Erzählen und Erklären des Grals: Unterschied zwischen den Versionen
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== Unterschiede zwischen Erzählen und Erklären == | == Unterschiede zwischen Erzählen und Erklären == | ||
Mit dem Erzählen wird oft ein spannender und persönlicher Stil verbunden, es kann unterschiedliche Wissenshorizonte abdecken und beruht auf Reflexionen über die Welt. Es ist nicht zwingend formal, kann lückenhaft sein und vermittelt Ideen. Erzählen geschieht meist im Präteritum und handelt meist von einem abgeschlossenen Ereignis. Auch die Erfahrungshaftigkeit (engl: experientiality), also die Verknüpfung von Erfahrungen der Rezipienten und der Erzählten Welt, wird als Kennzeichen des Erzählens angesehen. ([https://www.metzlerverlag.de/buecher/leseproben/978-3-476-02347-6.pdf Handbuch] Erzählliteratur: Martinez]) | Mit dem Erzählen wird oft ein spannender und persönlicher Stil verbunden, es kann unterschiedliche Wissenshorizonte abdecken und beruht auf Reflexionen über die Welt. Es ist nicht zwingend formal, kann lückenhaft sein und vermittelt Ideen. Erzählen geschieht meist im Präteritum und handelt meist von einem abgeschlossenen Ereignis, das wiedergegeben wird. Auch die Erfahrungshaftigkeit (engl: experientiality), also die Verknüpfung von Erfahrungen der Rezipienten und der Erzählten Welt, wird als Kennzeichen des Erzählens angesehen. ([https://www.metzlerverlag.de/buecher/leseproben/978-3-476-02347-6.pdf Handbuch] Erzählliteratur: Martinez]) | ||
Dem gegenüber steht bei der Erklärung die Wissensvermittlung und die Deutungshoheit über das Wissen im Vordergrund. Deshalb ist der Stil sachlich, objektiv und kurz. Die Erklärung ist methodisch angelegt, damit der Inhalt verstanden wird. Sie ist auf Vollständigkeit ausgerichtet und will Wissen weitergeben. Dieses soll in einen kausalen Zusammenhang gestellt werden. | Dem gegenüber steht bei der Erklärung die Wissensvermittlung und die Deutungshoheit über das Wissen im Vordergrund. Deshalb ist der Stil sachlich, objektiv und kurz. Die Erklärung ist methodisch angelegt, damit der Inhalt verstanden wird. Sie ist auf Vollständigkeit ausgerichtet und will Wissen weitergeben. Dieses soll in einen kausalen Zusammenhang gestellt werden. | ||
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=== Wie wird erzählt? === | === Wie wird erzählt? === | ||
Wie oben ausgeführt ist der Stil detailliert. Die überwiegende Zeitform ist die Vergangenheit, ein Wechsel ins Präsens erfolgt, wenn der Erzähler die Rezipienten direkt anspricht, z.B. hoert mêr (237,21), nu hoert (238,2). Der Annahme, dass das Geschehen aus der Sicht Parzivals geschildert wird<ref>Knäble, Susanne: Erzählen vom Gral und seinen wundern (Buch?). S.170.</ref> steht entgegen, dass Vieles erzählt wird, was gegen Parzival als Wissensfilter spricht (z.B.238,21-24). | Wie oben ausgeführt ist der Stil detailliert. Die überwiegende Zeitform ist die Vergangenheit, ein Wechsel ins Präsens erfolgt, wenn der Erzähler die Rezipienten direkt anspricht, z.B. hoert mêr (237,21), nu hoert (238,2). Der Annahme, dass das Geschehen aus der Sicht Parzivals geschildert wird<ref>Knäble, Susanne: Erzählen vom Gral und seinen wundern (Buch?). S.170.</ref> steht entgegen, dass Vieles erzählt wird, was gegen Parzival als Wissensfilter spricht (z.B.238,21-24). | ||
Folgende Textstelle gehört zu der Szene, in der die Königin Repanse de Schoye den Gral in den Saal trägt. | |||
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! 236,1-11 !! Neuhochdeutsche Übersetzung | ! 236,1-11 !! Neuhochdeutsche Übersetzung | ||
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| Vorem grâle kômen lieht: | | Vorem grâle kômen lieht: || Vor dem Gral gingen Lichter, | ||
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| diu wârn von armer koste nieht; || die waren nicht so wie bei armen Leuten: | | diu wârn von armer koste nieht; || die waren nicht so wie bei armen Leuten: | ||
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| sehs glas lanc lûter wolgetân, | | sehs glas lanc lûter wolgetân, || sechs schlanke, lautere, schöne Gläser, | ||
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| dar inne balsem der wol bran. | | dar inne balsem der wol bran. || darin brannte Balsam, und der brannte schön. | ||
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| dô si kômen von der tür | | dô si kômen von der tür || Sie kamen da von er Türe her | ||
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| ze rehter mâze alsus her für, | | ze rehter mâze alsus her für, || und gingen so weit vor, bis es gerade recht war; | ||
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| mit zühten neic diu künegîn | | mit zühten neic diu künegîn || dann verneigte sich die Königin mit feiner Grazie, | ||
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| und al diu juncfröwelîn | | und al diu juncfröwelîn || und alle die jungen Damen | ||
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| die dâ truogen balsemvaz. | | die dâ truogen balsemvaz. || taten ebenso. | ||
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Ein Kennzeichen des Texttyps "Erzählen" erscheint hier in der Zeitform, nämlich dem Präteritum. Ein weiteres lässt sich darin erkennen, dass es sich um ein Ereignis handelt. Dies wird an dem Bewegungsverb ''kômen'' sichtbar, das zwei Mal verwendet wird. Es wird die Handlung des Rituals dargestellt, in der Elemente des Beschreibens vorzufinden sind, beispielsweise die detaillierte Beschreibung der hereingetragenen Lichter. Allerdings werden keine Erläuterungen gegeben, die den Grund der Handlung erhellen. | |||
Version vom 2. Juli 2015, 12:09 Uhr
Ausgehend von der Textstelle des Gralsrituals (232-240,12) und der Erklärung Trevrizents (468,12-471,29) sollen die zwei unterschiedlichen Arten des Sprechens von und über den Gral untersucht werden. Wenig Beachtung findet die Tatsache, dass innerhalb einer Gattung verschiedene Arten von Texttypen zum Einsatz kommen. Die gängigste Unterscheidung besteht in Beschreiben und erzählen. Dies ist aber eine sehr unzureichende Umschreibung für die unterschiedlichen Texttypen, die sich differenzieren lassen. Ein Vorschlag zur Unterscheidung findet man als tabellarische Übersicht unter uni-bremen, schoenke, die allerdings den Texttypen wiederum Textsorten zuweist. Im Folgenden soll aber der Texttyp Erzählen vom Texttyp Erklären unterschieden werden, da beide in dem höfischen Ritterroman Parzival vorkommen.
Unterschiede zwischen Erzählen und Erklären
Mit dem Erzählen wird oft ein spannender und persönlicher Stil verbunden, es kann unterschiedliche Wissenshorizonte abdecken und beruht auf Reflexionen über die Welt. Es ist nicht zwingend formal, kann lückenhaft sein und vermittelt Ideen. Erzählen geschieht meist im Präteritum und handelt meist von einem abgeschlossenen Ereignis, das wiedergegeben wird. Auch die Erfahrungshaftigkeit (engl: experientiality), also die Verknüpfung von Erfahrungen der Rezipienten und der Erzählten Welt, wird als Kennzeichen des Erzählens angesehen. (Handbuch Erzählliteratur: Martinez]) Dem gegenüber steht bei der Erklärung die Wissensvermittlung und die Deutungshoheit über das Wissen im Vordergrund. Deshalb ist der Stil sachlich, objektiv und kurz. Die Erklärung ist methodisch angelegt, damit der Inhalt verstanden wird. Sie ist auf Vollständigkeit ausgerichtet und will Wissen weitergeben. Dieses soll in einen kausalen Zusammenhang gestellt werden.
Die Szene des Gralsrituals (232-240,12)
Welche Informationen enthält die Textstelle bezüglich des Grals?
Die Beschreibung des zeremoniellen Ablaufs der Begegnung der Gesellschaft mit dem Gral nimmt einen großen Stellenwert ein. Das Speisewunder durch den Gral und der Ablauf der Bewirtung wird geschildert. So erfährt man die genaue Anzahl und die Ordnung innerhalb der Teilnehmer, aber auch die Eigenschaften, z.B. die kiusche, die die Gralsträger haben müssen. Es werden sehr viele Details beschrieben, über die Kleidung, die Stoffe und das Material.
Wie wird erzählt?
Wie oben ausgeführt ist der Stil detailliert. Die überwiegende Zeitform ist die Vergangenheit, ein Wechsel ins Präsens erfolgt, wenn der Erzähler die Rezipienten direkt anspricht, z.B. hoert mêr (237,21), nu hoert (238,2). Der Annahme, dass das Geschehen aus der Sicht Parzivals geschildert wird[1] steht entgegen, dass Vieles erzählt wird, was gegen Parzival als Wissensfilter spricht (z.B.238,21-24). Folgende Textstelle gehört zu der Szene, in der die Königin Repanse de Schoye den Gral in den Saal trägt.
236,1-11 | Neuhochdeutsche Übersetzung |
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Vorem grâle kômen lieht: | Vor dem Gral gingen Lichter, |
diu wârn von armer koste nieht; | die waren nicht so wie bei armen Leuten: |
sehs glas lanc lûter wolgetân, | sechs schlanke, lautere, schöne Gläser, |
dar inne balsem der wol bran. | darin brannte Balsam, und der brannte schön. |
dô si kômen von der tür | Sie kamen da von er Türe her |
ze rehter mâze alsus her für, | und gingen so weit vor, bis es gerade recht war; |
mit zühten neic diu künegîn | dann verneigte sich die Königin mit feiner Grazie, |
und al diu juncfröwelîn | und alle die jungen Damen |
die dâ truogen balsemvaz. | taten ebenso. |
Ein Kennzeichen des Texttyps "Erzählen" erscheint hier in der Zeitform, nämlich dem Präteritum. Ein weiteres lässt sich darin erkennen, dass es sich um ein Ereignis handelt. Dies wird an dem Bewegungsverb kômen sichtbar, das zwei Mal verwendet wird. Es wird die Handlung des Rituals dargestellt, in der Elemente des Beschreibens vorzufinden sind, beispielsweise die detaillierte Beschreibung der hereingetragenen Lichter. Allerdings werden keine Erläuterungen gegeben, die den Grund der Handlung erhellen.
Die Szene bei Trevrizent (468,12-471,29)
Welche Informationen enthält die Textstelle bezüglich des Grals?
Abgesehen vom Namen (lapsit exillîs 469,7) und der Tatsache, dass der Gral von den Tempelrittern beschützt wird, erfährt man Genaueres zur Transzendenz des Grals. Er ist ein Bindeglied und Kommunikationsmittel zwischen Gott und den Menschen. Die Schrift auf dem Gral zeigt an, wer zum Gral berufen ist. Das Medium Gral kann durch die Kraft Gottes Speisen hervorbringen. Diese Kraft wird wieder "aufgeladen" durch die Taube, die an Karfreitag eine Oblate bringt( 470,1-20).
Wie wird das Wissen vermittelt?
Die Erklärung zum Gral wird in Form eines Lehrdialogs zwischen Trevrizent und Parzival vermittelt. Trevrizent legt Wert darauf, dass Parzival die Regeln der Gralsgesellschaft versteht und versieht seine Erläuterungen deshalb mit Beispielen und Exkursen. [Urscheler 2002 : 219-222] Dadurch enthält die Erklärung auch narrative Elemente wie der Hinweis auf die eigene Erfahrung (ich weizz und hânz für wâr gesehn. 468,16). Der Anspruch auf eine neutrale Position wird Ausdrücke der dritten Person deutlich (der wirt hie genennet 469,6).
Erzählen und Erklären des Grals
Deutlich erkennt man durch den Vergleich der Textstellen, dass zwei verschiedene Vermittlungsarten vorliegen, auch wenn man Elemente von Erzählen und Erklären in beiden Textstellen findet. In der Szene des Gralsrituals werden ausführlich die äußeren Handlungen und die gesellschaftlichen Konventionen im Umgang mit dem Gral beschrieben. Das Erzählen entspricht der äußerlichen Nachvollziehbarkeit des Ritus. Dagegen steht bei der Erklärung das Verstehen der transzendenten, eigentlich unerklärbaren Vorgänge im Vordergrund. Dieses tiefere Verständnis erfordert aber ein Nachdenken über das eigene Handeln und die Welt voraus, das Parzival zum Zeitpunkt seiner ersten Begegnung mit dem Gral noch nicht hat. Da der Rezipient vom Erzähler und der aventuire "mitgenommen wird",[2] ist er auch erst später in der Lage, die Aufgabe des Grals zu verstehen. Als Erzählinstanz, die die Deutungshoheit über den Gral hat, dient Trevrizent, denn er gehörte zwar der Gralsgesellschaft an, ist jedoch freiwillig ausgetreten und kennt die Gesellschaft der Artusritter. [3]. Auch die räumliche Einordnung seiner Klause zeigt diese Distanz zu beiden Welten. Durch seine selbbestimmte Bußhaltung, die er für Anfortas auf sich nimmt, kann er den "Umgang des Höfischen mit dem Religiösen" [Knäble 2004 : 186] [4] reflektieren und wird so zu einem "Beobachter zweiter Ordnung"[5]
Vorläufiges Literaturverzeichnis
Knaeble, Susanne: Höfisches Erzählen von Gott. Funktion und narrative Entfaltung des Religiösen in Wolframs "Parzival". Berlin 2011.