Erziehung fernab jeder Zivilisation: Unterschied zwischen den Versionen
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== – tugendhaft oder defizitär? == | == – tugendhaft oder defizitär? == | ||
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Der Artikel soll der Frage nachgehen, inwiefern nicht nur Parzivals Erziehung auf schmalem Grat zwischen tugendhaft und defizitär verläuft, sondern das Spannungsfeld auf einen 'Protagonistenwechsel' von Herzeloyde zu Parzival ausgeweitet werden kann. Dies soll eine Erklärung für die kaum thematisierte Schuld Herzeloydes an der anfänglichen Unwissenheit Parzivals über die Tugenden eines Ritters darstellen. Inwiefern wird auch Herzeloyde trotz der defizitären Erziehung weiterhin als tugendhafte Frau betrachtet? | Der Artikel soll der Frage nachgehen, inwiefern nicht nur Parzivals Erziehung auf schmalem Grat zwischen tugendhaft und defizitär verläuft, sondern das Spannungsfeld auf einen 'Protagonistenwechsel' von Herzeloyde zu Parzival ausgeweitet werden kann. Dies soll eine Erklärung für die kaum thematisierte Schuld Herzeloydes an der anfänglichen Unwissenheit Parzivals über die Tugenden eines Ritters darstellen. Inwiefern wird auch Herzeloyde trotz der defizitären Erziehung weiterhin als tugendhafte Frau betrachtet? | ||
== Herzeloyde == | |||
Herzeloyde zieht nach dem Tod Gahmurets in die Einöde von Soltane und erzieht dort – ohne jegliche Verbindung zu anderen Gutshöfen – den gemeinsamen Sohn Parzival. Der Held wächst somit ohne ritterliche Erziehung auf, ein Fakt, der ihn bei seinem Auszug zu Artus Tafelrunde zunächst vielen Lachern aussetzt. | Herzeloyde zieht nach dem Tod Gahmurets in die Einöde von Soltane und erzieht dort – ohne jegliche Verbindung zu anderen Gutshöfen – den gemeinsamen Sohn Parzival. Der Held wächst somit ohne ritterliche Erziehung auf, ein Fakt, der ihn bei seinem Auszug zu Artus Tafelrunde zunächst vielen Lachern aussetzt. | ||
Joachim Bumke nun sieht die zentrale Schuld in diesem „Zustand des Nicht-Wissens und Nicht-Verstehens“ in der Pädagogik Herzeloydes und verweist damit auf eine defizitäre Erziehung.<ref>Bumke, Joachim: Die Blutstropfen im Schnee. Tübingen 2001, S.56.</ref> Auf diese Sekundärliteratur rekurrierend heißt es auch in dem Artikel „Parzivals Erziehung durch „[[Parzivals Erziehung durch Herzeloyde und ihre Folgen (Wolfram von Eschenbach, Parzival)]]“, Herzeloyde sei die Ursache für Parzivals Verhalten und damit einhergehend dem nicht Stellen der Frage in der Gralsburg. | Joachim Bumke nun sieht die zentrale Schuld in diesem „Zustand des Nicht-Wissens und Nicht-Verstehens“ in der Pädagogik Herzeloydes und verweist damit auf eine defizitäre Erziehung.<ref>Bumke, Joachim: Die Blutstropfen im Schnee. Tübingen 2001, S.56.</ref> Auf diese Sekundärliteratur rekurrierend heißt es auch in dem Artikel „Parzivals Erziehung durch „[[Parzivals Erziehung durch Herzeloyde und ihre Folgen (Wolfram von Eschenbach, Parzival)]]“, Herzeloyde sei die Ursache für Parzivals Verhalten und damit einhergehend dem nicht Stellen der Frage in der Gralsburg. | ||
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Diesen Thesen möchte ich nun entgegenhalten, dass für ein kritisches Beleuchten des Verhaltens von Herzeloyde Textbelege rar sind. Hierzu werden zunächst die Konstituenten der verschiedenen Stufen in einem mittelalterlichen Entwicklungsroman von der Geburt bis zum Tod betrachtet. | Diesen Thesen möchte ich nun entgegenhalten, dass für ein kritisches Beleuchten des Verhaltens von Herzeloyde Textbelege rar sind. Hierzu werden zunächst die Konstituenten der verschiedenen Stufen in einem mittelalterlichen Entwicklungsroman von der Geburt bis zum Tod betrachtet. | ||
== Das Aetates-Modell == | |||
Meist seien Biographien nach dem Aetas-Modell ausgerichtet, welches das Leben des Helden in verschiedene Abschnitte gliedert und dabei vor allem auf das ‚iuvenes‘ Alter Wert legt, in dem sich der Held in Rittertaten bewähren muss. Dieses Modell, so Sassenhausen, sei im Mittelalter an praktischen Erfahrungen des physiologischen Lebensalters orientiert. Es beginnt, was für die Analyse des Parzival wenig von Belang ist, mit der ‚infantia‘, also Kindheit, in der das Kind durch seine Hilflosigkeit mehr als Mängelwesen denn als Mensch gesehen wird. Weiterhin zeichnet sich die puerita (von puer=rein) in mangelnder Geschlechtsreife aus, diese Phase erfordert Erziehung, um das Seelenheil der Kinder nicht zu gefährden und sie vor Sünde zu bewahren. Schon jetzt sollen Rollen und Werte vermittelt werden, wobei diese sich am Geschlecht orientieren. Diese Phase ist für die Analyse der Güte der Erziehung wichtig. In der ‚adolescentia‘, der herangereiften Phase, nimmt der Verstand des Kindes zu, doch untersteht es noch der väterlicher Gewalt; in dieser Phase zeigt sich die Vitalität aber auch Lasterhaftigkeit des Kindes. Sobald der Held nun die mütterliche Obhut verlässt, eine eigene Familie gründet und auf eigenen Füßen steht, hat er die ‚iuvenes‘ (=jung) Phase erreicht.<ref>Sassenhausen, Ruth: Wolframs von Eschenbach Parzival als Entwicklungsroman. Köln 2007, S.68.</ref> | Meist seien Biographien nach dem Aetas-Modell ausgerichtet, welches das Leben des Helden in verschiedene Abschnitte gliedert und dabei vor allem auf das ‚iuvenes‘ Alter Wert legt, in dem sich der Held in Rittertaten bewähren muss. Dieses Modell, so Sassenhausen, sei im Mittelalter an praktischen Erfahrungen des physiologischen Lebensalters orientiert. Es beginnt, was für die Analyse des Parzival wenig von Belang ist, mit der ‚infantia‘, also Kindheit, in der das Kind durch seine Hilflosigkeit mehr als Mängelwesen denn als Mensch gesehen wird. Weiterhin zeichnet sich die puerita (von puer=rein) in mangelnder Geschlechtsreife aus, diese Phase erfordert Erziehung, um das Seelenheil der Kinder nicht zu gefährden und sie vor Sünde zu bewahren. Schon jetzt sollen Rollen und Werte vermittelt werden, wobei diese sich am Geschlecht orientieren. Diese Phase ist für die Analyse der Güte der Erziehung wichtig. In der ‚adolescentia‘, der herangereiften Phase, nimmt der Verstand des Kindes zu, doch untersteht es noch der väterlicher Gewalt; in dieser Phase zeigt sich die Vitalität aber auch Lasterhaftigkeit des Kindes. Sobald der Held nun die mütterliche Obhut verlässt, eine eigene Familie gründet und auf eigenen Füßen steht, hat er die ‚iuvenes‘ (=jung) Phase erreicht.<ref>Sassenhausen, Ruth: Wolframs von Eschenbach Parzival als Entwicklungsroman. Köln 2007, S.68.</ref> | ||
Insgesamt untersteht das menschliche Leben einzig dem Heilsplan Gottes, gleichzeitig ist die Entwicklung und der Übergang von Stadium zu Stadium schlecht am Alter festmachbar, sondern von der persönlichen Entwicklung abhängig. | Insgesamt untersteht das menschliche Leben einzig dem Heilsplan Gottes, gleichzeitig ist die Entwicklung und der Übergang von Stadium zu Stadium schlecht am Alter festmachbar, sondern von der persönlichen Entwicklung abhängig. | ||
== Parzivals Jugend abgeglichen mit Aetattes-Modell == | |||
Mit der Primärliteratur verglichen verbringt Parzival also seine ‚puerita‘ in Soltane und auch vermutlich einen Teil seiner ‚adolescentia‘, das tatsächliche Alter des Helden bleibt jedoch unerwähnt. Um nun den Verlauf von Parzivals Jugend mit der mittelalterlichen Norm zu vergleichen, werde ich Kapitel drei beleuchten. | Mit der Primärliteratur verglichen verbringt Parzival also seine ‚puerita‘ in Soltane und auch vermutlich einen Teil seiner ‚adolescentia‘, das tatsächliche Alter des Helden bleibt jedoch unerwähnt. Um nun den Verlauf von Parzivals Jugend mit der mittelalterlichen Norm zu vergleichen, werde ich Kapitel drei beleuchten. | ||
=== Prolog über 'triuwe' === | |||
Im Prolog des dritten Buches heißt es: „Wîpheit, dîn ordenlîcher site, dem vert und fuor ie triwe mite“.(116,13-14) Der Erzähler fixiert also die Messlatte der Güte einer Frau an ihrer ‚triuwe‘ und legt damit den Grundstein für die Interpretation des Verhaltens Herzeloydes, es kann von nun an unter dem Aspekt der ‚triuwe‘ analysiert werden. Von der ‚triuwe‘, deren neuhochdeutsche Entsprechung Treue ist, heißt es weiterhin „die dolte ein wîp durch triuwe: das wart ir gâbe niuwe“. (116, 19-20) Der Grund für Herzeloydes Auszug in die Einöde und die Armut wird also direkt in Verbindung mit der ‚triuwe‘ gesehen, sie bringt sich selbst in Armut und handelt somit aktiv um der Treue willen. | Im Prolog des dritten Buches heißt es: „Wîpheit, dîn ordenlîcher site, dem vert und fuor ie triwe mite“.(116,13-14) Der Erzähler fixiert also die Messlatte der Güte einer Frau an ihrer ‚triuwe‘ und legt damit den Grundstein für die Interpretation des Verhaltens Herzeloydes, es kann von nun an unter dem Aspekt der ‚triuwe‘ analysiert werden. Von der ‚triuwe‘, deren neuhochdeutsche Entsprechung Treue ist, heißt es weiterhin „die dolte ein wîp durch triuwe: das wart ir gâbe niuwe“. (116, 19-20) Der Grund für Herzeloydes Auszug in die Einöde und die Armut wird also direkt in Verbindung mit der ‚triuwe‘ gesehen, sie bringt sich selbst in Armut und handelt somit aktiv um der Treue willen. | ||
=== Herzeloydes Rückzug === | |||
Allerdings, auf dieses Wort verweist auch Sassenhausen, ist dieser Umzug auch als „flühtesal“ (117,14) bezeichnet und damit zu neuhochdeutsch nicht nur als Flucht, sondern auch als Betrug (an ihrem Sohn) übersetzbar.<ref>Sassenhausen, Ruth: Wolframs von Eschenbach Parzival als Entwicklungsroman. Köln 2007, S.106.</ref> | Allerdings, auf dieses Wort verweist auch Sassenhausen, ist dieser Umzug auch als „flühtesal“ (117,14) bezeichnet und damit zu neuhochdeutsch nicht nur als Flucht, sondern auch als Betrug (an ihrem Sohn) übersetzbar.<ref>Sassenhausen, Ruth: Wolframs von Eschenbach Parzival als Entwicklungsroman. Köln 2007, S.106.</ref> | ||
Einher damit geht das Handeln aus Eigeninteresse, als sie das Gesinde in Soltane zu Geheimhaltung verpflichtet, um ihren Sohn vor Kontakt zur Ritterschaft zu bewahren. Interessant in Bezug auf die Frage, ob dies nun Herzeloydes Egoismus manifestiert, ist auch der Protagonisten-wechsel, der sich ab Vers 117,29 vollzieht: Der Fokus des Werkes lag bis dahin auf Gahmuret und Herzeloyde, in der sie als Fixpunkt natürlich auch Wünsche hat, an denen die Geschehnisse orientiert sind. So kann das eigenbezogene Handeln Herzeloydes im Kontext des Protagonisten also auch als berechtigt gelten und nicht negativ konnotiert werden. Mit dem Fokuswechsel auf ihren Sohn Parzival und vor allem auf dessen Erziehung findet eine Verschiebung der Perspektive statt. | Einher damit geht das Handeln aus Eigeninteresse, als sie das Gesinde in Soltane zu Geheimhaltung verpflichtet, um ihren Sohn vor Kontakt zur Ritterschaft zu bewahren. Interessant in Bezug auf die Frage, ob dies nun Herzeloydes Egoismus manifestiert, ist auch der Protagonisten-wechsel, der sich ab Vers 117,29 vollzieht: Der Fokus des Werkes lag bis dahin auf Gahmuret und Herzeloyde, in der sie als Fixpunkt natürlich auch Wünsche hat, an denen die Geschehnisse orientiert sind. So kann das eigenbezogene Handeln Herzeloydes im Kontext des Protagonisten also auch als berechtigt gelten und nicht negativ konnotiert werden. Mit dem Fokuswechsel auf ihren Sohn Parzival und vor allem auf dessen Erziehung findet eine Verschiebung der Perspektive statt. | ||
=== Parzivals Auftreten === | |||
Der Bezugspunkt schwingt nun auf Parzival mit dem Satz, „zer waste in Soltâne erzogn, an küneclîcher fuore betrogn“. (118, 1-2) Aus der Perspektive des neuen Protagonisten Parzival betrachtet wird konstatiert, dieser würde um königliche Lebensart gebracht. Trotzdem lernt er mit Pfeil und Bogen schießen, seine ‚art‘, die ihn als Erbe Gahmurets auszeichnet, macht sich bemerkbar. Auch der Charakterzug des Mitleids wird hervorgehoben, welcher in der Erziehung Herzeloydes begründet liegen mag. | Der Bezugspunkt schwingt nun auf Parzival mit dem Satz, „zer waste in Soltâne erzogn, an küneclîcher fuore betrogn“. (118, 1-2) Aus der Perspektive des neuen Protagonisten Parzival betrachtet wird konstatiert, dieser würde um königliche Lebensart gebracht. Trotzdem lernt er mit Pfeil und Bogen schießen, seine ‚art‘, die ihn als Erbe Gahmurets auszeichnet, macht sich bemerkbar. Auch der Charakterzug des Mitleids wird hervorgehoben, welcher in der Erziehung Herzeloydes begründet liegen mag. | ||
In Vers 119,29-30 unterweißt Herzeloyde ihren Sohn dann, auf dessen Anfrage hin, in die Unterscheidung zwischen Licht und Dunkel und den christlichen Gott. Dies lässt die gedankliche Verbindung von Herzeloyde und Schuldhaftigkeit an der Unwissenheit Parzivals zu. An der Mangelhaftigkeit dieser Lehre, an christlichen Normen gemessen, entbehrt der Erzähler allerdings jeden Kommentars. Nach Sassenhausen gefährdet Herzeloyde mit dem Abweichen von christlicher Erziehung Parzivals Seelenheil,<ref>Sassenhausen, Ruth: Wolframs von Eschenbach Parzival als Entwicklungsroman. Köln 2007, S.120.</ref> das Seelenheil Parzivals wird allerdings im Text nicht thematisiert. | In Vers 119,29-30 unterweißt Herzeloyde ihren Sohn dann, auf dessen Anfrage hin, in die Unterscheidung zwischen Licht und Dunkel und den christlichen Gott. Dies lässt die gedankliche Verbindung von Herzeloyde und Schuldhaftigkeit an der Unwissenheit Parzivals zu. An der Mangelhaftigkeit dieser Lehre, an christlichen Normen gemessen, entbehrt der Erzähler allerdings jeden Kommentars. Nach Sassenhausen gefährdet Herzeloyde mit dem Abweichen von christlicher Erziehung Parzivals Seelenheil,<ref>Sassenhausen, Ruth: Wolframs von Eschenbach Parzival als Entwicklungsroman. Köln 2007, S.120.</ref> das Seelenheil Parzivals wird allerdings im Text nicht thematisiert. | ||
Statt dem Leser eine Wertung an die Hand zu geben, wie er es zumeist vornimmt, denn insgesamt versteht der Erzähler seine Rolle als moralische, kommentierende Instanz, geht es weiter im Geschehen. Ab Vers 122,23 lässt sich ein Kommentar des Erzählers als Fehlverhalten Herzeloydes deuten, als der dem Spott ausgesetzte Junge mit Herzeloyde in einem Satz genannt wird und damit eine gedankliche assoziative Verbindung zulässt. | Statt dem Leser eine Wertung an die Hand zu geben, wie er es zumeist vornimmt, denn insgesamt versteht der Erzähler seine Rolle als moralische, kommentierende Instanz, geht es weiter im Geschehen. Ab Vers 122,23 lässt sich ein Kommentar des Erzählers als Fehlverhalten Herzeloydes deuten, als der dem Spott ausgesetzte Junge mit Herzeloyde in einem Satz genannt wird und damit eine gedankliche assoziative Verbindung zulässt. | ||
=== Parzivals 'tunpheit' und die Hintergründe === | |||
Da Parzival Zeit seines Lebens nur von ‚juncfrouwen‘ (123,28) umgeben war und ihn keiner unterwiesen hat, kann er ein Gebilde aus Ringen nicht als Rüstung erkennen. Dies verweist auf den Mangel an geschlechtsspezifischer Erziehung zur Identität. | Da Parzival Zeit seines Lebens nur von ‚juncfrouwen‘ (123,28) umgeben war und ihn keiner unterwiesen hat, kann er ein Gebilde aus Ringen nicht als Rüstung erkennen. Dies verweist auf den Mangel an geschlechtsspezifischer Erziehung zur Identität. | ||
Der fremde Ritter resümiert sodann: ‚dir hete gott den Wunsch gegeben, das du mit witzen soldest leben’(124,19-20). Parzival verhalte sich ‚tump‘. ‚Tumpheit‘, ist allerdings nicht eins zu eins mit Dummheit zu übersetzten, sondern mehr mit Unverständigkeit, Torheit und jugendliche Unerfahrenheit.<ref>Lexer, Matthias: Mittelhochdeutsches Taschenwörterbuch. 38. Aufl. Stuttgart 1992.</ref> Parzival wirkt einfach zu jung. Zudem war es im Mittelalter bis zu einem Alter von 6 Jahren durchaus berechtigt, ein Kind von der Mutter erziehen zu lassen.<ref>Sassenhausen, Ruth: Wolframs von Eschenbach Parzival als Entwicklungsroman. Köln 2007, S.109.</ref> Parzival mit ‚tumpheit‘ zu attribuieren lässt ihn also vor allem in kindlichem Licht erscheinen, nicht gleich an eine fehlgeschlagene Erziehung denken. | Der fremde Ritter resümiert sodann: ‚dir hete gott den Wunsch gegeben, das du mit witzen soldest leben’(124,19-20). Parzival verhalte sich ‚tump‘. ‚Tumpheit‘, ist allerdings nicht eins zu eins mit Dummheit zu übersetzten, sondern mehr mit Unverständigkeit, Torheit und jugendliche Unerfahrenheit.<ref>Lexer, Matthias: Mittelhochdeutsches Taschenwörterbuch. 38. Aufl. Stuttgart 1992.</ref> Parzival wirkt einfach zu jung. Zudem war es im Mittelalter bis zu einem Alter von 6 Jahren durchaus berechtigt, ein Kind von der Mutter erziehen zu lassen.<ref>Sassenhausen, Ruth: Wolframs von Eschenbach Parzival als Entwicklungsroman. Köln 2007, S.109.</ref> Parzival mit ‚tumpheit‘ zu attribuieren lässt ihn also vor allem in kindlichem Licht erscheinen, nicht gleich an eine fehlgeschlagene Erziehung denken. | ||
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Als Herzeloyde schließlich, nach Parzivals Äußerung, er wolle Ritter werden, zu einer ‚list‘ (126,17) greift, ist dies nicht in der neuhochdeutschen Konnotation von Lüge zu sehen, sondern als weise Lehre zu verstehen.<ref>Lexer, Matthias: Mittelhochdeutsches Taschenwörterbuch. 38. Aufl. Stuttgart 1992.</ref> Auch bedauert der Erzähler Parzivals anschließende narrenhafte Erscheinung mehr, als eine Schuldzuweisung vorzunehmen. (126,30). Die nun folgenden Ratschläge Herzeloydes könnten auch gut gemeint sein, und zumindest der Rat bezüglich des weisen Mannes erweist sich später als hilfreich (siehe Gurnemaz). Die Mutter bezwecke die Unaufgenommenheit in der Rittergesellschaft Parzivals mit ihren Ratschlägen.<ref> Sassenhausen, Ruth: Wolframs von Eschenbach Parzival als Entwicklungsroman. Köln 2007, S.132.</ref> Auch hier allerdings unterlässt der Erzähler einen solchen Vorwurf. | Als Herzeloyde schließlich, nach Parzivals Äußerung, er wolle Ritter werden, zu einer ‚list‘ (126,17) greift, ist dies nicht in der neuhochdeutschen Konnotation von Lüge zu sehen, sondern als weise Lehre zu verstehen.<ref>Lexer, Matthias: Mittelhochdeutsches Taschenwörterbuch. 38. Aufl. Stuttgart 1992.</ref> Auch bedauert der Erzähler Parzivals anschließende narrenhafte Erscheinung mehr, als eine Schuldzuweisung vorzunehmen. (126,30). Die nun folgenden Ratschläge Herzeloydes könnten auch gut gemeint sein, und zumindest der Rat bezüglich des weisen Mannes erweist sich später als hilfreich (siehe Gurnemaz). Die Mutter bezwecke die Unaufgenommenheit in der Rittergesellschaft Parzivals mit ihren Ratschlägen.<ref> Sassenhausen, Ruth: Wolframs von Eschenbach Parzival als Entwicklungsroman. Köln 2007, S.132.</ref> Auch hier allerdings unterlässt der Erzähler einen solchen Vorwurf. | ||
=== Herzeloyde Verantwortung === | |||
Sodann stirbt Herzeloyde im Angesicht des davon reitenden Sohnes. Ihrem Ableben folgt ein positives Resümee über die treue und wunderbare Frau, ihr Tod habe sich nicht vermeiden lassen. Ihr wird nichts zur Last gelegt, sie hat die Aufgabe der Erziehung mit dem Auszug des Sohns aus mütterlicher Obhut erledigt und ist nun im weiteren Verlauf der Geschichte nicht mehr von großer Bedeutung. Die einzigen weiteren Rekurrenzen auf Herzeloyde sind positiver Art, als jeder, dem Parzival begegnet, inhaltlich formuliert: ‚wol der muoter, die dich bar!‘(vgl. 146,7; 164,19; 166,16; 168,26-27). Erst Gurnemaz heißt Parzival von seiner Mutter schweigen, es verweise auf kindliches Verhalten. Die Mutterbindung wird also vor allem in Verbindung mit kindlichem Verhalten gebracht, nicht aber mit nicht wieder gut zu machenden Schäden. Parzival ist noch nicht reif und entwickelt genug, er scheint in der Erziehung am Punkt der ‚puerita‘ etwas länger zu verweilen. Gleichzeitig scheint er sich dieses Problems bewusst. Er beginnt, als Herzeloyde die singenden Vögel zu töten beginnt, seine Mutter in Frage zu stellen und wendet ihrer Welt schließlich den Rücken, um sich als Ritter zu versuchen. | Sodann stirbt Herzeloyde im Angesicht des davon reitenden Sohnes. Ihrem Ableben folgt ein positives Resümee über die treue und wunderbare Frau, ihr Tod habe sich nicht vermeiden lassen. Ihr wird nichts zur Last gelegt, sie hat die Aufgabe der Erziehung mit dem Auszug des Sohns aus mütterlicher Obhut erledigt und ist nun im weiteren Verlauf der Geschichte nicht mehr von großer Bedeutung. Die einzigen weiteren Rekurrenzen auf Herzeloyde sind positiver Art, als jeder, dem Parzival begegnet, inhaltlich formuliert: ‚wol der muoter, die dich bar!‘(vgl. 146,7; 164,19; 166,16; 168,26-27). Erst Gurnemaz heißt Parzival von seiner Mutter schweigen, es verweise auf kindliches Verhalten. Die Mutterbindung wird also vor allem in Verbindung mit kindlichem Verhalten gebracht, nicht aber mit nicht wieder gut zu machenden Schäden. Parzival ist noch nicht reif und entwickelt genug, er scheint in der Erziehung am Punkt der ‚puerita‘ etwas länger zu verweilen. Gleichzeitig scheint er sich dieses Problems bewusst. Er beginnt, als Herzeloyde die singenden Vögel zu töten beginnt, seine Mutter in Frage zu stellen und wendet ihrer Welt schließlich den Rücken, um sich als Ritter zu versuchen. | ||
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Fazit == | |||
Entgegen Sassenhausens sehr pädagogisch und psychologischem Fazit, Parzival wachse nicht kindgerecht auf, da sein kognitives, emotionales und soziales Wachstum auf die Mutter beschränkt sei,<ref>Sassenhausen, Ruth: Wolframs von Eschenbach Parzival als Entwicklungsroman. Köln 2007, S.111.</ref> bin ich der Meinung, die unleugbaren Anzeichen der Unwissenheit und Unreife Parzivals werden nicht unter dem Aspekt der Schadhaftigkeit Herzeloydes verhandelt, zudem wird die Tugendhaftigkeit Herzeloyde mehrmals unterstrichen und ihr so eine fehlerhafte Erziehung nicht unterstellt. | Entgegen Sassenhausens sehr pädagogisch und psychologischem Fazit, Parzival wachse nicht kindgerecht auf, da sein kognitives, emotionales und soziales Wachstum auf die Mutter beschränkt sei,<ref>Sassenhausen, Ruth: Wolframs von Eschenbach Parzival als Entwicklungsroman. Köln 2007, S.111.</ref> bin ich der Meinung, die unleugbaren Anzeichen der Unwissenheit und Unreife Parzivals werden nicht unter dem Aspekt der Schadhaftigkeit Herzeloydes verhandelt, zudem wird die Tugendhaftigkeit Herzeloyde mehrmals unterstrichen und ihr so eine fehlerhafte Erziehung nicht unterstellt. |
Version vom 28. Mai 2015, 11:46 Uhr
– tugendhaft oder defizitär?
Übersicht:
Der Artikel soll der Frage nachgehen, inwiefern nicht nur Parzivals Erziehung auf schmalem Grat zwischen tugendhaft und defizitär verläuft, sondern das Spannungsfeld auf einen 'Protagonistenwechsel' von Herzeloyde zu Parzival ausgeweitet werden kann. Dies soll eine Erklärung für die kaum thematisierte Schuld Herzeloydes an der anfänglichen Unwissenheit Parzivals über die Tugenden eines Ritters darstellen. Inwiefern wird auch Herzeloyde trotz der defizitären Erziehung weiterhin als tugendhafte Frau betrachtet?
Herzeloyde
Herzeloyde zieht nach dem Tod Gahmurets in die Einöde von Soltane und erzieht dort – ohne jegliche Verbindung zu anderen Gutshöfen – den gemeinsamen Sohn Parzival. Der Held wächst somit ohne ritterliche Erziehung auf, ein Fakt, der ihn bei seinem Auszug zu Artus Tafelrunde zunächst vielen Lachern aussetzt. Joachim Bumke nun sieht die zentrale Schuld in diesem „Zustand des Nicht-Wissens und Nicht-Verstehens“ in der Pädagogik Herzeloydes und verweist damit auf eine defizitäre Erziehung.[1] Auf diese Sekundärliteratur rekurrierend heißt es auch in dem Artikel „Parzivals Erziehung durch „Parzivals Erziehung durch Herzeloyde und ihre Folgen (Wolfram von Eschenbach, Parzival)“, Herzeloyde sei die Ursache für Parzivals Verhalten und damit einhergehend dem nicht Stellen der Frage in der Gralsburg. Auch Sassenhausen wendet eine pädagogisch-psychologische Herangehensweise an, in der sie beschreibt, Parzival wachse nicht kindgerecht auf, ihm fehle die Vaterfigur und andere identitätsstiftende Vorbilder, sowie sozialer und kultureller Boden für ein kindgerechtes Aufwachsen, welcher ihm durch Herzeloyde vorenthalten werde. Diesen Thesen möchte ich nun entgegenhalten, dass für ein kritisches Beleuchten des Verhaltens von Herzeloyde Textbelege rar sind. Hierzu werden zunächst die Konstituenten der verschiedenen Stufen in einem mittelalterlichen Entwicklungsroman von der Geburt bis zum Tod betrachtet.
Das Aetates-Modell
Meist seien Biographien nach dem Aetas-Modell ausgerichtet, welches das Leben des Helden in verschiedene Abschnitte gliedert und dabei vor allem auf das ‚iuvenes‘ Alter Wert legt, in dem sich der Held in Rittertaten bewähren muss. Dieses Modell, so Sassenhausen, sei im Mittelalter an praktischen Erfahrungen des physiologischen Lebensalters orientiert. Es beginnt, was für die Analyse des Parzival wenig von Belang ist, mit der ‚infantia‘, also Kindheit, in der das Kind durch seine Hilflosigkeit mehr als Mängelwesen denn als Mensch gesehen wird. Weiterhin zeichnet sich die puerita (von puer=rein) in mangelnder Geschlechtsreife aus, diese Phase erfordert Erziehung, um das Seelenheil der Kinder nicht zu gefährden und sie vor Sünde zu bewahren. Schon jetzt sollen Rollen und Werte vermittelt werden, wobei diese sich am Geschlecht orientieren. Diese Phase ist für die Analyse der Güte der Erziehung wichtig. In der ‚adolescentia‘, der herangereiften Phase, nimmt der Verstand des Kindes zu, doch untersteht es noch der väterlicher Gewalt; in dieser Phase zeigt sich die Vitalität aber auch Lasterhaftigkeit des Kindes. Sobald der Held nun die mütterliche Obhut verlässt, eine eigene Familie gründet und auf eigenen Füßen steht, hat er die ‚iuvenes‘ (=jung) Phase erreicht.[2] Insgesamt untersteht das menschliche Leben einzig dem Heilsplan Gottes, gleichzeitig ist die Entwicklung und der Übergang von Stadium zu Stadium schlecht am Alter festmachbar, sondern von der persönlichen Entwicklung abhängig.
Parzivals Jugend abgeglichen mit Aetattes-Modell
Mit der Primärliteratur verglichen verbringt Parzival also seine ‚puerita‘ in Soltane und auch vermutlich einen Teil seiner ‚adolescentia‘, das tatsächliche Alter des Helden bleibt jedoch unerwähnt. Um nun den Verlauf von Parzivals Jugend mit der mittelalterlichen Norm zu vergleichen, werde ich Kapitel drei beleuchten.
Prolog über 'triuwe'
Im Prolog des dritten Buches heißt es: „Wîpheit, dîn ordenlîcher site, dem vert und fuor ie triwe mite“.(116,13-14) Der Erzähler fixiert also die Messlatte der Güte einer Frau an ihrer ‚triuwe‘ und legt damit den Grundstein für die Interpretation des Verhaltens Herzeloydes, es kann von nun an unter dem Aspekt der ‚triuwe‘ analysiert werden. Von der ‚triuwe‘, deren neuhochdeutsche Entsprechung Treue ist, heißt es weiterhin „die dolte ein wîp durch triuwe: das wart ir gâbe niuwe“. (116, 19-20) Der Grund für Herzeloydes Auszug in die Einöde und die Armut wird also direkt in Verbindung mit der ‚triuwe‘ gesehen, sie bringt sich selbst in Armut und handelt somit aktiv um der Treue willen.
Herzeloydes Rückzug
Allerdings, auf dieses Wort verweist auch Sassenhausen, ist dieser Umzug auch als „flühtesal“ (117,14) bezeichnet und damit zu neuhochdeutsch nicht nur als Flucht, sondern auch als Betrug (an ihrem Sohn) übersetzbar.[3] Einher damit geht das Handeln aus Eigeninteresse, als sie das Gesinde in Soltane zu Geheimhaltung verpflichtet, um ihren Sohn vor Kontakt zur Ritterschaft zu bewahren. Interessant in Bezug auf die Frage, ob dies nun Herzeloydes Egoismus manifestiert, ist auch der Protagonisten-wechsel, der sich ab Vers 117,29 vollzieht: Der Fokus des Werkes lag bis dahin auf Gahmuret und Herzeloyde, in der sie als Fixpunkt natürlich auch Wünsche hat, an denen die Geschehnisse orientiert sind. So kann das eigenbezogene Handeln Herzeloydes im Kontext des Protagonisten also auch als berechtigt gelten und nicht negativ konnotiert werden. Mit dem Fokuswechsel auf ihren Sohn Parzival und vor allem auf dessen Erziehung findet eine Verschiebung der Perspektive statt.
Parzivals Auftreten
Der Bezugspunkt schwingt nun auf Parzival mit dem Satz, „zer waste in Soltâne erzogn, an küneclîcher fuore betrogn“. (118, 1-2) Aus der Perspektive des neuen Protagonisten Parzival betrachtet wird konstatiert, dieser würde um königliche Lebensart gebracht. Trotzdem lernt er mit Pfeil und Bogen schießen, seine ‚art‘, die ihn als Erbe Gahmurets auszeichnet, macht sich bemerkbar. Auch der Charakterzug des Mitleids wird hervorgehoben, welcher in der Erziehung Herzeloydes begründet liegen mag. In Vers 119,29-30 unterweißt Herzeloyde ihren Sohn dann, auf dessen Anfrage hin, in die Unterscheidung zwischen Licht und Dunkel und den christlichen Gott. Dies lässt die gedankliche Verbindung von Herzeloyde und Schuldhaftigkeit an der Unwissenheit Parzivals zu. An der Mangelhaftigkeit dieser Lehre, an christlichen Normen gemessen, entbehrt der Erzähler allerdings jeden Kommentars. Nach Sassenhausen gefährdet Herzeloyde mit dem Abweichen von christlicher Erziehung Parzivals Seelenheil,[4] das Seelenheil Parzivals wird allerdings im Text nicht thematisiert. Statt dem Leser eine Wertung an die Hand zu geben, wie er es zumeist vornimmt, denn insgesamt versteht der Erzähler seine Rolle als moralische, kommentierende Instanz, geht es weiter im Geschehen. Ab Vers 122,23 lässt sich ein Kommentar des Erzählers als Fehlverhalten Herzeloydes deuten, als der dem Spott ausgesetzte Junge mit Herzeloyde in einem Satz genannt wird und damit eine gedankliche assoziative Verbindung zulässt.
Parzivals 'tunpheit' und die Hintergründe
Da Parzival Zeit seines Lebens nur von ‚juncfrouwen‘ (123,28) umgeben war und ihn keiner unterwiesen hat, kann er ein Gebilde aus Ringen nicht als Rüstung erkennen. Dies verweist auf den Mangel an geschlechtsspezifischer Erziehung zur Identität. Der fremde Ritter resümiert sodann: ‚dir hete gott den Wunsch gegeben, das du mit witzen soldest leben’(124,19-20). Parzival verhalte sich ‚tump‘. ‚Tumpheit‘, ist allerdings nicht eins zu eins mit Dummheit zu übersetzten, sondern mehr mit Unverständigkeit, Torheit und jugendliche Unerfahrenheit.[5] Parzival wirkt einfach zu jung. Zudem war es im Mittelalter bis zu einem Alter von 6 Jahren durchaus berechtigt, ein Kind von der Mutter erziehen zu lassen.[6] Parzival mit ‚tumpheit‘ zu attribuieren lässt ihn also vor allem in kindlichem Licht erscheinen, nicht gleich an eine fehlgeschlagene Erziehung denken. Parzivals ‚tumpheit‘ wird augenfällig durch die Diskrepanz zwischen äußerlicher Erscheinung und kindlicher Unreife in Verhalten und Geist. Dies deutet also weniger auf einen Fehler in Parzival, denn auf eine langsame Entwicklung hin, die dem Fehlen einer Vaterfigur zugeschrieben werden kann. An diesem Fakt kann Herzeloyde kaum Schuld tragen, denn Gahmuret starb ohne ihren Einfluss. Unterstützt wird diese These auch im späteren Auftauchen von Gurnemaz, der zu Parzival wie ‚ein vater sinenn kinden‘ (165,10) spricht. Die Schuld in Parzivals Unreife wird also weniger in Herzeloydes Erziehung, als im Fehlen einer Vaterfigur artikuliert. Als Herzeloyde schließlich, nach Parzivals Äußerung, er wolle Ritter werden, zu einer ‚list‘ (126,17) greift, ist dies nicht in der neuhochdeutschen Konnotation von Lüge zu sehen, sondern als weise Lehre zu verstehen.[7] Auch bedauert der Erzähler Parzivals anschließende narrenhafte Erscheinung mehr, als eine Schuldzuweisung vorzunehmen. (126,30). Die nun folgenden Ratschläge Herzeloydes könnten auch gut gemeint sein, und zumindest der Rat bezüglich des weisen Mannes erweist sich später als hilfreich (siehe Gurnemaz). Die Mutter bezwecke die Unaufgenommenheit in der Rittergesellschaft Parzivals mit ihren Ratschlägen.[8] Auch hier allerdings unterlässt der Erzähler einen solchen Vorwurf.
Herzeloyde Verantwortung
Sodann stirbt Herzeloyde im Angesicht des davon reitenden Sohnes. Ihrem Ableben folgt ein positives Resümee über die treue und wunderbare Frau, ihr Tod habe sich nicht vermeiden lassen. Ihr wird nichts zur Last gelegt, sie hat die Aufgabe der Erziehung mit dem Auszug des Sohns aus mütterlicher Obhut erledigt und ist nun im weiteren Verlauf der Geschichte nicht mehr von großer Bedeutung. Die einzigen weiteren Rekurrenzen auf Herzeloyde sind positiver Art, als jeder, dem Parzival begegnet, inhaltlich formuliert: ‚wol der muoter, die dich bar!‘(vgl. 146,7; 164,19; 166,16; 168,26-27). Erst Gurnemaz heißt Parzival von seiner Mutter schweigen, es verweise auf kindliches Verhalten. Die Mutterbindung wird also vor allem in Verbindung mit kindlichem Verhalten gebracht, nicht aber mit nicht wieder gut zu machenden Schäden. Parzival ist noch nicht reif und entwickelt genug, er scheint in der Erziehung am Punkt der ‚puerita‘ etwas länger zu verweilen. Gleichzeitig scheint er sich dieses Problems bewusst. Er beginnt, als Herzeloyde die singenden Vögel zu töten beginnt, seine Mutter in Frage zu stellen und wendet ihrer Welt schließlich den Rücken, um sich als Ritter zu versuchen. == Fazit == Entgegen Sassenhausens sehr pädagogisch und psychologischem Fazit, Parzival wachse nicht kindgerecht auf, da sein kognitives, emotionales und soziales Wachstum auf die Mutter beschränkt sei,[9] bin ich der Meinung, die unleugbaren Anzeichen der Unwissenheit und Unreife Parzivals werden nicht unter dem Aspekt der Schadhaftigkeit Herzeloydes verhandelt, zudem wird die Tugendhaftigkeit Herzeloyde mehrmals unterstrichen und ihr so eine fehlerhafte Erziehung nicht unterstellt.
- ↑ Bumke, Joachim: Die Blutstropfen im Schnee. Tübingen 2001, S.56.
- ↑ Sassenhausen, Ruth: Wolframs von Eschenbach Parzival als Entwicklungsroman. Köln 2007, S.68.
- ↑ Sassenhausen, Ruth: Wolframs von Eschenbach Parzival als Entwicklungsroman. Köln 2007, S.106.
- ↑ Sassenhausen, Ruth: Wolframs von Eschenbach Parzival als Entwicklungsroman. Köln 2007, S.120.
- ↑ Lexer, Matthias: Mittelhochdeutsches Taschenwörterbuch. 38. Aufl. Stuttgart 1992.
- ↑ Sassenhausen, Ruth: Wolframs von Eschenbach Parzival als Entwicklungsroman. Köln 2007, S.109.
- ↑ Lexer, Matthias: Mittelhochdeutsches Taschenwörterbuch. 38. Aufl. Stuttgart 1992.
- ↑ Sassenhausen, Ruth: Wolframs von Eschenbach Parzival als Entwicklungsroman. Köln 2007, S.132.
- ↑ Sassenhausen, Ruth: Wolframs von Eschenbach Parzival als Entwicklungsroman. Köln 2007, S.111.