |||
Ein weiterer Unterschied findet sich also in der Konzeption von Raum in den verschiedenen Liedtypen. Während dieser in den Sommerliedern als „unbeengte Weite“ dargestellt wird, ist er in den Winterlieder eng und geschlossen (Braun 272). Neidhart konstituiert „einen Raum, der nicht der Naturraum des klassischen Minnesangs ist“ (ebd.) sondern durch die Nennung von ''strazze'', ''walde'', ''anger'', ''zu den linden'' und ''under einm hekke'' einen „Schauplatz ambivalenter (vor allem erotischer) Aktivitäten“ in seinen Sommerliedern. Dem gegenüber steht ein Innenraum, der in den Sommerliedern durch das ''gedam'' repräsentiert wird, in welchem die Tochter festgehalten werden soll. In den Winterliedern wird dieser private Raum durch einen öffentlichen ersetzt, der durch diese Öffentlichkeit jedoch nicht weniger bedrängend wird: die stube. Diese ist durch die beiden oppositionell konnotierten Komponenten Gesellschaft (eher positiv) und Beengtheit (negativ) „[e]in Ort des Feierns und der Freude, aber auch einer des Gedränges und der Aggression.“ (Braun 273) | |||
Durch die unterschiedliche Darstellung der Jahreszeiten wird eine „Opposition von Sommer und Winter“ (Braun) etabliert, welche auf der Basisposition von Fehlen vs Vorhandensein aufbaut (Eder). Jedes Motiv wäre demnach nach dieser Position ausgerichtet. Belege für diese These finden sich beispielsweise klar in den Beschreibungen der Vögel (schweigen vs singen) und der Blumen bzw. der Heide (blühen vs nicht-blühen): ''diese lange swaere zît diu die heide velwet unde mange bluomen wolgetân? alsô sint die vogele in dem walde des betwungen, daz si ir singen müezen lân.'' (WL24, S1, V4ff.) | |||
==Interpretation der Natureingänge== | ==Interpretation der Natureingänge== |
Version vom 9. März 2021, 14:31 Uhr
Das Gesamtwerk des Autoren Neidhart unterscheidet sich durch eine Vielzahl an Besonderheiten von anderen Minneautoren seiner Zeit. Im Vergleich dazu scheint der Natureingang ein eher konservatives Mittel. Jedoch wird diesem in Neidharts Eouvre eine so besondere Bedeutung beigemessen, dass seine Werke Jahreszeitenabhängig sortiert werden und Braun sie sogar als Gattungssignal definiert (!!!). Dieser Artikel wird beleuchten, worum es sich bei einem Natureingang handelt, wie dieser bei Neidhart umgesetzt wird und welche Rolle die Jahreszeiten für Sänger, Personen und Stimmung spielen. Darüber hinaus werden einige genutzte Symbole und Motive erläutert und interpretiert.
Natureingang bei Neidhart
Um den Natureingang analysieren und interpretieren zu können muss man diesen zunächst definieren. Eder beschreibt diesen sehr präzise als
„[…] eine am Anfang des Liedes bzw. einer Einzelstrophe stehende thematische Einheit […], in der neben der Nennung einer als aktuell bzw. aktuell anstehend suggerierten Jahreszeit (möglich ist auch die Nennung eines Monats) oder der nicht mehr aktuellen Jahreszeit auch die Untermauerung des saisonalen Wandels durch mindestens eine in der Natur zu findende, der Jahreszeit entsprechende Erscheinung (bzw. durch die Angabe des ebenfalls jahreszeitlich passenden Fehlens dieser Erscheinung) zu finden ist.“ (Eder 127 f.)
Diese Definition muss jedoch um jene (seltenen) Natureingänge erweitert werden, welche nicht am Anfang des Liedes oder der Strophe stehen, wie es beispielsweise in SL 27 und 29 der Fall ist. Diese werden dann als versetzte Natureingänge beschrieben. Ebenso können jene Lieder hinzugezählt werden, welche nur aus einem Natureingang bestehen, wie es bei einigen kurzen Sommerliedern Neidharts der Fall ist.
Obwohl der Begriff ‚Natureingang‘ nahe liegt, dass durch eine Beschreibung der Umgebungsnatur eine Ortsschilderung impliziert wird, ist diese für die Winter- und Sommerlieder eher zweitranging. Der Natureingang dient vordergründig der Zeitschilderung, welche für die Unterteilung in ebenjene Sommer- und Winterlieder unabdingbar ist, da diese den „Stimmungshintergrund für [die] jeweilige Liedaussage“ (Schweikle 115) festlegt (Erläuterungen dazu im Abschnitt Interpretation ). Demgegenüber stehen eher vage und wenig aussagekräftige Lokalitätsbezeichnungen, allen voran die heide „[…] eine allgemeine örtliche Festlegung, die zwar Lokalitäten suggeriert, diese aber nicht konkretisiert“ (Eder 113). Die Beschreibung einer eher ländlichen Gegend, welche im Kontrast zur höfischen Welt des klassischen Minnesangs steht, trägt zweifelsohne zur Besonderheit der Neidhart Lieder bei, steht jedoch beim Natureingang und somit diesem Artikel nicht im Vordergrund. (Verweis auf anderen falls passend) Die genutzten Blumenmotive und die Beschreibung des Vogelsangs sollen keine Ortsbestimmung anregen, sondern sind „Charakteristika der Situation der Liebesbegegnung“ (Eder 119) welche durch zahlreiche Symbole und Motive illustriert wird (Verweis Symbolik) betonen. Durch all diese Details soll eine bestimmte Jahreszeit als im Lied aktuell imaginiert werden (Eder 116) und so den Rahmen für alle Geschehnisse und Handlungen innerhalb dessen bieten.
Der Natureingang ist im Minnesang keinesfalls ein unübliches Mittel, um Lieder einzuleiten. Er wird im 13. Jhd. sogar „kennzeichnend für die mhd. Lyrik“ (Schweikle 116). Was Neidharts Umgang damit jedoch besonders macht ist, dass er ebenjene Natureingänge zu einem Merkmal seiner Dichtung macht und diese demnach sogar entsprechend ihrer jahreszeitlichen Zuordnung in Sommer- und Winterlieder unterteilt werden. Die definierenden Natureingänge und –beschreibungen stehen dabei immer am Anfang und es gibt nur vereinzelt Rückverweise auf diese im weiteren Verlauf der Lieder. Innerhalb dieser Beschreibungen wird die Bedeutung der Jahreszeiten zusätzlich durch Personifizierungen des Sommers, Winters oder im Besonderen auch des Mais als Wechselmonat hervorgehoben: Heid, anger, walt in fröuden stât. diu hânt sich bereitet mit ir besten wât, die in der meie hât gesant. (SL4, S1, V1ff.), komen ist uns der meie, der uns bluomen bringet manger leie. (SL22, S1, V2f.).
Der Umfang der entsprechenden Beschreibungen variiert mitunter stark, er kann sich von 1-2 Versen bis zu mehreren Strophen erstrecken. In manchen kurzen Sommerliedern kann sich der Natureingang sogar über das ganze Lied erstrecken (bspw. SL5) wohingegen er in den Winterliedern meist kürzer ausfällt (vgl. c122, WL25, c116) (Schweikle 115). In ihrer Darstellung erscheinen die Jahreszeiten in Antithese zueinander (Goheen) und es erfolgen immer wieder Querverweise zu der ‚gegnerischen‘ Jahreszeit. Der Sommer zeichnet sich immer wieder als fröhliche Jahreszeit ab, in welcher die Abwesenheit des Winters zelebriert wird (si vreunt sich gegen der lieben sumerzît, diu uns gît vreuden vil und liehter ougenweide.(SL23, S2, V3ff.)), wohingegen der Winter eine Zeit der Klage über den Verlust des Sommers darstellt (Sumer, dîner süezen weter müezen wir uns ânen: dirre kalde winder trûren unde senen gît. (WL24, S2, V1f.))
Der Winter wird darüber hinaus selten in sich selbst, sondern hauptsächlich über die Abwesenheit der Sommermerkmale definiert (Dô der liebe summer ureloup genam (WL10, S1, V1f.)). Dies erfolgt mitunter auch umgekehrt in den Beschreibungen des Sommers, nimmt jedoch eine kleinere Rolle ein, da die Sommerbeschreibungen in ihrem Umfang meist größer und umfassender gestaltet sind. Diese Verweise kreieren einen zeitlichen Kreislauf in welchem deutlich wird, dass die im jeweiligen Lied beschriebene Jahreszeit nicht für sich selbst, losgelöst steht, sondern in einen Rhythmus eingebunden ist. Dabei wird ein regelmäßiger Wechsel der Jahreszeiten etabliert, welcher besonders in den Sommerliedern mit der Ankunft des oftmals personifizierten Mais verkündet und gefeiert wird. Somit steht nicht die Stagnation, sondern der Wandel im Vordergrund. Dies wird teilweise auch innerhalb der Lieder direkt aufgegriffen, wie zum Beispiel in c27: „diu zît hât sich verwandelôt“ (c27, S1, V5). Der Beginn jeden Liedes mit einem Natureingang betont zusätzlich diesen ständigen Wandel und etabliert einen jahreszeitlichen Rhythmus. Mithilfe des Natureingangs und den darin beschriebenen Motiven und Details wird der Jahreszeitenwandel untermauert (Eder 126).
Jahreszeitliche Unterteilung der Lieder
Unterscheidung Sommer- und Winterlieder
Neidharts Sommer- und Winterlieder unterscheiden sich nicht nur durch ihre offensichtlich jahreszeitliche Konstituierung, sondern weisen auch inhaltliche und strukturelle Unterschiede auf, anhand derer die beiden Liedformen unterschieden werden können. So ist der Natureingang zwar in den Winterliedern oftmals von geringerem Umfang, nimmt aber trotzdem eine prägende Rolle durch seine Eingangsstellung sowie die darauffolgenden Klage des Sängers ein. Die Sommerlieder beginnen im Kontrast dazu mit einem Lob des Sommers und dessen natürlicher Merkmale worauf ein Freudenaufruf des Sängers folgt. Bereits in den ersten Zeilen und Strophen wird dadurch schon eine entscheidende Unterscheidung zwischen den Liedtypen getroffen. Die Sommerlieder kreieren eine Atmosphäre der Freude wohingegen die Winterlieder von Klage und Leid definiert werden. Die setzt sich auch im weiteren Verlauf der Lieder fort, wenn in den Sommerliedern Dialoge beschrieben werden, in welche Liebe, Freude und Zuneigung thematisiert werden, während die Winterlieder meist von Gewalt, Streit und Unrecht zwischen den dörpern sowie dem Sänger handeln. Auch durch die handelnden und beschriebenen Personen kann eine klare Unterscheidung getroffen werden. Die Dialoge und Monologe der Sommerlieder werden von Frauen geführt (Mutter-Tochter und Mädchen) während in den Winterliedern vor allem das (meist gewalttätige) Verhalten von Männern untereinander Handlungsmittelpunkt ist. Daraus etabliert sich nicht nur der ‘Gegensatz‘ Sommer-Winter, sondern auch weiblich-männlich.
Über das Inhaltliche hinaus findet sich auch ein struktureller Unterschied in der genutzten Strophenform. Während in den Winterliedern Kanzonenstrophen verwendet werden, nutzen die Sommerlieder Reienstrophen. Auch die Sprecherrolle variiert abhängig von den Liedtypen. Während in den Winterliedern ganz klar der Sänger das werbende Sprecher-/Sänger Ich verkörpert, was nicht zuletzt durch zahlreiche Verweise auf den Wunsch zu singen und das drohenden Verbot ebendessen durch die dörper hervorgehoben wird, ist die Sängerrolle in den Sommerliedern noch unklar. Der einleitende Natureingang kann nicht eindeutig dem Sänger zugeschrieben werden, und „der von Reuental“, welcher oftmals mit dem Sänger gleichgesetzt wird, ist Gesprächsobjekt innerhalb der Dialoge und Monologe, aber kein aktiver Sprecher.
Trotz der zahlreichen Unterschiede eint ein Faktor die Jahreszeiten und die Menschen: der Tanz. Sowohl in Sommer- als auch in Winterliedern wird zum Tanz aufgerufen und unabhängig von den Jahreszeiten kommen die Menschen zusammen, um zu tanzen. Dies geschieht jedoch an andere Orten. Im Sommer findet diese Zusammenkunft draußen in der Natur statte: Heide, Anger und Straße sind Schauplätze dieser gesellschaftlichen Treffen während im Winter nur die Stube, eine Art Gasthaus, für soziale Interaktion bleibt. Allein die räumlichen Gegebenheiten rufen so unterschiedliche Gefühle hervor. Während ein Tanz auf einer Wiese in der Natur ein Gefühl von Freiheit und Unbeengtheit auslöst, sorgt die Vorstellung von vielen Menschen in einer engen Stube für gegenteilige Assoziationen. Begleitet wird diese Opposition von den Unterschieden in den ausgeübten Tänzen. Während in der Stube eher höfische Tänze beschrieben werden, stehen im Sommer Bauerntänze im Vordergrund. Dies unterstreicht zusätzlich den jahreszeitlichen Kontrast von Anspannung und Ausgelassenheit.
Ein weiterer Unterschied findet sich also in der Konzeption von Raum in den verschiedenen Liedtypen. Während dieser in den Sommerliedern als „unbeengte Weite“ dargestellt wird, ist er in den Winterlieder eng und geschlossen (Braun 272). Neidhart konstituiert „einen Raum, der nicht der Naturraum des klassischen Minnesangs ist“ (ebd.) sondern durch die Nennung von strazze, walde, anger, zu den linden und under einm hekke einen „Schauplatz ambivalenter (vor allem erotischer) Aktivitäten“ in seinen Sommerliedern. Dem gegenüber steht ein Innenraum, der in den Sommerliedern durch das gedam repräsentiert wird, in welchem die Tochter festgehalten werden soll. In den Winterliedern wird dieser private Raum durch einen öffentlichen ersetzt, der durch diese Öffentlichkeit jedoch nicht weniger bedrängend wird: die stube. Diese ist durch die beiden oppositionell konnotierten Komponenten Gesellschaft (eher positiv) und Beengtheit (negativ) „[e]in Ort des Feierns und der Freude, aber auch einer des Gedränges und der Aggression.“ (Braun 273) Durch die unterschiedliche Darstellung der Jahreszeiten wird eine „Opposition von Sommer und Winter“ (Braun) etabliert, welche auf der Basisposition von Fehlen vs Vorhandensein aufbaut (Eder). Jedes Motiv wäre demnach nach dieser Position ausgerichtet. Belege für diese These finden sich beispielsweise klar in den Beschreibungen der Vögel (schweigen vs singen) und der Blumen bzw. der Heide (blühen vs nicht-blühen): diese lange swaere zît diu die heide velwet unde mange bluomen wolgetân? alsô sint die vogele in dem walde des betwungen, daz si ir singen müezen lân. (WL24, S1, V4ff.)
Interpretation der Natureingänge
Die zuvor angedeutete Klage über den Winter und Freude über den Sommer ebnet den Weg für eine weitergehende Interpretation des Natureingangs über die Ebene der Natur- und Zeitbeschreibung hinaus. Die persönliche Beziehung des Sängers zu den Jahreszeiten suggeriert auch eine soziale Komponente, die im Zusammenhang mit dem Wechsel der Jahreszeiten steht. Diese These wird bereits durch die verschiedenen Figuren und Thematiken gestärkt, die in den unterschiedlichen Liedtypen auftreten.
Sommerlieder
Sommereingang
Die Darstellung des Sommereingangs erfolgt bei Neidhart unter der Integration zahlreicher Natursymbole (siehe…) und der Verwendung positiv belegter Adjektive wie lieben (sumerzit), wünneclichen, liehter, süez etc. aber auch beschreibender Nomen wie sumerwünne. Der Sommer ist jedoch nicht nur etwas Positives, sondern etwas sehnsüchtig Erwartetes: „mîn sendiu nôt“ (c27, S1, V6), „sumer, wis enphangen von mir hundert tủsent stunt! (Sl…, S1, V1f.). Dabei wird immer wieder auf den Winter verwiesen, welcher so viel Leid gebracht hat. Darin findet sich eine Opposition zum Winter, die auch in Vergleichen hervorgehoben („den tuot der sumer wol, niht we.“ (SL23, S1, V6)) und durch klare Kontraste verstärkt wird: „Blôzen wir den anger ligen sâhen, end uns diu liebe zît begunde nâhen“ (SL23, S1, V1f.). Diese Naturbeschreibungen können mitunter ganze Lieder umfassen, münden jedoch zumeist in einem Aufruf zur Freude oder einem Dialog zwischen Mutter und Tochter oder Mädchen.
Soziale Ebene der Jahreszeit
Durch die genannte Kontrastierung wird der Sommer als Zeit des Lichts und der Winter als Zeit der Dunkelheit etabliert (siehe Goheen). Diese positive Konnotation wird verstärkt, indem auf die Naturbeschreibung ein Aufruf zu Freude („vreut euch lieber maere!“ (SL22, S3, V4)) und Tanz („wir sulnz ủf dem anger wol wikîsen!“ (SL22, S4, V3)) folgt, welche vom Sänger, teilweise aber auch vom Mädchen oder gemeinsam geäußert wird. Hinzu kommen auch Aufrufe zu sexuellen Handlungen: „Da sul wir uns wider hiuwer zwein“ (SL23, S5, V1) welche das Erblühen der Natur mit dem „Erblühen“ von Sexualität in Verbindung bringt. Dies wird unterstrichen durch klassische Minnemotive wie bluomen brechen welche bereits eine sexuelle Konnotation innehaben (siehe Symbolik). Daraus ergibt sich eine erste Parallele zwischen Natur und menschlichem Verhalten. Wie im Abschnitt ‚Der Sänger und die Jahreszeiten‘ bereits angeschnitten, beeinflusst die Jahreszeit nicht nur die Natur, sondern auch die Stimmung des Sängers sowei seinen sozialen Stand und seinen Minneerfolg. Während er in den Winterliedern mit vielen dörper Konkurrenten um eine vrouwe werben muss, steht er in den Sommerliedern (als der von Reuental) als Minneziel im Fokus. Das einzige Hindernis für seinen Erfolg ist die Mutter, welche das Mädchen in den Mutter-Tochter Dialogen davon abhalten möchte zu ihm zu gehen und sie davor warnt, sich auf ihn einzulassen: „tohterlîn, lâ dich sîn niht gelangen!“ (SL23, S6, V1). Der Sänger genießt im Sommer also nicht nur die freundliche Natur, sondern auch die Liebe und Gunst der Frauen. Das Gemeinsame steht im Vordergrund; man will gemeinsam tanzen, zusammenkommen und die Freude, die der Sommer bringt mit anderen teilen. Dabei agiert der Sänger als Künder des Frühlings und Lehrer der Jugend (siehe Goheen) und somit als Bindeglied der Gesellschaft, welcher alle Personen in Tanz und Freude eint. Dies impliziert eine hohe gesellschaftliche Stellung, durch welche solche Aufforderungen legitimiert und gestützt werden. Die Zusammenkunft und die erhöhte gesellschaftliche Stellung stehen dabei im klaren Kontrast zur Einsamkeit des Sängers im Winter. Er wird vom verschmähten und kritisierten Außenseiter im Winter zum Minneziel und anerkannten Gesellschaftsmitglied im Sommer. Der Sommer bietet also die Möglichkeit für Kontakt, Interaktion, Liebesbeziehungen, Werben und Singen wodurch die Liebesfreude (des Sängers) saisonalitätsbasiert ist. (vgl. Eder 350). Hierbei muss jedoch erwähnt werden, dass der Sänger im Minnekontext keine aktive Rolle spielt und auch nie ein Treffen zwischen Mädchen und Sänger oder anderer direkter Kontakt beschrieben wird. Er ist allein Gesprächsobjekt und Ziel der Zuneigung. Durch den Aufruf zur Freude wird jahreszeitenadäquates Verhalten eingefordert wodurch eine Verbindung von Naturgefühl und menschlicher Stimmung etabliert wird (vgl. Eder 114). So wie sich die Natur verändert, ändern sich also auch soziale Komponenten in der Liedwelt. Natur und Gesellschaft werden in den Sommerliedern idealisiert dargestellt und das Zusammenleben wirkt scheinbar perfekt. Dies ändert sich jedoch mit dem Jahreszeitenwechsel und dem Eingangs des Winters.
Winterlieder
Wintereingang
Der winterliche Natureingang in Neidharts Liedern wird kontrastierend zu den Merkmalen des Sommers dargestellt. Der Winter zerstört und verjagt was im Sommer neu aufblühte; davon wird auch die Freude nicht verschont, welche der Sänger und andere Figuren in den Sommerliedern gepriesen und gefordert haben. „Der Winter erscheint als ein gewaltiger Herrscher, der Natur und Mensch bezwingt.“ (G) Die Eintönigkeit dieser Jahreszeit wird zusätzlich durch immer ähnliche, fast gleiche Naturbeschreibungen und die ständig wiederholten Motive hervorgehoben, welche in Länge und Detailreichtum jedoch stark variieren (!!!). Oftmals wird in diesen Natureingängen auch auf einen generellen Ortswechsel von draußen nach drinnen (von heide zu Stube) verwiesen, wodurch die bedrängende Atmosphäre des Winter hervorgehoben wird, welcher nicht nur Pflanzen und Tiere, sondern auch die Menschen aus der Natur verscheucht (!!! In die Stube drängen).
Soziale Ebene der Jahreszeit
Im Einklang mit der Klage des Sängers über den Winter steht dessen Klage und Wut über die dörper. Während diese in den Sommerliedern noch eine eher untergeordnete Rolle gespielt haben, werden sie nun in den Winterliedern zu einem Hauptmotiv und generellen Rivalen des Sängers. Darin findet sich eine Parallele zwischen Winter und dörpern, die dem Sänger beide verhasst sind und ihm das Leben schwer machen. Die Verdrängung des Sommers durch den Winter gleicht der Verdrängung des Sängers aus dem Liebesglück durch seine Rivalen wodurch die oppositionelle Struktur der Jahreszeiten auf die menschliche Ebene übertragen wird. Dies zeigt sich auch in der Darstellung der dörper, welche genauso brutal, feindselig und unnachgiebig auftreten wie der Winter. (vgl. Goheen, 364 f.) „So wie sich des Winters Gewalt auf Mensch und Natur erstreckt, so treten die dörper untereinander oder dem Sänger gegenüber auf.“(Goheen 365) Um sich über sein Leid durch Winter und Rivalen hinweg zu trösten, fordert auch hier der Sänger vereinzelt zu Freude und Tanz auf (Tanzet, lachet, weset vro! Das zimt wol den jungen disen winder lane.), findet jedoch nur Trost im Gedanken an den baldigen Sommer. Vereinzelt gibt es Episoden von Freude im Tanz oder dem Spiel, diese werden jedoch schon bald wieder von Gewalt, Wut und Hass überschattet. (!!!) Auch der fehlende Minneerfolg macht dem Sänger zu schaffen und es wird mehrfach erwähnt, dass die dörper ihm das Singen (und somit auch Werben) verbieten wollen (!!!). Das eigentliche Minneziel, die vrouwe, rückt dabei oftmals in den Hintergrund und die für die Sommerlieder typischen Gespräche, in welchen deutlich wird, dass der Sänger bzw. ‚der von Reuental‘ begehrenswert ist, fallen weg. Nichtsdestotrotz zeigt sich in der Werbung durch dörper und Sänger eine erneute Parallele zu den Jahreszeiten; wie der Winter gehen die dörper grob und zuweilen gewalttätig gegen die Frauen vor während der Sänger zurückhaltend und sanft auftritt wie der Sommer. Die Gewalt findet ihren Höhepunkt im oft erwähnten Spiegelraub, für den der Sänger einen besonderen Hass gegen den Dieb Engelmar hegt. Dieser steht sinnbildlich auch für den langfristigen Schaden, den der Winter verursacht und gegen welchen der Sänger hilflos ist. „Der Hilflosigkeit des Sommers gegenüber dem Ha[ss] des Winters entspricht die Ohnmacht des Sängers gegenüber den Dörpern […]. (Goheen 370). Durch die Parallelen zwischen menschlichem Handeln und jahreszeitlichem Hintergrund wird auch die Feindschaft der Jahreszeiten in eine soziale Feindschaft umgewandelt (Goheen 373). Während draußen der Sommer gegen den Winter verliert, ist der Sänger in der Stube wehrlos gegenüber den dörpern. Die negativen Aspekte von Natur und Mensch kommen zum Vorschein und „[d]ie Winterzeit […] veranschaulicht sowohl Gewalt als auch Schwäche in der Natur wie auch im menschlichen Bereich.“ (Goheen 374).
Natursymbole
Laut Eder dient der Natureingang nicht nur der jahreszeitlichen Einordnung, sondern auch der „Imagination von kollektiver Erfahrbarkeit“ (Eder). Diese wird realisiert durch mitunter detailreiche Beschreibung von Umgebung und Natur aber auch durch die Verwendung spezifischer Motive und Symbole, die sowohl die Natur als auch menschliche Interaktionen und Verhalten durch ihre Mehrdeutigkeit erfahrbar machen und illustrieren. Bei Neidhart stehen dabei vor allem zwei Sinne im Vordergrund: das Sehen und das Hören. In den Liedern wird im Besonderen von verschiedenen Blumen- und Pflanzenmotiven gebraucht gemacht (visuell), aber auch der auditive Input von Vogelgezwitscher wird gebraucht, um Jahreszeitenwechsel zu veranschaulichen. Über die generelle Natur- und Blumenmotivik hinaus finden sich in den Liedern Neidharts auch spezifische Nennungen. Darunter des häufigeren die Linde, welche auch bei Walter von der Vogelweide oftmals als Symbol diente (‚unter den Linden‘), aber auch Ingwer und Veilchen spielen bei Neidhart eine Rolle. Überdies erweitert Neidhart die traditionellen Minnesangmotive um Neue, wie beispielsweise die lerche (WL1), zisel (SL 27), droschel (SL23), batonje (WL22) und sumerbloumen (SL25) (siehe Schweikle 116). Neidhart greift besonders im Kontext sexueller Handlungen und Begegnungen gerne auf mehrdeutige Wendungen zurück, welche einen Naturbezug haben. Darunter sind vor allem traditionelle Minnesangmotive wie bluomen brechen (SL4,IV) oder nach bluomen gan (SL1, III) sowie rosenkrenzel gebrechen (SL17, I) und kranz lesen (SL21, II) (siehe Schweikle, 109) in welchen die Blumen bzw. die daraus geflochtenen Kränze sinnbildlich für das weibliche Geschlecht stehen und deren brechen für den Verlust der „Jungfräulichkeit“. Welche Bedeutung einiger dieser Symbole beigemessen werden kann und wie diese im Minnesang-kontext gedeutet werden wird im Folgenden an einigen Beispielen individuell erläutert.
Ingwer
Die Ingwerwurzel ist unter anderem im Winterlied 24 von Bedeutung: Hier schildert der Sänger einen streit um die Ingwerwurzel (V, 6). Hildebolt schenkt seiner Angebeteten eine solche Wurzel, worauf Willegêr sie dem Mädchen wieder wegnimmt, worauf sich ein gewaltsamer Streit entfacht (VII, 3-5). Im Mittelalter war Ingwer aus der Küche und in der Medizin nicht mehr wegzudenken, allerdings wurde der Wurzel auch eine aphrodisierende Wirkung zugeschrieben. Dies könnte eine Erklärung dafür sein, weshalb Willegêr dem Mädchen die Wurzel gewaltsam wegnimmt. Möglicherweise befürchtet er, seine Auserwählte könnte sich nun nur noch für seinen Rivalen Hildebolt interessieren. Andererseits ist diese Szene mit dem Spiegelraub vergleichbar, da der Dame auch hier etwas von einem Antagonisten geraubt bzw. gestohlen wird.
"Wie begehrt Ingwer war, wird satirisch in Neidharts 'Ingwerstreit' (vgl. WL 24,V und WL 31,VI) dargestellt. Folgt man nun Schweikles Argumentation in der Interpretation der Dörper,255 die er nicht als Bauern sondern als Mitglieder des Adels interpretiert sehen will, hat man nach Auflösung der satirischen Überhöhung ein recht realistisches Bild der Wertschätzung, die das exotische Gewürz genossen haben muss.“ (Klug 73)
Linde
Rose und Rosenkranz
Veilchen
Nachtigall und Drossel
Literaturverzeichnis
Textausgaben
Forschungsliteratur
<HarvardReferences /> [*Braun] Braun, Manuel: Spiel Autonomie (unveröffentl. Habil.), S. 259-280 <HarvardReferences /> [* Goheen 1972] Goheen, Jutta. Natur- Und Menschenbild in der Lyrik Neidharts, in: Beiträge zur Geschichte der deutschen Sprache und Literatur vol. 94, 1972,S. 348-378 <HarvardReferences /> [*Ruh 1984] Ruh, Kurt: Neidharts Lieder. Eine Beschreibung des Typus, in: Kleine Schriften. 1. Dichtung des Hoch- und Spätmittelalters, 1984, S. 107-128. <HarvardReferences /> [*Eder 2016] Eder, Daniel: Der Natureingang im Minnesang : Studien zur Register- und Kulturpoetik der hoefischen Liebeskanzone, Tübingen 2016. <HarvardReferences /> [*Schweikle 1990] Schweikle, Günther: Neidhart, Stuttgart 1990 (Sammlung Metzler 253).
Nachschlagewerke
<HarvardReferences /> [*Hennig 2014] Hennig, Beate: Kleines Mittelhochdeutsches Wörterbuch. In Zusammenarbeit mit Christa Hepfer und unter redaktioneller Mitwirkung von Wolfgang Bachofer, 6., durchgesehene Auflage, Berlin/ Boston 2014.