Natureingang und Symbolik in den Liedern Neidharts

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Das Gesamtwerk des Autoren Neidhart unterscheidet sich durch eine Vielzahl an Besonderheiten von anderen Minneautoren seiner Zeit. Im Vergleich dazu scheint der Natureingang ein eher konservatives Mittel. Jedoch wird diesem in Neidharts Œuvre eine so besondere Bedeutung beigemessen, dass seine Werke jahreszeitenabhängig sortiert werden und Braun sie sogar als Gattungssignal definiert [Braun 2007: 260]. Dieser Artikel wird beleuchten, worum es sich bei einem Natureingang handelt, wie dieser bei Neidhart umgesetzt wird und welche Rolle die Jahreszeiten für Sänger, Personen und Stimmung spielen. Darüber hinaus werden ausgewählte Symbole und Motive erläutert und interpretiert.

Natureingang bei Neidhart

Um den Natureingang analysieren und interpretieren zu können muss man diesen zunächst definieren. Eder beschreibt diesen sehr präzise als

      „[…] eine am Anfang des Liedes bzw. einer Einzelstrophe stehende thematische Einheit […], in der neben der Nennung einer als aktuell bzw. aktuell anstehend 
      suggerierten Jahreszeit (möglich ist auch die Nennung eines Monats) oder der nicht mehr aktuellen Jahreszeit auch die Untermauerung des saisonalen Wandels durch 
      mindestens eine in der Natur zu findende, der Jahreszeit entsprechende Erscheinung (bzw. durch die Angabe des ebenfalls jahreszeitlich passenden Fehlens dieser         
      Erscheinung) zu finden ist.“ [Eder 2016: 127] 

Diese Definition muss jedoch um jene (seltenen) Natureingänge erweitert werden, welche nicht am Anfang des Liedes oder der Strophe stehen, wie es beispielsweise in SL 27 und 29 der Fall ist. Diese werden dann als versetzte Natureingänge beschrieben. Ebenso können jene Lieder hinzugezählt werden, welche nur aus einem Natureingang bestehen, wie es bei einigen kurzen Sommerliedern Neidharts der Fall ist.

Obwohl der Begriff ‚Natureingang‘ nahe liegt, dass durch eine Beschreibung der Umgebungsnatur eine Ortsschilderung impliziert wird, ist diese für die Winter- und Sommerlieder eher zweitranging. Der Natureingang dient vordergründig der Zeitschilderung, welche für die Unterteilung in ebenjene Sommer- und Winterlieder unabdingbar ist, da diese den „Stimmungshintergrund für [die] jeweilige Liedaussage“ [Schweikle 1990: 115] festlegt (nähere Erläuterungen dazu im Abschnitt Interpretation der Natureingänge ). Demgegenüber stehen eher vage und wenig aussagekräftige Lokalitätsbezeichnungen, allen voran die heide „[…] eine allgemeine örtliche Festlegung, die zwar Lokalitäten suggeriert, diese aber nicht konkretisiert“ [Eder 2016: 113]. Die Beschreibung einer eher ländlichen Gegend, welche im Kontrast zur höfischen Welt des klassischen Minnesangs steht, trägt zweifelsohne zur Besonderheit der Neidhart Lieder bei, steht jedoch beim Natureingang und somit diesem Artikel nicht im Vordergrund. Die genutzten Blumenmotive und die Beschreibung des Vogelsangs sollen keine Ortsbestimmung anregen, sondern sind „Charakteristika der Situation der Liebesbegegnung“ [Eder 2016: 119] welche durch zahlreiche Symbole und Motive illustriert werden (siehe Natursymbole) betonen. Durch all diese Details soll eine bestimmte Jahreszeit als im Lied aktuell imaginiert werden [Eder 2016: 116] und so den Rahmen für alle Geschehnisse und Handlungen innerhalb dessen bieten.

Der Natureingang an sich ist im Minnesang keinesfalls ein unübliches Mittel, um Lieder einzuleiten. Er wird im 13. Jhd. sogar „kennzeichnend für die mhd. Lyrik“ [Schweikle 1990: 116]. Was Neidharts Umgang damit jedoch besonders macht ist, dass er ebenjene Natureingänge zu einem Merkmal seiner Dichtung macht und diese demnach sogar entsprechend ihrer jahreszeitlichen Zuordnung in Sommer- und Winterlieder unterteilt werden. Die definierenden Natureingänge und –beschreibungen stehen dabei immer am Anfang und es gibt nur vereinzelt Rückverweise auf diese im weiteren Verlauf der Lieder. Innerhalb dieser Beschreibungen wird die Bedeutung der Jahreszeiten zusätzlich durch Personifizierungen des Sommers, Winters oder im Besonderen auch des Mais als Wechselmonat hervorgehoben: Heid, anger, walt in fröuden stât. diu hânt sich bereitet mit ir besten wât, die in der meie hât gesant. (SL4, S1, V1ff.), komen ist uns der meie, der uns bluomen bringet manger leie. (SL22, S1, V2f.). Der Umfang der entsprechenden Beschreibungen variiert mitunter stark, er kann sich von 1-2 Versen bis zu mehreren Strophen erstrecken. In manchen kurzen Sommerliedern kann sich der Natureingang sogar über das ganze Lied erstrecken (bspw. SL5) wohingegen er in den Winterliedern meist kürzer ausfällt (vgl. c122, WL25, c116) [Schweikle 1990: 115]. In ihrer Darstellung erscheinen die Jahreszeiten in Antithese zueinander [Goheen 1972] und es erfolgen immer wieder Querverweise zu der ‚gegnerischen‘ Jahreszeit. Der Sommer zeichnet sich immer wieder als fröhliche Jahreszeit ab, in welcher die Abwesenheit des Winters zelebriert wird (si vreunt sich gegen der lieben sumerzît, diu uns gît vreuden vil und liehter ougenweide.(SL23, S2, V3ff.)), wohingegen der Winter eine Zeit der Klage über den Verlust des Sommers darstellt (Sumer, dîner süezen weter müezen wir uns ânen: dirre kalde winder trûren unde senen gît. (WL24, S2, V1f.))

Der Winter wird darüber hinaus selten in sich selbst, sondern hauptsächlich über die Abwesenheit der Sommermerkmale definiert (Dô der liebe summer ureloup genam (WL10, S1, V1f.)). Dies erfolgt mitunter auch umgekehrt in den Beschreibungen des Sommers, nimmt jedoch eine kleinere Rolle ein, da die Sommerbeschreibungen in ihrem Umfang meist größer und umfassender gestaltet sind. Diese Verweise kreieren einen zeitlichen Kreislauf in welchem deutlich wird, dass die im jeweiligen Lied beschriebene Jahreszeit nicht für sich selbst, losgelöst steht, sondern in einen Rhythmus eingebunden ist. Dabei wird ein regelmäßiger Wechsel der Jahreszeiten etabliert, welcher besonders in den Sommerliedern mit der Ankunft des oftmals personifizierten Mais verkündet und gefeiert wird. Somit steht nicht die Stagnation, sondern der Wandel im Vordergrund. Dies wird teilweise auch innerhalb der Lieder direkt aufgegriffen, wie zum Beispiel in c27: „diu zît hât sich verwandelôt“ (c27, S1, V5). Der Beginn jedes Liedes mit einem Natureingang betont zusätzlich diesen ständigen Wandel und etabliert einen jahreszeitlichen Rhythmus. Mithilfe des Natureingangs und den darin beschriebenen Motiven und Details wird der Jahreszeitenwandel untermauert [Eder 2016: 126].

Jahreszeitliche Unterteilung der Lieder

Unterscheidung Sommer- und Winterlieder

Neidharts Sommer- und Winterlieder unterscheiden sich nicht nur durch ihre offensichtlich jahreszeitliche Konstituierung, sondern weisen auch inhaltliche und strukturelle Unterschiede auf, anhand derer die beiden Liedformen unterschieden werden können. So ist der Natureingang zwar in den Winterliedern oftmals von geringerem Umfang, nimmt aber trotzdem eine prägende Rolle durch seine Eingangsstellung sowie die darauffolgenden Klage des Sängers ein. Die Sommerlieder beginnen im Kontrast dazu mit einem Lob des Sommers und dessen natürlicher Merkmale worauf ein Freudenaufruf des Sängers folgt. Bereits in den ersten Zeilen und Strophen wird dadurch schon eine entscheidende Unterscheidung zwischen den Liedtypen getroffen. Die Sommerlieder kreieren eine Atmosphäre der Freude wohingegen die Winterlieder von Klage und Leid definiert werden.

Mittelhochdeutsch Übersetzung
Heid, anger, walt in fröuden stât. Heide, Acker, Wald sind freudenvoll.
diu hânt sich bereitet mit ir besten wât, Wie haben sich mit ihrem besten Gewand geschmückt,
die in der meie hât gesant. dass er Mai ihnen gesandt hat.
sǐ wir alle Sind wir alle
frô mit schalle! froh mit Jubel
sumer ist komen in diu lant. Sommer ist ins Land gekommen!

(SL4, S1)

Mittelhochdeutscher Text Neuhochdeutsche Übersetzung
Winder, uns wil din gewalt Winter, deine Gewalt will uns
in die stuben dringen in die Stuben dringen
von der linden breit: von der großen Linde weg.
dine winde die sint kalt. Deine Winde, die sind kalt.
lerche, la din singen! Lerche, lass dein Singen!
dir hat widerseit Dir haben zugesetzt;
beide rife und ouch der sne; beide, Reif und auch der Schnee;
du muost stille swigen: Du musst still schweigen:
so klag ich den grüenen kle. so beklage ich den grünen Klee.
meie, ich wil dir nigen; Mai, ich will mich vor dir verneigen,
mir tuot der winder we. mir tut der Winter weh.

(WL27, S1)


Die setzt sich auch im weiteren Verlauf der Lieder fort, wenn in den Sommerliedern Dialoge beschrieben werden, in welche Liebe, Freude und Zuneigung thematisiert werden, während die Winterlieder meist von Gewalt, Streit und Unrecht zwischen den dörpern sowie dem Sänger handeln. Auch durch die handelnden und beschriebenen Personen kann eine klare Unterscheidung getroffen werden. Die Dialoge und Monologe der Sommerlieder werden von Frauen geführt (Mutter-Tochter und Mädchen) während in den Winterliedern vor allem das (meist gewalttätige) Verhalten von Männern untereinander Handlungsmittelpunkt ist. Daraus etabliert sich nicht nur der ‘Gegensatz‘ Sommer-Winter, sondern auch weiblich-männlich.

Über das Inhaltliche hinaus findet sich auch ein struktureller Unterschied in der genutzten Strophenform. Während in den Winterliedern Kanzonenstrophen verwendet werden, nutzen die Sommerlieder Reienstrophen. Auch die Sprecherrolle variiert abhängig von den Liedtypen. Während in den Winterliedern ganz klar der Sänger das werbende Sprecher-/Sänger Ich verkörpert, was nicht zuletzt durch zahlreiche Verweise auf den Wunsch zu singen und das drohenden Verbot ebendessen durch die dörper hervorgehoben wird, ist die Sängerrolle in den Sommerliedern noch unklar. Der einleitende Natureingang kann nicht immer eindeutig dem Sänger zugeschrieben werden, und „der von Reuental“, welcher oftmals mit dem Sänger gleichgesetzt wird, ist Gesprächsobjekt innerhalb der Dialoge und Monologe, aber kein aktiver Sprecher. Dadurch wird bereits auf struktureller Ebene ein Unterschied über der jahreszeitliche Ordnung hinaus etabliert.

Trotz der zahlreichen Unterschiede eint ein Faktor die Jahreszeiten und die Menschen: der Tanz. Sowohl in Sommer- als auch in Winterliedern wird zum Tanz aufgerufen und unabhängig von den Jahreszeiten kommen die Menschen zusammen, um zu tanzen. Dies geschieht jedoch an anderen Orten. Im Sommer findet diese Zusammenkunft draußen in der Natur statt: Heide, Anger und Straße sind Schauplätze dieser gesellschaftlichen Treffen während im Winter nur die Stube, eine Art Gasthaus, für soziale Interaktion bleibt. Allein die räumlichen Gegebenheiten rufen so unterschiedliche Gefühle hervor. Während ein Tanz auf einer Wiese in der Natur ein Gefühl von Freiheit und Unbeengtheit auslöst, sorgt die Vorstellung von vielen Menschen in einer engen Stube für gegenteilige Assoziationen. Begleitet wird diese Opposition von den Unterschieden in den ausgeübten Tänzen. Während in der Stube eher höfische Tänze beschrieben werden, stehen im Sommer Bauerntänze im Vordergrund. Dies unterstreicht zusätzlich den jahreszeitlichen Kontrast von Anspannung und Ausgelassenheit.

Ein weiterer Unterschied findet sich also in der Konzeption von Raum in den verschiedenen Liedtypen. Während dieser in den Sommerliedern als „unbeengte Weite“ dargestellt wird, ist er in den Winterlieder eng und geschlossen [Braun 2007: 272]. Neidhart konstituiert „einen Raum, der nicht der Naturraum des klassischen Minnesangs ist“ (ebd.) sondern durch die Nennung von strazze, walde, anger, zu den linden und under einm hekke einen „Schauplatz ambivalenter (vor allem erotischer) Aktivitäten“ [Braun 2007: 272] in seinen Sommerliedern. Dem gegenüber steht ein Innenraum, der in den Sommerliedern durch das gedam repräsentiert wird, in welchem die Tochter festgehalten werden soll. In den Winterliedern wird dieser private Raum durch einen öffentlichen ersetzt, der durch diese Öffentlichkeit jedoch nicht weniger bedrängend wird: die Stube. Diese ist durch die beiden oppositionell konnotierten Komponenten Gesellschaft (eher positiv) und Beengtheit (negativ) „[e]in Ort des Feierns und der Freude, aber auch einer des Gedränges und der Aggression.“ [Braun 2007: 273] Durch die unterschiedliche Darstellung der Jahreszeiten wird eine „Opposition von Sommer und Winter“ [Braun 2007] etabliert, welche auf der Basisposition von Fehlen vs Vorhandensein aufbaut [Eder 2016]. Jedes Motiv wäre demnach nach dieser Position ausgerichtet. Belege für diese These finden sich beispielsweise klar in den Beschreibungen der Vögel (schweigen vs singen) und der Blumen bzw. der Heide (blühen vs nicht-blühen): diese lange swaere zît diu die heide velwet unde mange bluomen wolgetân? alsô sint die vogele in dem walde des betwungen, daz si ir singen müezen lân. (WL24, S1, V4ff.). Sie lässt sich aber durchaus auch auf die soziale Ebene der Liedhandlungen ausweiten, beispielsweise auf den vorhandenen oder fehlenden Minneerfolg des Sängers in Abhängigkeit der Jahreszeiten.

Der Sänger und die Jahreszeiten

Besonders auf den Sänger haben die Jahreszeiten eine große Auswirkung. Sie verändern nicht nur seine Stimmung, sondern auch seine Stellung in Gesellschaft und im Minnedienst. Während ‚der von Reuental‘ in den Sommerliedern Objekt der Begierde und Gesprächsthema der weiblichen Dialogteilnehmer ist, nimmt der Sänger in den Winterliedern eine Außenseiterposition ein indem er erfolglos in der Minne und gehasst von seinen Mitmenschen ist. Zusätzlich ändert sich seine Position im Minnedienst von passiv zu aktiv, von Erfolg zu Misserfolg, wodurch seine Abneigung gegenüber dem Winter, der erfolglosen Jahreszeit erklärt werden kann. (Auch eine umgedrehte Kausalkette wäre natürlich denkbar - Misserfolg durch Abneigung gegenüber der Jahreszeit und die daraus hervorgehende Stimmung).

Dies wird illustriert durch direkte Vergleiche des eigenen Gemütszustandes mit einem vorangegangenen Natureingang, in welchem des Leid der Natur mit dem eigenen Liebesleid gleich gesetzt wird: Alsô hât diu vrouwe mîn daz herze mir betwungen, daz ich âne vröude muoz verswenden mîne tage. (WL24, S2, V1f.), Mirst von herzen leide, daz der küele winder verderbet schoener bluomen vil: so verderbet mich ein senelichiu arebeit (WL27, S1, V1ff.). Durch Beispiele wie diese kann angenommen werden, dass eine „Anwendung der zuvor etablierten jahreszeitlichen Grundstimmung auf die Gefühlslage des Text- Ichs“ [Eder 2016: 114] stattfindet. Eine Parallele zwischen Winterklage und Minneklage wird etabliert und der Schaden des Winters an der Natur wird sinnbildlich für ebenjenen Schaden, den der Sänger in der Jahreszeit davonträgt. [Goheen 1972: 373] Durch die subjektiven Klagen oder Freuden des Sängers im Abhängigkeit von der Jahreszeit wird eine Grundstimmung etabliert, in welcher sich der Sommer als „Zeit der Fülle“ und der Winter als „Zeit des Mangels“ [Eder 2016: 348] herauskristallisieren. Dies verweist zusammen mit der Beschreibung ländlicher Lokalitäten auf einen „agrarisch basierte[n] Lebensrhythmus“ [Eder 2016: 348] der das Leben der Personen in den Liedern und auch das des Sängers beeinflussen und prägen. Im Winter fehlt es dem Sänger an Erfolg und Ansehen, wie es der Natur an Vogelsang und Blumen fehlt, während der Sommer für eine Fülle natürlichen und (individuellen) sozialen Erfolgs sorgt. Wie Sommer und Winter die weiteren sozialen Strukturen der Gesellschaft in Neidharts Liedern beeinflussen wird im Folgenden genauer analysiert.

Interpretation der Natureingänge

Die zuvor angedeutete Klage über den Winter und Freude über den Sommer ebnet den Weg für eine weitergehende Interpretation des Natureingangs über die Ebene der Natur- und Zeitbeschreibung hinaus. Die persönliche Beziehung des Sängers zu den Jahreszeiten suggeriert auch eine soziale Komponente, die im Zusammenhang mit dem Wechsel der Jahreszeiten steht. Diese These wird bereits durch die verschiedenen Figuren und Thematiken gestärkt, die in den unterschiedlichen Liedtypen auftreten.

Sommerlieder

Sommereingang

Die Darstellung des Sommereingangs erfolgt bei Neidhart unter der Integration zahlreicher Natursymbole und der Verwendung positiv belegter Adjektive wie lieben (sumerzit), wünneclichen, liehter, süez etc. aber auch beschreibender Nomen wie sumerwünne. Der Sommer ist jedoch nicht nur etwas Positives, sondern etwas sehnsüchtig Erwartetes: mîn sendiu nôt (c27, S1, V6), sumer, wis enphangen von mir hundert tủsent stunt! (SL, S1, V1f.). Dabei wird immer wieder auf den Winter verwiesen, welcher so viel Leid gebracht hat. Darin findet sich eine Opposition zum Winter, die auch in Vergleichen hervorgehoben (den tuot der sumer wol, niht we. (SL23, S1, V6)) und durch klare Kontraste verstärkt wird: Blôzen wir den anger ligen sâhen, end uns diu liebe zît begunde nâhen (SL23, S1, V1f.). Diese Naturbeschreibungen können mitunter ganze Lieder umfassen, münden jedoch zumeist in einem Aufruf zur Freude oder einem Dialog zwischen Mutter und Tochter oder Mädchen.

Soziale Ebene der Jahreszeit

Durch die genannte Kontrastierung wird der Sommer als Zeit des Lichts und der Winter als Zeit der Dunkelheit etabliert [Goheen 1972: 353]. Diese positive Konnotation wird verstärkt, indem auf die Naturbeschreibung ein Aufruf zu Freude (vreut euch lieber maere! (SL22, S3, V4)) und Tanz (wir sulnz ủf dem anger wol wikîsen! (SL22, S4, V3)) folgt, welche vom Sänger, teilweise aber auch vom Mädchen oder gemeinsam geäußert wird. Hinzu kommen auch Aufrufe zu sexuellen Handlungen: Da sul wir uns wider hiuwer zwein (SL23, S5, V1) welche das Erblühen der Natur mit dem „Erblühen“ von Sexualität in Verbindung bringt. Dies wird unterstrichen durch klassische Minnemotive wie bluomen brechen welche bereits eine sexuelle Konnotation innehaben (siehe Natursymbole). Daraus ergibt sich eine erste Parallele zwischen Natur und menschlichem Verhalten.

Wie im Abschnitt Der Sänger und die Jahreszeiten bereits angeschnitten, beeinflusst die Jahreszeit nicht nur die Natur, sondern auch die Stimmung des Sängers sowie seinen sozialen Stand und seinen Minneerfolg. Während er in den Winterliedern mit vielen dörper Konkurrenten um eine vrouwe werben muss, steht er in den Sommerliedern (als der von Reuental) als Minneziel im Fokus. Das einzige Hindernis für seinen Erfolg ist die Mutter, welche das Mädchen in den Mutter-Tochter Dialogen davon abhalten möchte zu ihm zu gehen und sie davor warnt, sich auf ihn einzulassen: „tohterlîn, lâ dich sîn niht gelangen!" (SL23, S6, V1). Dabei handelt sie eindringlich und ihre Argumentation übernimmt zumeist ganze Strophen:

Mittelhochdeutsch Übersetzung
Diu muoter rief ir nâch; Die Mutter rief ihr nach;
sî sprach: "tohter, volge mir, niht lâ dir wesen gâch! sie sagte: „Tochter, folge meinem Rat, handle nicht ungestüm!
weistû, wie geschach Weißt du noch, wie ihr geschah
dîner spilen Jiuten vert, alsam ir eide jach? deiner Freundin Jiuten im letzten Jahr, ganz wie es ihre Mutter sagte?
der wuohs von sînem reien Der wuchs der Bauch von seinem Tanz,
und gewan ein kint, daz hiez si lempel und sie bekam ein Kind, das sie lempel nannte:
alsô lêrte er sî den gimpelgempel so lehrte er ihr den gimpelgempel.

(SL18, S2)

Doch oftmals ist die Argumentation der Mutter wenig fruchtbar und das Mädchen geht trotzdem oder das Lied endet mit einem offenen Ende. Der Sänger genießt im Sommer also nicht nur die freundliche Natur, sondern auch die Liebe und Gunst der Frauen, wie es zu Anfang des eben zitierten Sommerliedes 18 bereits angedeutet wird: „Uns will ein sumer kommen“ sprach ein magt: „jâ hân ich den von Riuwental vernomen. jâ will ich in loben. mîn herze spielt gein im vor vreuden, als ez welle toben. ich hoer in dort singen vor dekn kinden. jîne will ich nimmer des erwinden, ich springe an sîner hende zuo der linden.“ (SL18, S1)). Wie in der Strophe zusätzlich deutlich wird, steht auch das Gemeinsame im Vordergrund; man will gemeinsam tanzen, zusammenkommen und die Freude, die der Sommer bringt mit anderen teilen. Dabei agiert der Sänger als „Künder des Frühlings und Lehrer der Jugend“ [Goheen 1972: 356]: ich wil lêren die jungen êren freude: dar nâch stêt mîn sin. (SL4, S5, V4ff.) und somit als Bindeglied der Gesellschaft, welcher alle Personen durch den Aufruf zu Tanz und Freude eint: Wol ûz der stuben, ir stolzen kint, lât iuch ûf der strâze sehen! (SL4, S2, V1f.).

Dies impliziert eine hohe gesellschaftliche Stellung, durch welche solche Aufforderungen legitimiert und gestützt werden. Die Zusammenkunft und die erhöhte gesellschaftliche Stellung stehen dabei im klaren Kontrast zur Einsamkeit des Sängers im Winter. Er wird vom verschmähten und kritisierten Außenseiter im Winter zum Minneziel und anerkannten Gesellschaftsmitglied im Sommer. Der Sommer bietet also die Möglichkeit für Kontakt, Interaktion, Liebesbeziehungen, Werben und Singen wodurch die Liebesfreude (des Sängers) saisonalitätsbasiert ist. [Eder 2016: 350]. Hierbei muss jedoch erwähnt werden, dass der Sänger im Minnekontext keine aktive Rolle spielt und auch nie ein Treffen zwischen Mädchen und Sänger oder ein anderer direkter Kontakt beschrieben wird. Er ist allein Gesprächsobjekt und Ziel der Zuneigung. Durch den Aufruf zur Freude wird jahreszeitenadäquates Verhalten eingefordert wodurch eine Verbindung von Naturgefühl und menschlicher Stimmung etabliert wird [Eder 2016: 114]. So wie sich die Natur verändert, ändern sich also auch soziale Komponenten in der Liedwelt. Natur und Gesellschaft werden in den Sommerliedern idealisiert dargestellt und das Zusammenleben wirkt scheinbar perfekt. Dies ändert sich jedoch mit dem Jahreszeitenwechsel und dem Eingangs des Winters.

Winterlieder:

Wintereingang

Der winterliche Natureingang in Neidharts Liedern wird kontrastierend zu den Merkmalen des Sommers dargestellt. Der Winter zerstört und verjagt was im Sommer neu aufblühte: der winder schaden tuot (WL1, S1, V11) davon wird auch die Freude nicht verschont, welche der Sänger und andere Figuren in den Sommerliedern gepriesen und gefordert haben. „Der Winter erscheint als ein gewaltiger Herrscher, der Natur und Mensch bezwingt.“ [Goheen 1972: 361] Die Eintönigkeit dieser Jahreszeit wird zusätzlich durch immer ähnliche, fast gleiche Naturbeschreibungen und die ständig wiederholten Motive von verwelkten Blumen und verstummten Vögeln wie bspw. in WL24: wie sol ich vertrîben diese lange swaere zît diu die heide velwet unde mange bluomen wolgetân? alsô sint die vogele in dem walde des betwungen, daz si ir singen müezen lân (WL24, S2, V4ff.) hervorgehoben. Diese varriieren jedoch in Länge und Detailreichtum mitunter stark. Oftmals wird in diesen Natureingängen auch auf einen generellen Ortswechsel von draußen nach drinnen (von Heide zu Stube) verwiesen, wodurch die bedrängende Atmosphäre des Winter hervorgehoben wird, welche nicht nur Pflanzen und Tiere, sondern auch die Menschen aus der Natur verscheucht: Winder, uns wil din gewalt in die stuben dringen (WL1, S1, V1f.)

Soziale Ebene der Jahreszeit

Im Einklang mit der Klage des Sängers über den Winter steht dessen Klage und Wut über die dörper. Während diese in den Sommerliedern noch eine eher untergeordnete Rolle gespielt haben, werden sie nun in den Winterliedern zu einem Hauptmotiv und generellen Rivalen des Sängers. Darin findet sich eine Parallele zwischen Winter und dörpern, die dem Sänger beide verhasst sind und ihm das Leben schwer machen. Die Verdrängung des Sommers durch den Winter gleicht der Verdrängung des Sängers aus dem Liebesglück durch seine Rivalen wodurch die oppositionelle Struktur der Jahreszeiten auf die menschliche Ebene übertragen wird. Dies zeigt sich auch in der Darstellung der dörper, welche genauso brutal, feindselig und unnachgiebig agieren wie der Winter wodurch "[...] sich des Winters Gewalt auf Mensch und Natur erstreckt, [wie] die dörper untereinander oder dem Sänger gegenüber auf[treten].“ [Goheen 1972: 365]

Um sich über sein Leid durch Winter und Rivalen hinweg zu trösten, fordert auch hier der Sänger vereinzelt zu Freude und Tanz auf: Tanzet, lachet, weset vro! Das zimt wol den jungen disen winder lane. (WL1, S2, V1f.), findet jedoch nur Trost im Gedanken an den baldigen Sommer. Vereinzelt gibt es Episoden von Freude im Tanz oder dem Spiel, diese werden jedoch schon bald wieder von Gewalt, Wut und Hass überschattet welche dem Sänger zuwider sind: ir gewaltes bin ich vor in mînem schophe grâ. (WL24, S4, V4), daz mich ie gemüete, die spränzlér und ír gewált (WL13, S4, V4f.). Zusätzlich sind auch die geringen Aussichten auf Freude in den Wintermonaten durch die dörper eingeschränkt:

Mittelhochdeutscher Text Neuhochdeutsche Übersetzung
bickelspil Das Würfelspiel
wil sich aber in der stuben uoben. will wieder in der Stube gespielt werden
Des wil Küenzel meister sin: Darüber will Künzel Meister sein
der verbiutet lachen, sprechen, winkelsehen; der verbietet lachen sprechen, zwinkern
deist durch in getan. Es gescheiht so, wie er es will.

(WL2, S1 V9 - S2 V3)

Auch der fehlende Minneerfolg macht dem Sänger zu schaffen und es wird mehrfach erwähnt, dass die dörper ihm das Singen (und somit auch Werben) verbieten wollen: mir hat ein dörper widerseit umb anders niht wan umbe den minen üppeclichen sanc (WL27, S3, V7) aber auch, dass dem Sänger selbst die Lust am Singen durch den Winter und die fehlende Freude des Sommers vergeht: di uns den winder kündent, der uns manger vröude roubet. sanges habent sich diu kleinen vogelîn geloubet: alsô möhte ich wol mit mînem sange stille dagen. (WL13, S3, V7ff.) Das eigentliche Minneziel, die vrouwe, rückt dabei oftmals in den Hintergrund und die für die Sommerlieder typischen Gespräche, in welchen deutlich wird, dass der Sänger bzw. ‚der von Reuental‘ begehrenswert ist, fallen weg. Nichtsdestotrotz zeigt sich in der Werbung durch dörper und Sänger eine erneute Parallele zu den Jahreszeiten; wie der Winter gehen die dörper grob und zuweilen gewalttätig gegen die Frauen vor während der Sänger zurückhaltend und sanft auftritt wie der Sommer und sich über das brutale Vorgehen der dörper empört:

Mittelhochdeutsch Übersetzung!
Lanze der beswaeret ein vil stolzez magedin: Lanze, der bedrängte ein sehr stattliches Mädchen:
eine kleine risen guot ein zartes Band
zarte er ab ir houbet, zerrte er ihr vom Kopf
dar zuo einen bluomenhuot: dazu auch einen Blumenkranz:
wer het im daz erloubet? Wer hat ihm das erlaubt?

(WL27, S4, V8)

Die Gewalt findet ihren Höhepunkt im oft erwähnten Spiegelraub, für den der Sänger einen besonderen Hass gegen den Dieb Engelmar hegt. Dieser steht sinnbildlich auch für den langfristigen Schaden, den der Winter verursacht und gegen welchen der Sänger hilflos ist. Hiraus ergibt sich eine erneute Parallele zwischen sozialer und natürlicher Ebene der Lieder: „Der Hilflosigkeit des Sommers gegenüber dem Ha[ss] des Winters entspricht die Ohnmacht des Sängers gegenüber den Dörpern […]. [Goheen 1972: 370].

Durch die Parallelen zwischen menschlichem Handeln und jahreszeitlichem Hintergrund wird auch die Feindschaft der Jahreszeiten in eine soziale Feindschaft umgewandelt [Goheen 1972: 373]. Während draußen der Sommer gegen den Winter verliert, ist der Sänger in der Stube wehrlos gegenüber den dörpern. Die negativen Aspekte von Natur und Mensch kommen zum Vorschein und „[d]ie Winterzeit […] veranschaulicht sowohl Gewalt als auch Schwäche in der Natur wie auch im menschlichen Bereich.“ [Goheen 1972: 374].

Natursymbole

Laut Eder dient der Natureingang nicht nur der jahreszeitlichen Einordnung, sondern auch der „Imagination von kollektiver Erfahrbarkeit“ [Eder 2016]. Diese wird realisiert durch mitunter detailreiche Beschreibung von Umgebung und Natur aber auch durch die Verwendung spezifischer Motive und Symbole, die sowohl die Natur als auch menschliche Interaktionen und Verhalten durch ihre Mehrdeutigkeit erfahrbar machen und illustrieren. Bei Neidhart stehen dabei vor allem zwei Sinne im Vordergrund: das Sehen und das Hören. In den Liedern wird im Besonderen von verschiedenen Blumen- und Pflanzenmotiven gebraucht gemacht (visuell), aber auch der auditive Input von Vogelgezwitscher wird gebraucht, um Jahreszeitenwechsel zu veranschaulichen. Über die generelle Natur- und Blumenmotivik hinaus finden sich in den Liedern Neidharts auch spezifische Nennungen. Darunter des häufigeren die Linde, welche auch bei Walter von der Vogelweide oftmals als Symbol diente (‚unter den Linden‘), aber auch Ingwer und Veilchen spielen bei Neidhart eine Rolle. Überdies erweitert Neidhart die traditionellen Minnesangmotive um Neue, wie beispielsweise die lerche, zisel, droschel, batonje und sumerbloumen [Schweikle 1990: 116]. Neidhart greift besonders im Kontext sexueller Handlungen und Begegnungen gerne auf mehrdeutige Wendungen zurück, welche einen Naturbezug haben. Darunter sind vor allem traditionelle Minnesangmotive wie bluomen brechen (SL4,IV) oder nach bluomen gan (SL1, III) sowie rosenkrenzel gebrechen (SL17, I) und kranz lesen (SL21, II) [Schweikle 1990: 109] in welchen die Blumen bzw. die daraus geflochtenen Kränze sinnbildlich für das weibliche Geschlecht stehen und deren brechen für den Verlust der „Jungfräulichkeit“. Welche Bedeutung einiger dieser Symbole beigemessen werden kann und wie diese im Minnesangkontext gedeutet werden wird im Folgenden an einigen Beispielen individuell erläutert.

Ingwer

Die Ingwerwurzel ist unter anderem im Winterlied 24 von Bedeutung: Hier schildert der Sänger einen Streit um die Wurzel (V, 6). Hildebolt schenkt seiner Angebeteten eine solche Wurzel, worauf Willegêr sie dem Mädchen wieder wegnimmt und sich ein gewaltsamer Streit entfacht (VII, 3-5). Im Mittelalter war Ingwer aus der Küche und in der Medizin nicht mehr wegzudenken, allerdings wurde der Wurzel auch eine aphrodisierende Wirkung zugeschrieben. Dies könnte eine Erklärung dafür sein, weshalb Willegêr dem Mädchen die Wurzel gewaltsam entreißt. Möglicherweise befürchtet er, seine Auserwählte könnte sich nun nur noch für seinen Rivalen Hildebolt interessieren. Andererseits ist diese Szene mit dem Spiegelraub vergleichbar, da der Dame auch hier etwas von einem Antagonisten geraubt bzw. gestohlen wird.

Mittelhochdeutsch Übersetzung
Engelmâr getet mir nie sô leide an Vriderûne Engelmar hat mich mit Friederun nie so beleidigt,
sam die zwêne tuont. ich nîde ir phellerîne phosen, wie diese beiden jetzt. Ich beneide ihre purpurfarbenen Taschen,
die sî tragent: dâ lît inne ein wurze, heizet ingeber. die sie tragen: darin liegt eine Wurzel mit Namen Ingwer.
der gap Hildebolt der guoten eine bî dem tanze; die gezuhte ir Willeher. davon gab Hildebolt der Guten eine beim Tanz; die entriss ihr Willeher.

(WL25, S5, V3-6)

Über die symbolische Ebene hinaus hat Ingwer außerdem einen ganz praktischen und hohen Wert in der Mittelalterlichen Gesellschaft. Durch seine Exotik und der Notwendigkeit eines Imports hatte Ingwer auch einen hohen materiellen Wert wodurch dem Verschenken hier eine noch größere Bedeutung beigemessen werden kann. Ebenso ist der Raub dessen nicht nur ein rein symbolischer, sondern könnte tatsächlich einen praktischen Hintergrund haben: "Wie begehrt Ingwer war, wird satirisch in Neidharts 'Ingwerstreit' (vgl. WL 24,V und WL 31,VI) dargestellt. Folgt man nun Schweikles Argumentation in der Interpretation der Dörper, die er nicht als Bauern sondern als Mitglieder des Adels interpretiert sehen will, hat man nach Auflösung der satirischen Überhöhung ein recht realistisches Bild der Wertschätzung, die das exotische Gewürz genossen haben muss.“ [Klug 2005: 73]

Rose und Rosenkranz

Rosen und daraus geflochtene Kränze haben zum einen allein durch ihre Zugehörigkeit zur Blumenmotivik eine besondere Symbolik inne werden jedoch noch durch eine zusätzliche symbolische Ebene erweitert. Die Rose ist das wohl „bekannteste Naturelement des Minnesangs“ [Klug 2005] und wird im Lexikon des Mittelalters als „Inbegriff der Minne und der (geistl. wie weltl.) Schönheit“ [Lexikon 2000] bezeichnet. Sie wird damit zum Symbol für die begehrte vrouwe und der Rosenkranz erlangt dadurch eine Deutung als erotisches Spiel. Die Rose fungiert als Minnesymbol [Lexikon 2000] und das Rosenpflücken sowie das Brechen der Rose und des Kranzes wird zur „Umschreibung des Sexualakts“ [Lexikon 2000]. Auch das Verschenken eines Kranzes erlangt wie folgend im Sommerlied 22 eine sexuelle Konnotation:

Mittelhochdeutsch Übersetzung
Si sprechent, daz der winder Sie meinen, dass der Winter
hiuwer sî gelenget. ungeheuer lang gewesen sei.
nu ist diu wise mit bluomen wol gemenget, Nun ist die Wiese schön mit Blumen durchzogen,
mit liehter ougenweide mit strahlender Augenweide
rôsen ûf der heide die Rosen auf der Heide
durch ir glanz. durch ihren Glanz.
der sante ich Vriderûnen Da schickte ich Friederun
einen wolgetânen kranz. einen schönen Kranz.

(SL 22, S1)


Ebenso kann das Auffinden eines Rosenkranzes als die Erfüllung sexueller Begierde gedeutet werden:

Mittelhochdeutsch Übersetzung
Ich kam dohin gein Zeisselmaur, Ich kam dahin richtung Zeisselmauer,
die fart ward mir eins tails zu sawer, die Fahrt war mir teils zu beschwerlich
ich hört da fremde mere, dort hörte ich fremde Geschichten,
do fand ich einen lobetancz fand dort einen Lobestanz
und von rosen mangen krancz, und so manchen Rosenkranz,
zergangen was mein swere. und vergangen war meine Schwere.

(c1, S4, V1-6)

Veilchen

Die violette Blume gewinnt besonders durch den Veilchenschwank in den Neidhartspielen an Bedeutung. Hier gilt sie als erster Bote des Frühlings und ist somit besonders wertvoll. Zeitgleich erfüllt es auch das klassische Minnesangmotiv der erblühenden Blume und somit die Mehrdeutigkeit erwachender Liebe und Sexualität. Durch den Raub der Blume durch einen dörper und die damit verbundene Beleidigung Neidharts, welcher sie der Herzogin von Österreich präsentieren wollte, ist das Veilchen außerdem zu einem Symbol des Streites zwischen döpern und Neidhart geworden. Es trägt darüber hinaus auch die Bedeutung ‘Gerechtigkeit’[Schels 2010] und verweist somit abermals auf Neidharts Gesuch nach Rache und Gerechtigkeit um die Schmach des Veilchenraubs wettzumachen.

Die zuvor erläuterte Oppositionen Sommer-Winter und Sänger-dörper sehen sich in einem Natursymbol manifestiert wodurch abermals die Verbindung von Naturgeschehen und sozialen Beziehungen unterstrichen wird. Auch die Deutung des Sängers als Repräsentant des Sommers und der dörper als Repräsentanten des Winters lässt sich mit Hilfe der Veilchensymbolik untermauern. Das Veilchen, der Künder des Frühlings wird von den dörpern frühzeitig gepflückt und somit zerstört, während der Sänger (in den Neidhartspielen der Ritter Neidhart) dieses bewahren und das Ankommen des Frühlings verkünden will.

Nachtigall und Drossel

Ähnlich dem Erblühen der Heide ist auch das Erwachen der Vögel ein Zeichen für den Frühling. Während sie im Winter verstummen und sich durch ihre Abwesenheit Stille über die Natur legt, singen und erwecken sie Mensch und Natur im Frühling: Droschel, nahtigal die hoert man singen, von ir schalle berc unt tal erklingen: si vreunt sich gegen der lieben sumerzît, diu uns gît vreuden vil und liehter ougenweide. (SL23, S2, V1-5). Der Vogelsang wird als solches Frühlingszeichen sehnlichst erwartet und wird vom Sänger durchgehend positiv bewertet:

Mittelhochdeutsch Übersetzung!
Der linden welnt ir tolden Der Wipfel der Linde will
von niuwem loube rîchen. sich mit neuem Laub bereichern.
dar under lâzent nahtigal dar strîchen: Darunter lassen sich Nachtigallen nieder:
si singent wol ze prîse Sie singen wohl um zu preisen,
vremde süeze wîse, auf fremde, süße Weise
dœne vil. viele Töne.
si vreunt sich gein dem meien: Sie freuen sich auf den Mai:
sîn kunft diu ist ir herzen spil. seine Ankunft tut ihren Herzen gut.

(SL22, S2, V3ff.)
Die Vögel werden hier zu beiden Teilen als Künder des Frühlings wie auch als dessen Profiteure dargestellt. Das sie in dieser Strophe ich unter den Linden singen unterstreicht die sexuelle Konnotation des Gesangs und des dmit verbundenen Frühlingseingangs.

Die Nachtigall steht dabei besonders häufig im Vordergrund, da sie auch im klassischen Minnesang bereits ein typisches Symbol für den Frühlingsanfang darstellt. Weiterführend war die Nachtigall, wie so viele Frühlingsboten, auch ein Symbol der Liebe und ihr Gesang galt im mittelalterlichen Aberglauben als „glücksverheißendes Vorzeichen“ [Schels 2013], wodurch die positive Konnotation des Frühlings in Neidharts Liedern weiter hervorgehoben werden kann.

Die Drossel, wenn auch weniger gängig in der mittelalterlichen Dichtung, folgt einer ähnlichen Symbolik wie die Nachtigall weswegen sie bei Neidhart auch als Paar auftreten. Darüber hinaus kann ihr jedoch auch eine weitere Bedeutung zugesprochen werden, die sich aus einer mittelalterlichen Legende um eine Untergruppe der Drossel, der Amsel, ergibt. In dieser soll der Satan in Gestalt einer Amsel versucht haben, den heiligen Benedikt von Nursia zu sexuellen Handlung zu verführen [Schels 2014]. Daraus ergibt sich eine sexuelle Deutung des Vogelsangs, wonach dessen Erklingen und der Frühling als Zeit der sexuellen Versuchung gedeutet werden können.

Linde

Spätestens seit Walther von der Vogelweides under der linden steht das Symbol der Linde für die sexuelle Vereinigung in der mittelhochdeutschen Dichtung. [Plotke 2010: 29]

Mittelhochdeutsch Übersetzung
under der linden an der heide, Unter der Linde an der Heide Sommer
dâ unser zweier bette was, Wo ich mit meinem Geliebten saß
dâ mugt ir vinden Da mögt ihr finden,
schône beide gebrochen bluomen unde gras. wie wir beide die Blumen brachen und das Gras.
...
ich kam gegangen zuo der ouwe, Ich kam gegangen zu der Aue
dô was mîn friedel komen ê. Mein Liebster kam vor mir dort hin
dâ wart ich enpfangen hêre frouwe, Da wurde ich empfangen als hehre Frau,
daz ich bin sælic iemer mê. Dass ich noch immer selig bin.
kuster mich? Wol tûsentstunt! Ob er mir auch Küsse bot?
tandaradei! Tandaradei!
seht wie rôt mir ist der munt Seht, wie ist mein Mund so rot!

[Walther von der Vogelweide, Strophe I-II]


Und auch in den Neidhartliedern werden sexuelle Handlungen oft durch das Lindenmotiv verstärkt und hervorgehoben. So möchte ein Mädchen im Sommerlied 18 mit dem von Riwental bei den Linden tanzen, doch ihre Mutter warnt sie davor und versucht, sie davon abzuhalten. Dass es bei dem Wunsch des Mädchens darum geht, mit ihrem Geliebten intim zu werden wird in den folgenden Strophen noch deutlicher.

Mittelhochdeutsch Übersetzung
jane wil ich nimmer des erwinden, Wahrlich, ich will nicht aufhören, ihm zuzuhören,
ich springe an siner hende zuo der linden. ich springe an seiner Hand bis zu der Linde.

(SL 18, Str.I)

Dass es sich auch hier bei der Linde um ein sexuell konnotiertes Symbol handelt wird lässt das Ende des Liedes vermuten, indem die Mutter ihrer Tochter eine Schwangerschaft und mögliche (negative) Folgen voraussagt. Hier heißt es:

Mittelhochdeutsch Übersetzung
er beginnt dich slahen, stozen, roufen Er beginnt dich zu schlagen, zu stoßen, zu verprügeln,
und müezen doch zwo wiegen bi dir loufen. und es müssen doch zwei Wiegen bei dir laufen.

(SL 18, Str.V)

Weiteres

Über die genannten Natursymbole hinaus finden sich noch viele weitere in den Liedern Neidharts. Einige davon kann möglicherweise auch eine sexuelle Konnotation zugesprochen werden, dies ist jedoch durch ihr seltenes Auftreten nicht eindeutig belegbar. Möglich wäre dies beispielsweise für Birnen bzw. des Essen ebendieser oder auch Haselnüsse [Schweikle 1990: 110].

Literaturverzeichnis

Textausgabe

  • Die Lieder Neidharts, hg. v. Edmund Wießner, fortgef. v. Hanns Fischer, 5., verb. Auflage, rev. v. Paul Sappler, mit einem Melodieanhang v. Helmut Lomnitzer, Tübingen 1999 (ATB 44)

Forschungsliteratur

[*Braun 2007] Braun, Manuel: Spiel Autonomie (unveröffentl. Habil.), S. 259-280

[*Eder 2016] Eder, Daniel: Der Natureingang im Minnesang : Studien zur Register- und Kulturpoetik der hoefischen Liebeskanzone, Tübingen 2016.

[*Goheen 1972] Goheen, Jutta. Natur- Und Menschenbild in der Lyrik Neidharts, in: Beiträge zur Geschichte der deutschen Sprache und Literatur vol. 94, 1972,S. 348-378

[*Klug 2005] Klug, Helmut Werner. Kräuter in der Deutschsprachigen Dichtung des Hochmittelalters: Vorkommen, Anwendung und Wirkung in ausgewählten Texten, Diplomarbeit, 2005

[*Lexikon 2000] Lexikon des Mittelalters: Rosen / 2 . Symbolik und Ikonographie, Stuttgart 2000.

[*Plotke 2010] Plotke, Seraina: Neidhart als Spötter – Spott bei Neidhart, in: Mitteilungen des Deutschen Germanistenverbandes 57/1 (2010), S. 29.

[*Schels 2014] Schels, Peter C.: https://www.mittelalter-lexikon.de/wiki/Amsel

[*Schels 2013] Schels, Peter C.: https://www.mittelalter-lexikon.de/wiki/Nachtigall

[*Schels 2010] Schels, Peter C.: https://www.mittelalter-lexikon.de/wiki/Veilchen

[*Schweikle 1990] Schweikle, Günther: Neidhart, Stuttgart 1990 (Sammlung Metzler 253).

[*Walther von der Vogelweide, Strophe I-II] https://www2.klett.de/sixcms/media.php/229/350470_0131_Walther_Linden.pdf

Nachschlagewerke

  • [*Hennig 2014] Hennig, Beate: Kleines Mittelhochdeutsches Wörterbuch. In Zusammenarbeit mit Christa Hepfer und unter redaktioneller Mitwirkung von Wolfgang Bachofer, 6., durchgesehene Auflage, Berlin/ Boston 2014.
  • [*Lexer]Lexer, Matthias: Mittelhochdeutsches Handwörterbuch. Digitalisierte Fassung im Wörterbuchnetz des Trier Center for Digital Humanities, Version 01/21, <https://www.woerterbuchnetz.de/Lexer>