Folgen und Verfolgen (Neidhart): Unterschied zwischen den Versionen

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Dieser Artikel bietet einen Überblick über das Motiv des "Folgens/followings" bei Neidhart und beleuchtet darauf aufbauend welche Arten des Folgens, oder auch des Verfolgens, auftreten.
Der Begriff des "followings" ist heutzutage vor allem in Verbindung mit den sozialen Medien präsent, wodurch der Name des Seminars "Neidhart und seine Follower", auf welchem dieser Artikel basiert, stutzig macht. Ein Lyriker des Mittelalters in Verbindung mit dem uns heute bekannten, neumodischen, Begriff "Follower" - wie passt das zusammen?<br />
Doch genau diese Fragestellung wird in diesem Artikel aufgegriffen. Denn die Motive Folgen und Verfolgen sind sehr zentral bei Neidhart und stehen dementsprechend im Mittelpunkt dieses Artikels. Beide Motive werfen mehrere verschiedene Leitfragen auf, welchen sich durch Auszügen aus Neidharts Sommer- und Winterliedern sowie passenden Forschungspositionen genähert wird. Es werden sowohl Ursachen und Gründe für das Folge - und Verfolgungsverhalten der im Fokus stehenden Akteure als auch Unterschiede, Gemeinsamkeiten oder Auffälligkeiten zwischen Sommer- und Winterliedern, im Hinblick auf die beiden Themenschwerpunkte, vorgestellt. Zu guter Letzt folgt ein umfassendes Fazit, in dem die erarbeiteten Themen noch einmal kurz zusammengefasst werden und ein Transfer der beiden Motive auf die heutige Zeit vollzogen wird.  


Das Motiv des "followings" ist bei Neidhart zentral, wobei im Artikel auch herausgearbeitet werden soll, wie und wozu anderen Personen gefolgt wird respektive andere Personen verfolgt werden. Dies soll an verschiedenen Textbeispielen herausgearbeitet werden.
== Einführung Folgen ==
 
== Folgen ==


=== Definition ===
=== Definition ===


Jagt man das Verb ''folgen'' durch das Internet, werden einem direkt erstmal mehrere verschieden Vorschläge und Möglichkeiten zur Verwendung des Wortes geliefert. Um das Thema des Artikels systematisch aufzuarbeiten, ist es wichtig zu Beginn erstmal einen Überblick über die verschiedenen Bedeutungsmöglichkeiten zu bekommen, welche für die Auseinandersetzung mit Neidharts Liedern von Bedeutung sind. <ref> https://www.duden.de/rechtschreibung/folgen </ref>
Jagt man das Verb folgen durch das Internet, werden einem direkt mehrere verschieden Vorschläge und Möglichkeiten zur Verwendung des Wortes geliefert. Wichtig für die Analyse werden hier vor allem die oftmals unmittelbaren Assoziationen mit dem Wort folgen sein. Diese sind:


==== Nachgehen ====
(1) nachgehen oder nachkommen


Die erste Assoziation mit dem Wort '''folgen''', ist zwangsläufig das Nachgehen, das hinter jemanden oder etwas Hergehen, welches auf unterschiedliche Art und Weise von statten gehen kann. Beispielsweise kann man jemandem selbst folgen oder demjenigen auch nur mit den Augen folgen; andererseits besteht auch die Möglichkeit etwa einer Spur zu folgen.
(2) in der gleichen Weise oder ähnlich wie jemand handeln


===== nachkommen =====
(3) einer Aufforderung oder einem Rat entsprechend handeln respektive diesem gehorchen


Auch diese Bedeutung wird oft direkt mit ''folgen'' in Verbindung gebracht, wobei dies physisch aber auch im übertragenen Sinn stattfinden kann. Beispielweise könnte das Sänger-Ich einer Gruppe von Erwachsenen zu einem Tanz folgen, oder aber auch im übertragenen Sinn einem Rat eines Freundes folgen zum Tanz zu kommen, also quasi seinem Rat nachkommen. Beide Aspekte sind auch zentral für die spätere Textanalyse der Neidhart Lieder.
<ref> https://www.duden.de/rechtschreibung/folgen </ref>


===== in der gleichen Weise oder ähnlich wie jemand handeln =====
=== Leitfragen für Analyse und Interpretation ===


Auch dieser Bedeutungsaspekt wird wichtig sein für die Textanalyse der Neidhart Lieder, da die ''dörper'' oftmals in gleicher oder ähnlicher Weise handeln, wobei ihre Handlungen oftmals durch eine Art Gruppendynamik ausgelöst werden, die dann zu einem "Folgen" untereinander kommt. Auch im Alltag ist dieser Aspekt von Bedeutung, da die Menschen oft ähnlichen Normen, Regeln und Verhaltensweisen folgen, um sich in die Gesellschaft einzuordnen. Dieses Verhalten spiegelt auch eine Art des ''Folgens'' wieder.
Aus diesen Bedeutungsmöglichkeiten ergeben sich schlussendlich Fragestellungen, welche, basierend auf der Analyse ausgewählter Neidhart Lieder, betrachtet und beantwortet werden sollen:


===== in einem sozialen Netzwerk Nachrichten eines bestimmten Nutzers regelmäßig empfangen =====
(1) Warum folgen die Frauen in den Dialogliedern dem Sänger? Und folgen die Frauen dann dem falschen Mann?


Ein immer wichtigerer Aspekt des Folgens (eng.following) entsteht durch die schnell fortschreitende Entwicklung der sozialen Medien. Eine Frage wie "Folgst du deinem Lieblingsschauspieler schon ?" wäre vor zehn Jahren bei den meisten Leuten wohl auf Unverständnis gestoßen, heutzutage weiß so gut wie jeder was gemeint ist. Ein durch Interesse oder die Bewunderung ausgelöstes Folgen von Freunden, Vorbildern oder Berühmtheiten werden die Bedeutungsmöglichkeiten des ''Folgens'' noch einmal breiter. Und: Lassen sich Ähnlichkeiten vom ''Following''-Verhalten damals zum ''Following''-Verhalten heute feststellen?
(2) Die dörper - Wer sind die Verfolger des Sängers?


==== einer Aufforderung entsprechend handeln/ gehorchen ====
(3) Folgt der Sänger den falschen Frauen?


Auch dieser Bedeutungsunterschied, nämlich einer Aufforderung entsprechend handeln oder jemandem gehorchen, kann für die Textanalyse eine zentrale Rolle spielen, da im Neidhart'schen Œuvre unterschiedliche Machtverhältnisse nicht unwichtig sind und beispielsweise auch das '''Folgen''' von Befehlen für die Artikelarbeit von Bedeutung sein könnten.
(4) Sind für das Motiv des Folgens Unterschiede zwischen Sommer- und Winterliedern erkennbar?


==== zeitlich nach jemandem/etwas kommen ====
== Folgen in Neidhart Liedern ==


In diesem Kontext wird ''Folgen'' oftmals verwendet, um eine Reihenfolge zu beschreiben oder einfach einen zeitlichen Ablauf darzustellen. Diese Art des "Folgens" könnte bei Neidhart vor allem im Hinblick auf Partnerschaftsverhältnisse interessant sein, etwa um beispielsweise den Nachfolger eines Ehemanns darzustellen.
Um den großen  Überbegriff des Folgens, die damit verbundenen Bedeutungsmöglichkeiten sowie die erarbeiteten Fragestellungen zielführend zu behandeln, wird der große Überbegriff zunächst in zwei große Punkte, Folgen in Sommerliedern und Folgen in Winterliedern, aufgeteilt. Später folgt dann Verfolgen in Sommerliedern und Verfolgen in Winterliedern. Innerhalb dieser zwei Schwerpunkte werden die zentralen Aspekte des Folgens aufgearbeitet, wobei basierend auf Leitfrage (2) die dörper vorgestellt werden, um ein besseres Verständnis für diesen Personenverbund und die nachfolgenden Erläuterungen zu bekommen. Somit wird ein eigentlicher Punkt des Verfolgens aus Verständnisgründen vorgezogen.<br />


=== Folgen in Neidhart Liedern ===


==== Folgen in Sommerliedern ====
==== Folgen in Sommerliedern ====


In den Sommerliedern Neidharts wird der Sänger von Mädchen oder alten Frauen umschwärmt; sie wollen ihm und seinem Gesang folgen. Dies zeigt sich exemplarisch in den Dialogliedern, welche zu den Sommerliedern zählen. Neidharts Lieder sind gekennzeichnet durch einen Natureingang zu Beginn des Liedes, wobei der Sänger dadurch in den Sommerliedern zum Folgen in die angepriesene und blühende Natur aufruft. "Die Sommerlieder zeigen den Sänger als das Objekt des Begehrens, wobei sich bei den Mädchen eine leichtgläubige Verführbarkeit offenbart." <ref> Hübner S.58-59 </ref> "Der Sänger trägt mit seinen sexuellen Ambitionen den Minnesang unter die Unkultivierten und gibt als höfische Liebe aus, was doch bloß Verführung ist. Wenn seine Taktik bei den Mädchen Erfolg hat, raubt sie der Liebe jedoch jeden Wert." <ref> Hübner S.59 </ref> Das heißt die Damen folgen seiner scheinbaren Liebe, welche sich jedoch nicht als diese herausstellt. "Auch der Tanz spielt eine bedeutsame Rolle in Neidharts Liedern.
In vielen Sommerliedern, explizit in den Dialogliedern, wird der Sänger meist von jungen Mädchen umschwärmt; sie wollen ihm und seinem Gesang folgen. "Der Sänger wird zum Objekt des Begehrens, wobei sich bei den Frauen eine leichtgläubige Verführbarkeit offenbart." [Hübner 2008: 58f.] Die [[Die weibliche Rede bei Neidhart(Neidhart)|Dialoglieder]] bilden einen zentralen Teil der Neidhart'schen Sommerlieder.
Insbesondere in den Sommerliedern ist er ein Hauptanliegen der Mädchen, oft der Vorwand, mit dem "ritter" oder "knappen" "von Riuwental" in Kontakt zu kommen. <ref> Schweikle 1990 S.112 </ref> Das Motiv des Tanzes ist dementsprechend ebenfalls mit dem Thema des Folgens konnotiert, da durch das Folgen oder die Aufforderung zum Tanz zentral in den Neidhartschen Sommerliedern ist. Auch der Ablauf eines Tanzes an sich lässt sich passend mit dem Folgen in Zusammenhang setzen, da hier den Tanzschritten eines Partners oder einer Partnerin gefolgt wird.  
Neben der Fokussierung auf die Dialoglieder, ist zu beachten, dass Neidharts Lieder grundsätzlich durch einen [[Natureingang und Symbolik in den Liedern Neidharts (Neidhart)|Natureingang zu Beginn des Liedes]] gekennzeichnet sind. In den Sommerliedern wird dieser Natureingang im Hinblick auf das Motiv des Folgens interessant, denn der Sänger ruft zum Folgen in die angepriesene und blühende Natur auf.
 
Sowohl die Dialoglieder als auch der Natureingang sollen im Folgenden nun genauer beleuchtet werden.  


===== Folgen in Dialogliedern =====
===== Folgen in Dialogliedern =====


Die Dialoglieder lassen sich in die Gespielinnen-Dialoge und die Mutter-Tochter-Dialoge aufteilen, wobei in den Gespielinnen-Dialogen zwei Dorfmädchen miteinander ins Gespräch treten. Mutter-Tochter-Dialoge hingegen stellen die Unterhaltung zwischen Mutter und Tochter dar, wobei die Mutter eine andere Position als ihre Tochter, welche hier oft naiv agiert, einnimmt. "Gemeinsamer thematischer Vorstellungshintergrund beider Frauendialogliedtypen ist die Pastourellensituation (Begegnung von Ritter und Mädchen in freier Natur) mit zwei für Neidhart kennzeichnenden Besonderheiten: 1. der Umkehrung des Werbungsschemas: die Werbung geht von den weiblichen Figuren aus, 2. der subjektiven Perspektive: das Pastourellengeschehen ist nie objektiv erzählter Liedinhalt, sondern wird im Gespräch gespiegelt, teils erst als Wunsch oder Absichtserklärung" <ref> Schweikle 1990 S.72 </ref> Schweikle beschreibt hier sehr passend, das sich in den Dialogliedern das Geschlecht, welches nachfolgt, vom Sänger zum Bauernmädchen verändert. Die eigentliche Aktion des Folgens findet in den Liedern noch nicht statt, jedoch wird von den Bauernmädchen gegenüber ihrer Gesprächspartner dann dieser Wunsch deutlich gemacht.  
Die Dialoglieder lassen sich in Gespielinnen-Dialoge und [[Mutter-Tochter-Dialoge am Beispiel von Sommerlied 18 (Neidhart) |Mutter-Tochter-Dialoge]] unterteilen, wobei in den Gespielinnen-Dialogen zwei Dorfmädchen miteinander in einen Dialog treten. Mutter-Tochter-Dialoge stellen hingegen eine Unterhaltung zwischen Mutter und Tochter dar, wobei die Mutter eine entgegengesetzte Position im Vergleich zu ihrer Tochter einnimmt. Eine der beiden Damen, meistens die Tochter, agiert in diesen oft naiv; Hintergrund ist die Verführung durch den Sänger. Die Mädchen glauben dabei an die echte, höfische Liebe. Sie verkennen jedoch, dass es sich hierbei nur um Verführung handelt. Dies liefert eine erste Antwort im Hinblick auf Leitfrage (1), warum die Frauen dem Sänger folgen. <br />
Um eine Vorstellung der Dialoglieder zu bekommen, ist es wichtig den "gemeinsamen thematischen Vorstellungshintergrund beider Frauendialogliedtypen zu kennen. Hierbei handelt es sich um die Pastourellensituation (Begegnung von Ritter und Mädchen in freier Natur) mit zwei für Neidhart kennzeichnenden Besonderheiten: 1. der Umkehrung des Werbungsschemas: die Werbung geht von den weiblichen Figuren aus, 2. der subjektiven Perspektive: das Pastourellengeschehen ist nie objektiv erzählter Liedinhalt, sondern wird im Gespräch gespiegelt, teils erst als Wunsch oder Absichtserklärung." [Schweikle 1990: 72] Beide, für Neidhart, besonderen Kennzeichen spielen eine wichtige Rolle, um das Motiv des Folgens in den Dialogliedern zu verstehen. Die Verehrung einer Frau, wie es etwa im Minnesang oder auch in Neidharts Winterliedern zu finden ist, dreht sich hier - es ist das Bauernmädchen, welches dem Sänger nachfolgen will. Die eigentliche Aktion des Folgens findet in den Liedern jedoch noch gar nicht statt. Von den Bauernmädchen wird gegenüber ihrer Gesprächspartner allerdings der Wunsch oder die Absichtserklärung geäußert.


====== Mutter-Tochter-Dialoge ======


====== Mutter-Tochter-Dialoge ======
"Grundkonstellation in den [[Mutter-Tochter-Dialoge am Beispiel von Sommerlied 18 (Neidhart)|Mutter-Tochter-Dialogen]] ist eine Auseinandersetzung zwischen einer tanz- und liebeslustigen Tochter und ihrer Mutter zur Zeit des nahenden Sommers und der beginnenden Tanzsaison mit ihren erotischen Gefährdungen. Sie warnt [...] eindringlich vor dem ritterlichen Favoriten der Tochter, dem "''von Riuwental''" und empfiehlt dagegen reiche und v.a sozial passende Partner." [Schweikle 1990: 74] Aus Sicht der Mutter folgt die Tochter also dem falschen Mann. Sie bevorzugt für ihre Tochter einen Mann aus demselben Stand und empfiehlt dem Bauernmädchen einen bäuerlichen Bewerber, also sozial passenden Partner, zu heiraten. Diesem Rat wird jedoch keine Folge geleistet - "die Warnung der Mutter wird in den Wind geschlagen. Diese Dialogform findet man in den folgenden Neidhart-Liedern: SL 2, 6-8 ,13 ,15-19, 21, 23, 24. Zu einem Rollenwechsel, bei dem die Mutter die Funktion der Tochter übernimmt, kommt es in den Sommerliedern 1, 3, 9." [Ruh 1984: 112]


"Grundkonstellation ist eine Auseinandersetzung zwischen einer tanz- und liebeslustigen Tochter und ihrer Mutter zur Zeit des nahenden Sommers und der beginnenden Tanzsaison mit ihren erotischen Gefährdungen. Die Absicht der Tochter, daran teilzunehmen, versucht die Mutter [...] durch Verbote, Bitten [...] und Warnungen zu verhindern oder vorhersehbaren üblen Folgen durch Ratschlage vorzubeugen. Sie warnt [...] eindringlich vor dem ritterlichen Favoriten der Tochter, dem "von Riuwental" und empfiehlt dagegen reiche und v.a sozial passende Partner. Sie verweist ganz besonders auf konkrete Folgen" <ref> Schweikle 1990 S.74 </ref> des Folgens. Die Mutter will also die oft naiven Folgen-Absichten ihrer Tochter verhindern; diese bleiben jedoch oft erfolglos. Die Tochter folgt schlussendlich scheinbar lieber dem Ruf des Reuentalers als dem Rat ihrer Mutter. Es kommt zum "zornigen Zurückweisen der Lehren (SL 18), dem Bestehen auf dem ritterlichen Favoriten und der Ablehnung des der Mutter genehmen Bewerbers" <ref> Schweikle 1990 S.75 </ref>, die Tochter folgt aus Sicht der Mutter also dem falschen Mann. "Außerdem kommt es zum gleichmütigen Hinnehmen der Folgen durch die Tochter(SL 7, IV)" <ref> Schweikle 1990 S.74 </ref>
Neben den Befürchtungen der Mutter, die Tochter folge dem "Falschen", versucht die Mutter das Vorhaben "der Tochter, an der Tanzsaison mit erotischen Gefährdungen teilzunehmen, durch Verbote, Bitten [...] und Warnungen zu verhindern. Oder auch vorhersehbaren üblen Folgen durch Ratschläge vorzubeugen. Dabei verweist sie ganz besonders auf konkrete Folgen" [Schweikle 1990: 74] des Folgens. Die Mutter will dabei die naiv erscheinenden Absichten ihrer Tochter verhindern; dies bleibt jedoch erfolglos. Die Tochter folgt schlussendlich scheinbar lieber dem Ruf des Reuentalers als dem Rat ihrer Mutter. Es kommt zum "zornigen Zurückweisen der Lehren, dem Bestehen auf dem ritterlichen Favoriten und der Ablehnung des der Mutter genehmen Bewerbers." [Schweikle 1990: 75] Dieses Verhalten zeigt sich beispielsweise sehr schön in [[Mutter-Tochter-Dialoge am Beispiel von Sommerlied 18 (Neidhart)| Sommerlied 18]], Strophe IV. Das Bauernmädchen beharrt auf ihren Absichten, wodurch sich dann sowohl in Strophe IV als auch in Strophe V ein Resignationsverhalten der Mutter erkennen lässt. All ihre Verbote, Bitten, Ratschläge und Warnungen, stoßen bei ihrer Tochter auf taube Ohren.


'''Sommerlied 18'''


"Den in einem Mutter-Tochter-Dialog erteilten mütterlichen Rat, lieber einen bäuerlichen Bewerber zu heiraten, weist sie zurück. Selbst die mütterliche Warnung vor den Verführungsabsichten des Reuentalers, der im letzen Sommer erst ein Mädchen geschwängert habe, beeindruckt sie nicht, weil ihr der Ritter gerade neue rote Schuhe geschenkt hat - Bauernmädchen sind käuflich" <ref> Hübner S.58 </ref>, das Folgen geschieht nicht vollkommen freiwillig. "Der Sänger agiert kaum anders als die Bauernburschen. Die Mutter-Tochter-Dialoge konfrontieren diese Leichtgläubigkeit des Mädchens mit dem Wissen der Mutter. [...] Doch selbst die alte Bäuerin bleibt in Neidharts Liedern nicht immer die kluge Figur. [...] Einige Texte verkehren die Rollen so, dass die Mutter zum  Gegenstand des Spotts wird: Als <geile Alte> will sie, von der Minne betört, zum Tanz",<ref> Hübner S.58-59 </ref>  um dem Gesang des Reuentalers zu folgen. "Die Tochter versucht, sie davon abzuhalten." WELCHES LIED <ref> Hübner S.59 </ref> Der Wunsch dem Reuentaler zu Folgen respektive der Versuch den jeweilig anderen davon abzuhalten, lässt sich folglich also sowohl auf die Mutter als auch auf die Tochter projizieren. Auffällig ist jedoch, dass das blinde Folgen des Minnesangs oft kaum mehr zu verhindern ist; die Tochter beziehungsweise die Mutter agieren dann törichts und naiv.
'''Strophe IV'''


Sommerlied 18 -> Dame folgt Ruf des Ritters vom Riuwental
'''Vers 1-7'''


====== Gespielinnen-Dialoge ======
{|
!Mittelhochdeutscher Text !! Neuhochdeutsche Übersetzung
|-
|Der muoter der wart leit,|| Der Mutter war es leid,
|-
|daz diu tohter niht enhorte, daz si ir vor geseit; ||  dass die Tochter nicht gehorchte, was sie ihr zuvor gesagt hatte.
|-
|iz sprach diu stolze meit:|| Da sagte das übermütige Mädchen:
|-
|"ich han im gelobt: des hat er mine sicherheit.||  "Ich habe es ihm versprochen: deshalb hat er mein Treuegelöbnis.
|-
|waz verliuse ich da mit miner eren? || Warum sollte ich denn damit meine Ehre verlieren?
|-
|jane wil ich nimmer widerkeren,|| Jawohl, ich will nicht wieder zurückkehren,
|-
|er muoz mich sine geile sprünge leren."|| er wird mir seine glücklichen Sprünge beibringen."
|-
|}
Folgen, vor welchen die Mutter warnt, wären beispielsweise eine ungewollte Schwangerschaft oder auch die Gewaltanwendung durch den Sängers. Die Tochter ignoriert diese Warnungen aber oder nimmt sie lediglich unhinterfragt zur Kenntnis. Dies zeigt sich exemplarisch in der fünften Strophe des Sommerlieds 18, in welchem die Folgen einer Partnerschaft mit dem Sänger relativ deutlich auf den Punkt gebracht werden (Vers 5-7).<br />
 
'''SL 18'''
 
'''Strophe V'''


Sommerlied 14 -> Mädchen sollen ihm zum Maitanz unter den Linden folgen
'''Vers 1-7'''


"Mit dem Sommereingang fordert der Sänger die Mädchen zum Maitanz unter der Line auf (Str.1-3)." ->reien "Die Szenerie zeigt den Sänger, der mit seinem Lied auf dem Dorf zum  Tanz aufruft. Es ist der Reuentaler, der das Bauernmädchen höfisch umwirbt und den alle in der Bauernwelt als Sänger kennen. Bei diesem Mädchen hat er Erfolg; sie belohnt ihn für seinen Liebesdienst und will sich zum Tanz, zu dem der Sänger am Anfang des Liedes aufrief, für ihn schmücken. Das Mädchen hofft auf eine Ehe mit dem Ritter von Reuental" <ref> S.57 Hübner </ref> will ihm also nachfolgen.
{|
|Diu muoter sprach: "wol hin!|| Die Mutter sprach: "So geh!
|-
|verstu übel oder wol, sich, daz ist din gewin: || dir wird es wohl oder übel so ergehen, schau, aber das ist dann dein Glück:
|-
|du hast niht guoten sin.||  du hast keine gute Einschätzungsgabe.
|-
|wil du mit im gein Riuwental, da bringet er dich hin:||  Willst du mit ihm ins "Reuetal" gehen, dann bringt er dich dorthin:
|-
|also kan sin treiros dich verkoufen. || So kann er dein Tanz für sich verkaufen.
|-
|er beginnt dich slahen, stozen, roufen|| Er beginnt dich zu schlagen, zu schubsen, zu verprügeln
|-
|und müezen doch zwo wiegen bi dir loufen."|| und es werden dann zwei Wiegen bei dir laufen.
|-
|}
<br />
In Sommerlied 18, Strophe II, Vers 3-6 "beeindruckt selbst die mütterliche Warnung vor den Verführungsabsichten des Reuentalers, der im letzten Sommer erst ein Mädchen geschwängert habe, die Tochter nicht."[Hübner 2008: 58]<br />


"Sie kreisen wie die Mutter-Tochter-Gespräche um Tanz- und Liebesverlangen, wobei die dort von der Tochter geäußerten Aspekte nun auf der Ebene gleicher Interessen verhandelt werden, so die Hoffnung, beim Tanz einen Liebespartner zu finden (SL1O,III - V), wobei ein ständisch passender abgelehnt (SL 25,III - V), als Favorit
'''SL 18'''
vielmehr ein höfischer Bewerber, konkret "der von Riuwental" und dessen höfisches Benehmen, sein Gesang, Tanz usw. gepriesen werden." <ref> Schweikle 1990 S.76 </ref> Ähnlich wie in den Mutter-Tochter-Dialogen folgen in den Gespielinnen-Dialogen die Bauernmädchen eher den Vorzügen des Reuentalers, wie höfisches Benehmen, Gesang und Tanz, anstatt sich auf einen Liebespartner desselben Standes einzulassen.


===== Aufforderung zum Folgen in die Natur =====
'''Strophe II'''


Sommerlied 4 -> folgen nach draußen
'''Ver 1-7'''
<br />
{|
|-
|Diu muoter rief ir nach; || Die Mutter rief ihr nach,
|-
|si sprach: "tohter, volge mir, niht la dir wesen gach! ||  sie sprach: "Tochter, folge meinem Ratschlag, handle nicht voreilig!
|-
|weistu, wie geschach||  Weißt du doch,
|-
|diner spilen Jiuten vert, alsam ir eide jach? ||  wie es deiner Freundin Jiuten und ihrer Mutter letztes Jahr erging?
|-
|der wuohs von sinem reien uf ir wempel, || Ihr wuchs der Bauch aufgrund seines Tanzes
|-
|und gewan ein kint, daz hiez si lempel: || und sie bekam ein Kind, dass sie Lempel nannte:
|-
|also lerte er si den gimpelgempel." || also lehrte er sie den seinen Tanz.
|-
|}
<br />
Die mütterlichen Warnungen, welche sogar anhand eines ihres bekannten Vorfalls ausgeführt werden, werden zurückgewiesen. Der Sänger hatte ihr zuvor neue rote Schuhe geschenkt, wodurch der Eindruck entsteht, dass dem naiven Bauernmädchen durch einfache Verführungen und Geschenke der Kopf verdreht wird - das Folgen wird nicht mehr hinterfragt. Und wie sich in SL 18, Strophe III, Vers 7 zeigt: Die Tochter folgt dem Rat ihrer Mutter auf keinen Fall.<br />


Sommerlied 14
'''SL 18'''


"Mit dem Sommereingang fordert der Sänger die Mädchen zum Maitanz unter der Line auf (Str.1-3)." ->reien <ref> S.57 Hübner </ref>
'''Strophe III'''


'''Vers 1-7'''
<br />
{|
|-
|"Muoter, lat iz sin!|| Mutter, lass es sein!
|-
|er sante mir ein rosenschapel, daz het liehten schin, || Er schickte mir einen Rosenkranz, der zauberte einen leichten Glanz
|-
|uf daz huobet min, ||  auf meinen Kopf,
|-
|und zwene roten golzen brahte er her mir über Rin:||  und zwei rote Eisenhosen brachte er mir mit über den Rhein:
|-
|die trag ich noch hiwer an minem beine. || die trage ich noch heute an meinen Beinen.
|-
|des er mich bat, daz weiz ich niewan eine.|| Was er mich bat, dass kennt kein anderer.
|-
|ja volge ich iuwer raete harte kleine."|| Ja, deshalb folge ich eurem Rate auf keinen Fall."
|-
{|
<br />


"Doch selbst die alte Bäuerin bleibt in Neidharts Liedern nicht immer die kluge Figur. [...] Einige Texte, Sommerlied 1, 3 und 9, verkehren die Rollen so, dass die Mutter zum  Gegenstand des Spotts wird: Als <geile Alte> will sie, von der Minne betört, zum Tanz",[Hübner 2008: 58f.] um dem Gesang des Reuentalers zu folgen. In Sommerlied 1 ist es nun wiederum die Tochter, welche versucht, die Mutter vom Folgen abzuhalten.<br />


"ruft zu Tanz und anderen Winterfreuden (Schlittenfahrt, WL3) auf" <ref> Schweikle 1990 S.82 </ref>
'''Sommerlied 1'''<br />


==== Folgen in Winterliedern ====
'''Strophe I'''
{|
|-
|Ein altiu diu begunde springen ||  Eine Alte sprang los,
|-
|hôhe alsam ein kitze enbor: si wolde bluomen bringen. || wie ein Zicklein hoch enmpor: sie wollte Blumen bringen.
|-
|"tohter, reich mir mîn gewant: || "Tochter, reich mir mein Gewand:
|-
|ich muoz an eines knappen hant,  || ich muss an eines jungen Ritters Hand,
|-
|der ist von Riuwental genant. || der nach dem Reuental benannt ist
|-
|-traranuretun traranuriruntundeie." || Traranuretun traranuriruntundeie."
|-
|'''Strophe II'''
|-
|"Muoter, ir hüetet iuwer sinne! || "Mutter, achtet auf eure Sinne!
|-
|erst ein knappe sô gemuot, er pfliget niht staeter minne." || Der Ritter wird dran denken, euch Treue in der Liebe zu pflegen."
|-
|"tohter, lâ mich âne nôt! || "Tochter, lass mich mich in Ruhe!
|-
|ich weiz wol, waz er mir enbôt. || Ich weiß wohl, was er mir versprochen hat.
|-
|nâch sîner minne bin ich tôt. || Durch die Sehnsucht nach seiner Liebe sterbe ich.
|-
|traranuretun traranuriruntundeie." || Traranuretun traranuriruntundeie."
|-
|'''Strophe III'''
|-
|Dô sprach's ein alte in ir geile: || Da rief sie fröhlich zu einer anderen Alten:
|-
|"trûtgespil, wol dan mit mir! ja ergât ez uns ze heile. || "Freundin, los, dahin mit mir! Uns wird es glücklich ergehen.
|-
|wir suln beid nâch bluomen gân. || Wir sollen beide nach Blumen gehen.
|-
|war umbe solte ich hie bestân, || Warum sollte ich hier bestehen bleiben,
|-
|sît ich sô vil geverten hân? || seit ich so viel Gefährtinnen habe?
|-
|traranuretun traranuriruntundeie." || Traranuretun traranuriruntundeie."
|-
|}<br />


===== dörperkonforme Lieder (WL 1-10) =====
Der Wunsch dem Reuentaler zu Folgen respektive der Versuch den jeweilig anderen davon abzuhalten, lässt sich folglich also sowohl auf die Mutter als auch auf die Tochter projizieren. Die Tochter ist jedoch weitaus häufiger das "Opfer" der sängerischen Verführungen. Auffällig ist jedoch, dass das blinde Folgen des Minnesangs oft kaum mehr zu verhindern ist; die Tochter, beziehungsweise die Mutter, agieren töricht und naiv. Da in den Mutter-Tochter-Dialogliedern entweder die Mutter oder in wenigen Fällen die Tochter das Vorhaben, dem Sänger zu folgen, verhindern wollen und dabei sogar sinnvolle und verständliche Warnungen aufbringen, lässt sich durchaus eine Antwort auf Leitfrage (1) finden. Neben den intensiven Warnungen und dem törichten Verhalten der Frauen sind auch die Risiken des Folgens, etwa in SL 18, Strophe V, Vers 5-7 nicht von der Hand zu weisen. All diese Argumente lassen den Schluss zu, dass die vom Sänger, erkaufte, erzwungene und höfisch vorgespielte, Liebe doch nur Verführung ist. Somit kann man festhalten, dass die Frauen durchaus dem "falschen" Mann folgen, welcher die Schwächen der Frauen ausnutzt.


====== Gespielinnen-Dialoge ======


"Lieder, die den Sanger nicht im Gegensatz zu den dörpern zeigen ( etwa WL 1-10). Der Sänger versucht sich - als Rollenfigur des Armen, aber sich höfisch Benehmenden aus Riuwental(WL 5,VI; 9,VII)- ins dörpertreiben einzureihen, ruft zu Tanz und anderen Winterfreuden (Schlittenfahrt, WL3) auf, trifft Tanzanordnungen (WL 4,II,III), beobachtet die Gruppierungen und nimmt selbst teil, trägt mit seinem Gesang zur Lebensfreude bei (WL 1,II; 5,I), beschreibt seine Liebesabsichten." <ref> Schweikle 1990 S.82 </ref>
Die Gespielinnen-Dialoge "kreisen wie die Mutter-Tochter-Gespräche um Tanz- und Liebesverlangen",[Schweikle 1990: 76] wobei hier zwei Dorfmädchen in einen Dialog treten. Im Mittelpunkt steht erneut die Ablehnung ständisch passender Bewerber (SL 25, III-V), wobei der Sänger als höfischer Bewerber in den Mittelpunkt rückt. So werden "dessen höfisches Benehmen, sein Gesang, Tanz usw. gepriesen." [Schweikle 1990: 76] Ähnlich wie in den Mutter-Tochter-Dialogen, folgen in den Gespielinnen-Dialogen die Bauernmädchen eher den Vorzügen des Reuentalers, anstatt sich auf einen Liebespartner desselben Standes einzulassen. Dadurch nimmt das Motiv des Folgens wieder eine zentrale Rolle ein, denn die Bauernmädchen wollen aufgrund der Verführungen des Reuentalers diesem folgen - die Verführungen werden jedoch naiverweise erneut nicht hinterfragt, sondern lösen ein "blindes Nachfolgen" aus.
Diese Gründe für das Folgen der Frauen, im Hinblick auf Leitfrage (1), lassen erneut lässt den Schluss zu, dass die Damen dem "Falschen" folgen wollen. Erneut sind [[Der Sänger von Reuental (Neidhart)|falsche Verführungen und höfisches Auftreten des Sängers]] Gründe für die Folgeabsichten.


===== Sänger folgt dörpern im Verhalten =====
===== Aufforderung zum Folgen und Tanzen in der Natur =====


Freuden, wie die Ankunft des Frühlings oder die Schönheit der Natur, sind oft maßgeblicher Anlass zum Tanz in der Natur. Denn "auch der Tanz spielt eine bedeutsame Rolle in Neidharts Liedern. Insbesondere in den Sommerliedern ist er ein Hauptanliegen der Mädchen, oft der Vorwand, mit dem "ritter" oder "knappen" "von Riuwental" in Kontakt zu kommen." [Schweikle 1990: 112] Das Tanzen an sich ist eng mit dem Thema des Folgens konnotiert, da das Nachfolgen oder gemeinsame "Strömen" zum Tanz zentral in den Sommerliedern ist. Oft steht bei Neidhart der Tanz "reien" im Mittelpunkt, heutzutage besser bekannt unter dem Name Reigen. Der Reigen bezeichnet Tänze, welche "von mehreren sich einheitlich bewegenden Tänzern gemeinsam geschritten oder gesprungen werden" <ref> https://de.wikipedia.org/wiki/Reigen_(Tanz) </ref> Die bildliche Vorstellung diese Tanzes löst unmittelbar eine Verbindung zur Folge-Mentalität bei Neidhart aus. Es wird zunächst ein Tanzpartner gesucht, wobei beim anschließenden Tanz dann den Bewegungen des Tanzpartners oder der anderen Tänzer gefolgt wird. Durch Aufforderungen des Sängers, an die Mädchen, ihm zum Maitanz unter den Linden zu folgen, wie etwa in SL 14, erhalten die Themen Natureingang und Tanz eine enge Verknüpfung, wodurch beide Themen ein Folge-Verhalten bei den bäuerlichen Damen auslösen.


Dabei agiert er entweder nach dem Unterwerfungsmuster der höfischen Liebe (was auch auf dem Dorf nicht zum gewünschten Erfolg führt) oder nach dem Handgreiflichkeitsmuster der Bauern(was sein eigenes Verhalten unhöfisch macht). <ref> Hübner S.54 </ref> Das bedeutet, dass der Sänger, möglicherweise durch das Scheitern seiner höfischen Verhaltenskompetenz, den dörpern in ihrem Verhalten, oftmals auch handgreiflichen Verhalten, folgt und sich in deren Verhaltensweise einreiht. Ursache hierfür ist das Scheitern seiner Annäherungsversuche und der dadurch entstehende Misserfolg und Spott, aber auch der Neid auf die Erfolge seiner bäuerlichen Konkurrenten im Werben um diverse Bauernmädchen.
==== Folgen in Winterliedern ====


===== Folgen einer "vrouwe" scheitert =====
In den Winterliedern spielt eher das Motiv des Verfolgens eine bedeutendere Rolle, worauf im Verlauf des Artikels noch verstärkt eingegangen wird. Dennoch lassen sich wichtige Merkmale der Neidhart'schen Winterlieder in Verbindung mit dem Folgen analysieren. Auch die Winterlieder sind durchgehend von einem Natureingang gekennzeichnet, wobei dieser eher von Klagen über den vergangenen Sommer und Konflikten des Sängers mit den dörpern handelt. Die Winterlieder 1-10 müssen jedoch etwas unabhängig betrachtet werden, da sich das lyrische Ich hier nicht im Gegensatz zu seinen Widersachern befindet. 


Winterlied 24 -> Folgen der vrouwe scheitert, Willeger folgt der vrouwe
===== Die "dörper" - Wer sind Verfolger des Sängers? =====


Winterlied 13 -> vrouwe folgt den Worten der dörper, Sänger will es verhindern....darf/kann vrouwe nicht mehr folgen und zerbricht fast daran
Die vorgezogene Leitfrage (3) wirft erstmal die Frage auf, wer die dörper überhaupt sind. [[ Die dörper in Neidharts Liedern(Neidhart)|Die dörper]] treten zwar vereinzelt auch in den Sommerliedern auf, jedoch werden sie in den Winterliedern zu den Konkurrenten des Sängers um "die Gunst der Umworbenen und sind deshalb steter Anlass seines Leids." [Hübner 2008: 51f.] Die dörper kennzeichnet arrogantes und selbstbewusstes Auftreten, welches durch ihren Prunk mit Waffen und Kleidern unterstützt wird. Es kommt oftmals zu Streitigkeiten mit dem Sänger, aber auch untereinander. Wichtig für das Verständnis ist hierbei, das es sich bei den dörpern um Dorfbewohner handelt, wobei die vom Sänger umworbenen Frauen, Bauernmädchen sind. Das "Beuteschema" das Reuentaler wechselt im Vergleich zu den Sommerliedern also nicht, die dörper werden aber zu Konkurrenten des Sänger "weil die Umworbene eben eine der ihnen ist, ein Bauernmädchen." [Hübner 2008: 51f.]


Winterlied 27 -> Sprecher kann vrouwe kann/darf vrouwe nicht länger folgen
===== dörperkonforme Lieder (WL 1-10) =====
"Der Sänger versucht sich - als Rollenfigur des Armen, aber sich höfisch Benehmenden aus Riuwental (WL 5,VI; 9,VII)- ins dörpertreiben einzureihen, ruft zu Tanz und anderen Winterfreuden (Schlittenfahrt, WL3) auf, trifft Tanzanordnungen (WL 4,II,III), beobachtet die Gruppierungen und nimmt selbst teil." [Schweikle 1990: 82] Dadurch entsteht fast der Eindruck, als könnte man die Winterlieder 1-10 thematisch sogar eher den Sommerliedern zuordnen. Denn bis auf die winterlichen Klagen, steht der Sänger im Einklang mit den dörperlichen Verhaltensweisen - "die dörper sind noch nicht zum 'Feindbild' typisiert." [Ruh 1984: 123] Für das Motiv des Folgens sind WL 1-10 insofern interessant, dass der Sänger den dörpern nicht eins zu eins identisch folgt. Er versucht sich allerdings einzuordnen, in dem er zum sozialen Treiben beiträgt. Dieser Versuch des Einordnens kann sehr gut als eine etwas abgeschwächte Form des Folgens betrachtet werden.


"In den ersten beiden Strophen stellt der Sänger neben das allgemeine Winterleid sein eigenes Liebesleid. Die Unzugänglichkeit der Umworbenen evoziert Zweifel an ihrer ''güete'', die der vorbildliche Liebende jedoch, wie es sich gehört, abweist(Str.2). Dabei wird das Dienst-Lohn-Modell ausdrücklich aufgerufen und zwar in seiner minnesangtypischen Gestalt: Die Umworbene belohnt den Sänger nicht dafür, dass er ihr mit seinen Liedern dient." <ref> Huebner, Neidhart S.51 </ref> Der dörper beansprucht als seine Herrin just jene, um die der Sänger lange und beständig, aber vergeblich dient." <ref> Huebner, Neidhart S.52 </ref>
===== Sänger folgt dörpern im Verhalten =====


In den restlichen Winterliedern, den sogenannten dörperkontroversen Liedern, ist der Sänger vom vom dörpertreiben ausgeschlossen. Der im Gegensatz zu den dörpern stehende Sänger verfolgt das Ziel, die Gunst der bäuerlichen Schönheiten zu gewinnen - im Vergleich zu den Sommerliedern gehen die Folgeabsichten nun aber nicht mehr unmittelbar von der Damenwelt aus. Aufgrund der Konkurrenzsituation durch die dörper, und deren Gewalt und Lärm, scheitert der Sänger Winterlied um Winterlied. Um diesem Scheitern entgegenzuwirken, versucht der Sänger den dörpern hin und wieder auch im Verhalten zu folgen. "Denn er agiert entweder nach dem Unterwerfungsmuster der höfischen Liebe (was auch auf dem Dorf nicht zum gewünschten Erfolg führt) oder nach dem Handgreiflichkeitsmuster der Bauern (was sein eigenes Verhalten unhöfisch macht). [Hübner 2008: 54] Der Sänger reiht sich also in die Verhaltensweisen seiner Konkurrenten ein und missachtet dabei teilweise sogar seine höfischen Verhaltensweisen. Jedoch stellt sich auch dadurch nicht der gewünschte Erfolg ein. Ursache für dieses, dem Sänger eigentlich fremde Verhalten, ist das Scheitern seiner Annäherungsversuche und der dadurch entstehende Misserfolg im Werben um diverse Bauernmädchen. Das Folgen des Sängers erscheint aus diesem Blickwinkel fast wie ein letzter, verzweifelter Versuch endlich erfolgreich zu sein, auch wenn dies bedeutet seine eigenen Werte und Normen nicht mehr einzuhalten.


===== Folgen der "vrouwen" =====


FOLGT ER DEN FALSCHEN FRAUEN? WL 27
Das gescheiterte Folgen einer Frau zieht sich für den Sänger wie ein roter Faden durch die Neidhart'schen Winterlieder, wobei die Konkurrenzsituation als auch der Misserfolg bei den Frauen, den Sänger zum Verzweifeln bringen. Passende Beispiele hierfür sind etwa [[Motive und Themen in Winterlied 24(Neidhart)|Winterlied 24]] und Winterlied 27.<br />


"Da der Bauernbursche und das Bauernmädchen durchaus denselben sozialen Rang haben, wirft das indirekt die Frage auf, ob das Mädchen denn ein passendes Werbungsobjekt für den Sänger darstellt." <ref> Huebner, Neidhart S.52-53 </ref>
'''Winterlied 24'''


c122 -> Sprecher folgt und begehrt die Frau eines Dörpers
'''Strophe II'''


==== dörper folgen einander im Verhalten ====
'''Vers 1-6'''
{|
|-
|Alsô hât diu vrouwe mîn daz herze mir betwungen, || Meine Herrin hat mir so sehr das Herz gebrochen,
|-
|daz ich âne vröude muoz verswenden mîne tage.||  dass ich meine Tage freudlos verbringen muss.
|-
|ez vervaehet niht swaz ich ir lange hân gesungen.|| Es nützte nichts, dass ich sie so lange besungen habe.
|-
|mir ist alsô maere daz ich mêre stille dage. || Mir ist es deshalb eine Lehre, sodass ich künftig verstumme.
|-
|ich geloube niht des daz sî mannen immer werde holt. || Ich glaube nicht, dass sie jemals an anderen Männer wieder Gefallen finden wird.
|-
|wir verlisen, swaz wir dar gesingen unde gerûnen, ich und jener Hildebolt. || Es war umsonst, was wir ihr gesungen und geflüstert haben, ich und jener Hildebolt.
|-
|}
<br />
In Winterlied 24, Strophe II wird das Leid und die Melancholie des gescheiterten Sängers sehr gut erkennbar. Sein Aufwand, sein Gesang und seine Bereitschaft "seiner Herrin" zu folgen, bleiben schlussendlich erfolglos. "Die Umworbene belohnt den Sänger nicht dafür, dass er ihr mit seinen Liedern dient." [Hübner 2008: 51]  Der Grund hierfür wird im Anschluss vor allem in Strophe III des Winterlieds 24 deutlich, in der er von seinem Widersacher Willeger berichtet wird, welcher beim Tanz nicht von der Seite einer Frau zu drängen gewesen war. "Der dörper beansprucht also als seine Herrin just jene, um die der Sänger lange und beständig, aber vergeblich dient." [Hübner 2008: 52] Die Enttäuschung über das gescheiterte Folgen in Winterlied 24 stellt aber keinen Einzelfall dar - nein, die Freudlosigkeit des Sängers, bedingt durch den Winter und die Ablehnung der Frauen, steht auch in vielen anderen Winterliedern im Mittelpunkt (vgl. WL 13, Strophe I-II)<br />


:{|
'''Winterlied 27'''<br />
!Mittelhochdeutscher Text !! Neuhochdeutsche Übersetzung
 
'''Strophe I''' <br />
 
'''Vers 1-12'''
 
{|
|-
|Mirst von herzen leide, || Mir ist von Herzen Leid,
|-
|daz der küele winder|| dass der kalte Winter
|-
|verderbet schoener bluomen vil:|| viele schöne Blumen verdirbt:
|-
|so verderbet mich ein senelichiu arebeit.|| ebenso wie der Liebesdienst mich zu Nichte macht.
|-
|dise sorge beide || Diese zwei Sorgen
|-
|-
|Hiwer an einem tanze|| Letztens bei einem Tanz
|dringent mich hin hinder|| bringen mich hin und wieder
|-
|-
|gie er umbe und umbe.|| ging er im Kreis umher.  
|ze ende an miner vreuden zil.|| ans Ende meiner Zuversicht.
|-
|-
|den wehsel het er al den tac:|| Den Wechsel hatte er den ganzen Tag gemacht:
|owe, daz diu guote mit ir willen daz vertreit,|| Oh weh, dass die Schöne mit ihrem Willen das verträgt,
|-
|-
|glanziu schapel gap er umbe niuwiu krenzelin.|| schimmernde Blumenkränze und neue Bänder gab er umher.
|sit si wol geringen mac || weil sie alle meine Schmerzen
|-
|-
|Etzel und Lanze,|| Etzel und Lanze,
|alle mine swaere!|| gewiss verringern kann!
|-
|-
|zwene knappen tumbe,|| zwei dumme Knappen,
|hei, gelebte ich noch den tac,|| Ach, erlebe ich noch den Tag
|-
|-
|die phlagen ouch, des jener phlac.|| taten auch das, was er tat.
|daz si gnaedic waere!|| an dem sie mir gnädig wird!
|-
|-
:{|
|}
<ref> Neidhart, Winterlied 27, Strophe IV Vers 1-7 </ref>
<br />
 
Auch Winterlied 27, Strophe I ist vom Leid des Sänger gekennzeichnet. Erneut war sein Werben erfolglos; es bleibt nur sein Hoffen darauf eines Tages die Wertschätzung und Zuneigung einer besungenen Dame zu bekommen. Das Leid des Sängers zeigt sich in den Eingängen der Winterliedern immer etwas unterschiedlich, die Enttäuschung und die Freudlosigkeit bleiben jedoch meist identisch und geht auf das gescheiterte Folgen zurück. Doch was sind eigentlich die konkreten Ursachen dieses Scheiterns? Wichtig festzuhalten wäre zunächst vor allem, dass sie die Ursachen vielschichtig sind. Das in den Sommerliedern, durch die Warnungen der Mutter, bereits angerissene Problem einer Ehe von Personen aus unterschiedlichen Ständen, spielt auch in den Winterliedern eine wichtige Rolle. Dies wird auch in WL 27, Strophe VII deutlich. "Denn da der Bauernbursche und das Bauernmädchen durchaus denselben sozialen Rang haben, wirft das indirekt die Frage auf, ob das Mädchen denn überhaupt ein passendes Werbungsobjekt für den Sänger darstellt." [Hübner 2008: 52f.] Basierend auf Hübners Ansatz lässt sich, ähnlich wie Leitfrage (1) auch Leitfrage (3) durchaus bejahend bewerten. Denn der Sänger tritt in den dörperkontroversen als höfischer Werber auf, jedoch stoßen sowohl seine Verhaltensweisen als auch der Minnesang bei den Damen auf kein großes Interesse. Die dörper treten im Umgang mit anderen Frauen zwar ab und an grob auf - die Grundlage des gemeinsamen Standes setzt sich beim Tanz allerdings schlussendlich mit Erfolg durch. In den Winterliedern werden die genauen Verführungstechniken des Reuentalers nicht weiter ausgeführt, die Bauernmädchen agieren hier scheinbar aber weniger naiv. Im Vergleich mit den Sommerliedern folgen sie also nicht blind einem fremden, verführenden Sänger, welcher sie womöglich schlecht behandelt und einen schlechten Ruf im Hinblick auf die Ehe mit Frauen hat. Eventuell löst aber auch das Vorhandensein einer großen dörperlichen Konkurrenz die Ablehnung der Frauen aus. <br />
 
Neben der Feststellung, dass der Sänger in seinen Winterliedern eher die falschen Frauen begehrt, ist auch der Lärm der dörper eine wichtige Ursache, welche das Folgen des Sängers erschwert oder zunichte macht. "Die Position des singenden Ichs wird von den Konkurrenten besetzt, ihr Lärm und das vom Sanger-Ich beschriebene laute Auftreten beim Tanz und im Umgang miteinander übertönen den werbenden ''sanc'', seine Stimme dringt nicht zur begehrten Frauenfigur durch." [Haufe 2003: 112f.] Dieser Umstand ist für den Sänger natürlich umso enttäuschender. Denn der Reuentaler definiert sich über seinen Gesang und ist auch stark überzeugt davon, mit diesem Erfolg zu zu haben. Jedoch bekommt er diese Chance in vielen Situationen gar nicht, da sein Gesang durch die dörper übertönt wird. Zudem drohen sie ihm mit gewalttätigen Konsequenzen, falls er selbst nicht verstummt.


==== Vergleich Folgen in Sommer- und Winterliedern ====
==== Vergleich Folgen in Sommer- und Winterliedern ====


== Verfolgen ==  
Der Vergleich zwischen Sommer- und Winterliedern basiert auf Leitfrage (4) und es kann bereits eines vorweggenommen werden - es gibt deutliche Unterschiede im Hinblick auf das Motiv des Folgens.
Gemeinsamkeiten in Sommer- und Winterliedern sind allerdings insofern erkennbar, dass der Sänger in beiden Liedformen mit höfischen Verhaltensweisen und Verführungen auftritt. Der wichtigste Unterschied ist nun aber der Wechsel des Sängers vom Umworbenen in den Sommerliedern zum scheiternden "follower" in den Winterliedern. Während sich der Sänger das naive Folgen der Bauernmädchen, oder der Mutter des Bauernmädchens, in den Dialogliedern noch zu Nutze macht, enden seine Folge-Absichten in den dörperkontroversen Winterliedern oft enttäuschend und freudlos. Ursache für diese Entwicklung könnte vor allem die stärkere Präsenz der dörper in den Winterliedern sein. Durch die entstehende Konkurrenzsituation und den Lärm der dörper, welcher den Gesang des Sängers unterbinden, wirkt der Sänger zunehmend isoliert. Dies wird in den Winterliedern dadurch verstärkt, dass die Bauernmädchen sich für Männer aus demselben, also dem bäuerlichen, Stand entscheiden. In den Winterliedern entsteht so fast das Gefühl, dass die dörper und die Bauernmädchen beim Tanz ihre Liebeslust einfach unter sich ausleben wollen, dabei jedoch vom höfischen Minnewerber aus Reuental gestört werden. Dieser kann oder will dann nicht einsehen, dass sein Bemühungen keinen Erfolg mit sich bringen werden. Die Konsequenz aus diesem sturen Verhalten des Sängers ist die Verfolgung durch die dörper, auf welche nun im zweiten großen Abschnitt der Fokus gelegt wird.
 
== Einführung Verfolgen ==  


=== Definition ===
=== Definition ===


Im Vergleich zum Wort ''Folgen'' besitzt der Begriff des ''Verfolgens'' nicht ganz so viele verschiedene Bedeutungsunterschiede. Dennoch lassen sich mehrere Unterpunkte aufführen, welche für die Textanalyse von Bedeutung sind.
Im Vergleich zum Folgen besitzt der Begriff des Verfolgens zwar ähnliche aber doch andere Bedeutungsunterscheidungen. Für die Analyse sind vor allem die vier folgenden Bedeutungsmöglichkeiten relevant:


==== durch Hinterhergehen zu erreichen suchen, nachgehen, folgen ====
(1) durch Hinterhergehen zu erreichen suchen; nachgehen; folgen  


Dieser Bedeutungsaspekt des ''Verfolgens'' kann sowohl im klassischen Sinne, beispielsweise bei der Verfolgung eines Verbrechers, als auch im übertragenen Sinne, beispielsweise beim Spruch "vom Glück verfolgt sein", verstanden werde. Beide Aspekte sollten bei der Analyse von Neidharts Texten beachtet werden, da das Sprecher-Ich sowohl Frauen im weitesten Sinne verfolgt, aber auch seine Ideen und Gedanken verfolgt und versucht, diese umzusetzen.
(2) jemanden bedrängen, jemandes Freiheit einengen


===== jemanden bedrängen, jemandes Freiheit einengen =====
(3) gegen jemanden, etwas vorgehen


Der Sänger verfolgt mit seiner Minne eine klares Ziel. Er will die Aufmerksamkeit der Frauenwelt, respektive einer bestimmten ''frouwe'', auf sich ziehen und begehrt die Frauen, Damen oder Mädchen mit seinem Gesang sehr stark. Doch sind diese Begehrungsaktionen "im Einklang" mit der Freiheit der Damen, oder schränkt das Sprecher-Ich diese bereits zu stark ein? Entwickelt er gar einen Verfolgungswahn, da er durch seine Minne zunehmend erfolgslos bleibt? Beide Fragen werden wichtig sein, um das Thema des Artikels vollständig aufzuarbeiten.
(4) etwas aufmerksam beobachten<br />


===== gegen jemanden, etwas vorgehen =====
<ref> https://www.duden.de/rechtschreibung/verfolgen </ref>


Vor allem in den Neidhart'schen Winterliedern wird man als Leser unverhofft mit sehr brutalen und absurden Gewaltfantasien des Sprecher-Ichs konfrontiert. ''Verfolgt'' der Sprecher diese Gedanken wirklich, will er hart gegen seine Widersacher, die ''dörper'' vorgehen oder spielen sich diese Gedanken allesamt nur in seiner Imagination ab?
=== Leitfragen für Analyse und Interpretation ===


==== etwas zu erreichen/ zu verwirklichen ====
Durch den Fokus auf diese vier Bedeutungsunterscheidungen, lassen sich für die Analyse die folgenden zentralen Fragestellungen ableiten:


Bei der Textanalyse von Neidhart wird es auch von Bedeutung sein festzustellen, welche Ziele und Träume das Sprecher-Ich verfolgt und zu erreichen versucht. Ein starkes Augenmerk sollte hier natürlich auf den Versuch der Eroberung und dem "Durchdringen" zu den Frauen liegen, wobei die Verwirklichung dieses Ziels oft durch den Lärm der ''dörper'' erschwert oder verhindert wird.
(1) Warum verfolgen die dörper Frauen gewalttätig?


==== aufmerksam beobachten ====
(2) Aus welchen Gründen verfolgen die dörper den Sänger?


Dieser Aspekt wurde bereits direkt bei den ersten Auseinandersetzungen mit Neidharts Texten interessant, da man sich als Leser oft mit der Frage beschäftigt, ob Neidhart aktiv am Geschehen teilnimmt oder das Geschehen nur interessiert beobachtet und verfolgt. Die Frage nach der Aktivität oder auch Passivität des ''Verfolgens'' wird durch diese Bedeutungsunterscheidung also aufgeworfen.
(3) Weshalb verfolgen der Sänger und die dörper Gewaltfantasien?


=== Verfolgen in Neidhart Liedern ===
(4) Sind für das Motiv des Verfolgens Unterschiede zwischen Sommer-und Winterliedern erkennbar?


==== Die "dörper" - Wer sind Verfolger des Sängers? ====
== Verfolgen in Neidhart Liedern ==


"Die dörper erscheinen in den Winterliedern als Konkurrenten des Sängers um die Gunst der Umworbenen und deshalb als steter Anlass seines Leids. Konkurrenten des Sängers können die dörper nur sein, weil die Umworbene eine der ihren ist, ein Bauernmädchen." <ref> Huebner, Neidhart S.51-52 </ref> Diese Konstellation führt schlussendlich zur Situation, warum die dörper zum Verfolger des Sängers werden: "Der Minnesänger wirbt auf dem Dorf um ein Mädchen, als ob es eine adelige Dame wäre, und kommt dabei in Konflikt mit den Bauernburschen." <ref> Huebner, Neidhart S.52 </ref> Von den dörpern wird der Sänger also verfolgt, es handelt sich hierbei also um eine gewaltsame Form des Begehrens. Während der Sänger in den Sommerliedern der Sänger von den Bauernmädchen begehrt wird und diese auf eine Ehe mit ihm schielen, wandelt sich die Situation in den Winterliedern. "Wenn seine Taktik an den bäuerlichen Konkurrenten und ihrer Handgreiflichkeit scheitert, macht der Sänger sich durch den Misserfolg lächerlich." <ref> Hübner S.59 </ref>
Durch den Erfolg des Sängers und dem Folgen der Frauen in den Sommerliedern, ist das Motiv des Verfolgens in den Sommerliedern deutlich weniger präsent. Dadurch entsteht  vor allem ein gezielter Fokus auf die Winterlieder. Dennoch ist durch das Motiv des Spiegelraubs auch eine Auseinandersetzung mit den Sommerliedern essenziell.  


=== Verfolgen in Sommerliedern ===


"Geschildert werden ihr dünkelhaftes Auftreten (WL 11,IV ff. u. a.), ihr Prunk mit Waffen (WL 4, V; 11 VI) und Kleidern, weiter ihre Streitigkeiten untereinander und insbesondere mit dem - meist unterliegenden - Sänger; hervorgehoben wird auch das rohe, plumpe Benehmen der dörper beim Tanz (WL 2,~.I; 33,IV), das bis zum Schlagen einer Frau (WL 7,IV )und frechen Übergriffen gehen kann." <ref> Schweikle 1990 S.81 </ref>
Denn das wohl bekannteste Neidhart Motiv, nämlich der Spiegelraub, wird in einem Sommerlied, und zwar [[Spiegelmotivik im Sommerlied 22 (Neidhart)| in Sommerlied 22]] am ausführlichsten beschrieben. Der Spiegelraub, welcher sich beim Tanz zuträgt und im Nachgang immer wieder in verschiedenen Liedern aufgegriffen wird, kann in die Kategorie des Verfolgens eingeordnet werden. Während der Sänger verhindert ist, entwendet der dörper Engelmar Friderun, welche vom lyrischen Ich umworben wird, ihren Spiegel und zerbricht ihn. "Das Friderun zugefügte Leid scheint eine Vergewaltigung zu meinen. Der Sänger hält sich als Rächer bereit und die gewaltsame Tat hat all seine Freude zerstört." [Schulze 2018: 103] <br />


"Meist ist erotische Konkurrenz der Auslöser" <ref> Müller S.433 </ref> der Gewalt.
'''Sommerlied 22'''


==== Verfolgen in Sommerliedern ====
'''Strophe IV'''


==== Verfolgen in Winterliedern ====
'''Vers 2-8'''<br />
{|
|-
| wir sulnz ûf dem anger wol wikîsen. || Lasst uns auf der Wiese schön tanzen.
|-
| Vriderûn als ein tocke || Friederun tanzte wie eine Puppe
|-
| spranc in ir reidem rocke|| in ihrem gefälteten Rock,
|-
| bî der schar:|| vor der Schar.
|-
| des nam anderthalben ||  Dies beobachtete Engelmar von der anderen Seite
|-
| Engelmâr vil tougen war. || ganz heimlich.
|}
'''Strophe VI'''<br />


===== Verfolgen von Frauen =====
'''Vers 4-8'''<br />


:{|
{|
|-
| wie sol ich gebâren? || Wie soll ich mich verhalten?
|-
| mirst an Engelmâren || Engelmar ist mir
|-
| ungemach, || ungemach,
|-
| daz er Vriderûnen ||  da er Friederun
|-
| ir spiegel von der sîten brach. || ihren Spiegel von der Hüfte riss und brach.
|}<br />
 
In diesem Lied ist das Motiv des Verfolgens vielschichtig zu beobachten. Engelmar verfolgt Friderun beim Tanz heimlich (mit den Augen) und es kommt zur Verfolgung von Gewalt. Die gewalttätige Verfolgung ist hier der Spiegelraub, welcher im übertragenen Sinn eine Vergewaltigung meinen könnte. Frideruns Freiheit wird durch das Verhalten von Engelmar stark eingeengt und bedrängt, ähnlich wie es Definition (2) angibt. Der Sänger als bereitstehender Rächer, so Schulzes Charakterisierung, verstärkt die Verfolgungs-Motivik in diesem Lied umso mehr, da der Reuentaler nun eine Art Verfolger-Rolle des Täters einnimmt und seine Racheabsichten versucht im Anschluss zu verfolgen. Es ist möglich, dass Sommerlied 22 chronologisch der erste Bericht von dieser Tat ist, historisch ist dies jedoch nicht sicher nachweisbar. Durch verschiedene Anspielungen in der Folge wäre dies aber möglich - das Motiv kommt in fast 15 überlieferten Liedern vor. Möglicherweise entstand durch den Spiegelraub die Abneigung und der Hass zwischen dörpern und Sänger; der Spiegelraub könnte also auch Auslöser für das Verfolgungsverhalten in den Winterliedern sein.
 
=== Verfolgen in Winterliedern ===
 
Die Winterlieder sind die wichtigste Grundlage für die Untersuchung des Verfolgungsaspekts, da trotz einiger dörperkonformer Lieder (WL 1-10), ein Großteil der Winterlieder "dörperkontroverse Lieder sind, in welchen der Sanger vom dörpertreiben ausgeschlossen ist (sog. Friederun-Lieder). Sie sind bestimmt von der satirisch überzeichneten Beschreibung der die höfische ''maze'' (Ordnung) missachtenden dörper, die den nach höfischen Normen sich benehmenden Sänger vom Tanzplatz und bei den Mädchen zu verdrängen suchen." [Schweikle 1990: 83] Dadurch entsteht eine Art Verfolgungssituation. Diese Verfolgungssituation führt soweit, dass der Sänger zum Vertriebenen wird, beispielsweise in Winterlied 23, oder auch in Winterlied 24, Strophe VIII von seiner Flucht nach Österreich berichtet.
 
==== Verfolgen von Frauen ====
 
Die Verfolgung des Sängers durch die dörper im Zusammenhang mit dem bäuerlichen Tanz, ist der zentralste Unterpunkt des Verfolgens. Um diesen richtig aufzuarbeiten, ist vor allem eine Beschäftigung mit der konkreten Ursache wichtig. Neben der Gewalt gegenüber des Sängers, versuchen die dörper im Wesentlichen durch ihre Verhaltensweisen, etwa durch Lärm, die Bauernmädchen davon abzuhalten, dem Sänger zu folgen. Da die dörper die Bauernmädchen als eine von ihnen ansehen, bekommt man das Gefühl, dass sie mit allen Mitteln diese geschlossene Situation der Partnersuche bewahren wollen und dadurch auch zu rabiaten Verhaltensweisen greifen. <br />
 
===== von den dörpern ausgehend =====
 
Vor allem das [[Gewalt bei Neidhart(Neidhart)|gewalttätige Verhalten der dörper]] ist dem Sänger ein Dorn im Auge, welches durch "rohes, plumpes Benehmen beim Tanz gekennzeichnet ist (WL 2), das aber auch bis zum Schlagen einer Frau (WL 7,IV) und frechen Übergriffen gehen kann." [Schweikle 1990: 81] Schwer zu deuten ist die Brisanz dieser Gewalt - ist das die normale, schroffe Verhaltensart der dörper, welche im Ernstfall sogar Verhüllungen von sexueller Gewalt sind? Oder wird das Benehmen der dörper vom Sänger, aufgrund seiner Misserfolge und Entrüstung über deren unhöfisches Verhalten, überspitzt dargestellt? Wahrscheinlich lassen sich für beide Interpretationen Argumente finden, eine eindeutige Entscheidung fällt aber, wie erwähnt, schwer. Neben konkreten Berichten des Verfolgungsverhaltens durch die dörper, wird ab Winterlied 14 auch immer wieder der Spiegelraub an Friderun aufgegriffen und als schwere Untat eingeordnet. Diese Art der "Frauenverfolgung" hat für den Sänger scheinbar eine enorme Bedeutung, könnte jedoch auch dazu benutzt werden, um die Gewalt der dörper nochmals zu unterstreichen. Ein Akt des Verfolgens und der Bedrängung durch die dörper lässt sich exemplarisch in Winterlied 27 erkennen. <br />
 
'''Winterlied 27'''
 
'''Strophe IV'''
 
'''Vers 8-12'''
<br />
{|
|-
|-
|Lanze der beswaeret ein vil stolzez magedin:|| Lanze bedrängte ein sehr stattliches Mädchen:
|Lanze der beswaeret ein vil stolzez magedin:|| Lanze bedrängte ein sehr stattliches Mädchen:
Zeile 184: Zeile 403:
|wer het im daz erloubet?|| Wer hat ihm das erlaubt?
|wer het im daz erloubet?|| Wer hat ihm das erlaubt?
|-
|-
:{|
|}<br />


Das Bedrängen der Dame durch Lanze wird in Vers 8 relativ deutlich, wobei es "immer schnell handgreiflich zugeht, und die Bezeichnungen der Handgreiflichkeiten klingen oft - wie hier das Herunterreißen von Schleier und Blumenkränzlein - nach verhüllenden Ausdrücken für sexuelle Gewalt."[Hübner 2008: 52] Im Hinblick auf Leitfrage (1) ist das Verhalten der dörper hauptsächlich auf die Konkurrenzsituation, die grundlegende Bereitschaft Gewalt anzuwenden sowie ein starkes sexuelles Bedürfnis zurückzuführen, welches durch die möglichen sexuell verhüllenden Ausdrücke bekräftigt wird. Dieses gewalttätige Auftreten widerspricht dem Reuentaler, und wird dadurch verstärkt, dass solch ein Vorgehen gegenüber Frauen, im Gegensatz zu seinen höfischen Vorstellungen steht.
Das Verhalten der dörper löst im Sänger zweierlei Reaktionen aus: zum einen kündigt er in Winterlied 27, Strophe 6 an, dass er Lanze für diese Tat zu Rechenschaft ziehen will. Grund hierfür ist die erotische Konkurrenzsituation. Zum anderen knüpft es daran an, weshalb der Sänger teilweise auch zum Verfolger der Frauen wird.


<ref> Neidhart, Winterlied 27, Strophe IV Vers 8-12 </ref>
===== vom Sänger ausgehend =====


"Adeltir und zwei weitere dörper schenken dem Mädchen anstelle der einfachen Blumenkränzchen glitzernden Kopfschmuck. Das rückt die Bauern [...] in ein schlechtes Licht: Geschenke lassen sich als Versuch verstehen, die Liebe zu kaufen, und Käuflichkeit steht im eklatanten Gegensatz zu den Idealen der höfischen Liebe. Eine ebenso rüpelhafte Eigenschaft der Bauern ist ihr rabiates Auftreten gegenüber den Mädchen. Immer geht es schnell handgreiflich zu, und die Bezeichnungen der Handgreiflichkeiten klingen oft - wie hier (Str.4) das Herunterreißen von Schleier und Blumenkränzlein - nach verhüllenden Ausdrücken für sexuelle Gewalt." <ref> Huebner, Neidhart S.52 </ref> "Dass der Bauer Lanze dem Mädchen Schleier und Kranz herunterreißt, stellt für den Sänger eine verabscheuungswürdige Gewalttat dar, die allen höfischen Vorstellungen vom kultivierten Verhalten gegenüber Frauen widerspricht. Mit der Ankündigung, Lanze dafür zur Rechenschaft ziehen zu wollen, enthüllt der Sänger schließlich das Konkurrenzverhältnis (Str.6): Der dörper beansprucht als seine Herrin just jene, um die der Sänger lange und beständig, aber vergeblich dient." <ref> Huebner, Neidhart S.52 </ref> "Mit seinen Liedern und seiner höfischen Verhaltenskompetenz versucht er einerseits, in Konkurrenz zu den Bauernburschen Bauernmädchen zu verführen. Dabei agiert er entweder nach dem Unterwerfungsmuster der höfischen Liebe (was auch auf dem Dorf nicht zum gewünschten Erfolg führt) oder nach dem Handgreiflichkeitsmuster der Bauern(was sein eigenes Verhalten unhöfisch macht). <ref> Hübner S.54 </ref>
Wie im Abschnitt "Sänger folgt dörpern im Verhalten" beschrieben, adaptiert der Sänger ab und an die rabiaten Verhaltensweisen der dörper gegenüber Frauen. Dies widerspricht vollkommen den eigentlichen Ansichten des Sängers, da dies seine Kritik an den dörpern unecht wirken lässt. Diese "Frauenverfolgung" durch den Sänger wirkt wie ein verzweifelter Akt um die Gunst der Frauen. Es wird versucht die dörper mit ihren eigenen Mitteln als Konkurrenten zu verdrängen, dabei vergisst der Sänger jedoch, dass dies sein eigenes Verhalten unhöfisch macht.


"er kann allerdings auch als Rolle in das Liedgeschehen mit einbezogen sein, sei es, dass er wie die dörper sich um ein Mädchen bemüht (WL 9)" <ref> Schweikle 1990 S.81 </ref>
==== Verfolgen von Gewalt vor den eigenen Augen ====
 
In den Winterliedern hat man oft das Gefühl, dass der Sänger eher als neutraler Außenstehender oder Ausgegrenzter von den dörpern berichtet. Dabei wird, wie zum Beispiel in Winterlied 27, das Verfolgen der Frauen durch die dörper geschildert oder auch der ihm entgegengebrachte Hass seiner Konkurrenten. Durch das aggressive und gewalttätige Grundverhalten, ist der, das dörper-Treiben, beobachtende Sänger, oft auch in der Lage als Unbeteiligter die Gewalt der dörper untereinander zu beobachten. Ein schönes Beispiel liefert hier Winterlied 24, wo der Sänger, versteckt im Weinfass, die Auseinandersetzung der dörper beobachtet. <br />
 
'''Winterlied 24'''
 
'''Strophe Va'''
 
'''Vers 5-6'''
{|
|-
|sie stritten mit einander einen ganczen summer langen tag. || Sie stritten miteinander den ganzen langen Sommertag.
|-
|das ir geläße sahe herre Neithart, do er in dem vas bey dem wein lag.|| Herr Neidhart sah ihr Verhalten, da er im Weinfass lag.
|-
|}
 
'''Winterlied 24'''
 
'''Strophe VI'''
 
'''Vers 1-2'''
{|
|-
|Sagte ich nû diu maere wie siz mit ein ander schuofen, || Soll ich nun die Geschichte erzählen, wie sie miteinander kämpften,
|-
|des enweiz ich niht: ich schiet von danne sâ zehant.||  so weiß ich das nicht: Ich machte mich sehr schnell davon.
|-
|}<br />
 
Auch Winterlied 3 eignet sich als Beispiel, "bei der mehrere dörper einen anderen mit einem Dreschflegel und einer Reute attackieren und Ruprecht Eppe ein Ei, das der Auslöser für den Streit ist, an die Glatze wirft." [Schulze 2018: 100]<br />
Durch diese, oft [[Komik in den Winterliedern (Neidhart)|satirischen]], Berichte wird einem die dörper-Gewalt bildlich vor Augen geführt. Außerdem wird die Ausgrenzung des Sängers deutlich, welcher in die internen Streitigkeiten nicht involviert ist. Den Streitigkeiten fällt er aber dennoch zum Opfer und wird daher zum Verfolgten.
 
==== Sänger wird von dörpern verfolgt ====
 
Die Konkurrenzsituation beim Tanz ist der konkrete Auslöser, durch die die dörper zum Verfolger des Sängers werden. Konfliktpotenzial liefert hier überwiegend das Vorgehen des "Minnesängers. Denn er wirbt auf dem Dorf um die Mädchen, als ob sie adelige Damen wären." [Hübner 2008: 52] Das höfische Auftreten und Werben des Reuentalers, in einem eigentlich den Dorfbewohner vorbehaltenem, geschlossenen Milieu der Partnersuche, missfällt den dörpern. Für Leitfrage (2) lässt sich allgemein festhalten, dass "erotische Konkurrenz meist der Auslöser" [Müller 1986: 433] der Gewalt ist und somit Anlass für die Verfolgung des Sängers wird. <br />
Um eine Vorstellung des Verfolgens zu bekommen, eignet sich exemplarisch Winterlied 27.
 
'''Winterlied 27'''
 
'''Strophe III'''
 
'''Vers 3-12'''
{|
|-
|so twinget mich ein ander leit,||  so bedrängt mich noch ein anderer Schmerz,
|-
|daz vor allem leide mich so sere nie betwanc,|| der mich vor all dem Leid noch nie so sehr bedrängte,
|-
|swiech dar umbe lache || obgleich ich lache
|-
|und gebare blide:|| und mich heiter benehme:
|-
|mir hat ein dörper widerseit|| Ein Dorfbewohner hat sich gegen mich gestellt,
|-
|umb anders niht wan umbe den minen üppeclichen sanc.|| wegen nichts anderem als meinem prächtigen Gesang.
|-
|derst geheizen Adeltir,|| Der wird Adeltir genannt
|-
|bürtic her von Ense,|| und ist geborgen in Ense;
|-
|zallen ziten drot er mir|| jederzeit droht er mir
|-
|als einer veizten gense.|| wie eine fette Gans.
|-
|} <br />
Das Verfolgen der dörper löst im Reuentaler grundsätzlich Leid und Unbehagen aus - wie so oft versuchen die dörper das Sänger-Ich zum Verstummen zu bringen. Sein Gesang ist Teil des Frauenwerbens, wobei sich in diesem Fall Adeltir gegen den Sänger stellt. Das Verfolgungsverhalten ist geprägt von Einschüchterungen, Drohungen(Vers 11) oder allgemeinen Bedrängungen des Sänger-Ichs. Der Grund des Verfolgens wird in Strophe VI klar. Adeltir erhebt Anspruch auf die Frau, welche der Sänger umworben hatte. An diesem Beispiel zeigt sich, dass die erotische Konkurrenz um dieselbe Frau, Ursache der Drohungen ist. Zur Gewaltanwendung gegenüber dem Sänger kommt es zwar nicht. Allerdings werden sich in den sogenannten Trutzstrophen konkrete Gewaltfantasien ausgemalt, um den Sänger zum Verstummen zu bringen. Das Verfolgen in Gewaltfantasien ist dementsprechend grundlegend Teil der Verfolgungs-Motivik. <br />
Die tatsächliche Verfolgung des Sänger-Ichs ist dennoch in vielen Winterliedern zu beobachten. So berichtet er sowohl in Winterlied 23 als auch in Winterlied 24, dass er von den dörpern in eine andere Stadt verdrängt wurde. Grundlegend dafür sind vor allem die geäußerten Drohungen der dörper, welche aber auch vom Sänger getätigt werden. Diese Drohungen lösen oftmals eine Fluchtreaktion beim Sänger aus, so auch in Lied c122 zu beobachten. Nachdem der Sänger die Frau eines dörpers besungen und begehrt hatte, wollen die dörper, dass er das Dorf unverzüglich verlässt. Die Androhung ihn sonst umzubringen, ist Anlass zur Flucht des Sprechers, wobei er hier dann einen Bekannten um Rat und Hilfe bittet.<br />
Der letzte wichtige Aspekt des Verfolgens, welcher das Fluchtverhalten des Sängers nachvollziehbarer macht, ist die numerische Überlegenheit der dörper. Das Sänger-Ich wird häufig  von "mehreren dörpern bedroht und angegriffen."[Haufe 2003: 115] Vor allem in Winterlied 13 wird diese Form der Oppositionsbildung klar.


'''Winterlied 13


====== vom Sänger ausgehend ======
'''Strophe III'''


====== von den dörpern ausgehend ======
'''Vers 1-9'''
{|
|-
|Engelwan und Uoze || Engelwan und Uoze,
|-
|die zwene sint mir gehaz|| die zwei verabscheue ich.
|-
|(schaden unde nides muoz ich mich von in versehen)|| (Vor ihrem Schaden und ihrer feindseligen Gesinnung muss ich mich vorsehen.)
|-
|und der geile Ruoze:|| Und der übermütige Ruoze:
|-
|wie tiuwer er sich vermaz,|| wie teuer er sich im ungehörigem Maße gab,
|-
|der bestüende mich durch si! die drie widerwehen|| forderte mich wegen ihr heraus! Die drei Widersacher
|-
|ratent unde brüevent, daz ich ane lon belibe. ||  berieten und prüften, sodass ich ohne Lohn zurück bleibe.
|-
|niht envolge ir lere, vrouwe, liebist aller wibe! || Folge nicht ihren Worten, Herrin, Schönste aller Frauen.
|-
|lone miner jare; laz in leit an mir geschehen! || Belohne mich für die Jahre; lass mir kein Leid geschehen!
|-
|}<br />


Engelmar, sowie die drei dörper in Strophe III, "wollen den Sänger am weiteren Minnedienst hindern", [Haufe 2003: 115] wobei sie schon zuvor die begehrte Frau zur Ablehnung des Sängers gedrängt hatten. Das Verfolgen durch die dörper "ist geprägt von ''haz'' (WL 13, III, 2), der Sänger erwartet Schaden und eine feindselige Gesinnung (WL 13, III, 3). Die vier Gegenspieler "bilden eine gegen das Sänger-Ich in Opposition stehende Kongruenzgemeinschaft, welche als Widersacher (WL 13, III, 6) auf die Frauenfigur einwirken und gar auf das Versagen von Lohn drängen." [Haufe 2003: 115] Dies will der Sänger in den abschließenden Versen acht und neun mit einer Aufforderung verhindern. Es zeigt sich, dass das Verfolgen, neben der konkreten Gewaltandrohung, weitere negative Nebenwirkungen für den Reuentaler mit sich bringt. Dies wäre hier etwa die Ablehnung durch die Frauenfigur oder in c122 die Flucht aus dem Dorf. <br />
Trotz der Verfolgungsabsichten der dörper, kommt es kaum zur konkreten Gewaltanwendung. Konkrete Gewalt ist höchstens in Trutzstrophen erkennbar, in denen Gewaltfantasien der dörper gegenüber dem Sänger ausgestaltet werden.


"hervorgehoben wird auch das rohe, plumpe Benehmen der dörper beim Tanz (WL 2,~.I; 33,IV), das bis zum Schlagen einer Frau (WL 7,IV )und frechen Übergriffen gehen kann." <ref> Schweikle 1990 S.81 </ref>
===== in Trutzstrophen =====


===== Verfolgen von Gewaltfantasien =====
Sowohl das Sänger-Ich als auch die dörper, bekommen in den Winterliedern die Möglichkeit, in bestimmten Strophen, Gewaltvorstellungen und Gewaltphantasien vorzubringen. Die perversen Vorstellungen des Sängers (z.B. Winterlied 10, Strophen VIa und VIb) treten häufig gegen Ende der Lieder auf. "Der Hass des Sängers gegen die dörper richtet sich vor allem auf das konkurrierende Liebeswerben und die sexuelle Annäherung an die von ihm Umworbene, auch auf die Beeinträchtigung des eigenen Singens." [Schulze 2018: 100] Schulze liefert hier eine schlüssige Erklärung für den ersten Teil von Leitfrage (3), weshalb der Sänger überhaupt Gewaltfantasien verfolgt. Durch die numerische Unterlegenheit bleibt dem Sänger möglicherweise auch nichts anderes übrig als die Ausübung von Gewaltfantasien, da er als Einzelperson kaum eine Chance zur Rache an den dörpern hat.
<br />
Die Gewaltfantasien der dörper hingegen werden als Trutzstrophen bezeichnet. "Die Trutzstrophen enthalten Antworten auf die Lieder und sind drohende, spöttische oder scheltende Retourkutschen, wobei der Sprecher meist einer der im Lied dargestellten und verspotteten oder bedrohten dörper ist." [Wachinger 1970: 99] Die letzten beiden Strophen des, bereits oben betrachteten, Winterlieds 27 dienen als exemplarisches Beispiel für zwei Trutzstrophen. <br />


Winterlied 1 -> dörper verschwören sich gegen einen dörper und verfolgen diesen
'''Winterlied 27'''


====== vom Sänger ausgehend ======
'''Strophe VIIb'''


Winterlied 10 -> Verfolgen von Gewaltfantasien
'''Vers 1-12'''
{|
|-
|Her Nithart, mugt irz lazen?|| Herr Neidhart, könnt ihr es sein lassen?
|-
|iu mac misselingen.|| Es wird euch misslingen.
|-
|nu habt ez uf die triuwe min.||  Nun schwört es auf meine Treue hin
|-
|und mag ich, ez muoz iu bi dem tanze werden leit!|| oder ich muss euch bei dem Tanze leid antun!
|-
|welt ir uf der strazen|| Wollt ihr euch auf der Straße
|-
|vil mit uns gedringen,|| viel mit uns streiten,
|-
|swie breit ab iuwer multer sin,|| wie breit muss dann euer Brustpanzer sein,
|-
|da gelpfe schinet under iuwer ringelehte pfeit,|| der unter eurem geringelten Kettenhemd glänzend strahlt.
|-
|und sult ir sin der tiuvel gar || Und ihr sollt gar der Teufel sein,
|-
|mit iuwerm glitzeden huote,|| mit eurem glitzernedem Hut,
|-
|zware ich mache in bluotes war|| wahrlich würde ich euch
|-
|mit minem swerte guote.|| mit meinem stattlichen Schwert blutig machen.
|-
|} <br />
Bei der Konzentration auf die vorletzte Strophe fallen einem, wie so oft, direkt die brutalen Gewaltvorstellungen und Bedrohungen gegenüber dem Sänger auf. Diese Androhungen sollen Wirklichkeit werden, sollte der Sänger sein Besingen und Begehren nicht unterlassen. Das Verfolgen des Sängers erfolgt hier auf einer anderen, eher, sprachlichen, Ebene. Dennoch wird auch durch Adeltir die angedrohte Verfolgung des Sängers deutlich gemacht. Die Trutzstrophen ähneln sich also meistens im Aufbau; die Hauptaspekte sind abartige Gewaltfantasien sowie Androhungen von Gewalt und Verfolgung. Dies zeigt sich beispielsweise auch "in zwei Trutzstrophen [...] in Winterlied 29. Hier droht Hildemar dem von Riuwental wegen der Verspottung seiner Haube mit handgreiflicher Rache." [Schulze 2018: 99] Drohungen, Gewaltfantasien, Hass auf das Singen des Reuentalers und Retourkutschen können also als konkrete Antworten für den zweiten Teil von Leitfrage (3) aufgefasst werden.


=== Vergleich Verfolgen in Sommer - und Winterliedern ===


Winterlied 27 strophe 6
Die Sommerlieder sind hauptsächlich vom Frauenerfolg des Sängers gekennzeichnet, wodurch das Motiv Folgens hier deutlich präsenter ist. Dennoch bildet vor allem Sommerlied 22 einen wichtigen Aspekt des Verfolgens ab. Gemeinsamkeiten zwischen Sommerlied 22 und den Winterliedern sind vor allem im Hinblick auf die dörper erkennbar. Es kommt zum Verfolgen einer Frau (Friderun), welche der Sänger auch begehrt, durch einen dörper (Engelmar). Die  Frau wird gewaltsam attackiert (möglicherweise vergewaltigt) und der Sänger schwingt sich aufgrund von erotischer Konkurrenz zum Verfolger des dörpers auf. All das sind Elemente, welche, so oder so ähnlich, in den Winterliedern immer wieder behandelt werden. Somit kann Sommerlied 22 als inhaltliche Ausnahme in den, eigentlich für den Sänger oft erfolgreichen und harmonischen, Sommerliedern gesehen werden. Ein weiterer wichtiger Zusammenhang zwischen Sommerlied 22 und den Winterliedern ist, dass in den Winterliedern immer wieder das Motiv des Spiegelraubs aufgegriffen wird. Geht man davon aus, dass diese Tat chronologisch vor den Winterliedern geschah, lassen sich durchaus Argumente finden, dass der Spiegelraub Ausgangspunkt für das gegenseitige Verfolgen ist. Und diese Tat den Sänger vor allem in seinen Gedanken verfolgt, da er immer wieder das Bedürfnis hat, diese in seinen Liedern aufzugreifen.<br />


"Mit der Ankündigung, Lanze dafür zur Rechenschaft ziehen zu wollen, enthüllt der Sänger schließlich das Konkurrenzverhältnis (Str.6): Der dörper beansprucht als seine Herrin just jene, um die der Sänger lange und beständig, aber vergeblich dient." <ref> Huebner, Neidhart S.52 </ref>
Unterschiede zwischen Sommerliedern und den Winterliedern sind aber auch erkennbar. Das Motiv des Verfolgens ist in den Winterliedern deutlich zentraler. Der Sänger wird zum Verfolgungsobjekt der dörper und beide Partien fantasieren in einzelnen Strophen über brutale Gewaltanwendungen gegenüber der Gegenseite. Ursache hierfür ist natürlich, dass die dörper in den Winterliedern deutlich häufiger auftreten. Dies führt im Umkehrschluss zur Konkurrenzsituation und bringt schlussendlich dauerhaften Misserfolg für den Sänger mit sich. All das löst im Großen und Ganzen die Verfolgung der Frauen, die Verfolgung des Sängers und die Verfolgung der Gegenseite in Gewaltfantasien aus.


== Fazit ==


Abschließend lässt sich festhalten, dass das Motiv des Folgens eher in den Sommerliedern und das Motiv des Verfolgens eher in den Winterliedern zentral ist. Die Motive des Folgens und des Verfolgens haben aber eine große Gemeinsamkeit - der Ausgangspunkt für beide Motive ist sowohl direkt als auch etwas indirekter die Präsenz von Frauen.<br />


====== von dörpern in Trutzstrophen ausgehend ======
Der Aspekt des Folgens von Frauen zieht sich wie ein roter Faden durch die Sommerlieder (Dialoglieder), und auch in den Winterliedern ist er präsent. Das Scheitern des Folgens, die Nachahmung des Verhaltens durch den Sänger und der dörper untereinander - all das steht in Verbindung mit der Präsenz, oft ungenannter, Frauenfiguren und der Konkurrenz der Männer um diese.<br />


abschließenden beiden Strophen=Trutzstrophen-> Verfolgen des Sängers zur Gewaltanwendung wird deutlich gemacht
Das Motiv des Verfolgens ist in den Sommerliedern weit weniger zentral, dennoch entwickelt sich auch in Sommerlied 22 eine Konkurrenzsituation um eine Frau, hier um Friderun. Vor allem in den Winterliedern ist das Verfolgen auf die Konkurrenz um die Bauernmädchen zurückzuführen, da der Sänger aufgrund dessen zum Verfolgten wird und beide Partien ihre Verfolgungsfantasien gegenüber der Gegenseite in brutalen Gedanken ausschmücken. <br />


===== Verfolgen von Gewalt vor den eigenen Augen =====
Ursache dafür, dass die Frauenfiguren so sehr im Mittelpunkt stehen, ist aber vor allem der Sänger. Denn die Konflikte in den Mutter-Tochter-Dialogen und den dörperkontroversen Liedern sind vor allem darauf zurückzuführen, dass der höfisch auftretende Sänger schlichtweg um die falschen Frauen wirbt. Dadurch zieht er die Wut der Mutter und der dörper auf sich, verführt in den Sommerliedern Frauen, welche an die wahre Liebe glauben und scheitert dauerhaft in den Winterliedern. Das wirft nun natürlich die Frage auf, ob der Sänger entweder im falschen Milieu, also auf dem Dorf, oder mit der falschen Vorgehensweise, also von höfischen Normen gekennzeichnet, um Frauen wirbt. Eine eindeutige Antwort lässt sich darauf nicht finden. Allerdings lässt sich festhalten, dass auch der Versuch, den dörpern in deren Vorgehensweise zu folgen, keinen Erfolg gebracht hat. Möglicherweise sind also beides Gründe und Auslöser für das Folge- und Verfolgungsverhalten in Neidharts Liedern.<br />


"Dass der Bauer Lanze dem Mädchen Schleier und Kranz herunterreißt, stellt für den Sänger eine verabscheuungswürdige Gewalttat dar, die allen höfischen Vorstellungen vom kultivierten Verhalten gegenüber Frauen widerspricht." <ref> Huebner, Neidhart S.51 </ref>
Folgst du schon deinem Lieblingssänger? Ein Satz, mit welchem man vor 10 Jahren wahrscheinlich noch auf großes Unverständnis gestoßen wäre, ist heute aus unserer Gesellschaft nicht mehr wegzudenken. Natürlich beziehe ich mich hier auf die Art des folgens (engl.following), welche sich aufgrund diverser Social-Media-Plattformen in unserer heutigen Gesellschaft festgesetzt hat und aus aktueller Sicht nicht mehr wegzudenken ist. Lassen sich bei Neidhart also Parallelen zur heutigen Zeit finden?<br />


Das oftmals naive Folgen in den Dialogliedern, lässt sich natürlich auch heute noch erkennen. Etwa bei unhinterfragten Idealisierungen bestimmter Personen und Idolen oder auch die oftmals bekannte Sturheit von Jugendlichen, die trotz rationaler Warnungen von Bezugsperson, ihren eigenen Weg verfolgen. Das Nachahmen von Verhaltensweisen, wie die dörper oder der Sänger es tun, ist natürlich eine sehr schöner Berührungspunkt mit der heutigen Gesellschaft. Es zeigt sich beim Nachahmen von Idolen, beim Folgen in den sozialen Medien oder beim Anpassen an aktuelle Trends oder Klamotten. Aber es ist auch beim Vergleich mit anderen, um künftigen Misserfolg oder Scham zu verhindern, bemerkbar.<br />


"Thematisch enthalten die Lieder neben den einleitenden Winterklagen Tanzaufforderungen und Liebessehnsucht des Sängers und v. a. Berichte über die dörper und ihr Treiben. Der Sanger kann dieses neutral beobachtend berichten, er kann allerdings auch als Rolle in das Liedgeschehen mit einbezogen sein, sei es, dass er wie die dörper sich um ein Mädchen bemüht (WL 9), sei es, dass er deren Feindseligkeit ausgesetzt ist." <ref> Schweikle 1990 S.81 </ref>
Die Verfolgung von Frauen, wie durch die dörper, ist auch heute noch ein zentraler Aspekt - sei es im Hinblick auf Vergewaltigung, Unterdrückung, Ausnutzung oder mangelnde Gleichberechtigung. Die Verfolgung des Sängers ähnelt in der heutigen Zeit dabei tendenziell dann eher dem Ausgrenzen und dem Verfolgen von Menschen, die nicht der breite Masse entsprechen oder ungewöhnliche Verhaltensweisen an den Tag legen. Den Punkt des Verfolgens auf heute zu übertragen fällt aber grundsätzlich deutlich schwerer, da es ein relativ offenes Thema darstellt und somit zu viele unterschiedliche Aspekte für den Transfer in den Fokus rücken würden, welche dann zu weit vom Thema entfernt sind. <br />


Dennoch zeigt sich, dass sowohl für das Folgen als auch für das Verfolgen ein passender Transfer auf die heutige Zeit möglich ist.


== Kommentar ==


Sänger beobachtet Gewalt von dörpern vom Weinfass aus


===== Sänger wird von dörpern verfolgt =====
"Riuwentaler", "Reuentaler" oder "der von Riuwental/Reuental" = der Sänger


WL 23 -> Willebort...verdrängen den Riuwentaler <ref> Müller S.433 </ref>
"lyrisches Ich" = der Sänger


c122 -> dörper verfolgen Sänger, wollen, dass er das Dorf verlässt ansonsten kommt es zur Gewalt...Grund: Sänger begehrt Frau eines Dörpers
"höfische'' maze''" = höfische Ordnung


Winterlied 27 -> Adeltir verfolgt Sänger, ....abschließenden beiden Strophen=Trutzstrophen-> Verfolgen des Sängers zur Gewaltanwendung wird deutlich gemacht
"''haz''" = feindselige Gesinnung


"Der Konkurrenz wegen passt im Winterlied 27, Strophe 3 dem Bauernburschen Adeltir der Gesang des Sängers nicht." <ref> Huebner, Neidhart S.51 </ref>
"''vrouwen''" = Frauen, Damen, Mädchen


"sei es, dass er deren Feindseligkeit ausgesetzt ist." <ref> Schweikle 1990 S.81 </ref>
"''sanc''" = Gesang, Minnesang


"ihre Streitigkeiten untereinander und insbesondere mit dem - meist unterliegenden - Sänger;" <ref> Schweikle 1990 S.81 </ref>
== Forschungsliteratur ==


'''Primärliteratur'''<br />


Bennewitz, Ingrid/ Müller, Ulrich/ Spechtler, Franz Victor (Hrsgg.): Neidhart-Lieder. Texte und Melodien sämtlicher Handschriften und Drucke. 3 Bde, Berlin/ New York 2007 (Salzburger Neidhart-Edition).<br />


:{|
'''Sekundärliteratur'''<br />
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|mir hat ein dörper widerseit|| Ein Dorfbewohner hat sich gegen mich gestellt,
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|umb anders niht wan umbe den minen üppeclichen sanc.|| wegen nichts anderem als meinem prächtigen Gesang.
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|derst geheizen Adeltir,|| Der wird Adeltir genannt
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|bürtic her von Ense,|| und ist geborgen in Ense;
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|zallen ziten drot er mir|| jederzeit droht er mir
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|als einer veizten gense.|| wie eine fette Gans.
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:{|
<ref> Neidhart, Winterlied 27, Strophe III Vers 7-12 </ref>


==== Vergleich Verfolgen in Sommer - und Winterliedern ====
[*Hübner 2008] Hübner, Gert: Minnesang im 13. Jahrhundert. Eine Einführung, Tübingen 2008.<br />


== Vergleich mit der heutigen Gesellschaft ==
[*Schweikle 1990] Schweikle, Günther: Neidhart. Stuttgart: Metzler 1990 (Sammlung Metzler 253).


=== Following in den sozialen Medien ===
[*Haufe 2003] Haufe, Hendrikje: Minne, Lärm und Gewalt. Zur Konstitution von Männlichkeit in Winterliedern Neidharts, in: Aventiuren des Geschlechts. Modelle von Männlichkeit in der Literatur des 13. Jahrhunderts, hg. v. Martin Baisch et al. Göttingen: V & R unipress 2003 (Aventiuren 1), S. 101-122.


=== Following in der realen Welt ===
[*Müller 1986] Müller, Jan-Dirk: Strukturen gegenhöfischer Welt. Höfisches und nicht-höfisches Sprechen bei Neidhart, in: Höfische Literatur und Hofgesellschaft. Höfische Lebensformen um 1200. Kolloquium am Zentrum für Interdisziplinäre Forschung der Universität Bielefeld (3. bis 5. November 1983), hg. von Gert Kaiser und Jan-Dirk Müller, Düsseldorf 1986 (Studia humaniora 6), S. 409-453.


=== Gemeinsamkeiten zu Neidhart ===
[*Ruh 1984] Ruh, Kurt: Neidharts Lieder. Eine Beschreibung des Typus, in: Kleine Schriften. 1. Dichtung des Hoch- und Spätmittelalters, 1984, S. 107-128.


=== Unterschiede zu Neidhart ===
[*Schulze 2018] Schulze, Ursula: Grundthemen der Lieder Neidharts, in: Neidhart und die Neidhart-Lieder. Ein Handbuch, hg. von Margarete Springeth und Franz Viktor Spechtler, Berlin/Boston 2018, S. 95–116.


== Fazit ==
[*Wachinger 1970] Wachinger, Burghart: Die sogenannten Trutzstrophen, in: Formen mittelalterlicher Literatur: Siegfried Beyschlag zu seinem 65.Geburtstag von Kollegen Freu, Tübingen 1970, S.99-108.

Aktuelle Version vom 26. April 2024, 14:21 Uhr

Der Begriff des "followings" ist heutzutage vor allem in Verbindung mit den sozialen Medien präsent, wodurch der Name des Seminars "Neidhart und seine Follower", auf welchem dieser Artikel basiert, stutzig macht. Ein Lyriker des Mittelalters in Verbindung mit dem uns heute bekannten, neumodischen, Begriff "Follower" - wie passt das zusammen?
Doch genau diese Fragestellung wird in diesem Artikel aufgegriffen. Denn die Motive Folgen und Verfolgen sind sehr zentral bei Neidhart und stehen dementsprechend im Mittelpunkt dieses Artikels. Beide Motive werfen mehrere verschiedene Leitfragen auf, welchen sich durch Auszügen aus Neidharts Sommer- und Winterliedern sowie passenden Forschungspositionen genähert wird. Es werden sowohl Ursachen und Gründe für das Folge - und Verfolgungsverhalten der im Fokus stehenden Akteure als auch Unterschiede, Gemeinsamkeiten oder Auffälligkeiten zwischen Sommer- und Winterliedern, im Hinblick auf die beiden Themenschwerpunkte, vorgestellt. Zu guter Letzt folgt ein umfassendes Fazit, in dem die erarbeiteten Themen noch einmal kurz zusammengefasst werden und ein Transfer der beiden Motive auf die heutige Zeit vollzogen wird.

Einführung Folgen

Definition

Jagt man das Verb folgen durch das Internet, werden einem direkt mehrere verschieden Vorschläge und Möglichkeiten zur Verwendung des Wortes geliefert. Wichtig für die Analyse werden hier vor allem die oftmals unmittelbaren Assoziationen mit dem Wort folgen sein. Diese sind:

(1) nachgehen oder nachkommen

(2) in der gleichen Weise oder ähnlich wie jemand handeln

(3) einer Aufforderung oder einem Rat entsprechend handeln respektive diesem gehorchen

[1]

Leitfragen für Analyse und Interpretation

Aus diesen Bedeutungsmöglichkeiten ergeben sich schlussendlich Fragestellungen, welche, basierend auf der Analyse ausgewählter Neidhart Lieder, betrachtet und beantwortet werden sollen:

(1) Warum folgen die Frauen in den Dialogliedern dem Sänger? Und folgen die Frauen dann dem falschen Mann?

(2) Die dörper - Wer sind die Verfolger des Sängers?

(3) Folgt der Sänger den falschen Frauen?

(4) Sind für das Motiv des Folgens Unterschiede zwischen Sommer- und Winterliedern erkennbar?

Folgen in Neidhart Liedern

Um den großen Überbegriff des Folgens, die damit verbundenen Bedeutungsmöglichkeiten sowie die erarbeiteten Fragestellungen zielführend zu behandeln, wird der große Überbegriff zunächst in zwei große Punkte, Folgen in Sommerliedern und Folgen in Winterliedern, aufgeteilt. Später folgt dann Verfolgen in Sommerliedern und Verfolgen in Winterliedern. Innerhalb dieser zwei Schwerpunkte werden die zentralen Aspekte des Folgens aufgearbeitet, wobei basierend auf Leitfrage (2) die dörper vorgestellt werden, um ein besseres Verständnis für diesen Personenverbund und die nachfolgenden Erläuterungen zu bekommen. Somit wird ein eigentlicher Punkt des Verfolgens aus Verständnisgründen vorgezogen.


Folgen in Sommerliedern

In vielen Sommerliedern, explizit in den Dialogliedern, wird der Sänger meist von jungen Mädchen umschwärmt; sie wollen ihm und seinem Gesang folgen. "Der Sänger wird zum Objekt des Begehrens, wobei sich bei den Frauen eine leichtgläubige Verführbarkeit offenbart." [Hübner 2008: 58f.] Die Dialoglieder bilden einen zentralen Teil der Neidhart'schen Sommerlieder. Neben der Fokussierung auf die Dialoglieder, ist zu beachten, dass Neidharts Lieder grundsätzlich durch einen Natureingang zu Beginn des Liedes gekennzeichnet sind. In den Sommerliedern wird dieser Natureingang im Hinblick auf das Motiv des Folgens interessant, denn der Sänger ruft zum Folgen in die angepriesene und blühende Natur auf.

Sowohl die Dialoglieder als auch der Natureingang sollen im Folgenden nun genauer beleuchtet werden.

Folgen in Dialogliedern

Die Dialoglieder lassen sich in Gespielinnen-Dialoge und Mutter-Tochter-Dialoge unterteilen, wobei in den Gespielinnen-Dialogen zwei Dorfmädchen miteinander in einen Dialog treten. Mutter-Tochter-Dialoge stellen hingegen eine Unterhaltung zwischen Mutter und Tochter dar, wobei die Mutter eine entgegengesetzte Position im Vergleich zu ihrer Tochter einnimmt. Eine der beiden Damen, meistens die Tochter, agiert in diesen oft naiv; Hintergrund ist die Verführung durch den Sänger. Die Mädchen glauben dabei an die echte, höfische Liebe. Sie verkennen jedoch, dass es sich hierbei nur um Verführung handelt. Dies liefert eine erste Antwort im Hinblick auf Leitfrage (1), warum die Frauen dem Sänger folgen.
Um eine Vorstellung der Dialoglieder zu bekommen, ist es wichtig den "gemeinsamen thematischen Vorstellungshintergrund beider Frauendialogliedtypen zu kennen. Hierbei handelt es sich um die Pastourellensituation (Begegnung von Ritter und Mädchen in freier Natur) mit zwei für Neidhart kennzeichnenden Besonderheiten: 1. der Umkehrung des Werbungsschemas: die Werbung geht von den weiblichen Figuren aus, 2. der subjektiven Perspektive: das Pastourellengeschehen ist nie objektiv erzählter Liedinhalt, sondern wird im Gespräch gespiegelt, teils erst als Wunsch oder Absichtserklärung." [Schweikle 1990: 72] Beide, für Neidhart, besonderen Kennzeichen spielen eine wichtige Rolle, um das Motiv des Folgens in den Dialogliedern zu verstehen. Die Verehrung einer Frau, wie es etwa im Minnesang oder auch in Neidharts Winterliedern zu finden ist, dreht sich hier - es ist das Bauernmädchen, welches dem Sänger nachfolgen will. Die eigentliche Aktion des Folgens findet in den Liedern jedoch noch gar nicht statt. Von den Bauernmädchen wird gegenüber ihrer Gesprächspartner allerdings der Wunsch oder die Absichtserklärung geäußert.

Mutter-Tochter-Dialoge

"Grundkonstellation in den Mutter-Tochter-Dialogen ist eine Auseinandersetzung zwischen einer tanz- und liebeslustigen Tochter und ihrer Mutter zur Zeit des nahenden Sommers und der beginnenden Tanzsaison mit ihren erotischen Gefährdungen. Sie warnt [...] eindringlich vor dem ritterlichen Favoriten der Tochter, dem "von Riuwental" und empfiehlt dagegen reiche und v.a sozial passende Partner." [Schweikle 1990: 74] Aus Sicht der Mutter folgt die Tochter also dem falschen Mann. Sie bevorzugt für ihre Tochter einen Mann aus demselben Stand und empfiehlt dem Bauernmädchen einen bäuerlichen Bewerber, also sozial passenden Partner, zu heiraten. Diesem Rat wird jedoch keine Folge geleistet - "die Warnung der Mutter wird in den Wind geschlagen. Diese Dialogform findet man in den folgenden Neidhart-Liedern: SL 2, 6-8 ,13 ,15-19, 21, 23, 24. Zu einem Rollenwechsel, bei dem die Mutter die Funktion der Tochter übernimmt, kommt es in den Sommerliedern 1, 3, 9." [Ruh 1984: 112]

Neben den Befürchtungen der Mutter, die Tochter folge dem "Falschen", versucht die Mutter das Vorhaben "der Tochter, an der Tanzsaison mit erotischen Gefährdungen teilzunehmen, durch Verbote, Bitten [...] und Warnungen zu verhindern. Oder auch vorhersehbaren üblen Folgen durch Ratschläge vorzubeugen. Dabei verweist sie ganz besonders auf konkrete Folgen" [Schweikle 1990: 74] des Folgens. Die Mutter will dabei die naiv erscheinenden Absichten ihrer Tochter verhindern; dies bleibt jedoch erfolglos. Die Tochter folgt schlussendlich scheinbar lieber dem Ruf des Reuentalers als dem Rat ihrer Mutter. Es kommt zum "zornigen Zurückweisen der Lehren, dem Bestehen auf dem ritterlichen Favoriten und der Ablehnung des der Mutter genehmen Bewerbers." [Schweikle 1990: 75] Dieses Verhalten zeigt sich beispielsweise sehr schön in Sommerlied 18, Strophe IV. Das Bauernmädchen beharrt auf ihren Absichten, wodurch sich dann sowohl in Strophe IV als auch in Strophe V ein Resignationsverhalten der Mutter erkennen lässt. All ihre Verbote, Bitten, Ratschläge und Warnungen, stoßen bei ihrer Tochter auf taube Ohren.

Sommerlied 18

Strophe IV

Vers 1-7

Mittelhochdeutscher Text Neuhochdeutsche Übersetzung
Der muoter der wart leit, Der Mutter war es leid,
daz diu tohter niht enhorte, daz si ir vor geseit; dass die Tochter nicht gehorchte, was sie ihr zuvor gesagt hatte.
iz sprach diu stolze meit: Da sagte das übermütige Mädchen:
"ich han im gelobt: des hat er mine sicherheit. "Ich habe es ihm versprochen: deshalb hat er mein Treuegelöbnis.
waz verliuse ich da mit miner eren? Warum sollte ich denn damit meine Ehre verlieren?
jane wil ich nimmer widerkeren, Jawohl, ich will nicht wieder zurückkehren,
er muoz mich sine geile sprünge leren." er wird mir seine glücklichen Sprünge beibringen."

Folgen, vor welchen die Mutter warnt, wären beispielsweise eine ungewollte Schwangerschaft oder auch die Gewaltanwendung durch den Sängers. Die Tochter ignoriert diese Warnungen aber oder nimmt sie lediglich unhinterfragt zur Kenntnis. Dies zeigt sich exemplarisch in der fünften Strophe des Sommerlieds 18, in welchem die Folgen einer Partnerschaft mit dem Sänger relativ deutlich auf den Punkt gebracht werden (Vers 5-7).

SL 18

Strophe V

Vers 1-7

Diu muoter sprach: "wol hin! Die Mutter sprach: "So geh!
verstu übel oder wol, sich, daz ist din gewin: dir wird es wohl oder übel so ergehen, schau, aber das ist dann dein Glück:
du hast niht guoten sin. du hast keine gute Einschätzungsgabe.
wil du mit im gein Riuwental, da bringet er dich hin: Willst du mit ihm ins "Reuetal" gehen, dann bringt er dich dorthin:
also kan sin treiros dich verkoufen. So kann er dein Tanz für sich verkaufen.
er beginnt dich slahen, stozen, roufen Er beginnt dich zu schlagen, zu schubsen, zu verprügeln
und müezen doch zwo wiegen bi dir loufen." und es werden dann zwei Wiegen bei dir laufen.


In Sommerlied 18, Strophe II, Vers 3-6 "beeindruckt selbst die mütterliche Warnung vor den Verführungsabsichten des Reuentalers, der im letzten Sommer erst ein Mädchen geschwängert habe, die Tochter nicht."[Hübner 2008: 58]

SL 18

Strophe II

Ver 1-7

Diu muoter rief ir nach; Die Mutter rief ihr nach,
si sprach: "tohter, volge mir, niht la dir wesen gach! sie sprach: "Tochter, folge meinem Ratschlag, handle nicht voreilig!
weistu, wie geschach Weißt du doch,
diner spilen Jiuten vert, alsam ir eide jach? wie es deiner Freundin Jiuten und ihrer Mutter letztes Jahr erging?
der wuohs von sinem reien uf ir wempel, Ihr wuchs der Bauch aufgrund seines Tanzes
und gewan ein kint, daz hiez si lempel: und sie bekam ein Kind, dass sie Lempel nannte:
also lerte er si den gimpelgempel." also lehrte er sie den seinen Tanz.


Die mütterlichen Warnungen, welche sogar anhand eines ihres bekannten Vorfalls ausgeführt werden, werden zurückgewiesen. Der Sänger hatte ihr zuvor neue rote Schuhe geschenkt, wodurch der Eindruck entsteht, dass dem naiven Bauernmädchen durch einfache Verführungen und Geschenke der Kopf verdreht wird - das Folgen wird nicht mehr hinterfragt. Und wie sich in SL 18, Strophe III, Vers 7 zeigt: Die Tochter folgt dem Rat ihrer Mutter auf keinen Fall.

SL 18

Strophe III

Vers 1-7

"Muoter, lat iz sin! Mutter, lass es sein!
er sante mir ein rosenschapel, daz het liehten schin, Er schickte mir einen Rosenkranz, der zauberte einen leichten Glanz
uf daz huobet min, auf meinen Kopf,
und zwene roten golzen brahte er her mir über Rin: und zwei rote Eisenhosen brachte er mir mit über den Rhein:
die trag ich noch hiwer an minem beine. die trage ich noch heute an meinen Beinen.
des er mich bat, daz weiz ich niewan eine. Was er mich bat, dass kennt kein anderer.
ja volge ich iuwer raete harte kleine." Ja, deshalb folge ich eurem Rate auf keinen Fall."

"Doch selbst die alte Bäuerin bleibt in Neidharts Liedern nicht immer die kluge Figur. [...] Einige Texte, Sommerlied 1, 3 und 9, verkehren die Rollen so, dass die Mutter zum Gegenstand des Spotts wird: Als <geile Alte> will sie, von der Minne betört, zum Tanz",[Hübner 2008: 58f.] um dem Gesang des Reuentalers zu folgen. In Sommerlied 1 ist es nun wiederum die Tochter, welche versucht, die Mutter vom Folgen abzuhalten.
Sommerlied 1
Strophe I
Ein altiu diu begunde springen Eine Alte sprang los,
hôhe alsam ein kitze enbor: si wolde bluomen bringen. wie ein Zicklein hoch enmpor: sie wollte Blumen bringen.
"tohter, reich mir mîn gewant: "Tochter, reich mir mein Gewand:
ich muoz an eines knappen hant, ich muss an eines jungen Ritters Hand,
der ist von Riuwental genant. der nach dem Reuental benannt ist
Strophe II
"Muoter, ir hüetet iuwer sinne! "Mutter, achtet auf eure Sinne!
erst ein knappe sô gemuot, er pfliget niht staeter minne." Der Ritter wird dran denken, euch Treue in der Liebe zu pflegen."
"tohter, lâ mich âne nôt! "Tochter, lass mich mich in Ruhe!
ich weiz wol, waz er mir enbôt. Ich weiß wohl, was er mir versprochen hat.
nâch sîner minne bin ich tôt. Durch die Sehnsucht nach seiner Liebe sterbe ich.
traranuretun traranuriruntundeie." Traranuretun traranuriruntundeie."
Strophe III
Dô sprach's ein alte in ir geile: Da rief sie fröhlich zu einer anderen Alten:
"trûtgespil, wol dan mit mir! ja ergât ez uns ze heile. "Freundin, los, dahin mit mir! Uns wird es glücklich ergehen.
wir suln beid nâch bluomen gân. Wir sollen beide nach Blumen gehen.
war umbe solte ich hie bestân, Warum sollte ich hier bestehen bleiben,
sît ich sô vil geverten hân? seit ich so viel Gefährtinnen habe?
traranuretun traranuriruntundeie." Traranuretun traranuriruntundeie."


Der Wunsch dem Reuentaler zu Folgen respektive der Versuch den jeweilig anderen davon abzuhalten, lässt sich folglich also sowohl auf die Mutter als auch auf die Tochter projizieren. Die Tochter ist jedoch weitaus häufiger das "Opfer" der sängerischen Verführungen. Auffällig ist jedoch, dass das blinde Folgen des Minnesangs oft kaum mehr zu verhindern ist; die Tochter, beziehungsweise die Mutter, agieren töricht und naiv. Da in den Mutter-Tochter-Dialogliedern entweder die Mutter oder in wenigen Fällen die Tochter das Vorhaben, dem Sänger zu folgen, verhindern wollen und dabei sogar sinnvolle und verständliche Warnungen aufbringen, lässt sich durchaus eine Antwort auf Leitfrage (1) finden. Neben den intensiven Warnungen und dem törichten Verhalten der Frauen sind auch die Risiken des Folgens, etwa in SL 18, Strophe V, Vers 5-7 nicht von der Hand zu weisen. All diese Argumente lassen den Schluss zu, dass die vom Sänger, erkaufte, erzwungene und höfisch vorgespielte, Liebe doch nur Verführung ist. Somit kann man festhalten, dass die Frauen durchaus dem "falschen" Mann folgen, welcher die Schwächen der Frauen ausnutzt.

Gespielinnen-Dialoge

Die Gespielinnen-Dialoge "kreisen wie die Mutter-Tochter-Gespräche um Tanz- und Liebesverlangen",[Schweikle 1990: 76] wobei hier zwei Dorfmädchen in einen Dialog treten. Im Mittelpunkt steht erneut die Ablehnung ständisch passender Bewerber (SL 25, III-V), wobei der Sänger als höfischer Bewerber in den Mittelpunkt rückt. So werden "dessen höfisches Benehmen, sein Gesang, Tanz usw. gepriesen." [Schweikle 1990: 76] Ähnlich wie in den Mutter-Tochter-Dialogen, folgen in den Gespielinnen-Dialogen die Bauernmädchen eher den Vorzügen des Reuentalers, anstatt sich auf einen Liebespartner desselben Standes einzulassen. Dadurch nimmt das Motiv des Folgens wieder eine zentrale Rolle ein, denn die Bauernmädchen wollen aufgrund der Verführungen des Reuentalers diesem folgen - die Verführungen werden jedoch naiverweise erneut nicht hinterfragt, sondern lösen ein "blindes Nachfolgen" aus. Diese Gründe für das Folgen der Frauen, im Hinblick auf Leitfrage (1), lassen erneut lässt den Schluss zu, dass die Damen dem "Falschen" folgen wollen. Erneut sind falsche Verführungen und höfisches Auftreten des Sängers Gründe für die Folgeabsichten.

Aufforderung zum Folgen und Tanzen in der Natur

Freuden, wie die Ankunft des Frühlings oder die Schönheit der Natur, sind oft maßgeblicher Anlass zum Tanz in der Natur. Denn "auch der Tanz spielt eine bedeutsame Rolle in Neidharts Liedern. Insbesondere in den Sommerliedern ist er ein Hauptanliegen der Mädchen, oft der Vorwand, mit dem "ritter" oder "knappen" "von Riuwental" in Kontakt zu kommen." [Schweikle 1990: 112] Das Tanzen an sich ist eng mit dem Thema des Folgens konnotiert, da das Nachfolgen oder gemeinsame "Strömen" zum Tanz zentral in den Sommerliedern ist. Oft steht bei Neidhart der Tanz "reien" im Mittelpunkt, heutzutage besser bekannt unter dem Name Reigen. Der Reigen bezeichnet Tänze, welche "von mehreren sich einheitlich bewegenden Tänzern gemeinsam geschritten oder gesprungen werden" [2] Die bildliche Vorstellung diese Tanzes löst unmittelbar eine Verbindung zur Folge-Mentalität bei Neidhart aus. Es wird zunächst ein Tanzpartner gesucht, wobei beim anschließenden Tanz dann den Bewegungen des Tanzpartners oder der anderen Tänzer gefolgt wird. Durch Aufforderungen des Sängers, an die Mädchen, ihm zum Maitanz unter den Linden zu folgen, wie etwa in SL 14, erhalten die Themen Natureingang und Tanz eine enge Verknüpfung, wodurch beide Themen ein Folge-Verhalten bei den bäuerlichen Damen auslösen.

Folgen in Winterliedern

In den Winterliedern spielt eher das Motiv des Verfolgens eine bedeutendere Rolle, worauf im Verlauf des Artikels noch verstärkt eingegangen wird. Dennoch lassen sich wichtige Merkmale der Neidhart'schen Winterlieder in Verbindung mit dem Folgen analysieren. Auch die Winterlieder sind durchgehend von einem Natureingang gekennzeichnet, wobei dieser eher von Klagen über den vergangenen Sommer und Konflikten des Sängers mit den dörpern handelt. Die Winterlieder 1-10 müssen jedoch etwas unabhängig betrachtet werden, da sich das lyrische Ich hier nicht im Gegensatz zu seinen Widersachern befindet.

Die "dörper" - Wer sind Verfolger des Sängers?

Die vorgezogene Leitfrage (3) wirft erstmal die Frage auf, wer die dörper überhaupt sind. Die dörper treten zwar vereinzelt auch in den Sommerliedern auf, jedoch werden sie in den Winterliedern zu den Konkurrenten des Sängers um "die Gunst der Umworbenen und sind deshalb steter Anlass seines Leids." [Hübner 2008: 51f.] Die dörper kennzeichnet arrogantes und selbstbewusstes Auftreten, welches durch ihren Prunk mit Waffen und Kleidern unterstützt wird. Es kommt oftmals zu Streitigkeiten mit dem Sänger, aber auch untereinander. Wichtig für das Verständnis ist hierbei, das es sich bei den dörpern um Dorfbewohner handelt, wobei die vom Sänger umworbenen Frauen, Bauernmädchen sind. Das "Beuteschema" das Reuentaler wechselt im Vergleich zu den Sommerliedern also nicht, die dörper werden aber zu Konkurrenten des Sänger "weil die Umworbene eben eine der ihnen ist, ein Bauernmädchen." [Hübner 2008: 51f.]

dörperkonforme Lieder (WL 1-10)

"Der Sänger versucht sich - als Rollenfigur des Armen, aber sich höfisch Benehmenden aus Riuwental (WL 5,VI; 9,VII)- ins dörpertreiben einzureihen, ruft zu Tanz und anderen Winterfreuden (Schlittenfahrt, WL3) auf, trifft Tanzanordnungen (WL 4,II,III), beobachtet die Gruppierungen und nimmt selbst teil." [Schweikle 1990: 82] Dadurch entsteht fast der Eindruck, als könnte man die Winterlieder 1-10 thematisch sogar eher den Sommerliedern zuordnen. Denn bis auf die winterlichen Klagen, steht der Sänger im Einklang mit den dörperlichen Verhaltensweisen - "die dörper sind noch nicht zum 'Feindbild' typisiert." [Ruh 1984: 123] Für das Motiv des Folgens sind WL 1-10 insofern interessant, dass der Sänger den dörpern nicht eins zu eins identisch folgt. Er versucht sich allerdings einzuordnen, in dem er zum sozialen Treiben beiträgt. Dieser Versuch des Einordnens kann sehr gut als eine etwas abgeschwächte Form des Folgens betrachtet werden.

Sänger folgt dörpern im Verhalten

In den restlichen Winterliedern, den sogenannten dörperkontroversen Liedern, ist der Sänger vom vom dörpertreiben ausgeschlossen. Der im Gegensatz zu den dörpern stehende Sänger verfolgt das Ziel, die Gunst der bäuerlichen Schönheiten zu gewinnen - im Vergleich zu den Sommerliedern gehen die Folgeabsichten nun aber nicht mehr unmittelbar von der Damenwelt aus. Aufgrund der Konkurrenzsituation durch die dörper, und deren Gewalt und Lärm, scheitert der Sänger Winterlied um Winterlied. Um diesem Scheitern entgegenzuwirken, versucht der Sänger den dörpern hin und wieder auch im Verhalten zu folgen. "Denn er agiert entweder nach dem Unterwerfungsmuster der höfischen Liebe (was auch auf dem Dorf nicht zum gewünschten Erfolg führt) oder nach dem Handgreiflichkeitsmuster der Bauern (was sein eigenes Verhalten unhöfisch macht). [Hübner 2008: 54] Der Sänger reiht sich also in die Verhaltensweisen seiner Konkurrenten ein und missachtet dabei teilweise sogar seine höfischen Verhaltensweisen. Jedoch stellt sich auch dadurch nicht der gewünschte Erfolg ein. Ursache für dieses, dem Sänger eigentlich fremde Verhalten, ist das Scheitern seiner Annäherungsversuche und der dadurch entstehende Misserfolg im Werben um diverse Bauernmädchen. Das Folgen des Sängers erscheint aus diesem Blickwinkel fast wie ein letzter, verzweifelter Versuch endlich erfolgreich zu sein, auch wenn dies bedeutet seine eigenen Werte und Normen nicht mehr einzuhalten.

Folgen der "vrouwen"

Das gescheiterte Folgen einer Frau zieht sich für den Sänger wie ein roter Faden durch die Neidhart'schen Winterlieder, wobei die Konkurrenzsituation als auch der Misserfolg bei den Frauen, den Sänger zum Verzweifeln bringen. Passende Beispiele hierfür sind etwa Winterlied 24 und Winterlied 27.

Winterlied 24

Strophe II

Vers 1-6

Alsô hât diu vrouwe mîn daz herze mir betwungen, Meine Herrin hat mir so sehr das Herz gebrochen,
daz ich âne vröude muoz verswenden mîne tage. dass ich meine Tage freudlos verbringen muss.
ez vervaehet niht swaz ich ir lange hân gesungen. Es nützte nichts, dass ich sie so lange besungen habe.
mir ist alsô maere daz ich mêre stille dage. Mir ist es deshalb eine Lehre, sodass ich künftig verstumme.
ich geloube niht des daz sî mannen immer werde holt. Ich glaube nicht, dass sie jemals an anderen Männer wieder Gefallen finden wird.
wir verlisen, swaz wir dar gesingen unde gerûnen, ich und jener Hildebolt. Es war umsonst, was wir ihr gesungen und geflüstert haben, ich und jener Hildebolt.


In Winterlied 24, Strophe II wird das Leid und die Melancholie des gescheiterten Sängers sehr gut erkennbar. Sein Aufwand, sein Gesang und seine Bereitschaft "seiner Herrin" zu folgen, bleiben schlussendlich erfolglos. "Die Umworbene belohnt den Sänger nicht dafür, dass er ihr mit seinen Liedern dient." [Hübner 2008: 51] Der Grund hierfür wird im Anschluss vor allem in Strophe III des Winterlieds 24 deutlich, in der er von seinem Widersacher Willeger berichtet wird, welcher beim Tanz nicht von der Seite einer Frau zu drängen gewesen war. "Der dörper beansprucht also als seine Herrin just jene, um die der Sänger lange und beständig, aber vergeblich dient." [Hübner 2008: 52] Die Enttäuschung über das gescheiterte Folgen in Winterlied 24 stellt aber keinen Einzelfall dar - nein, die Freudlosigkeit des Sängers, bedingt durch den Winter und die Ablehnung der Frauen, steht auch in vielen anderen Winterliedern im Mittelpunkt (vgl. WL 13, Strophe I-II)

Winterlied 27

Strophe I

Vers 1-12

Mirst von herzen leide, Mir ist von Herzen Leid,
daz der küele winder dass der kalte Winter
verderbet schoener bluomen vil: viele schöne Blumen verdirbt:
so verderbet mich ein senelichiu arebeit. ebenso wie der Liebesdienst mich zu Nichte macht.
dise sorge beide Diese zwei Sorgen
dringent mich hin hinder bringen mich hin und wieder
ze ende an miner vreuden zil. ans Ende meiner Zuversicht.
owe, daz diu guote mit ir willen daz vertreit, Oh weh, dass die Schöne mit ihrem Willen das verträgt,
sit si wol geringen mac weil sie alle meine Schmerzen
alle mine swaere! gewiss verringern kann!
hei, gelebte ich noch den tac, Ach, erlebe ich noch den Tag
daz si gnaedic waere! an dem sie mir gnädig wird!


Auch Winterlied 27, Strophe I ist vom Leid des Sänger gekennzeichnet. Erneut war sein Werben erfolglos; es bleibt nur sein Hoffen darauf eines Tages die Wertschätzung und Zuneigung einer besungenen Dame zu bekommen. Das Leid des Sängers zeigt sich in den Eingängen der Winterliedern immer etwas unterschiedlich, die Enttäuschung und die Freudlosigkeit bleiben jedoch meist identisch und geht auf das gescheiterte Folgen zurück. Doch was sind eigentlich die konkreten Ursachen dieses Scheiterns? Wichtig festzuhalten wäre zunächst vor allem, dass sie die Ursachen vielschichtig sind. Das in den Sommerliedern, durch die Warnungen der Mutter, bereits angerissene Problem einer Ehe von Personen aus unterschiedlichen Ständen, spielt auch in den Winterliedern eine wichtige Rolle. Dies wird auch in WL 27, Strophe VII deutlich. "Denn da der Bauernbursche und das Bauernmädchen durchaus denselben sozialen Rang haben, wirft das indirekt die Frage auf, ob das Mädchen denn überhaupt ein passendes Werbungsobjekt für den Sänger darstellt." [Hübner 2008: 52f.] Basierend auf Hübners Ansatz lässt sich, ähnlich wie Leitfrage (1) auch Leitfrage (3) durchaus bejahend bewerten. Denn der Sänger tritt in den dörperkontroversen als höfischer Werber auf, jedoch stoßen sowohl seine Verhaltensweisen als auch der Minnesang bei den Damen auf kein großes Interesse. Die dörper treten im Umgang mit anderen Frauen zwar ab und an grob auf - die Grundlage des gemeinsamen Standes setzt sich beim Tanz allerdings schlussendlich mit Erfolg durch. In den Winterliedern werden die genauen Verführungstechniken des Reuentalers nicht weiter ausgeführt, die Bauernmädchen agieren hier scheinbar aber weniger naiv. Im Vergleich mit den Sommerliedern folgen sie also nicht blind einem fremden, verführenden Sänger, welcher sie womöglich schlecht behandelt und einen schlechten Ruf im Hinblick auf die Ehe mit Frauen hat. Eventuell löst aber auch das Vorhandensein einer großen dörperlichen Konkurrenz die Ablehnung der Frauen aus.

Neben der Feststellung, dass der Sänger in seinen Winterliedern eher die falschen Frauen begehrt, ist auch der Lärm der dörper eine wichtige Ursache, welche das Folgen des Sängers erschwert oder zunichte macht. "Die Position des singenden Ichs wird von den Konkurrenten besetzt, ihr Lärm und das vom Sanger-Ich beschriebene laute Auftreten beim Tanz und im Umgang miteinander übertönen den werbenden sanc, seine Stimme dringt nicht zur begehrten Frauenfigur durch." [Haufe 2003: 112f.] Dieser Umstand ist für den Sänger natürlich umso enttäuschender. Denn der Reuentaler definiert sich über seinen Gesang und ist auch stark überzeugt davon, mit diesem Erfolg zu zu haben. Jedoch bekommt er diese Chance in vielen Situationen gar nicht, da sein Gesang durch die dörper übertönt wird. Zudem drohen sie ihm mit gewalttätigen Konsequenzen, falls er selbst nicht verstummt.

Vergleich Folgen in Sommer- und Winterliedern

Der Vergleich zwischen Sommer- und Winterliedern basiert auf Leitfrage (4) und es kann bereits eines vorweggenommen werden - es gibt deutliche Unterschiede im Hinblick auf das Motiv des Folgens. Gemeinsamkeiten in Sommer- und Winterliedern sind allerdings insofern erkennbar, dass der Sänger in beiden Liedformen mit höfischen Verhaltensweisen und Verführungen auftritt. Der wichtigste Unterschied ist nun aber der Wechsel des Sängers vom Umworbenen in den Sommerliedern zum scheiternden "follower" in den Winterliedern. Während sich der Sänger das naive Folgen der Bauernmädchen, oder der Mutter des Bauernmädchens, in den Dialogliedern noch zu Nutze macht, enden seine Folge-Absichten in den dörperkontroversen Winterliedern oft enttäuschend und freudlos. Ursache für diese Entwicklung könnte vor allem die stärkere Präsenz der dörper in den Winterliedern sein. Durch die entstehende Konkurrenzsituation und den Lärm der dörper, welcher den Gesang des Sängers unterbinden, wirkt der Sänger zunehmend isoliert. Dies wird in den Winterliedern dadurch verstärkt, dass die Bauernmädchen sich für Männer aus demselben, also dem bäuerlichen, Stand entscheiden. In den Winterliedern entsteht so fast das Gefühl, dass die dörper und die Bauernmädchen beim Tanz ihre Liebeslust einfach unter sich ausleben wollen, dabei jedoch vom höfischen Minnewerber aus Reuental gestört werden. Dieser kann oder will dann nicht einsehen, dass sein Bemühungen keinen Erfolg mit sich bringen werden. Die Konsequenz aus diesem sturen Verhalten des Sängers ist die Verfolgung durch die dörper, auf welche nun im zweiten großen Abschnitt der Fokus gelegt wird.

Einführung Verfolgen

Definition

Im Vergleich zum Folgen besitzt der Begriff des Verfolgens zwar ähnliche aber doch andere Bedeutungsunterscheidungen. Für die Analyse sind vor allem die vier folgenden Bedeutungsmöglichkeiten relevant:

(1) durch Hinterhergehen zu erreichen suchen; nachgehen; folgen

(2) jemanden bedrängen, jemandes Freiheit einengen

(3) gegen jemanden, etwas vorgehen

(4) etwas aufmerksam beobachten

[3]

Leitfragen für Analyse und Interpretation

Durch den Fokus auf diese vier Bedeutungsunterscheidungen, lassen sich für die Analyse die folgenden zentralen Fragestellungen ableiten:

(1) Warum verfolgen die dörper Frauen gewalttätig?

(2) Aus welchen Gründen verfolgen die dörper den Sänger?

(3) Weshalb verfolgen der Sänger und die dörper Gewaltfantasien?

(4) Sind für das Motiv des Verfolgens Unterschiede zwischen Sommer-und Winterliedern erkennbar?

Verfolgen in Neidhart Liedern

Durch den Erfolg des Sängers und dem Folgen der Frauen in den Sommerliedern, ist das Motiv des Verfolgens in den Sommerliedern deutlich weniger präsent. Dadurch entsteht vor allem ein gezielter Fokus auf die Winterlieder. Dennoch ist durch das Motiv des Spiegelraubs auch eine Auseinandersetzung mit den Sommerliedern essenziell.

Verfolgen in Sommerliedern

Denn das wohl bekannteste Neidhart Motiv, nämlich der Spiegelraub, wird in einem Sommerlied, und zwar in Sommerlied 22 am ausführlichsten beschrieben. Der Spiegelraub, welcher sich beim Tanz zuträgt und im Nachgang immer wieder in verschiedenen Liedern aufgegriffen wird, kann in die Kategorie des Verfolgens eingeordnet werden. Während der Sänger verhindert ist, entwendet der dörper Engelmar Friderun, welche vom lyrischen Ich umworben wird, ihren Spiegel und zerbricht ihn. "Das Friderun zugefügte Leid scheint eine Vergewaltigung zu meinen. Der Sänger hält sich als Rächer bereit und die gewaltsame Tat hat all seine Freude zerstört." [Schulze 2018: 103]

Sommerlied 22

Strophe IV

Vers 2-8

wir sulnz ûf dem anger wol wikîsen. Lasst uns auf der Wiese schön tanzen.
Vriderûn als ein tocke Friederun tanzte wie eine Puppe
spranc in ir reidem rocke in ihrem gefälteten Rock,
bî der schar: vor der Schar.
des nam anderthalben Dies beobachtete Engelmar von der anderen Seite
Engelmâr vil tougen war. ganz heimlich.

Strophe VI

Vers 4-8

wie sol ich gebâren? Wie soll ich mich verhalten?
mirst an Engelmâren Engelmar ist mir
ungemach, ungemach,
daz er Vriderûnen da er Friederun
ir spiegel von der sîten brach. ihren Spiegel von der Hüfte riss und brach.


In diesem Lied ist das Motiv des Verfolgens vielschichtig zu beobachten. Engelmar verfolgt Friderun beim Tanz heimlich (mit den Augen) und es kommt zur Verfolgung von Gewalt. Die gewalttätige Verfolgung ist hier der Spiegelraub, welcher im übertragenen Sinn eine Vergewaltigung meinen könnte. Frideruns Freiheit wird durch das Verhalten von Engelmar stark eingeengt und bedrängt, ähnlich wie es Definition (2) angibt. Der Sänger als bereitstehender Rächer, so Schulzes Charakterisierung, verstärkt die Verfolgungs-Motivik in diesem Lied umso mehr, da der Reuentaler nun eine Art Verfolger-Rolle des Täters einnimmt und seine Racheabsichten versucht im Anschluss zu verfolgen. Es ist möglich, dass Sommerlied 22 chronologisch der erste Bericht von dieser Tat ist, historisch ist dies jedoch nicht sicher nachweisbar. Durch verschiedene Anspielungen in der Folge wäre dies aber möglich - das Motiv kommt in fast 15 überlieferten Liedern vor. Möglicherweise entstand durch den Spiegelraub die Abneigung und der Hass zwischen dörpern und Sänger; der Spiegelraub könnte also auch Auslöser für das Verfolgungsverhalten in den Winterliedern sein.

Verfolgen in Winterliedern

Die Winterlieder sind die wichtigste Grundlage für die Untersuchung des Verfolgungsaspekts, da trotz einiger dörperkonformer Lieder (WL 1-10), ein Großteil der Winterlieder "dörperkontroverse Lieder sind, in welchen der Sanger vom dörpertreiben ausgeschlossen ist (sog. Friederun-Lieder). Sie sind bestimmt von der satirisch überzeichneten Beschreibung der die höfische maze (Ordnung) missachtenden dörper, die den nach höfischen Normen sich benehmenden Sänger vom Tanzplatz und bei den Mädchen zu verdrängen suchen." [Schweikle 1990: 83] Dadurch entsteht eine Art Verfolgungssituation. Diese Verfolgungssituation führt soweit, dass der Sänger zum Vertriebenen wird, beispielsweise in Winterlied 23, oder auch in Winterlied 24, Strophe VIII von seiner Flucht nach Österreich berichtet.

Verfolgen von Frauen

Die Verfolgung des Sängers durch die dörper im Zusammenhang mit dem bäuerlichen Tanz, ist der zentralste Unterpunkt des Verfolgens. Um diesen richtig aufzuarbeiten, ist vor allem eine Beschäftigung mit der konkreten Ursache wichtig. Neben der Gewalt gegenüber des Sängers, versuchen die dörper im Wesentlichen durch ihre Verhaltensweisen, etwa durch Lärm, die Bauernmädchen davon abzuhalten, dem Sänger zu folgen. Da die dörper die Bauernmädchen als eine von ihnen ansehen, bekommt man das Gefühl, dass sie mit allen Mitteln diese geschlossene Situation der Partnersuche bewahren wollen und dadurch auch zu rabiaten Verhaltensweisen greifen.

von den dörpern ausgehend

Vor allem das gewalttätige Verhalten der dörper ist dem Sänger ein Dorn im Auge, welches durch "rohes, plumpes Benehmen beim Tanz gekennzeichnet ist (WL 2), das aber auch bis zum Schlagen einer Frau (WL 7,IV) und frechen Übergriffen gehen kann." [Schweikle 1990: 81] Schwer zu deuten ist die Brisanz dieser Gewalt - ist das die normale, schroffe Verhaltensart der dörper, welche im Ernstfall sogar Verhüllungen von sexueller Gewalt sind? Oder wird das Benehmen der dörper vom Sänger, aufgrund seiner Misserfolge und Entrüstung über deren unhöfisches Verhalten, überspitzt dargestellt? Wahrscheinlich lassen sich für beide Interpretationen Argumente finden, eine eindeutige Entscheidung fällt aber, wie erwähnt, schwer. Neben konkreten Berichten des Verfolgungsverhaltens durch die dörper, wird ab Winterlied 14 auch immer wieder der Spiegelraub an Friderun aufgegriffen und als schwere Untat eingeordnet. Diese Art der "Frauenverfolgung" hat für den Sänger scheinbar eine enorme Bedeutung, könnte jedoch auch dazu benutzt werden, um die Gewalt der dörper nochmals zu unterstreichen. Ein Akt des Verfolgens und der Bedrängung durch die dörper lässt sich exemplarisch in Winterlied 27 erkennen.

Winterlied 27

Strophe IV

Vers 8-12

Lanze der beswaeret ein vil stolzez magedin: Lanze bedrängte ein sehr stattliches Mädchen:
eine kleine risen guot eine kleines feines Band
zarte er ab ir houbet, zerrte er ihr vom Kopf,
dar zuo einen bluomenhuot: und gab ihr dafür einen Blumenkranz.
wer het im daz erloubet? Wer hat ihm das erlaubt?


Das Bedrängen der Dame durch Lanze wird in Vers 8 relativ deutlich, wobei es "immer schnell handgreiflich zugeht, und die Bezeichnungen der Handgreiflichkeiten klingen oft - wie hier das Herunterreißen von Schleier und Blumenkränzlein - nach verhüllenden Ausdrücken für sexuelle Gewalt."[Hübner 2008: 52] Im Hinblick auf Leitfrage (1) ist das Verhalten der dörper hauptsächlich auf die Konkurrenzsituation, die grundlegende Bereitschaft Gewalt anzuwenden sowie ein starkes sexuelles Bedürfnis zurückzuführen, welches durch die möglichen sexuell verhüllenden Ausdrücke bekräftigt wird. Dieses gewalttätige Auftreten widerspricht dem Reuentaler, und wird dadurch verstärkt, dass solch ein Vorgehen gegenüber Frauen, im Gegensatz zu seinen höfischen Vorstellungen steht. Das Verhalten der dörper löst im Sänger zweierlei Reaktionen aus: zum einen kündigt er in Winterlied 27, Strophe 6 an, dass er Lanze für diese Tat zu Rechenschaft ziehen will. Grund hierfür ist die erotische Konkurrenzsituation. Zum anderen knüpft es daran an, weshalb der Sänger teilweise auch zum Verfolger der Frauen wird.

vom Sänger ausgehend

Wie im Abschnitt "Sänger folgt dörpern im Verhalten" beschrieben, adaptiert der Sänger ab und an die rabiaten Verhaltensweisen der dörper gegenüber Frauen. Dies widerspricht vollkommen den eigentlichen Ansichten des Sängers, da dies seine Kritik an den dörpern unecht wirken lässt. Diese "Frauenverfolgung" durch den Sänger wirkt wie ein verzweifelter Akt um die Gunst der Frauen. Es wird versucht die dörper mit ihren eigenen Mitteln als Konkurrenten zu verdrängen, dabei vergisst der Sänger jedoch, dass dies sein eigenes Verhalten unhöfisch macht.

Verfolgen von Gewalt vor den eigenen Augen

In den Winterliedern hat man oft das Gefühl, dass der Sänger eher als neutraler Außenstehender oder Ausgegrenzter von den dörpern berichtet. Dabei wird, wie zum Beispiel in Winterlied 27, das Verfolgen der Frauen durch die dörper geschildert oder auch der ihm entgegengebrachte Hass seiner Konkurrenten. Durch das aggressive und gewalttätige Grundverhalten, ist der, das dörper-Treiben, beobachtende Sänger, oft auch in der Lage als Unbeteiligter die Gewalt der dörper untereinander zu beobachten. Ein schönes Beispiel liefert hier Winterlied 24, wo der Sänger, versteckt im Weinfass, die Auseinandersetzung der dörper beobachtet.

Winterlied 24

Strophe Va

Vers 5-6

sie stritten mit einander einen ganczen summer langen tag. Sie stritten miteinander den ganzen langen Sommertag.
das ir geläße sahe herre Neithart, do er in dem vas bey dem wein lag. Herr Neidhart sah ihr Verhalten, da er im Weinfass lag.

Winterlied 24

Strophe VI

Vers 1-2

Sagte ich nû diu maere wie siz mit ein ander schuofen, Soll ich nun die Geschichte erzählen, wie sie miteinander kämpften,
des enweiz ich niht: ich schiet von danne sâ zehant. so weiß ich das nicht: Ich machte mich sehr schnell davon.


Auch Winterlied 3 eignet sich als Beispiel, "bei der mehrere dörper einen anderen mit einem Dreschflegel und einer Reute attackieren und Ruprecht Eppe ein Ei, das der Auslöser für den Streit ist, an die Glatze wirft." [Schulze 2018: 100]
Durch diese, oft satirischen, Berichte wird einem die dörper-Gewalt bildlich vor Augen geführt. Außerdem wird die Ausgrenzung des Sängers deutlich, welcher in die internen Streitigkeiten nicht involviert ist. Den Streitigkeiten fällt er aber dennoch zum Opfer und wird daher zum Verfolgten.

Sänger wird von dörpern verfolgt

Die Konkurrenzsituation beim Tanz ist der konkrete Auslöser, durch die die dörper zum Verfolger des Sängers werden. Konfliktpotenzial liefert hier überwiegend das Vorgehen des "Minnesängers. Denn er wirbt auf dem Dorf um die Mädchen, als ob sie adelige Damen wären." [Hübner 2008: 52] Das höfische Auftreten und Werben des Reuentalers, in einem eigentlich den Dorfbewohner vorbehaltenem, geschlossenen Milieu der Partnersuche, missfällt den dörpern. Für Leitfrage (2) lässt sich allgemein festhalten, dass "erotische Konkurrenz meist der Auslöser" [Müller 1986: 433] der Gewalt ist und somit Anlass für die Verfolgung des Sängers wird.
Um eine Vorstellung des Verfolgens zu bekommen, eignet sich exemplarisch Winterlied 27.

Winterlied 27

Strophe III

Vers 3-12

so twinget mich ein ander leit, so bedrängt mich noch ein anderer Schmerz,
daz vor allem leide mich so sere nie betwanc, der mich vor all dem Leid noch nie so sehr bedrängte,
swiech dar umbe lache obgleich ich lache
und gebare blide: und mich heiter benehme:
mir hat ein dörper widerseit Ein Dorfbewohner hat sich gegen mich gestellt,
umb anders niht wan umbe den minen üppeclichen sanc. wegen nichts anderem als meinem prächtigen Gesang.
derst geheizen Adeltir, Der wird Adeltir genannt
bürtic her von Ense, und ist geborgen in Ense;
zallen ziten drot er mir jederzeit droht er mir
als einer veizten gense. wie eine fette Gans.


Das Verfolgen der dörper löst im Reuentaler grundsätzlich Leid und Unbehagen aus - wie so oft versuchen die dörper das Sänger-Ich zum Verstummen zu bringen. Sein Gesang ist Teil des Frauenwerbens, wobei sich in diesem Fall Adeltir gegen den Sänger stellt. Das Verfolgungsverhalten ist geprägt von Einschüchterungen, Drohungen(Vers 11) oder allgemeinen Bedrängungen des Sänger-Ichs. Der Grund des Verfolgens wird in Strophe VI klar. Adeltir erhebt Anspruch auf die Frau, welche der Sänger umworben hatte. An diesem Beispiel zeigt sich, dass die erotische Konkurrenz um dieselbe Frau, Ursache der Drohungen ist. Zur Gewaltanwendung gegenüber dem Sänger kommt es zwar nicht. Allerdings werden sich in den sogenannten Trutzstrophen konkrete Gewaltfantasien ausgemalt, um den Sänger zum Verstummen zu bringen. Das Verfolgen in Gewaltfantasien ist dementsprechend grundlegend Teil der Verfolgungs-Motivik.
Die tatsächliche Verfolgung des Sänger-Ichs ist dennoch in vielen Winterliedern zu beobachten. So berichtet er sowohl in Winterlied 23 als auch in Winterlied 24, dass er von den dörpern in eine andere Stadt verdrängt wurde. Grundlegend dafür sind vor allem die geäußerten Drohungen der dörper, welche aber auch vom Sänger getätigt werden. Diese Drohungen lösen oftmals eine Fluchtreaktion beim Sänger aus, so auch in Lied c122 zu beobachten. Nachdem der Sänger die Frau eines dörpers besungen und begehrt hatte, wollen die dörper, dass er das Dorf unverzüglich verlässt. Die Androhung ihn sonst umzubringen, ist Anlass zur Flucht des Sprechers, wobei er hier dann einen Bekannten um Rat und Hilfe bittet.
Der letzte wichtige Aspekt des Verfolgens, welcher das Fluchtverhalten des Sängers nachvollziehbarer macht, ist die numerische Überlegenheit der dörper. Das Sänger-Ich wird häufig von "mehreren dörpern bedroht und angegriffen."[Haufe 2003: 115] Vor allem in Winterlied 13 wird diese Form der Oppositionsbildung klar.

Winterlied 13

Strophe III

Vers 1-9

Engelwan und Uoze Engelwan und Uoze,
die zwene sint mir gehaz die zwei verabscheue ich.
(schaden unde nides muoz ich mich von in versehen) (Vor ihrem Schaden und ihrer feindseligen Gesinnung muss ich mich vorsehen.)
und der geile Ruoze: Und der übermütige Ruoze:
wie tiuwer er sich vermaz, wie teuer er sich im ungehörigem Maße gab,
der bestüende mich durch si! die drie widerwehen forderte mich wegen ihr heraus! Die drei Widersacher
ratent unde brüevent, daz ich ane lon belibe. berieten und prüften, sodass ich ohne Lohn zurück bleibe.
niht envolge ir lere, vrouwe, liebist aller wibe! Folge nicht ihren Worten, Herrin, Schönste aller Frauen.
lone miner jare; laz in leit an mir geschehen! Belohne mich für die Jahre; lass mir kein Leid geschehen!


Engelmar, sowie die drei dörper in Strophe III, "wollen den Sänger am weiteren Minnedienst hindern", [Haufe 2003: 115] wobei sie schon zuvor die begehrte Frau zur Ablehnung des Sängers gedrängt hatten. Das Verfolgen durch die dörper "ist geprägt von haz (WL 13, III, 2), der Sänger erwartet Schaden und eine feindselige Gesinnung (WL 13, III, 3). Die vier Gegenspieler "bilden eine gegen das Sänger-Ich in Opposition stehende Kongruenzgemeinschaft, welche als Widersacher (WL 13, III, 6) auf die Frauenfigur einwirken und gar auf das Versagen von Lohn drängen." [Haufe 2003: 115] Dies will der Sänger in den abschließenden Versen acht und neun mit einer Aufforderung verhindern. Es zeigt sich, dass das Verfolgen, neben der konkreten Gewaltandrohung, weitere negative Nebenwirkungen für den Reuentaler mit sich bringt. Dies wäre hier etwa die Ablehnung durch die Frauenfigur oder in c122 die Flucht aus dem Dorf.
Trotz der Verfolgungsabsichten der dörper, kommt es kaum zur konkreten Gewaltanwendung. Konkrete Gewalt ist höchstens in Trutzstrophen erkennbar, in denen Gewaltfantasien der dörper gegenüber dem Sänger ausgestaltet werden.

in Trutzstrophen

Sowohl das Sänger-Ich als auch die dörper, bekommen in den Winterliedern die Möglichkeit, in bestimmten Strophen, Gewaltvorstellungen und Gewaltphantasien vorzubringen. Die perversen Vorstellungen des Sängers (z.B. Winterlied 10, Strophen VIa und VIb) treten häufig gegen Ende der Lieder auf. "Der Hass des Sängers gegen die dörper richtet sich vor allem auf das konkurrierende Liebeswerben und die sexuelle Annäherung an die von ihm Umworbene, auch auf die Beeinträchtigung des eigenen Singens." [Schulze 2018: 100] Schulze liefert hier eine schlüssige Erklärung für den ersten Teil von Leitfrage (3), weshalb der Sänger überhaupt Gewaltfantasien verfolgt. Durch die numerische Unterlegenheit bleibt dem Sänger möglicherweise auch nichts anderes übrig als die Ausübung von Gewaltfantasien, da er als Einzelperson kaum eine Chance zur Rache an den dörpern hat.
Die Gewaltfantasien der dörper hingegen werden als Trutzstrophen bezeichnet. "Die Trutzstrophen enthalten Antworten auf die Lieder und sind drohende, spöttische oder scheltende Retourkutschen, wobei der Sprecher meist einer der im Lied dargestellten und verspotteten oder bedrohten dörper ist." [Wachinger 1970: 99] Die letzten beiden Strophen des, bereits oben betrachteten, Winterlieds 27 dienen als exemplarisches Beispiel für zwei Trutzstrophen.

Winterlied 27

Strophe VIIb

Vers 1-12

Her Nithart, mugt irz lazen? Herr Neidhart, könnt ihr es sein lassen?
iu mac misselingen. Es wird euch misslingen.
nu habt ez uf die triuwe min. Nun schwört es auf meine Treue hin
und mag ich, ez muoz iu bi dem tanze werden leit! oder ich muss euch bei dem Tanze leid antun!
welt ir uf der strazen Wollt ihr euch auf der Straße
vil mit uns gedringen, viel mit uns streiten,
swie breit ab iuwer multer sin, wie breit muss dann euer Brustpanzer sein,
da gelpfe schinet under iuwer ringelehte pfeit, der unter eurem geringelten Kettenhemd glänzend strahlt.
und sult ir sin der tiuvel gar Und ihr sollt gar der Teufel sein,
mit iuwerm glitzeden huote, mit eurem glitzernedem Hut,
zware ich mache in bluotes war wahrlich würde ich euch
mit minem swerte guote. mit meinem stattlichen Schwert blutig machen.


Bei der Konzentration auf die vorletzte Strophe fallen einem, wie so oft, direkt die brutalen Gewaltvorstellungen und Bedrohungen gegenüber dem Sänger auf. Diese Androhungen sollen Wirklichkeit werden, sollte der Sänger sein Besingen und Begehren nicht unterlassen. Das Verfolgen des Sängers erfolgt hier auf einer anderen, eher, sprachlichen, Ebene. Dennoch wird auch durch Adeltir die angedrohte Verfolgung des Sängers deutlich gemacht. Die Trutzstrophen ähneln sich also meistens im Aufbau; die Hauptaspekte sind abartige Gewaltfantasien sowie Androhungen von Gewalt und Verfolgung. Dies zeigt sich beispielsweise auch "in zwei Trutzstrophen [...] in Winterlied 29. Hier droht Hildemar dem von Riuwental wegen der Verspottung seiner Haube mit handgreiflicher Rache." [Schulze 2018: 99] Drohungen, Gewaltfantasien, Hass auf das Singen des Reuentalers und Retourkutschen können also als konkrete Antworten für den zweiten Teil von Leitfrage (3) aufgefasst werden.

Vergleich Verfolgen in Sommer - und Winterliedern

Die Sommerlieder sind hauptsächlich vom Frauenerfolg des Sängers gekennzeichnet, wodurch das Motiv Folgens hier deutlich präsenter ist. Dennoch bildet vor allem Sommerlied 22 einen wichtigen Aspekt des Verfolgens ab. Gemeinsamkeiten zwischen Sommerlied 22 und den Winterliedern sind vor allem im Hinblick auf die dörper erkennbar. Es kommt zum Verfolgen einer Frau (Friderun), welche der Sänger auch begehrt, durch einen dörper (Engelmar). Die Frau wird gewaltsam attackiert (möglicherweise vergewaltigt) und der Sänger schwingt sich aufgrund von erotischer Konkurrenz zum Verfolger des dörpers auf. All das sind Elemente, welche, so oder so ähnlich, in den Winterliedern immer wieder behandelt werden. Somit kann Sommerlied 22 als inhaltliche Ausnahme in den, eigentlich für den Sänger oft erfolgreichen und harmonischen, Sommerliedern gesehen werden. Ein weiterer wichtiger Zusammenhang zwischen Sommerlied 22 und den Winterliedern ist, dass in den Winterliedern immer wieder das Motiv des Spiegelraubs aufgegriffen wird. Geht man davon aus, dass diese Tat chronologisch vor den Winterliedern geschah, lassen sich durchaus Argumente finden, dass der Spiegelraub Ausgangspunkt für das gegenseitige Verfolgen ist. Und diese Tat den Sänger vor allem in seinen Gedanken verfolgt, da er immer wieder das Bedürfnis hat, diese in seinen Liedern aufzugreifen.

Unterschiede zwischen Sommerliedern und den Winterliedern sind aber auch erkennbar. Das Motiv des Verfolgens ist in den Winterliedern deutlich zentraler. Der Sänger wird zum Verfolgungsobjekt der dörper und beide Partien fantasieren in einzelnen Strophen über brutale Gewaltanwendungen gegenüber der Gegenseite. Ursache hierfür ist natürlich, dass die dörper in den Winterliedern deutlich häufiger auftreten. Dies führt im Umkehrschluss zur Konkurrenzsituation und bringt schlussendlich dauerhaften Misserfolg für den Sänger mit sich. All das löst im Großen und Ganzen die Verfolgung der Frauen, die Verfolgung des Sängers und die Verfolgung der Gegenseite in Gewaltfantasien aus.

Fazit

Abschließend lässt sich festhalten, dass das Motiv des Folgens eher in den Sommerliedern und das Motiv des Verfolgens eher in den Winterliedern zentral ist. Die Motive des Folgens und des Verfolgens haben aber eine große Gemeinsamkeit - der Ausgangspunkt für beide Motive ist sowohl direkt als auch etwas indirekter die Präsenz von Frauen.

Der Aspekt des Folgens von Frauen zieht sich wie ein roter Faden durch die Sommerlieder (Dialoglieder), und auch in den Winterliedern ist er präsent. Das Scheitern des Folgens, die Nachahmung des Verhaltens durch den Sänger und der dörper untereinander - all das steht in Verbindung mit der Präsenz, oft ungenannter, Frauenfiguren und der Konkurrenz der Männer um diese.

Das Motiv des Verfolgens ist in den Sommerliedern weit weniger zentral, dennoch entwickelt sich auch in Sommerlied 22 eine Konkurrenzsituation um eine Frau, hier um Friderun. Vor allem in den Winterliedern ist das Verfolgen auf die Konkurrenz um die Bauernmädchen zurückzuführen, da der Sänger aufgrund dessen zum Verfolgten wird und beide Partien ihre Verfolgungsfantasien gegenüber der Gegenseite in brutalen Gedanken ausschmücken.

Ursache dafür, dass die Frauenfiguren so sehr im Mittelpunkt stehen, ist aber vor allem der Sänger. Denn die Konflikte in den Mutter-Tochter-Dialogen und den dörperkontroversen Liedern sind vor allem darauf zurückzuführen, dass der höfisch auftretende Sänger schlichtweg um die falschen Frauen wirbt. Dadurch zieht er die Wut der Mutter und der dörper auf sich, verführt in den Sommerliedern Frauen, welche an die wahre Liebe glauben und scheitert dauerhaft in den Winterliedern. Das wirft nun natürlich die Frage auf, ob der Sänger entweder im falschen Milieu, also auf dem Dorf, oder mit der falschen Vorgehensweise, also von höfischen Normen gekennzeichnet, um Frauen wirbt. Eine eindeutige Antwort lässt sich darauf nicht finden. Allerdings lässt sich festhalten, dass auch der Versuch, den dörpern in deren Vorgehensweise zu folgen, keinen Erfolg gebracht hat. Möglicherweise sind also beides Gründe und Auslöser für das Folge- und Verfolgungsverhalten in Neidharts Liedern.

Folgst du schon deinem Lieblingssänger? Ein Satz, mit welchem man vor 10 Jahren wahrscheinlich noch auf großes Unverständnis gestoßen wäre, ist heute aus unserer Gesellschaft nicht mehr wegzudenken. Natürlich beziehe ich mich hier auf die Art des folgens (engl.following), welche sich aufgrund diverser Social-Media-Plattformen in unserer heutigen Gesellschaft festgesetzt hat und aus aktueller Sicht nicht mehr wegzudenken ist. Lassen sich bei Neidhart also Parallelen zur heutigen Zeit finden?

Das oftmals naive Folgen in den Dialogliedern, lässt sich natürlich auch heute noch erkennen. Etwa bei unhinterfragten Idealisierungen bestimmter Personen und Idolen oder auch die oftmals bekannte Sturheit von Jugendlichen, die trotz rationaler Warnungen von Bezugsperson, ihren eigenen Weg verfolgen. Das Nachahmen von Verhaltensweisen, wie die dörper oder der Sänger es tun, ist natürlich eine sehr schöner Berührungspunkt mit der heutigen Gesellschaft. Es zeigt sich beim Nachahmen von Idolen, beim Folgen in den sozialen Medien oder beim Anpassen an aktuelle Trends oder Klamotten. Aber es ist auch beim Vergleich mit anderen, um künftigen Misserfolg oder Scham zu verhindern, bemerkbar.

Die Verfolgung von Frauen, wie durch die dörper, ist auch heute noch ein zentraler Aspekt - sei es im Hinblick auf Vergewaltigung, Unterdrückung, Ausnutzung oder mangelnde Gleichberechtigung. Die Verfolgung des Sängers ähnelt in der heutigen Zeit dabei tendenziell dann eher dem Ausgrenzen und dem Verfolgen von Menschen, die nicht der breite Masse entsprechen oder ungewöhnliche Verhaltensweisen an den Tag legen. Den Punkt des Verfolgens auf heute zu übertragen fällt aber grundsätzlich deutlich schwerer, da es ein relativ offenes Thema darstellt und somit zu viele unterschiedliche Aspekte für den Transfer in den Fokus rücken würden, welche dann zu weit vom Thema entfernt sind.

Dennoch zeigt sich, dass sowohl für das Folgen als auch für das Verfolgen ein passender Transfer auf die heutige Zeit möglich ist.

Kommentar

"Riuwentaler", "Reuentaler" oder "der von Riuwental/Reuental" = der Sänger

"lyrisches Ich" = der Sänger

"höfische maze" = höfische Ordnung

"haz" = feindselige Gesinnung

"vrouwen" = Frauen, Damen, Mädchen

"sanc" = Gesang, Minnesang

Forschungsliteratur

Primärliteratur

Bennewitz, Ingrid/ Müller, Ulrich/ Spechtler, Franz Victor (Hrsgg.): Neidhart-Lieder. Texte und Melodien sämtlicher Handschriften und Drucke. 3 Bde, Berlin/ New York 2007 (Salzburger Neidhart-Edition).

Sekundärliteratur

[*Hübner 2008] Hübner, Gert: Minnesang im 13. Jahrhundert. Eine Einführung, Tübingen 2008.

[*Schweikle 1990] Schweikle, Günther: Neidhart. Stuttgart: Metzler 1990 (Sammlung Metzler 253).

[*Haufe 2003] Haufe, Hendrikje: Minne, Lärm und Gewalt. Zur Konstitution von Männlichkeit in Winterliedern Neidharts, in: Aventiuren des Geschlechts. Modelle von Männlichkeit in der Literatur des 13. Jahrhunderts, hg. v. Martin Baisch et al. Göttingen: V & R unipress 2003 (Aventiuren 1), S. 101-122.

[*Müller 1986] Müller, Jan-Dirk: Strukturen gegenhöfischer Welt. Höfisches und nicht-höfisches Sprechen bei Neidhart, in: Höfische Literatur und Hofgesellschaft. Höfische Lebensformen um 1200. Kolloquium am Zentrum für Interdisziplinäre Forschung der Universität Bielefeld (3. bis 5. November 1983), hg. von Gert Kaiser und Jan-Dirk Müller, Düsseldorf 1986 (Studia humaniora 6), S. 409-453.

[*Ruh 1984] Ruh, Kurt: Neidharts Lieder. Eine Beschreibung des Typus, in: Kleine Schriften. 1. Dichtung des Hoch- und Spätmittelalters, 1984, S. 107-128.

[*Schulze 2018] Schulze, Ursula: Grundthemen der Lieder Neidharts, in: Neidhart und die Neidhart-Lieder. Ein Handbuch, hg. von Margarete Springeth und Franz Viktor Spechtler, Berlin/Boston 2018, S. 95–116.

[*Wachinger 1970] Wachinger, Burghart: Die sogenannten Trutzstrophen, in: Formen mittelalterlicher Literatur: Siegfried Beyschlag zu seinem 65.Geburtstag von Kollegen Freu, Tübingen 1970, S.99-108.