Mutter-Tochter-Dialoge am Beispiel von Sommerlied 18 (Neidhart)

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„Uns wil ein sumer komen“,/ sprach ein magt: „jâ hân ich den von Riuwental vernomen.“ - Bereits die zwei Eingangsverse des Sommerlieds 18 verweisen auf einen Grundtypus des Neidhartschen Sommerprogramms: Das Dialoglied. In der mediävistischen Forschung als formale und inhaltliche Neuschöpfung Neidharts aufgefasst, lassen sich die Gesprächsszenen in Mutter-Tochter-, Gespielinnen- sowie einzelne Sänger-Mädchen-Dialoge gliedern, wobei nach Dialogpartner*innen und thematischen Aspekten unterschieden wird. [Schweikle 1990: 72] Im Zuge dieses Artikels sollen die Mutter-Tochter-Dialoge am Beispiel von Sommerlied 18 näher untersucht werden.

Der erste Teil behandelt zunächst den Typus der Frauen-Dialoglieder, wobei der thematische Hintergrund, die Sprecherrollen sowie formale Aspekte in den Fokus rücken. Anschließend wird der Hauptschwerpunkt dieses Artikels betrachtet, eine spezifische Gesprächskonstellation des Liedtypus, welche einen Dialog zwischen Mutter und Tochter darstellt. Hierbei soll die Typisierung der Rollenfiguren erläutert werden sowie Themen und Aspekte des Œuvre Neidharts, welche für den erforschten Dialogtypus von Relevanz sind.

Aufbauend auf dem theoretischen Teil des Artikels, wird anschließend das Sommerlied 18 untersucht. Die Grundlage hierfür bildet eine Übersetzung mit Kommentarteil, woraufhin eine formale Analyse des Liedes erfolgt. Der anschließende Schritt befasst sich mit einer Interpretation der Gesprächsszene, wobei folgenden Fragestellungen nachgegangen werden soll: Welche Rolle nehmen die muoter und tohter im Sommerlied 18 ein und inwieweit bricht Neidhart mit klassischen Minnesangkonventionen? Welche dominanten Themen und Motive des Neidhartschen Œuvres sind in der Gesprächsszene enthalten? In welchen Aspekten wird das Element des Spottens aufgegriffen und wer wird in diesem Lied der Lächerlichkeit preisgegeben? Der letzte Punkt des Artikels verweist abschließend auf weitere Mutter-Tochter-Dialoge sowie auf eine Sonderform des Typus, das sogenannte Altenlied.

Frauen-Dialoglieder

Besonders die Frauen-Dialoglieder, die Mutter-Tochter- und die Gespielinnen-Gespräche, sind charakteristisch für das Œuvre Neidharts. Sie weisen Elemente traditioneller Frauenlieder des hohen Minnesangs auf, in welchen die Dame den Geliebten begehrt und ihr Liebesverlangen sowie ihre Sehnsüchte offen kommuniziert. [Schweikle 1990: 72] Ein wesentliches Merkmal der Lieder Neidharts ist der Bruch mit höfischen Minnesangkonventionen, sowohl auf formaler als auch auf inhaltlicher Ebene. So merkt Hübner an, dass „[d]ie traditionellen Muster des Minnesangs […] auf den falschen Gegenstand und den falschen gesellschaftlichen Raum bezogen [werden]“. [Hübner 2008: 54] Ebenso wie ein Großteil der Lieder Neidharts Szenen des Dorflebens illustriert, stammen auch die Dialogpartnerinnen aus dem bäuerlichen Milieu. Neidhart setzt somit adlige Liebesideale in einen bäuerlichen, dörflichen Kontext - „eine neue Variante des höfischen Liebeslieds“. [Hübner 2008: 45]

Thematischer Hintergrund

Die sogenannte Pastourellensituation, das Zusammentreffen von Ritter und Dorfmädchen in einer Naturszenerie, stellt den thematischen Hintergrund der Frauen-Dialoglieder dar. Dabei ist für die Neidhartschen Sommerlieder charakteristisch, dass eine „Umkehrung des Werbungsschemas“ [Schweikle 1990: 72] eintritt, indem die Initiative von der weiblichen Figur ergriffen wird. Aber auch das subjektive Nacherzählen der Begegnung in Dialogform ist ein Merkmal Neidharts Lieder. Dabei kann die Begegnung mit dem Ritter in Verbindung mit Wünschen, Absichten oder gar Geständnissen geäußert werden. [Schweikle 1990: 72] Das Liebesziel stimmt mit dem fiktiven Schauplatz der Sommerlieder überein: Es ist der von Riuwental, der hier begehrt wird. Je nach Liedgattung und Szenerie variiert die Bezeichnung des Reuentalers – vom Heimatort des Sänger-Ichs, welcher bestimmte Konnotationen mit sich bringt, zum Personennamen „eines zwar als höfisch, aber armselig charakterisierten Ritters“. [Schweikle 1990: 71] Lediglich in den Frauen-Dialogliedern, welche Elemente der Pastourelle aufweisen, wie etwa die Figur des Ritters oder den Naturbezug, bezeichnet Riuwental stets eine Rollenfigur, einen ritter (z. Bsp. SL 17, 26) oder knappen (z. Bsp. SL 1,2), welcher Gesprächsgegenstand und Objekt des Begehrens der Dialogpartnerinnen ist. [Schweikle 1990: 52; 54]

Ein Beispiel hierfür sind die Frauen-Dialoglieder SL 14 und SL 23[1], in welchen namentlich auf den Geliebten, das fiktive Sänger-Ich der Sommerlieder, referiert wird:

Gespielinnen-Gesprächslied SL 14 (VII):

Mittelhochdeutsch Neuhochdeutsch
"Den si alle nennent „Den sie alle nennen
von Riuwental den von Reuental
und sînen sanc erkennent und dessen Gesang sie kennen
wol über al, wohl überall,
derst mir holt. mit guote ich im des lône: der ist mir gewogen. Mit Wohlwollen lohne ich es ihm:
durch sînen willen schône Schön um seinetwillen
sô wil ich brîsen mînen lip. wol dan, man liutet nône!" will ich meinen Körper kleiden und schnüren. Nun los, man läutet Mittag!"

Mutter-Tochter-Gesprächslied SL 23 (IX):

Mittelhochdeutsch Neuhochdeutsch
"Muoter mîn, ir lâzet iuwer bâgen! „Meine Mutter, unterlass doch dein Schimpfen!
ich wil mîne vriunde durch in wâgen, Ich will mein Glück für ihn aufs Spiel setzen,
den ich mînen willen nie verhal. dem ich meine Absicht nie verschwieg.
über al Überall
müezen sîn die liute werden inne: sollen es die Leute erfahren:
mîn muot der strebt gein Riuwental." mein Verlangen strebt nach Reuental."

Diese Grundkonstellation wird in den Frauen-Dialogliedern immer wieder aufgegriffen: Ein Mädchen aus dem bäuerlichen Milieu setzt – entgegen allen gesellschaftlichen Standesnormen – ihre Hoffnung in eine Ehe mit von Riuwental. [Hübner 2008: 58]

Dialogpartnerinnen

Während bei den Mutter-Tochter-Gesprächsszenen eine Unterhaltung zwischen einem Bauernmädchen und ihrer Mutter geführt wird, tauschen sich bei den Gespielinnen-Dialogen zwei Dorfmädchen „auf der Ebene gleicher Interessen“ [Schweikle 1990: 76] untereinander aus. Gerade in den früher entstandenen Mutter-Tochter-Gesprächsliedern sind die Dialogpartnerinnen namenlos und werden beispielsweise als muoter, eide, tochter, kint, maget oder frouwe typisiert. Hingegen ist das Ziel des Begehrens, in den meisten Fällen das Sänger-Ich von Riuwental, bereits zu Beginn namentlich ausgewiesen. Die Vergabe von Namen ist erst ab Sommerlied 10 erkennbar, jedoch hauptsächlich in den Gespielinnen-Gesprächsliedern, in welchen die Freundinnen sich namentlich ansprechen oder auf andere gespilen referieren. Ab Sommerlied 24 tragen auch die Sprecherinnen Namen. [Schweikle 1990: 73]

Formale Aspekte

Die reine Dialogform tritt vorranging bei den Mutter-Tochter-Gesprächsliedern auf, wobei das Sänger-Ich in vereinzelten Liedern vollkommen verstummt. [Plotke 2010: 27] Die Gesprächspartnerinnen können dabei im alternierenden Wechsel zu Wort kommen, aber auch Halbstrophen und freiere Formen sind im Neidhartschen Œuvre vorzufinden. Bereits zu Beginn ist innerhalb der Frauen-Dialoglieder eine Vielzahl von formalen Erweiterungen erkennbar. Diese umfassen unter anderem das gattungstypische Element des sommerlichen Natureingangs, welches von einer Gesprächspartnerin vorgetragen wird, aber auch Inquitformeln – beispielsweise „sprach ein magt“ (vgl. Stilistische Besonderheiten) – sowie Zwischen- oder Schlussbemerkungen und Erzähleinschübe des lyrischen Ichs sind in den Dialogliedern vorzufinden. Zudem kann das Sänger-Ich als Rollenfigur auftreten, wie etwa als Geliebter des Dorfmädchens. Dabei können die Dialogtypen nicht immer strikt differenziert werden, da auch Kombinationsformen sowie Einschübe von Monolog- und Trutzstrophen vorherrschen. [Schweikle 1990: 73f.] Bei den Mutter-Tochter-Gesprächsliedern ist der Dialog selten abgeschlossen, sodass eine Fortsetzung durch weitere Strophen denkbar wäre. [Schweikle 1990: 75]

Mutter-Tochter-Dialoge

Grundkonstellation: Verstand vs. Gefühl

„[D]ie Konfliktkonstellation Mutter (Verstand) – Tochter (Gefühl)“ [Schulze 1991: 139 f.] stellt die Ausgangssituation des Dialogtypus dar und ist bereits bei Vorgängern Neidharts, wie etwa bei Dietmar von Eist, präsent. [Schulze 1991: 140] Die Tochter ist in den Gesprächsszenen als „tanz- und liebeslustig[]“ [Schweikle 1990: 74], als naiv und ahnungslos charakterisiert. Im Gegensatz dazu tritt die Mutter als vernünftig und erfahren auf: Sie warnt vor den „erotischen Gefährdungen“ [Schweikle 1990: 74], die der Sommer und die damit einhergehende Tanzsaison mit sich bringen. Da sie die Normen der Ständegesellschaft kennt, durchschaut sie „die höfische Maske des Reuentalers“. [Hübner 2008: 59] Somit lässt die Mutter die romantische Illusion der Tochter zerplatzen, indem sie schonungslos auf die Realität verweist und den Versuch unternimmt, an ihr Urteilsvermögen zu appellieren. Die Reaktion der Tochter kann stur und uneinsichtig, vereinzelt sogar wütend und erbost, ausfallen. Sie beharrt auf dem Wunsch, eine Ehe mit von Riuwental zu führen und lehnt den Rat der Mutter, einen geeigneten Bewerber zu wählen, nachdrücklich ab. Zudem kann es zum Geständnis der bereits fortgeschrittenen Liebesaffäre kommen und den daraus resultierenden Konsequenzen. Aber auch besänftigende, bittende oder schmeichelnde Worte von Seiten der Tochter sind vorzufinden. [Schweikle 1990: 74 f.] Das Sänger-Ich erweckt in den Frauen-Dialogliedern bei den leichtgläubigen Dorfmädchen den Eindruck, er würde entsprechend adliger Liebesideale handeln. Doch nimmt dieser nicht die Rolle des höfischen Verehrers ein, sondern geht vielmehr seinen sexuellen Absichten nach: „Auf dem Dorf wird die höfische Kompetenz des Sängers zur bloßen Verführungsstrategie […].“ [Hübner 2008: 58]

Themen und Motive

Natureingang

Das Element des Natureingangs ist wohl eines der markantesten Charakteristika der Neidhartschen Literatur und symbolisiert im Falle der sommerlichen Dialoglieder die Lebensfreude und Hochstimmung, aber auch das Verlangen nach einer romantischen Begegnung, welches zumeist durch die verliebte Tochter zum Ausdruck gebracht wird. In den Dialogliedern wird der Natureingang oft von einer Gesprächspartnerin in Form einer Kurzformel eingebracht und bildet den Auftakt der romantischen Schwärmereien. [Schweikle 1990: 115] Zudem ist eine „Erotisierung der Naturmotive“ [Ruh 1984: 111] vorzufinden, insbesondere wenn der gattungstypische Liedeingang von einer weiblichen Sprecherin vorgetragen wird, wie etwa in Sommerlied 21 (II):

Mittelhochdeutsch Neuhochdeutsch
Komen ist uns ein liehtiu ougenweide: Ein strahlender Anblick ist uns zuteilgeworden:
man siht der rôsen wunder ûf der heide; man sieht eine Fülle von Rosen auf der Heide;
die bluomen dringent durch daz gras. die Blumen sprießen durch das Gras.
wie schône ein wise getouwet was, Wie schön war die Wiese mit Tau benetzt,
dâ mir mîn geselle zeinem kranze las! auf welcher mein Geliebter mir einen Blumenkranz las!

Die zweideutige Wendung „kranz lesen“ verweist, ähnlich wie „bluomen brechen“, auf Erotik und sexuelles Vergnügen. [Schweikle 1990: 109] Auch der gesellschaftliche Stand des Dorfmädchens bedingt eine „naturhaft-sinnliche Minne“ [Ruh 1984: 114], welche durch die Natursymbolik veranschaulicht wird.

huote-Motiv

Als huote, unter anderem übersetzt als „Schutz, Obhut, Fürsorge; […] Bewachung; […] Sicherheit; […] Vorsicht“ [Hennig 2014], bezeichnet man im Mittelhochdeutschen eine Autorität, welche das Zusammenkommen von Dame und Liebhaber verhindert [Schnell 1999: 150; 152] – ein Motiv, welches bereits im früheren Minnesang Anwendung gefunden hat und Liebesbeziehungen verkomplizierte. Die Mutter kann in den klassischen Mutter-Tochter-Dialogen als „Personalisierung des huote-Motivs“ [Schweikle 1990: 74] gedeutet werden, mit der Funktion, die Tochter vom Verführer fernzuhalten. Die Reaktion auf den Tanzwunsch der Tochter kann dabei mehr oder weniger verständnisvoll ausfallen: von Bitten, Ratschlägen und Warnungen zu Verboten, Beschimpfungen und Drohungen. Die Erwähnung der zahlreichen Konsequenzen, wie etwa Liebeskummer, Ehrverlust, explizit eine Schwangerschaft, sollen die Tochter vom ritterlichen Liebhaber fernhalten. Zudem ist das Verstecken der Tanzkleider eine Maßnahme der huote-Rolle. [Schweikle 1990: 74 f.]

Zwar stimmt die Rollenverteilung der klassischen Mutter-Tochter-Dialoge mit gesellschaftlichen Normen überein - denn die Mutter überwacht die Tochter - doch indem Neidhart das Motiv der huote in einer der Gesprächspartnerinnen aus dem bäuerlichen Milieu personifiziert, ironisiert und karikiert er traditionelle Minnesangmotivik, zieht sie ins Lächerliche und gibt sie dem Spott preis. Dies geschieht durch Ratschläge der Mutter, welche von der Tochter in die Praxis umgesetzt werden sollen, beispielsweise einen sozial passenden Partner in Erwägung zu ziehen, sowie durch lautstarke Auseinandersetzungen und Handgreiflichkeiten. Aber auch das Versagen und die vergebliche Mühe der Mutter, die Tochter von den ernsthaften Konsequenzen der Liebschaft zu überzeugen, verzerren die eigentliche Funktion der huote. [Schweikle 1990: 107 f.]

Erotik und Tanz

Ein wesentliches Merkmal des Neidhartschen Werks ist die Darstellung von tabuisierten Themen, Erotik und Sexualität – sei es durch direkte oder aber auch metaphorische Begrifflichkeiten in Bezug auf intime Zusammenkünfte und erotische Körperzonen. [Schweikle 1990: 108] Dabei spielt das Tanzmotiv eine entscheidende Rolle, da die Tänze eine Gelegenheit bieten, um Liebhaber, insbesondere den von Riuwental, anzutreffen. [Schweikle 1990: 112] Die Benennung der Tänze kann dabei eine zweideutige Bedeutung tragen sowie mit sexuellen Konnotationen einhergehen (vgl. Kommentarteil und Erläuterungen). Ebenso erfüllt die Sangesthematik eine wichtige Funktion, da der Gesang die Hochstimmung ausdrückt und die Tänze begleitet, aber auch zur Frauenwerbung dient. So ist es in den Frauendialogliedern der von Riuwental, welcher durch seinen Gesang besticht, [Schweikle 1990: 113f.] wie es beispielsweise in Sommerlied 14 (VII) von der Gesprächspartnerin erwähnt wird: „Den sie alle nennent/ von Riuwental/ und sînen sanc erkennent/ wol über al,/ […]!“.

Vertauschtes Minneschema

Der klassische Minnesang thematisiert, zumeist im Rahmen der höfischen Gesellschaft, den Frauendienst und die Werbung um eine Dame, wobei drei wesentliche Rollen festzumachen sind: Der Sänger, welcher einen niedrigeren gesellschaftlichen Stand aufweist als die Dame – diese ist sozial, oder auch nur fiktiv, höhergestellt – sowie die Gesellschaft mit der Funktion der huote. Der Sänger hegt die Hoffnung, dass sein Minnedienst belohnt wird, doch bleibt sein Interesse in der Regel unerwidert. Die huote verhindert zusätzlich die Zusammenkunft von Werbendem und frouwe und steht somit in Konflikt mit dem Sänger-Ich, aber auch in abgeschwächter Form mit der Dame, sofern sie ein Treffen mit ihrem Verehrer erstrebt. [Ruh 1984: 113]

Diese Grundkonstellation wird in den Mutter-Tochter-Dialogen folgendermaßen verkehrt: Die Tochter ist dem ritterlichen Liebhaber sozial untergeordnet und stellt dabei das weibliche Pendant zum Sänger-Ich des hohen Sangs dar, indem das Werbungsschema und die Minnerelation verkehrt werden. Es ist in Neidharts Sommerliedern die frouwe, welche umschwärmt, begehrt und eine Ehe erstrebt. Das Dorfmädchen äußert offen ihre Liebessehnsucht und ignoriert die Tatsache, dass eine wahrhaftige Liebesbeziehung mit dem Ritter von Riuwental ausgeschlossen ist und dass jener für sie ein unerreichbares Ziel darstellt. Aufgrund der verkehrten Rollenkonstellation liegt auch kein Dienst-Lohn-Verhältnis im Stil der hohen Minne vor. Zudem ist das Motiv der huote nicht länger in der Gesellschaft personifiziert, sondern meist in der Rolle der Mutter. Dementsprechend entsteht keine gesellschaftliche Konfliktsituation: Die Auseinandersetzung verbleibt im Rahmen der Familie und wird lediglich zwischen ihr und der eigenen Tochter ausgetragen. [Ruh 1984: 114] Auch das Sänger-Ich verhält sich in dieser Konstellation passiv, da er das Äquivalent zur Dame des hohen Sangs darstellt, das Objekt des Begehrens [Ruh 1984: 115] – eine Konstellation, die wohl kaum extremer mit dem klassischen Minnesangschema kontrastieren könnte.

Mutter-Tochter-Dialoge am Beispiel von SL 18

Der folgende Teil des Artikels befasst sich mit einem expliziten Beispiel des Dialogtypus, das Sommerlied 18.

Übersetzung und Inhalt

Strophe 1

"Uns wil ein sumer komen", „Es wird ein Sommer zu uns kommen",
sprach ein magt: "jâ hân ich den von Riuwental vernomen. sprach ein Mädchen: „Ja, das habe ich von dem von Reuental erfahren.
jâ wil ich in loben[2]. Ja, ich will ihn ehren.
mîn herze spilt gein im vor vreuden, als ez welle toben. Mein Herz hüpft ihm vor Freude entgegen, als wolle es toben.
ich hœr in dort singen vor den kinden. Ich höre ihn dort vor den jungen Mädchen singen.
jâne wil ich nimmer des erwinden, Wahrlich, ich will es nie wieder beenden,
ich springe an sîner hende zuo der linden [3]." ich springe an seiner Hand zur Linde."

Neidharttypisch wird das Sommerlied 18 mit einem Natureingang begonnen und die Sprecherin äußert die Grundstimmung der ersten Strophe: Es herrscht sommerliche Hochfreude, welche mit euphorischer Verliebtheit einhergeht. Bereits hier wird der begehrte Favorit des Dorfmädchens genannt, der Ritter von Riuwental, sowie seine Gesangsqualitäten. Zudem wird die Kulisse der Romanze näher bestimmt: eine Naturszenerie bei der Linde.

Strophe 2

Diu muoter rief ir nâch; Die Mutter rief ihr nach;
sî sprach: "tohter, volge mir, niht lâ dir wesen gâch! sie sagte: „Tochter, folge meinem Rat, verhalte dich nicht voreilig!
weistû, wie geschach Weißt du,
dîner spilen Jiuten vert, alsam ir eide jach? was deiner Gespielin Jiuten im Vorjahr geschah, wie es ihre Mutter vorhersagte?
der wuohs von sînem reien[4] ûf ir wempel, Der wuchs das Bäuchlein aufgrund seines Tanzes,
und gewan ein kint, daz hiez si lempel[5]: und sie bekam ein Kind, welches sie ›Lämmchen‹ nannte:
alsô lêrte er sî den gimpelgempel[6]." Auf diese Weise lehrte er sie den Gimpelgempel.“

Die romantische Illusion des Dorfmädchens wird bereits in der zweiten Strophe zerstört – und zwar durch die Mutter, welche die Tochter ausdrücklich anweist, dem von Riuwental nicht zu folgen. Ihr Einwand stützt sich auf konkrete Konsequenzen, und zwar die Schwangerschaft der spilen Jiuten, welche zeigt, dass aus Spaß und Tanz, Ernst werden kann.

Strophe 3

"Muoter, lât iz sîn! „Mutter, lass es sein!
er sante mir ein rôsenschapel[7], daz het liehten schîn, Er schickte mir einen Rosenkranz, der einen leuchtenden Glanz
ûf daz houbet mîn, auf meinen Kopf warf,
und zwêne rôten golzen[8] brâhte er her mir über Rîn: und zwei rote Stiefel brachte er mir über den Rhein:
die trag ich noch hiwer an mînem beine. Die trage ich noch heute an meinen Beinen.
des er mich bat, daz weiz ich niewan eine. Worum er mich bat, das weiß nur ich allein.
jâ volge ich iuwer ræte harte kleine." Ja, deshalb werde ich eurem Rat überhaupt nicht folgen.“

Die Tochter führt das Gespräch unnachgiebig mit Gegenargumenten fort: Sie beruft sich auf die Geschenke des Riuwentalers, welche belegen sollen, dass der Begehrte ernsthafte Absichten verfolgt – Grund genug für die Tochter, dem Rat der Mutter nicht zu folgen und stattdessen dem ritterlichen Favoriten nachzugehen. Zudem scheint die Aussage des Dorfmädchens, „den Sinn eines frohlockenden verhüllten Geständnisses“ [Wießner 1954b: 45] zu enthalten, wenn sie anmerkt, dass nur ihr bekannt ist, um was sie der Ritter gebeten hat.

Strophe 4

Der muoter der wart leit, Die Mutter war es leid,
daz diu tohter niht enhôrte, daz si ir vor geseit; dass die Tochter nicht darauf hörte, was sie ihr vorhin gesagt hat;
iz sprach diu stolze meit: es sprach das übermütige Mädchen:
"ich hân im gelobt[9]: des hât er mîne sicherheit. „Ich hab mich ihm versprochen: deshalb hat er meine Zusicherung.
waz verliuse ich dâ mit mîner êren? Warum sollte ich dadurch meine Ehre verlieren?
jâne wil ich nimmer widerkêren, Ja, ich will nie mehr wiederkehren,
er muoz mich sîne geile[10] sprünge lêren." er wird mich seine wilden Sprünge lehren.“

Auch in Strophe vier erklärt sich die Tochter weiter, mit dem Ziel, die Einwände der Mutter zu entkräftigen. Die junge Frau hat sich dem von Riuwental bereits versprochen und die erhoffte Heirat soll, anders als eine sexuelle Liebschaft, den Ehrverlust verhindern.

Strophe 5

Diu muoter sprach: "wol hin! Die Mutter sprach: „So geh!
verstû übel oder wol, sich, daz ist dîn gewin: Wohl oder übel wird es dir ergehen, aber sieh, das ist deine Angelegenheit:
dû hâst niht guoten sin. Du bist nicht bei Verstand.
wil dû mit im gein Riuwental[11], dâ bringet er dich hin: Willst du mit ihm nach Reuental, dann bringt er dich dahin.
alsô kan sîn treiros[12] dich verkoufen. So kann sein Tanzlied dich verkaufen.
er beginnt dich slahen, stôzen, roufen Er beginnt dich zu schlagen, zu stoßen und zu verprügeln
und müezen doch zwô wiegen [13] bî dir loufen." und doch müssen zwei Wiegen bei dir laufen.“

Die Mutter scheint zu resignieren, dennoch unternimmt sie einen letzten Versuch, an die Vernunft der Tochter zu appellieren. Sie nennt neben der Schwangerschaft und dem Ehrverlust, die gewaltsamen Folgen der Beziehung.

Formale Analyse

Formale Mittel

Das Sommerlied 18 setzt sich aus fünf Strophen mit jeweils sieben Versen zusammen und ist, bis auf einzelne „Elemente der Binnengliederung“ [Schweikle 1990: 73], ein struktural reines Dialoglied (vgl. Stilistische Besonderheiten). Zunächst äußern sich im alternierenden Wechsel Tochter und Mutter, bevor in Strophe vier weiterhin das Dorfmädchen ihren Standpunkt verteidigt und die Mutter schließlich nochmals Einwände anführt. Der unausgeglichene Redeinhalt stimmt mit der Typisierung der Rollenfiguren überein: Obwohl die Tochter nicht das letzte Wort hat, dominiert sie das Gespräch auf formaler und inhaltlicher Ebene, indem sie stur auf ihren Gegenargumenten beharrt. Das Sänger-Ich verhält sich hingegen durchweg passiv (vgl. muoter, tohter und von Riuwental). Der Liedausgang ist in dieser Gesprächsszene offen, eine Fortsetzung des Dialogs wäre also auch hier nicht ausgeschlossen.

Die Strophen sind aus drei Reimklängen im Paar- und Dreireim aufgebaut, woraus sich das Reimschema aabbccc ableiten lässt, beziehungsweise aaaabbb ab Strophe zwei. In der Neidhart-Forschung ist hier von einer Reienstrophe die Rede, welche mit einem Paarreim einleitet. Die ersten vier Verse weisen eine männliche Kadenz auf, sie enden auf einer Hebung, wobei im Wechsel jeweils drei und sieben Takte pro Vers auftreten: 3a 7a 3b 7b. Der abschließende Dreireim (ccc) weist jeweils fünf Takte und eine weibliche Kadenz auf. Brunner spricht hier auch von einem „kanzonenförmig[en]“ [Brunner 2018: 147] Lied mit drei Stollen pro Strophe, wobei die ersten beiden Stollen in Taktzahlen und Kadenzen übereinstimmen und den Aufgesang bilden und die letzten drei Verse den Abgesang mit abweichender Hebungszahl darstellen – eine Form, die eigentlich den Winterliedern vorbehalten ist. Der Mutter-Tochter-Dialog weist in der vorliegenden Handschrift 35 Takte auf – „[der] umfangreichst[e] Ton eines Sommerliedes“. [Brunner 2018: 147]

Der Paar- und Dreireim sind die häufigsten Reimklänge unter den Sommerliedern [Brunner 2018: 148] und implizieren durch ihre einfache Form Freude und unbeschwertes Miteinander, wie es von der Tochter in der ersten Strophe geäußert wird. Die simple Reimfolge verstärkt zusätzlich das Nicht-Sehen der Komplikationen, ja damit auch die Naivität der Dialogpartnerin und die einleitende Hochstimmung wird, wie so oft bei Neidhart, im Folgenden gebrochen. Im Widerspruch zum harmonischen Reimschema stehen dabei die Äußerungen der Mutter. Der Kontrast von Redeinhalt und Form, von gewaltsamen Folgen und harmonischen Klängen, evoziert einen gar komischen Effekt, als würde die Mutter die Äußerungen der Tochter parodieren und verspotten. Diese Wirkung wird besonders in Strophe zwei hervorgerufen, in welcher Diminutiv wempel, Kosename lempel und die gar schon verballhornte Tanzbezeichnung gimpelgempel sich zwar in die kindlich naive Reimform mit weiblicher Kadenz einordnen, aber alles andere als eine unbeschwerte Bedeutung tragen (vgl. Die interne Sprechsituation).

Stilistische Besonderheiten

Der Natureingang beschränkt sich in Sommerlied 18 auf lediglich eine Zeile, was in der Neidhartforschung zu der Annahme führt, dass eine Strophe mit einer ausführlicheren Naturbeschreibung vorausgegangen sein könnte. [Wießner 1954b: 43] Auch hier wird der neidharttypische Liedeingang von einer Gesprächspartnerin geäußert. Was auf formaler Ebene auffällt, sind die mehrfach auftretenden Inquitformeln, welche in fast jede Strophe integriert sind und eine stilistische Besonderheit zur Gliederung des Dialogs darstellen. In Strophe zwei („Diu muoter rief ir nâch;/ sî sprach“), vier („iz sprach diu stolze meit“) und fünf („Diu muoter sprach“) sind die formalen Redeeinleitungen an den Beginn gestellt, während in der ersten Strophe der Redeinhalt der Tochter durch die Inquitformel unterbrochen wird. Zusätzlich findet sich in Strophe vier eine Zwischenbemerkung des Sänger-Ichs („Der muoter der wart leit,/ daz diu tohter niht enhôrte, daz si ir vor geseit“). Auch die gehäuften Ausrufe „jâ“ oder „jâne“ sind von Interesse, treten sie doch in jeder Äußerung der Tochter auf (vgl. „Uns wil ein sumer komen“: Der Natureingang). Im folgenden Schritt soll im Zuge der Interpretation auf weitere rhetorische Mittel verwiesen werden.

Interpretation

Grundkonstellation und Rollenverteilung

muoter, tohter und von Riuwental

Naiv und skeptisch, unerfahren und erfahren, unbedacht und vernünftig – die stereotypische Rollenverteilung und Typisierung von Mutter und Tochter findet in Sommerlied 18 ebenfalls Anwendung und bestimmt die Redeinhalte beider Figuren. Auch hier sind die Sprecherinnen nicht personalisiert, sie werden ihrer Rollenfunktion entsprechend als magt, muoter und tohter charakterisiert (vgl. Dialogpartnerinnen). Lediglich auf die Gespielen Jiuten sowie auf den von Riuwental wird namentlich referiert, jedoch findet sich im vorliegenden Dialog keine Nutzung des Standesattributs, [Schweikle 1990: 52] was bereits den Bruch mit höfischen Normen andeutet. Während die Tochter stur und ignorant auf ihren Absichten beharrt und geradezu die fortgeschrittene Liebschaft mit dem begehrten Ritter andeutet, warnt die Mutter vor dem wahren Charakter des Liebhabers, seinen sexuellen Intentionen und den gewaltsamen Konsequenzen. Das Sänger-Ich verhält sich in dieser Konstellation passiv und ist lediglich ambiger Gesprächsinhalt, inszeniert als Ziel des Begehrens, aber auch als schamloser, gewaltsamer Verführer.

Themen und Motive

„Uns wil ein sumer komen“: Der Natureingang

Trotz der Beschränkung auf eine Kurzformel, ist auch in Sommerlied 18 der Natureingang als Gattungssignal ein wesentliches Element. Zwar wird hier keine explizite Pastourellensituation geschildert, in welcher das Dorfmädchen und der Ritter in freier Natur aufeinandertreffen, dennoch ist ein Bezug zur sommerlichen Umgebung erkennbar, indem auf die Linde referiert wird (I, „ich springe an sîner hende zuo der linden“). Neidharttypisch wird die sommerliche Euphorie in Bezug zur Gemütslage und Liebessituation des Sänger-Ichs, oder in diesem Fall der Sprecherin, gesetzt: Die blühende Umgebung geht mit der Verliebtheit und den Schwärmereien der Tochter einher und bildet den „Stimmungshintergrund“ [Schweikle 1990: 115] der ersten Strophe. Die Hochgefühle des Dorfmädchens werden durch die Personifizierung des Herzens veranschaulicht, es „spilt gein im vor vreuden, als ez welle toben“(I), sowie durch die Exklamationen „jâ“ und „jâne“ (I) – ein emotionaler Ausruf, welcher im Folgenden nicht nur in Verbindung mit Sommerfreude auftritt, sondern auch den naiven Übermut der Tochter illustriert. Das „Freude-Modell“ [Hübner 2008: 55], die Verknüpfung von blühender Natur und Hochstimmung, nicht selten auch einem Tanzaufruf, wird im weiteren Verlauf durch die Rolle der huote gebrochen.

„tohter, volge mir […]!“: Das huote-Motiv

Der Begriff der huote wird zwar im Sommerlied 18 nicht explizit genannt, dennoch kommt auch hier die Rolle der Behüterin der Mutter zu. Sie versucht durch Ratschläge und Warnungen das Vorhaben der Tochter abzuwenden. Dabei verweist sie auf konkrete Folgen, die Schwangerschaft der Gespielin Jiuten (vgl. II), indem sie mittels einer rhetorischen Frage an ihre unglückliche Liebschaft erinnert: „weistû, wie geschach/ dîner spilen Jiuten vert, alsam ir eide jach?“. Sie droht ihrer Tochter mit dem gleichen Schicksal, hält ihr den Spiegel vor, indem sie den Ehrverlust und die brutalen Folgen nennt: „er beginnt dich slahen, stôzen, roufen/ und müezen doch zwô wiegen bî dir loufen.“ Besonders die hyperbolische Beschreibung des gewaltsamen Verführers dominiert die Redeinhalte der Mutter. Ist der Gewaltaspekt doch sonst in den Winterliedern ein gar konstitutives Element, mit der Funktion das rüpelhafte, von höfischen Konventionen abweichende Verhalten der Dörper zu charakterisieren, wird diese Thematik nun im Kontext weiblicher Sprecherrollen präsentiert. Der Gewalttäter ist auch hier kein Bauernbursche, wie beispielsweise Engelmar im Spiegelraub-Ereignis, sondern ein Ritter, welcher sich an jungen Frauen vergeht. Zudem impliziert die Mutter durch die allegorische Ortsbeschreibung des Reuentals, die unheilvolle Zukunft der jungen Frau, sollte diese dem Reuental tatsächlich blind folgen. Die Machtlosigkeit in Bezug auf die Sturheit der Tochter, äußert sie durch Exklamationen (II, „[…] niht lâ dir wesen gâch!“), wobei der lautstarke Ausruf in Strophe fünf bereits eine gewisse Resignation seitens der Mutter verrät (V, „wol hin!“). Der zu Beginn freudig konnotierte Tanz, mit all seiner Leichtigkeit, kann das Leben der Tochter ernsthaft beeinträchtigen.

Zwar argumentiert Schweikle, dass die Personifizierung des huote-Motivs in der Mutter „eine Persiflierung traditioneller Minnesang-Konstituenten“ [Schweikle 1990: 75] sei, doch wird hier ein natürliches, mit gesellschaftlichen Normen übereinstimmendes Verhältnis illustriert: Die Mutter will ihre Tochter behüten und vom zwielichtigen Verführer fernhalten. Auch mündet hier die Auseinandersetzung nicht im Kleiderverstecken, in Beleidigungen und Handgreiflichkeiten, was die derben Umgangsformen verhältnismäßig gering ausfallen lässt. Ferner schlägt sie der jungen Frau keinen sozial passenden Partner vor, was nochmals explizit auf ihren niedrigeren gesellschaftlichen Stand und das vertauschte Minneschema hinweisen würde. Dennoch ist die Mühe der Mutter vergebens, bleibt ihr doch letztendlich nur die Resignation, und auch die Charakterisierung des Ritters als gewaltsamen, schamlosen Verführer evoziert eine gewisse Komik, was Schweikles These wieder bestärkt. Im hohen Minnesang wäre kein gewalttätiger Verehrer denkbar, welcher die junge Frau mutwillig zum erotischen Miteinander verleitet und somit auch keine huote, die mit diesen Konsequenzen vergeblich droht.

„der wuohs von sînem reien ûf ir wempel“: Erotik und Tanz

Erotik und Tanzmotivik werden auch in dieser Gesprächsszene unmittelbar miteinander verknüpft. Dabei ist eine Entwicklung vom positiv konnotierten zum negativ behafteten Tanzbegriff innerhalb des Dialogs erkennbar. Zunächst werden in der Eingangsstrophe die sommerlichen Hochgefühle geschildert: Sowie das Herz vor Freude springt, springt auch das Dorfmädchen „an sîner hende zuo der linden“ (I). Zudem wird der Gesang des begehrten Sänger-Ichs genannt, welcher die freudige Stimmung zusätzlich steigert und als vermeintliche Frauenwerbung dient (vgl. I). Bereits in der darauffolgenden Strophe verweist die Mutter auf die Gefahren, welcher der Tanz mit seinen erotischen Verführungen birgt. Verursacht durch die sommerlichen Tänze, musste bereits Jiuten die Konsequenzen einer Schwangerschaft tragen. Weiterhin spielt sie auf die Doppeldeutigkeit des Tanzes gimpelgempel an (vgl. Kommentarteil und Erläuterungen), welcher sowohl die obszöne Art des Riuwentals bezeichnet, die erotische Verführung bei sommerlichen Feierlichkeiten, als auch eine sexuelle Anspielung auf das männliche Glied [Schweikle 1990: 109] und somit auf den Liebesakt, wodurch sie „das Tanz-Geschehen der Tochter gegenüber ins Verächtliche [zieht]“. [Plotke 2010: 28] Die Tochter ist hingegen weiterhin abenteuerlustig und scheint dem sinnlichen Vergnügen nachgehen zu wollen, wenn sie auf die „geile[n] sprünge“ (IV) referiert, welche sie der Ritter lehren soll. Besonders in Strophe fünf werden die negativen Assoziationen nochmals deutlich hervorgehoben. Die Mutter nennt den „treiros“ (V) nicht mehr im Kontext der Hochstimmung aufgrund des endenden Winters. Vielmehr wird sein Tanz sie verkaufen und mit Gewalt einhergehen. Auch unter Neidharts Dörpern wird das Tanzgeschehen von Gewalt an Frauen begleitet (vgl. WL 27: IV, „eine kleine rîsen guot/ zarte er ab ir houbet“) und der höfische Verführer ordnet sich in dieses Muster ein, sollte er tatsächlich die junge Frau „slahen, stôzen, roufen“ (V). Zusätzlich werden die Folgen der Sinneslust nicht lange auf sich warten lassen und in der Empfängnis von Zwillingen enden. Auch hier ist die Umkehrung des Namens Riuwental unmittelbar mit der Tanzthematik verknüpft, vom Namen des Ritters, welchem die Tochter abenteuerlustig zu den Reigen folgt, zur allegorischen Begrifflichkeit des Jammertals, welche die Szenerie der gewaltsamen Folgen darstellt, die Konsequenzen des verführerischen Tanzes.

„ich hân im gelobt“: Das vertauschte Minneschema

„[I]ch hân im gelobt […]./ waz verliuse ich dâ mit mîner êren?“ (IV) – Diese rhetorische Frage demonstriert geradezu die Naivität des Dorfmädchens und ihr festes Vertrauen in die ehrenhaften Absichten des Ritters. Doch was zunächst den Anschein höfischen Werbens erweckt, entpuppt sich schließlich als eine schamlose Verführungsstrategie. So findet auch in Sommerlied 18 das vertauschte Minneschema Anwendung. Der Mutter-Tochter-Dialog ist ein exemplarisches Beispiel für die Umkehrung der traditionellen Rollenkonstellation sowie für das vertauschte Werbungsschema: Das Dorfmädchen ist dem Ritter von Riuwental sozial untergestellt und äußert ihr Begehren, indem sie seine Gesangs- und Tanzqualitäten ehrt (vgl. I, IV), aber auch seinen adligen Stand, welcher sich durch kostbare Geschenke äußert (vgl. III). Dabei sieht sie sich in der Position der höfischen Dame, welche umschwärmt und umworben wird und äußert ein gewisses Maß an Übermut, wenn sie zu verstehen gibt, dass ihr nicht das gleiche Schicksal wie Jiuten widerfahren wird. Man könnte zwar argumentieren, dass der Ritter tatsächlich den Eindruck eines höfischen Werbers erweckt, indem er das Dorfmädchen beschenkt, doch wäre diese Art der Frauenwerbung im klassischen Minnesang vielmehr ein Bestechungsversuch. Auch dienen die materiellen Aufmerksamkeiten eher der Verführung, um erotischen Absichten nachzugehen und nicht um eine Eheschließung anzustreben, denn wahre höfische Liebe wäre nicht käuflich und das ist dem Ritter aufgrund seines Standes durchaus bewusst. [Hübner 2008: 59] Die Tochter scheint als Einzige das vertauschte Minneschema nicht zu durchschauen, was auf ihre fehlende höfische Kultiviertheit schließt. Die Mutter, in der Rolle der Behüterin, ordnet sich in die umgekehrte Konstellation ein und ist trotz huote- Funktion machtlos, während das passive Sänger-Ich lediglich Gesprächsgegenstand bleibt. Die derben Umgangsformen zwischen huote und Tochter, wie etwa die Drohung mit gewaltsamen Konsequenzen, brechen zusätzlich mit dem Schema der Hohen Minne.

Die Sprechsituationen: Spötter und Verspottete

Neidhart ist dafür bekannt, auf vielerlei Ebenen Potential für Komik und Spott in seinen Liedern zu schaffen, sei es durch ein Sänger-Ich, welches „eine Sprechsituation des Spottes konstruiert“ [Plotke 2010: 25], oder – explizit in den Dialogliedern – durch eine szenische Sprechsituation mit verschiedenen Gesprächspartner*innen, die sich durch individuelle Redeinhalte gegenseitig vorführen und „die zu verlachenden Charakteristika des Spottobjekts expositorisch hervorzerr[en]“. [Plotke 2010: 24] In den Mutter-Tochter-Dialogen bilden die Variation an Rollen, mit zum Teil verkehrten Konstellationen, die Basis für spotten und verspotten, für lachen und verlachen, für karikieren und mokieren, mit dem Ziel, das Gegenüber herabzusetzen und sich dadurch wiederum selbst zu erhöhen. So steht auch das Sommerlied 18 „im Zeichen des spöttischen Dialogs“ [Plotke 2010: 28], wobei Plotke auf zwei Ebenen referiert, die interne Sprechsituation, die fiktive Handlungsdramatik innerhalb des Dialogs, sowie die externe Sprechsituation, welche die Aufführungssituation vor Publikum betrifft – ein Aspekt, welcher gerade im mittelhochdeutschen Minnesang eine wesentliche Rolle spielte. [Plotke 2010: 26;28]

Die interne Sprechsituation

Betrachtet man zunächst die Handlungsdramatik der Gesprächsszene, welche durch die Äußerungen der weiblichen Figuren bestimmt ist, wird der Eindruck eines Streitgesprächs unmittelbar vermittelt. Die Dialogpartnerinnen „mokieren“ sich gegenseitig, setzten sich herab und verspotten die jeweils andere, und zwar „aus ihren je eigenen Perspektiven über die für sie nicht nachzuvollziehenden Positionen“ [Plotke 2010: 28] ihrer Gesprächspartnerin. Dabei fungieren bereits auf fiktiver Ebene alle drei Charaktere als Spottobjekte: Die Mutter durch anmaßende Überheblichkeit, die Tochter durch Leichtsinn und Ignoranz und der von Riuwental durch normverletzendes Verhalten. Zunächst will die Mutter ihre Tochter überzeugen, dass der begehrte Ritter ein schamloser Verführer ohne höfisches Benehmen ist. Die Dialogpartnerin spielt dabei auf den gimpelgempel an, wobei sie deutlich die sexuelle Doppeldeutigkeit des Tanzes hervorhebt, indem sie im gleichen Zug auf die Schwangerschaft von Jiuten referiert (vgl. „der wuohs von sînem reien ûf ir wempel“: Erotik und Tanz). Dabei fungieren die sich reimenden Diminutive wempel und lempel, mit welchen die Situation der Gespielin beschrieben wird, als „Ausdruck der Süffisanz“. [Plotke 2010: 28] Die Mutter äußert sich hier nicht nur über die Freundin der Tochter auf spöttische Weise, vielmehr wertet sie das naive Verhalten beider Mädchen ab und zieht ihr leichtsinniges Handeln ins Lächerliche. Die verniedlichende Beschreibung des wachsenden Bauchs und der Kosename „Lämmchen“ heben die kindliche Naivität hervor, erzielen aber gleichzeitig einen Kontrast zu der eigentlichen Ernsthaftigkeit der Äußerung. Zudem hält die Mutter der jungen Frau den Spiegel vor, wie es für sie enden könnte, sollte sie ihren Rat nicht befolgen. Die evozierte Komik wird durch die zweideutige Bezeichnung Riuwental gesteigert, welche neben „›Jammertal‹“ auch als „›Ort der Reue‹“ [Plotke 2010: 29] gedeutet werden kann – eine Ortsbezeichnung, die wohl kaum treffender den emotionalen Zustand der Tochter im Szenario der letzten Strophe beschreiben könnte. Und auch das hyperbolische Bild, welches das Dorfmädchen gleich mit zwei Wiegen zeigt, steigert die Dramatik der Szene. Die Tochter portraitiert hingegen die Mutter als „überängstliche Behüterin“ [Plotke 2010: 29], die in ihrem Alter die Situation sowieso nicht nachvollziehen kann. In diesem Dialog treffen zwei Positionen aufeinander, die wohl entfernter nicht sein könnten – ein Konflikt scheint also, besonders durch die Ignoranz der Tochter, unausweichlich.

Die externe Sprechsituation

Auf der externen Ebene, die Aufführungssituation betreffend, machen sich beide Dialogpartnerinnen durch ihre Redeinhalte ebenfalls zum Objekt des Spotts, wobei die Mutter für die Rezipient*innen wohl am wenigsten diskreditiert wirkt, [Plotke 2010: 29] denn wie auch schon im vorherigen Unterkapitel erläutert, beabsichtigt sie in der Rolle der huote lediglich eine positive Zukunft für ihre Tochter und diese vor Gefahren zu beschützen. Der Wunsch, ihre Tochter zu behüten, sollte beim Publikum kein höhnisches Gelächter auslösen, zeigt es doch ein natürliches, mütterliches Bedürfnis. Das Dorfmädchen stellt hingegen eine Karikatur der Naivität und des „kindlich anmutenden Übermut[s]“ [Plotke 2010: 29] dar: Sie ist bereits durch materielle Geschenke von der Ernsthaftigkeit der Absichten überzeugt und der Meinung, dass es ihr anders als Jiuten ergehen wird. So merkt auch Hübner ironisch an: „[…] Bauernmädchen sind käuflich, der Sänger agiert kaum anders als die Bauernburschen.“ [Hübner 2008: 58] Denn nicht nur die weiblichen Figuren werden im Dialog der Lächerlichkeit preisgegeben: Auch das Sänger-Ich von Riuwental wird, insbesondere durch die hyperbolischen und verachtenden Beschreibungen der Mutter, in keinem guten Licht präsentiert, weicht er doch durch Bestechungen, sexuellen Absichten und Gewalt an Frauen von jeglichen höfischen Normen ab. Es ist also nicht ausschließlich das bäuerliche Milieu, welches dem Spott zum Opfer fällt, auch wenn die Glaubwürdigkeit der subjektiven Redeinhalte beider Frauen fragwürdig ist. Auch sie kongruieren, allein schon aufgrund des bäuerlichen Stands, nicht mit höfischen Sitten. [Plotke 2010: 29 f.] Dass die Beziehung zwischen Spöttern und Verspotteten variabel ist, wird im folgenden Kapitel illustriert: Naivität und Übermut scheinen nicht nur der Rolle der Tochter vorbehalten zu sein (vgl. Korrespondierende Lieder und Variationen).

Korrespondierende Lieder und Variationen

Die Typisierung der Mutter als huote und der Stereotyp der naiven und abenteuerlustigen Tochter finden sich in ähnelnder Form in mehreren Sommerliedern Neidharts, so in SL 2, 6-8, 15-19, 21, 23 sowie in Sommerlied 13 und 24, wobei hier die Tochter in Mädchenstrophen lediglich ihr Begehren äußert, ohne in einen Dialog mit der Mutter zu treten. [Ruh 1984: 112f.]

Wie zu Beginn des Artikels argumentiert wurde, bricht Neidhart mit höfischen Konventionen auf vielerlei Weise, sei es durch derbe Auseinandersetzungen, Drohungen und Handgreiflichkeiten oder durch Umkehrungen der Minnerelation und des Werbungsschemas. Doch die bereits evozierte Komik wird in einer Variation des Liedtypus zum „parodistische[n] Verhältnis“ [Ruh 1984: 114] fortgeführt: Im sogenannten Altenlied findet neben dem normabweichenden Verhalten eine groteske Umkehrung statt, indem muoter und tohter die Rollen tauschen. Die Tochter übernimmt die Funktion der huote, während die Mutter ihren sexuellen Absichten nachgehen will. Das Dorfmädchen versucht mit ähnlichen Strategien die Liebesaffäre zu unterbinden, beispielsweise durch das Verstecken der Tanzkleider, dem Nennen von negativen Folgen oder dem dadurch resultierenden gesellschaftlichen Skandal. Doch all diesen Einwänden wird entschlossen widersprochen, indem die Mutter auf ihr jung gebliebenes Inneres oder ihre sexuellen Erfahrungen referiert und ihren Anspruch auf Vergnügen anführt. [Schweikle 1990: 75] So verweist auch Hübner darauf, dass „[b]ei Bauern […] auch Alter nicht vor Torheit [schützt]“. [Hübner 2008: 59] Ein Beispiel hierfür liefert das Sommerlied 1, in welchem sich die „>geile Alte<“ [Hübner 2008: 59] rigoros jegliche Normen widersetzt und ihren sinnlichen Bedürfnissen nachgeht:

Mittelhochdeutsch Neuhochdeutsch
Ein altiu diu begunde springen Eine Alte, die begann zu springen
hôhe alsam ein kitze enbor: si wolde bluomen bringen. wie ein Zicklein hoch empor: sie wollte Blumen bringen.
„tohter, reich mir mîn gewant: „Tochter, reich mir mein Festtagskleid:
ich muoz an eines knappen hant, Ich muss an die Hand eines jungen Ritters,
der ist von Riuwental genant. […]“ der von Reuental genannt wird. […]“

Die ursprüngliche huote möchte nun selbst zu den Tänzen im Freien und stellt nicht mehr den „moralische[n] Widerpart, sondern erotische Konkurrentin der Tochter“ [Müller 1986: 432] dar. Die Tochter äußert im weiteren Verlauf die Untreue des Riuwentalers, wohingegen die Mutter ihre Liebessehnsucht anführt. Sie fordert in der folgenden Strophe sogar eine Freundin zu den Tänzen auf (III, „Dô sprachs‘ ein alte in ir geile:/ ‚trûtgespil, wol dan mit mir![…]‘“), was eine Verknüpfung zu den Gespielinnen-Gesprächsliedern schafft, in welchen Gleichgesinnte in den Dialog treten. Neidharts Altenlieder, zu welchen auch Sommerlied 3 und 9 zählen, sind ein exemplarisches Beispiel für die Verkehrung von Rollenkonstellationen, für den Bruch mit gesellschaftlichen Konventionen, für das variable Verhältnis zwischen Spöttern und Verspotteten und damit auch für das Fehlen von festen Strukturen und gesellschaftlichen Instanzen in Neidharts Dörperwelt. [Müller 1986: 433]

Fazit

In diesem Artikel wurde illustriert, wie vielschichtig das literarische Werk Neidharts ist. Wenn auch nicht auf den ersten Blick ersichtlich, werden Motive aus dem klassischen Minnesang in den Mutter-Tochter-Dialogen aufgegriffen, jedoch im extremen Kontrast zur höfischen Welt oder in parodistischer Umkehrung, zum Teil bis zur Unkenntlichkeit. So werden beispielsweise das Werbungsschema und die Rollenkonstellation vertauscht und auch das Motiv der huote findet in einem neuen Kontext Anwendung, sei es in der Figur der Mutter oder der Tochter. Dabei impliziert bereits die fehlende Personalisierung der weiblichen Figuren ihre reine Funktion als austauschbare Besetzungen einer Rolle, indem sie als muoter, tohter oder maget typisiert werden und ihnen stereotypische Charakteristika zugeordnet werden.

Zusätzlich illustriert das literarische Spiel innerhalb des Altenlieds, in welchem die Mutter-Tochter-Konstellation vertauscht wird, die variable Figurenbesetzung und dadurch ein parodistisches Verhältnis zum hohen Minnesang. Der neidharttypische Aspekt des Spottens ist somit nicht nur auf dörperliche Winterlieder beschränkt, sondern auch die Dialoglieder bieten durch das austauschbare Rollenkontingent und die fehlende höfische Kultiviertheit der Figuren, von welcher auch der Ritter von Reuental nicht ausgeschlossen ist, eine Plattform dafür. Weiterhin finden sich eine Vielzahl an Motiven des Neidhartschen Liedkorpus innerhalb des untersuchten Dialogtypus, ebenso in Sommerlied 18, so etwa der Naturbezug, die Tanz- und Sangesthematik, aber auch sexuelle Doppeldeutigkeiten, Derbheit und Gewalt.

Besonders die Perspektiven weiblicher Figuren zu verfolgen, die Frauenstimmen mit einem passiven Sänger-Ich zu hören, übt auch noch auf heutige Rezipient*innen einen nicht geringen Reiz aus. Die Frauendialoglieder können als eine Innovation betrachtet werden, in welcher das weibliche Geschlecht nicht still oder verhalten ist, sondern eine Stimme verliehen bekommt und dabei ebenfalls derbe Umgangsformen annimmt. Der Bruch mit Gesellschaftsnormen bleibt in Neidharts Welt also nicht nur den männlichen Dörperfiguren oder dem Sänger-Ich vorbehalten – eine Motivation, diesen Liedtypus in all seinen Variationen genauer zu erforschen, wobei eine nähere Betrachtung aus einem zeitgenössischen und auch feministischen Blickpunkt eine weitere Untersuchung wert wäre.

Kommentarteil und Erläuterungen

  1. Im Folgenden werden alle Primärtexte der Neidhart-Lieder nach der ATB Ausgabe von Wießner und Fischer zitiert: Die Lieder Neidharts, hg. v. Edmund Wießner, fortgef. v. Hanns Fischer, 5., verb. Auflage, rev. v. Paul Sappler, mit einem Melodienanhang v. Helmut Lomnitzer, Tübingen 1999 (ATB 44).
  2. Hennig bietet als Übersetzungsvorschlag für loben auch „versprechen, […] zusagen, […] sich verloben mit“ [Hennig 2014] an, was sich im weiteren Verlauf auch als Absicht der Tochter erweist.
  3. Wießner übersetzt linde als „Dorflinde“ [Wießner 1954a:170], was bereits den Schauplatz des Dialogliedes innerhalb des bäuerlichen Milieus andeutet. Zudem referiert Plotke auf Walthers Lindenlied, welches die Linde „als Baum der sexuellen Vereinigung“ [Plotke 2010: 29] symbolisiert und Erotik und Naturmotivik unmittelbar miteinander verknüpft.
  4. „Reigen“ bezeichnet einen „[…] in der warmen Jahreszeit im Freien gesprungene[n] Tanz“. [Wießner 1954a: 214] reien kann ebenfalls die Bedeutung tragen „den Reigen springen“ [Wießner 1954a: 214], wobei von einer sexuellen Doppeldeutigkeit auszugehen ist, insbesondere wenn man die Verknüpfung mit der Schwangerschaft betrachtet.
  5. Wießner geht hier von einem Kosenamen der Mutter für das Kind aus, wobei er auf „lembelîn ‚Lämmchen‘“ [Wießner 1954b: 44] schließt. Der Paarreim von lempel und Diminutiv wempel evoziert eine verniedlichende und komische Wirkung.
  6. In diesem Kontext lässt der mehrdeutige Begriff drei plausible Bedeutungen zu: gimpelgempel als 1.„eine Reigenweise“ [Wießner 1954b: 44], also ein sommerlicher Tanz. 2. „seine Weise“, d. h. die unschickliche Weise des Reuentalers, die er dem Dorfmädchen lehrte. Gemeint ist hier, dass er sie seinem Willen gefügig machte. [Wießner 1954a: 107] 3. als Bezeichnung für das männliche Glied und den Liebesakt. [Schweikle 1990: 109]
  7. rôsenschapel bezeichnet einen Rosenkranz als Kopfschmuck, wobei die Rosen von der Tochter als vermeintliches Liebessymbol gedeutet werden. Hier wird erneut der Bezug zur Naturmotivik hergestellt. Zudem wird der Rosenkranz in Neidharts Liedern häufig erotisiert, so kann beispielsweise „rôsenkrenzel gebrechen“, ähnlich wie „bluomen brechen“, sexuell konnotiert sein und auf den Liebesakt hindeuten.[Schweikle 1990: 109]
  8. Die roten Stiefel werden auch in Sommerlied 16 und 17 in Verknüpfung mit Riuwental angeführt, dabei variiert ihre Bedeutung je nach Rollenperspektive. Für weitere Überlegungen zu den roten Schuhen und für Querverweise auf bestimmte Motive, Topoi und Figuren im Neidhartschen Corpus siehe: Lienert, Elisabeth: Spiegelraub und rote Stiefel. Selbstzitate in Neidharts Liedern, in: Zeitschrift für deutsches Altertum und deutsche Literatur 118 (1989), S. 1-16.
  9. Wem sie sich versprochen hat, erschließt sich aus dem Textzusammenhang, „bleibt aber vermutlich mit Absicht unausgesprochen“.[Wießner 1954b: 45]
  10. geil kann zudem als „sinnlich“ oder „lustvoll“ [Hennig 2014] übersetzt werden, was das Tanzmotiv noch expliziter erotisiert.
  11. In diesem Kontext ist nicht mehr der ritterliche Liebhaber gemeint, sondern „als sprechender Name ‚Jammertal‘“ [Wießner 1954a: 219], der fiktive Schauplatz der Sommerlieder.
  12. treiros ist als „Name eines Tanzliedes“ zu verstehen, kann aber auch die Bedeutung tragen, „‚[…] nach [seiner] Pfeife [zu] tanzen‘“ [Wießner 1954a: 275], was die Tochter verkaufen und ruinieren wird.
  13. Diese Bezeichnung meint wörtlich zwei Wiegen, die das Dorfmädchen künftig begleiten, wobei auf die Empfängnis von Zwillingen referiert wird. [Wießner 1954b: 46]

Literaturverzeichnis

Textausgaben

Die Lieder Neidharts, hg. v. Edmund Wießner, fortgef. v. Hanns Fischer, 5., verb. Auflage, rev. v. Paul Sappler, mit einem Melodienanhang v. Helmut Lomnitzer, Tübingen 1999 (ATB 44).

Forschungsliteratur

[*Brunner 2018] Brunner, Horst: Die Töne der Neidhartlieder, in: Neidhart und die Neidhart-Lieder. Ein Handbuch, hg. von Margarete Springeth und Franz V. Spechtler, Berlin/Boston 2018, S. 143-167.

[*Hübner 2008] Hübner, Gert: Minnesang im 13. Jahrhundert. Eine Einführung, Tübingen 2008.

[*Müller 1986] Müller, Jan-Dirk: Strukturen gegenhöfischer Welt. Höfisches und nicht-höfisches Sprechen bei Neidhart, in: Höfische Literatur und Hofgesellschaft. Höfische Lebensformen um 1200. Kolloquium am Zentrum für Interdisziplinäre Forschung der Universität Bielefeld (3. bis 5. November 1983), hg. von Gert Kaiser und Jan-Dirk Müller, Düsseldorf 1986 (Studia humaniora 6), S. 409-453.

[*Plotke 2010] Plotke, Seraina: Neidhart als Spötter – Spott bei Neidhart, in: Mitteilungen des Deutschen Germanistenverbandes 57/1 (2010), S. 23-34.

[*Ruh 1984] Ruh, Kurt: Neidharts Lieder. Eine Beschreibung des Typus, in: Kleine Schriften. 1. Dichtung des Hoch- und Spätmittelalters, 1984, S. 107-128.

[*Schnell 1999] Schnell, Rüdiger: Frauenlied, Manneslied und Wechsel im deutschen Minnesang. Überlegungen zu 'gender' und Gattung, in: Zeitschrift für deutsches Altertum und deutsche Literatur 128/2 (1999), S. 127-184.

[*Schulze 1991] Schulze, Ursula: Neidhart-Forschung von 1976 bis 1987, in: Beiträge zur Geschichte der deutschen Sprache und Literatur 113 (1991), S. 124-153.

[*Schweikle 1990] Schweikle, Günther: Neidhart, Stuttgart 1990 (Sammlung Metzler 253).

[*Wießner 1954b] Wießner, Edmund: Kommentar zu Neidharts Liedern, Leipzig 1954.

Nachschlagewerke

[*Hennig 2014] Hennig, Beate: Kleines Mittelhochdeutsches Wörterbuch. In Zusammenarbeit mit Christa Hepfer und unter redaktioneller Mitwirkung von Wolfgang Bachofer, 6., durchges. Auflage, Berlin/ Boston 2014.

[*Wießner 1954a] Wießner, Edmund: Vollständiges Wörterbuch zu Neidharts Liedern, Leipzig 1954.