Gandin (Gottfried von Straßburg, Tristan): Unterschied zwischen den Versionen

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Gandin taucht in der ''Rotte und Harfe'' Episode auf, er überlistet Marke und versucht Isolde nach Irland mitzunehmen. Dieser Artikel beschäftigt sich mit der Gandin-Szene.
=='''Gandin'''==
=='''Gandin'''==


Gandin ist ein vornehmer Baron aus Irland. Er kommt nach Cornwall, um Marke mit seinem Rottenspiel zu überlisten und die schöne Isolde nach Irland mitzunehmen.  
Gandin ist ein vornehmer Baron aus Irland. Er kommt nach Cornwall, um [[überlistet::Marke (Gottfried von Straßburg, Tristan)|Marke]] mit seinem Rottenspiel zu überlisten und die schöne [[verehrt::Die Isolde-Charaktere (Gottfried von Straßburg, Tristan)|Isolde]] nach Irland mitzunehmen. Auf seinem Rücken trägt er eine kleine Rotte,<ref> Eine Rotte ist ein mittelalterliches Saiten-Musikinstrument, das einer Leier ähnlich ist.</ref> die mit Gold und Edelsteinen geschmückt ist.
Er ist ein starker, höfischer Mann von prächtiger Gestalt und in seinem Heimatland sehr gut beleumundet.
 
Baron Gandin ist ein starker, höfischer Mann von prächtiger Gestalt und in seinem Heimatland sehr gut beleumundet.
 
:''dâ reit ein ritter ûz und abe,''<br/>
:''ein edel barûn von Îrlant,''<br/>
:''der was Gandîn genant''<br/>
:''und was höfisch, schoene und rîch,''<br/>
:''des lîbes alsô menlîch,''<br/>
:''daz allez Îrlant seite''<br/>
:''von sîner manheite.''<br/>(V. 13106-13112)<ref>Zitierung mit Versangabe im Folgenden aus Gottfried von Straßburg: Tristan. Nach dem Text von Friedrich Ranke neu herausgegeben, ins Neuhochdeutsche übersetzt, mit einem Stellenkommentar und einem Nachwort von Rüdiger Krohn. Bd. 1–3. Stuttgart 2009 (RUB 4471-4473).</ref>
 
(Aus dem [Hafen] kam ein Ritter herausgeritten,/ ein vornehmer Baron aus Irland,/ der Gandin hieß/ und vornehm, herrlich und prächtig war,/ eine so männliche Erscheinung,/ daß ganz Irland sprach/ von seinen Taten.) [Krohn 2009: 195]
 
Gandin ist Isoldes Verehrer und kommt eines Tages ihretwegen aus Irland nach Cornwall, wo er sehr gastfreundlich aufgenommen wird. Er isst zusammen mit dem König und der Königin, weigert sich aber beim Essen seine Rotte abzulegen, was allen anderen Gästen unhöfisch erscheint:<br />
 
:''nu daz daz ezzen was bereit''<br />
:''und daz gesinde wazzer nam''<br />
:''und daz wazzer hin z'im kam,''<br />
:''dô wart er vil unde vil''<br />
:''gebeten, daz er sîn rottenspil''<br />
:''von im haete getân.''<br />
:''des enkunde in nieman über gân.''<br />
:''künic unde künigîn''<br />
:''die liezen ez mit guote sîn.''<br />
:''sô dûhte ez aber genuoge''<br />
:''unhöfscheit unde unvuoge.''<br />
:''ouch engieng ez sô niht hin,''<br />
:''sine begunden's unde in''<br />
:''vil lachen unde spotten.''<br />
(V. 13158-13171)
 
(Als das Essen bereit war,/ das Gefolge sich die Hände wusch/ und das Wasser auch ihm gereicht wurde,/ da wurde er immer und immer wieder/ aufgefordert, seine Rotte/ abzulegen./ Aber niemand konnte ihn dazu bewegen./ König und Königin/ ließen es im guten auf sich beruhen./ Viele aber hielten es/ für unhöfisch und unschicklich./ Auch blieb es nicht aus,/ daß sie untereinander begannen,/ sehr zu lachen und zu spotten.) [Krohn 2009: 197]
 
 
Nach dem Essen bittet Marke Gandin, seine Spielkunst zu demonstrieren. Der Baron möchte dafür einen Lohn, sagt aber nicht genau, was er sich vorstellt. Marke versichert ihm, dass er bekäme ''swaz iu liep ist'' (V. 13196). Nachdem er sehr meisterhaft zwei Stücke vorspielt, fordert er seinen Lohn: Marke solle ihm dessen geliebte Frau Isolde geben. An dieser Stelle wird der Baron Gandin zum ersten Mal als Betrüger bezeichnet: ''der trügenaere erlachete vil inneclîche wider sich'' (V. 13202-13203). Marke weigert sich, dies zu tun, und wird von Gandin beschuldigt, wortbrüchig zu sein. Deswegen wird der König zum Zweikampf aufgefordert. Doch weder er noch ein Anderer will gegen Gandin kämpfen, denn er ist ''von solher craft, sô menlîch und sô herzehaft'' (V. 13251), dass keiner von Markes Rittern sich gegen Gandin stellen will. [[spielt gegen:: Tristan (Gottfried von Straßburg, Tristan)|Tristan]] ist zur Jagd ausgeritten und zu dieser Zeit nicht im Schloss, sodass er seiner Geliebten nicht zu Hilfe eilen kann. Isolde wird Gandin ausgeliefert.
 
==''' Der Wettkampf von Rotte und Harfe'''==
 
Als Tristan während der [[Jagd (Gottfried von Straßburg, Tristan)|Jagd]] erfährt, was sich am Hofe zuträgt, kehrt er sofort heim. Er nimmt seine Harfe und eilt zum Ufer, wo der Baron mit der Königin auf die Flut wartet, damit sein Schiff, das am Strand aufgrund der Ebbe feststeckt, weiterfahren kann. Tristan hat sich schon eine [[List (Gottfried von Straßburg, Tristan) |List]] überlegt und will den Betrüger um den Finger wickeln und seine Geliebte zurückgewinnen.
 
Als Tristan zum Ufer kommt, denkt Gandin, er sei nur ein fahrender Spielmann. Tristan selbst gibt sich als Iren aus und bittet darum, ihn nach Irland mitzunehmen. Gandin hält Tristan an, einen Leich vorzuspielen, um damit Isolde zu trösten und ihren Kummer zu lindern. Als Lohn dafür verspricht er Tristan das beste Gewand in seinem Zelt und auch, ihn nach Irland mitzunehmen. Nachdem der Harfner sehr herzbewegend zwei Stücke vorgetragen hat, hört Isolde auf zu weinen. Sie erkennt Tristans Plan und unterstützt ihn dabei. Es kommt die Flut und Gandins Schiff wird wieder fahrtüchtig gemacht. Gandins Männer warnen ihn schon vor Tristan, nichtsahnend, dass er bereits unter ihnen ist, und drängen auf eine schnelle Abreise. Von dem Unvertrauen seiner Männer in Kraft und Edelmut ihres Anführers gekränkt, verharrt Gandin nur noch länger, um seine Tapferkeit unter Beweis zu stellen.


dâ reit ein ritter ûz und abe, <br />
Mittlerweile ist die Strömung aber so stark, dass niemand ohne ein Pferd zur Landungsbrücke gelangen kann. Hier bietet Tristan seine Hilfe an. Er sagt Gandin, er wolle Isolde auf seinem Pferd zur Brücke bringen. Sehr ungerne erlaubt dies Gandin, nachdem Isolde ihm zurät, und übergibt sie dem vermeintlichen Spielmann. Kaum setzt sich Isolde auf das Pferd, kehrt Tristan dem Schiff den Rücken und klärt seine Identität auf. Tristan erteilt Gandin eine Lektion, indem er den Betrüger betrügt: genau so, wie Gandin Marke mit seinem Rottenspiel überlistet hat, wird er selbst mit der Harfe von Tristan getäuscht.
ein edel barûn von Îrlant, <br />
der was Gandîn genant <br />
und was höfisch, schoene und rîch, <br />
des lîbes alsô menlîch, <br />
daz allez Îrlant seite <br />
von sîner manheite. <br />
(V 13106- V 13112)


Tristan reitet mit Isolde zu Marke und Gandin bleibt traurig und blamiert zurück. Er kehrt nach Irland zurück und taucht in der weiteren Erzählung nicht mehr auf.


Doch nachdem Gandins Absicht klar wird, wird er als Betrüger bezeichnet: ''der trügenaere erlachte vil inneclîche wider sich'' (V 13202- V 13203).
=='''Einordnung der Episode in den Zusammenhang '''==


Letztendlich taucht er nur in der "Rotte und Minne"- Episode auf und nimmt einen geringen Teil der Erzählung ein.
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Das kurze Intermezzo um Gandin und der Versuch, Cornwall seiner Königin zu berauben haben keinen direkten Einfluss auf die Handlung. Weder wird der Zwischenfall eingeleitet noch wird zu einem späteren Zeitpunkt wieder auf ihn verwiesen. Die Handlung spielt sich in einem eigenen kurzen Kapitel ab, das eingeschlossen ist von der Liebesgeschichte Tristans und Isoldes, vorher durch die langsame Anbahnung der Gefühle, den Betrug der Hochzeitsnacht und die heimliche und unerkannte Liebe am Hofe, hinterher durch die Zweifel König Markes an seinen zwei Getreuen und den zahlreichen [[List (Gottfried von Straßburg, Tristan)|Listen]].


=='''Rotte und Harfe'''==
Man kann durchaus davon sprechen, dass an dieser Stelle etwas vorweggenommen wird. Der listenreiche Gandin verschafft sich durch seine Schläue einen Vorteil gegenüber dem gutgläubigen Marke, so wie es auch die Liebenden später tun. Tristan wiederum schafft es, den gerissenen Gegenspieler mit den eigenen Waffen zu schlagen. Dasselbe passiert in der späteren Geschichte dem König, als Isolde, nachdem Tristan sie beraten hat, Markes Finte mit einer Gegenlist kontert und so vorerst eine Aufdeckung des Betrugs vereiteln kann.


Gandin ist Isoldes Verehrer und kommt eines Tages ihretwegen nach Cornwall aus Irland. Isolde erkennt ihn sofort und stellt ihn ihrem Mann vor. Gandin wird sehr gastfreundlich aufgenommen. Er isst zusammen mit dem König und der Königin, weigert sich aber beim Essen seine Rotte abzulegen, was allen anderen Gäste "unhöfisch und unschicklich" (V. 13168) erscheint.
Es wird also kurz bevor die Listen am Hof erdacht und durchgeführt werden, bereits von vergleichbaren Ereignissen berichtet, die deutlich aufzeigen, dass Marke hier einen Nachteil gegenüber Isolde hat, aber vor allem gegenüber seinem heimlichen Nebenbuhler Tristan.
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Nach dem Essen bietet Marke Gandin seine Spielkunst zu demonstrieren. Der Baron möchte dafür einen Lohn, sagt aber nicht genau was er sich vorstellt. Marke versichert ihm, dass er bekäme ''swaz iu liep ist'' (V. 13196). Nachdem er sehr meisterhaft zwei Stücke vorspielt, fordert er seinen Lohn: Marke soll Gandin seine geliebte Frau Isolde geben. An dieser Stelle wird der Baron Gandin zum ersten Mal als Betrüger bezeichnet (V. 12202). Marke weigert sich dies zu tun und wird von Gandin beschuldigt, wortbrüchig zu sein. Deswegen wird der König zum Zweikampf aufgefordert. Doch weder er noch ein Anderer will gegen Gandin kämpfen, denn er ist ''von solher craft, sô menlîch und sô herzehaft''(V. 13251 f.), dass keiner von Markes Rittern sich gegen Gandin stellen will. Tristan ist zur Jagd ausgeritten und zu dieser Zeit nicht im Schloss, sodass er seiner Geliebten nicht zu Hilfe eilen kann. Isolde wird Gandin ausgeliefert.
=='''Die Bedeutung der Szene für die Handlung'''==


Als Tristan während der [[Jagd]] erfährt, was sich am Hofe zuträgt, kehrt er sofort heim. Er nimmt seine Harfe und eilt zum Ufer, wo der Baron mit der Königin auf die Flut wartet, damit sein Schiff, das am Strand, aufgrund der Ebbe fest liegt, weiterfahren kann. Tristan hat sich schon eine List überlegt und will den Betrüger um den Finger wickeln und seine Geliebte zurückgewinnen.
Der Ire Gandin ist eine Gegenfigur zu Tristan, mit deren Hilfe Gottfried seinem Roman eine bestimmte Wendung gibt. Die Episode hat spielmännischen Charakter: Isolde wird nicht im Kampf, sondern durch den Betrug gewonnen. Tristan gelingt es, seine Königin auch kampflos zurückzuerobern. Die Gestalt Gandins rückt in die Nähe der Truchsessfigur.[Hollandt 1966: 106] Tristan dagegen wird in der Szene als erfolgreicher und tugendhafter Ritter dargestellt, der seine Geliebte durch eine List zurückgewinnt.


Als Tristan zum Ufer kommt, denkt Gandin, er sei nur ein Harfner. Tristan selbst gibt sich als Iren aus und bittet darum, ihn nach Irland mitzunehmen. Gandin hält Tristan an irgendetwas vorzuspielen, um damit Isolde zu trösten und ihren Kummer zu lindern. Als Lohn dafür verspricht er Tristan das beste Gewand in seinem Zelt und auch ihn nach Irland mitzunehmen. Nachdem der Spielmann zwei Stücke vorträgt, sind Isoldes Sorgen gelindert. Es kommt die Flut und Gandins Schiff wird wieder fahrtüchtig gemacht. Gandins Männer warnen ihn schon vor Tristan, nichtsahnend, dass er bereits unter ihnen ist, und drängen auf eine schnelle Abreise. Von dem Unvertrauen seiner Männer in Kraft und Edelmut ihres Anführers gekränkt, verharrt Gandin nur noch länger, um seine Tapferkeit unter Beweis zu stellen.
Die Rotte und Harfe Szene zeigt auch Markes Defizit als Herrscher: durch die Leichtgläubigkeit verliert er seine Frau. Und auch nach Gandins Forderung zum Rechtskampf, ist er zu feige, Isolde zu verteidigen und liefert sie tatenlos dem Betrüger aus. Dafür verdient Marke auch den Tadel, den Tristan ihm ausspricht: <br />


Mittlerweile ist die Strömung vor der Brücke aber so stark, dass niemand ohne ein Pferd zur Landungsbrücke gelangen kann. Hier bietet Tristan seine Hilfe an. Er sagt Gandin er wolle Isolde auf seinem Pferd zur Brücke bringen. Sehr ungerne erlaubt dies Gandin, nachdem Isolde ihm dazurät, und übergibt sie dem vermeintlichen Spielmann. Kaum setzt sich Isolde auf das Pferd, kehrt Tristan dem Schiff den Rücken und klärt seine Identität auf. Genau so, wie Gandin Marke mit seinem Rottenspiel überlistet hat, wird er selbst mit der Harfe von Tristan getäuscht.
:''sô lieb als iu diu künegîn ist,''<br />
:''sô ist ez ein michel unsin,''<br />
:''daz ir si gebet sô lichte hin''<br />
:''durch harpfen oder durch rotten.''<br />
:''ez mac diu welt wol spotten.''<br />
:''wer gesach ie mêre künigîn''<br />
:''durch rottenspil gemeine sîn?''<br />
:''her nâch sô bewâret daz''<br />
:''und hüetet mîne vrouwen baz!''<br />
(V. 13443-13450)


Tristan reitet mit Isolde zum Marke und Gandin bleibt traurig und blamiert zurück. Er kehrt nach Irland zurück und taucht in der weiteren Erzählung nicht mehr auf.
(so sehr Ihr die Königin liebt,/ so unklug ist es,/ daß Ihr sie so leicht weggebt/ für ein Rotten- oder Harfenspiel./ Jetzt kann die Welt gut spotten:/ Wer hat je eine Königin gesehen,/ die um Rottenspiel zu haben war?/ Unterlaßt das in Zukunft,/ und behütet meine Herrin besser!) [Krohn 2009:213]


In der Gandin-Episode wird die Schwäche Markes als Herrscher immer deutlicher: er ist nicht in der Lage, seine Frau (und auch sein Königreich) zu verteidigen. [Tomasek 2007: 105]


===Einordnung der Episode in den Zusammenhang===
=='''Anmerkungen'''==


Das kurze Intermezzo um Gandin und der Versuch Cornwall seiner Königin zu berauben hat keinen direkten Einfluss auf die Handlung. Weder wird der Zwischenfall eingeleitet noch wird zu einem späteren Zeitpunkt wieder auf ihn verwiesen. Die Handlung spielt sich in einem eigenen kurzen Kapitel ab, dass eingeschlossen ist von der Liebesgeschichte Tristans und Isoldes, vorher der langsamen Ahnbahnung der Gefühle, dem Betrug der Hochzeitsnacht und der heimlichen und unerkannten Liebe am Hofe, hinterher der Zweifel König Markes an seinen zwei Getreuen und der zahlreichen [[List|Listen]].
<references/>


Man kann durchaus davon sprechen, dass an dieser Stelle etwas vorweggenommen wird. Der listenreiche Gandin verschafft sich durch seine Schläue einen Vorteil gegenüber dem gutgläubigen Marke, so wie es auch die Liebenden später tun. Tristan wiederum schafft es den gerissenen Gegenspieler mit den eigenen Waffen zu schlagen. Das Selbe passiert in der weiter fortschreitenden Geschichte dem König, als Isolde, nachdem Tristan sie beraten hat, Markes Finte mit einer Gegenlist kontert und so vorerst eine Aufdeckung des Betrugs vereiteln kann.


Es wird also kurz bevor die Listen am Hof erdacht und durchgeführt werden, bereits von vergleichbaren Ereignissen berichtet, die deutlich aufzeigen, dass Marke hier einen Nachteil hat gegenüber Isolde, aber vor allem seinem heimlichen Nebenbuhler Tristan.
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=='''Literatur'''==
=='''Literatur'''==


Gottfried von Straßburg: Tristan. Nach dem Text von Friedrich Ranke neu herausgegeben, ins Neuhochdeutsche übersetzt, mit einem Stellenkommentar und einem Nachwort von Rüdiger Krohn. Bd. 1–3. Stuttgart 2009 (RUB 4471-4473).
*[*Krohn 2009] Gottfried von Straßburg: Tristan. Nach dem Text von Friedrich Ranke neu herausgegeben, ins Neuhochdeutsche übersetzt, mit einem Stellenkommentar und einem Nachwort von Rüdiger Krohn. Bd. 1–3. Stuttgart 2009 (RUB 4471-4473).
 
*[*Hollandt 1966] Hollandt, Gisela: Die Hauptgestalten in Gottfrieds Tristan. Berlin 1966.
 
*[*Tomasek 2007] Tomasek, Tomas: Gottfried von Straßburg. Stuttgart 2007.


[[Kategorie:Personen]]
[[Kategorie:Literarische Figuren]]
[[Kategorie:Artikel]]

Aktuelle Version vom 29. April 2024, 09:01 Uhr

Gandin taucht in der Rotte und Harfe Episode auf, er überlistet Marke und versucht Isolde nach Irland mitzunehmen. Dieser Artikel beschäftigt sich mit der Gandin-Szene.

Gandin

Gandin ist ein vornehmer Baron aus Irland. Er kommt nach Cornwall, um Marke mit seinem Rottenspiel zu überlisten und die schöne Isolde nach Irland mitzunehmen. Auf seinem Rücken trägt er eine kleine Rotte,[1] die mit Gold und Edelsteinen geschmückt ist.

Baron Gandin ist ein starker, höfischer Mann von prächtiger Gestalt und in seinem Heimatland sehr gut beleumundet.

dâ reit ein ritter ûz und abe,
ein edel barûn von Îrlant,
der was Gandîn genant
und was höfisch, schoene und rîch,
des lîbes alsô menlîch,
daz allez Îrlant seite
von sîner manheite.
(V. 13106-13112)[2]

(Aus dem [Hafen] kam ein Ritter herausgeritten,/ ein vornehmer Baron aus Irland,/ der Gandin hieß/ und vornehm, herrlich und prächtig war,/ eine so männliche Erscheinung,/ daß ganz Irland sprach/ von seinen Taten.) [Krohn 2009: 195]

Gandin ist Isoldes Verehrer und kommt eines Tages ihretwegen aus Irland nach Cornwall, wo er sehr gastfreundlich aufgenommen wird. Er isst zusammen mit dem König und der Königin, weigert sich aber beim Essen seine Rotte abzulegen, was allen anderen Gästen unhöfisch erscheint:

nu daz daz ezzen was bereit
und daz gesinde wazzer nam
und daz wazzer hin z'im kam,
dô wart er vil unde vil
gebeten, daz er sîn rottenspil
von im haete getân.
des enkunde in nieman über gân.
künic unde künigîn
die liezen ez mit guote sîn.
sô dûhte ez aber genuoge
unhöfscheit unde unvuoge.
ouch engieng ez sô niht hin,
sine begunden's unde in
vil lachen unde spotten.

(V. 13158-13171)

(Als das Essen bereit war,/ das Gefolge sich die Hände wusch/ und das Wasser auch ihm gereicht wurde,/ da wurde er immer und immer wieder/ aufgefordert, seine Rotte/ abzulegen./ Aber niemand konnte ihn dazu bewegen./ König und Königin/ ließen es im guten auf sich beruhen./ Viele aber hielten es/ für unhöfisch und unschicklich./ Auch blieb es nicht aus,/ daß sie untereinander begannen,/ sehr zu lachen und zu spotten.) [Krohn 2009: 197]


Nach dem Essen bittet Marke Gandin, seine Spielkunst zu demonstrieren. Der Baron möchte dafür einen Lohn, sagt aber nicht genau, was er sich vorstellt. Marke versichert ihm, dass er bekäme swaz iu liep ist (V. 13196). Nachdem er sehr meisterhaft zwei Stücke vorspielt, fordert er seinen Lohn: Marke solle ihm dessen geliebte Frau Isolde geben. An dieser Stelle wird der Baron Gandin zum ersten Mal als Betrüger bezeichnet: der trügenaere erlachete vil inneclîche wider sich (V. 13202-13203). Marke weigert sich, dies zu tun, und wird von Gandin beschuldigt, wortbrüchig zu sein. Deswegen wird der König zum Zweikampf aufgefordert. Doch weder er noch ein Anderer will gegen Gandin kämpfen, denn er ist von solher craft, sô menlîch und sô herzehaft (V. 13251), dass keiner von Markes Rittern sich gegen Gandin stellen will. Tristan ist zur Jagd ausgeritten und zu dieser Zeit nicht im Schloss, sodass er seiner Geliebten nicht zu Hilfe eilen kann. Isolde wird Gandin ausgeliefert.

Der Wettkampf von Rotte und Harfe

Als Tristan während der Jagd erfährt, was sich am Hofe zuträgt, kehrt er sofort heim. Er nimmt seine Harfe und eilt zum Ufer, wo der Baron mit der Königin auf die Flut wartet, damit sein Schiff, das am Strand aufgrund der Ebbe feststeckt, weiterfahren kann. Tristan hat sich schon eine List überlegt und will den Betrüger um den Finger wickeln und seine Geliebte zurückgewinnen.

Als Tristan zum Ufer kommt, denkt Gandin, er sei nur ein fahrender Spielmann. Tristan selbst gibt sich als Iren aus und bittet darum, ihn nach Irland mitzunehmen. Gandin hält Tristan an, einen Leich vorzuspielen, um damit Isolde zu trösten und ihren Kummer zu lindern. Als Lohn dafür verspricht er Tristan das beste Gewand in seinem Zelt und auch, ihn nach Irland mitzunehmen. Nachdem der Harfner sehr herzbewegend zwei Stücke vorgetragen hat, hört Isolde auf zu weinen. Sie erkennt Tristans Plan und unterstützt ihn dabei. Es kommt die Flut und Gandins Schiff wird wieder fahrtüchtig gemacht. Gandins Männer warnen ihn schon vor Tristan, nichtsahnend, dass er bereits unter ihnen ist, und drängen auf eine schnelle Abreise. Von dem Unvertrauen seiner Männer in Kraft und Edelmut ihres Anführers gekränkt, verharrt Gandin nur noch länger, um seine Tapferkeit unter Beweis zu stellen.

Mittlerweile ist die Strömung aber so stark, dass niemand ohne ein Pferd zur Landungsbrücke gelangen kann. Hier bietet Tristan seine Hilfe an. Er sagt Gandin, er wolle Isolde auf seinem Pferd zur Brücke bringen. Sehr ungerne erlaubt dies Gandin, nachdem Isolde ihm zurät, und übergibt sie dem vermeintlichen Spielmann. Kaum setzt sich Isolde auf das Pferd, kehrt Tristan dem Schiff den Rücken und klärt seine Identität auf. Tristan erteilt Gandin eine Lektion, indem er den Betrüger betrügt: genau so, wie Gandin Marke mit seinem Rottenspiel überlistet hat, wird er selbst mit der Harfe von Tristan getäuscht.

Tristan reitet mit Isolde zu Marke und Gandin bleibt traurig und blamiert zurück. Er kehrt nach Irland zurück und taucht in der weiteren Erzählung nicht mehr auf.

Einordnung der Episode in den Zusammenhang

Das kurze Intermezzo um Gandin und der Versuch, Cornwall seiner Königin zu berauben haben keinen direkten Einfluss auf die Handlung. Weder wird der Zwischenfall eingeleitet noch wird zu einem späteren Zeitpunkt wieder auf ihn verwiesen. Die Handlung spielt sich in einem eigenen kurzen Kapitel ab, das eingeschlossen ist von der Liebesgeschichte Tristans und Isoldes, vorher durch die langsame Anbahnung der Gefühle, den Betrug der Hochzeitsnacht und die heimliche und unerkannte Liebe am Hofe, hinterher durch die Zweifel König Markes an seinen zwei Getreuen und den zahlreichen Listen.

Man kann durchaus davon sprechen, dass an dieser Stelle etwas vorweggenommen wird. Der listenreiche Gandin verschafft sich durch seine Schläue einen Vorteil gegenüber dem gutgläubigen Marke, so wie es auch die Liebenden später tun. Tristan wiederum schafft es, den gerissenen Gegenspieler mit den eigenen Waffen zu schlagen. Dasselbe passiert in der späteren Geschichte dem König, als Isolde, nachdem Tristan sie beraten hat, Markes Finte mit einer Gegenlist kontert und so vorerst eine Aufdeckung des Betrugs vereiteln kann.

Es wird also kurz bevor die Listen am Hof erdacht und durchgeführt werden, bereits von vergleichbaren Ereignissen berichtet, die deutlich aufzeigen, dass Marke hier einen Nachteil gegenüber Isolde hat, aber vor allem gegenüber seinem heimlichen Nebenbuhler Tristan.


Die Bedeutung der Szene für die Handlung

Der Ire Gandin ist eine Gegenfigur zu Tristan, mit deren Hilfe Gottfried seinem Roman eine bestimmte Wendung gibt. Die Episode hat spielmännischen Charakter: Isolde wird nicht im Kampf, sondern durch den Betrug gewonnen. Tristan gelingt es, seine Königin auch kampflos zurückzuerobern. Die Gestalt Gandins rückt in die Nähe der Truchsessfigur.[Hollandt 1966: 106] Tristan dagegen wird in der Szene als erfolgreicher und tugendhafter Ritter dargestellt, der seine Geliebte durch eine List zurückgewinnt.

Die Rotte und Harfe Szene zeigt auch Markes Defizit als Herrscher: durch die Leichtgläubigkeit verliert er seine Frau. Und auch nach Gandins Forderung zum Rechtskampf, ist er zu feige, Isolde zu verteidigen und liefert sie tatenlos dem Betrüger aus. Dafür verdient Marke auch den Tadel, den Tristan ihm ausspricht:

sô lieb als iu diu künegîn ist,
sô ist ez ein michel unsin,
daz ir si gebet sô lichte hin
durch harpfen oder durch rotten.
ez mac diu welt wol spotten.
wer gesach ie mêre künigîn
durch rottenspil gemeine sîn?
her nâch sô bewâret daz
und hüetet mîne vrouwen baz!

(V. 13443-13450)

(so sehr Ihr die Königin liebt,/ so unklug ist es,/ daß Ihr sie so leicht weggebt/ für ein Rotten- oder Harfenspiel./ Jetzt kann die Welt gut spotten:/ Wer hat je eine Königin gesehen,/ die um Rottenspiel zu haben war?/ Unterlaßt das in Zukunft,/ und behütet meine Herrin besser!) [Krohn 2009:213]

In der Gandin-Episode wird die Schwäche Markes als Herrscher immer deutlicher: er ist nicht in der Lage, seine Frau (und auch sein Königreich) zu verteidigen. [Tomasek 2007: 105]

Anmerkungen

  1. Eine Rotte ist ein mittelalterliches Saiten-Musikinstrument, das einer Leier ähnlich ist.
  2. Zitierung mit Versangabe im Folgenden aus Gottfried von Straßburg: Tristan. Nach dem Text von Friedrich Ranke neu herausgegeben, ins Neuhochdeutsche übersetzt, mit einem Stellenkommentar und einem Nachwort von Rüdiger Krohn. Bd. 1–3. Stuttgart 2009 (RUB 4471-4473).



Literatur

  • [*Krohn 2009] Gottfried von Straßburg: Tristan. Nach dem Text von Friedrich Ranke neu herausgegeben, ins Neuhochdeutsche übersetzt, mit einem Stellenkommentar und einem Nachwort von Rüdiger Krohn. Bd. 1–3. Stuttgart 2009 (RUB 4471-4473).
  • [*Hollandt 1966] Hollandt, Gisela: Die Hauptgestalten in Gottfrieds Tristan. Berlin 1966.
  • [*Tomasek 2007] Tomasek, Tomas: Gottfried von Straßburg. Stuttgart 2007.