Erzählen und Erklären des Grals

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Ausgehend von der Textstelle[1] des Gralsrituals (232-240,12) und der Erklärung Trevrizents (468,12-471,29) sollen die zwei unterschiedlichen Arten des Sprechens von und über den Gral untersucht werden. Wenig Beachtung findet die Tatsache, dass innerhalb einer Gattung verschiedene Arten von Texttypen zum Einsatz kommen. Die gängigste Unterscheidung besteht in Beschreiben und erzählen. Dies ist aber eine sehr unzureichende Umschreibung für die unterschiedlichen Texttypen, die sich differenzieren lassen. Ein Vorschlag zur Unterscheidung findet man als tabellarische Übersicht unter uni-bremen, schoenke, die allerdings den Texttypen wiederum Textsorten zuweist. Im Folgenden soll aber der Texttyp Erzählen vom Texttyp Erklären unterschieden werden, da beide in dem höfischen Ritterroman Parzival vorkommen.


Unterschiede zwischen Erzählen und Erklären

Mit dem Erzählen wird oft ein spannender und persönlicher Stil verbunden, es kann unterschiedliche Wissenshorizonte abdecken und beruht auf Reflexionen über die Welt. Es ist nicht zwingend formal, kann lückenhaft sein und vermittelt Ideen. Erzählen geschieht meist im Präteritum und handelt meist von einem abgeschlossenen Ereignis, das wiedergegeben wird. Auch die Erfahrungshaftigkeit (engl: experientiality), also die Verknüpfung von Erfahrungen der Rezipienten und der Erzählten Welt, wird als Kennzeichen des Erzählens angesehen. (Handbuch Erzählliteratur: Martinez]) Dem gegenüber steht bei der Erklärung die Wissensvermittlung und die Deutungshoheit über das Wissen im Vordergrund. Deshalb ist der Stil sachlich, objektiv und kurz. Die Erklärung ist methodisch angelegt, damit der Inhalt verstanden wird. Sie ist auf Vollständigkeit ausgerichtet und will Wissen weitergeben. Dieses soll in einen kausalen Zusammenhang gestellt werden.

Die Szene des Gralsrituals (232-240,12)

Welche Informationen enthält die Textstelle bezüglich des Grals?

Die Beschreibung des zeremoniellen Ablaufs der Begegnung der Gesellschaft mit dem Gral nimmt einen großen Stellenwert ein. Das Speisewunder durch den Gral und der Ablauf der Bewirtung wird geschildert. So erfährt man die genaue Anzahl und die Ordnung innerhalb der Teilnehmer, aber auch die Eigenschaften, z.B. die kiusche, die die Gralsträger haben müssen. Es werden sehr viele Details beschrieben, über die Kleidung, die Stoffe und das Material.

Wie wird erzählt?

Wie oben ausgeführt ist der Stil detailliert. Die überwiegende Zeitform ist die Vergangenheit, ein Wechsel ins Präsens erfolgt, wenn der Erzähler die Rezipienten direkt anspricht, z.B. hoert mêr (237,21), nu hoert (238,2). Der Annahme, dass das Geschehen aus der Sicht Parzivals geschildert wird[Knäble 2011: S. 170] steht entgegen, dass Vieles erzählt wird, was gegen Parzival als Wissensfilter spricht (z.B.238,21-24). Folgende Textstelle gehört zu der Szene, in der die Königin Repanse de Schoye den Gral in den Saal trägt.

236,1-9 Neuhochdeutsche Übersetzung
Vorem grâle kômen lieht: Vor dem Gral gingen Lichter,
diu wârn von armer koste nieht; die waren nicht so wie bei armen Leuten:
sehs glas lanc lûter wolgetân, sechs schlanke, lautere, schöne Gläser,
dar inne balsem der wol bran. darin brannte Balsam, und der brannte schön.
dô si kômen von der tür Sie kamen da von er Türe her
ze rehter mâze alsus her für, und gingen so weit vor, bis es gerade recht war;
mit zühten neic diu künegîn dann verneigte sich die Königin mit feiner Grazie,
und al diu juncfröwelîn und alle die jungen Damen
die dâ truogen balsemvaz. taten ebenso.

Ein Kennzeichen des Texttyps "Erzählen" erscheint hier in der Zeitform, nämlich dem Präteritum. Ein weiteres lässt sich darin erkennen, dass es sich um ein Ereignis handelt. Dies wird an dem Bewegungsverb kômen sichtbar, das zwei Mal verwendet wird. Es wird die Handlung des Rituals dargestellt, in der Elemente des Beschreibens vorzufinden sind, beispielsweise die detaillierte Beschreibung der hereingetragenen Lichter. Allerdings werden keine Erläuterungen gegeben, die den Grund der Handlung erhellen.


Die Szene bei Trevrizent (468,12-471,29)

Welche Informationen enthält die Textstelle bezüglich des Grals?

Abgesehen vom Namen (lapsit exillîs 469,7) und der Tatsache, dass der Gral von den Tempelrittern beschützt wird, erfährt man Genaueres zur Transzendenz des Grals. Er ist ein Bindeglied und Kommunikationsmittel zwischen Gott und den Menschen. Die Schrift auf dem Gral zeigt an, wer zum Gral berufen ist. Das Medium Gral kann durch die Kraft Gottes Speisen hervorbringen. Diese Kraft wird wieder "aufgeladen" durch die Taube, die an Karfreitag eine Oblate bringt( 470,1-20).

Wie wird das Wissen vermittelt?

Die Erklärung zum Gral wird in Form eines Lehrdialogs zwischen Trevrizent und Parzival vermittelt. Trevrizent legt Wert darauf, dass Parzival die Regeln der Gralsgesellschaft versteht und versieht seine Erläuterungen deshalb mit Beispielen und Exkursen.[Urscheler 2002: S. 221] Dadurch enthält die Erklärung auch narrative Elemente wie der Hinweis auf die eigene Erfahrung (ich weizz und hânz für wâr gesehn. 468,16). Der Anspruch auf eine neutrale Position wird durch Ausdrücke der dritten Person deutlich (der wirt hie genennet 469,6).

470, 23-30 Neuhochdeutsche Übersetzung
zende an des steines drum Das geschieht durch eine Schrift;
von karacten ein epitafum ein Epitaph am Rnd des Steins spricht
sagt sînen namen und sînen art, den Namen des Glücklichen aus und sein Herkommen,
swer dar tuon sol die sælden vart. der eingeladen ist zu dieser Reise -
ez sî von meiden ode von knaben, das gilt von Mädchen genauso wie von Knaben.
die schrift darf niemen danne schaben: Es ist nicht nötig, diese Schrift wieder abzukratzen:
sô man den namen gelesen hât, sobald man sie gelesen hat,
vor ir ougen si zergât. zergeht sie vor aller Augen.

Trevrizent erklärt sehr sachlich, wie Menschen zum Gral berufen werden. Die Sachlichkeit wird durch fehlende Adjektive und eine Häufung von Nomen erzielt. Man findet das für eine Erklärung typische Tempus, das Präsens.

Erzählen und Erklären des Grals

Deutlich erkennt man durch den Vergleich der Textstellen, dass zwei verschiedene Vermittlungsarten vorliegen, auch wenn man Elemente von Erzählen und Erklären in beiden Textstellen findet. In der Szene des Gralsrituals werden ausführlich die äußeren Handlungen und die gesellschaftlichen Konventionen im Umgang mit dem Gral beschrieben. Das Erzählen entspricht der äußerlichen Nachvollziehbarkeit des Rituals. Dagegen steht bei der Erklärung Trevrizents das Verstehen der transzendenten, eigentlich unerklärbaren Vorgänge im Vordergrund. Dieses tiefere Verständnis erfordert aber ein Nachdenken über das eigene Handeln und die Welt, das Parzival zum Zeitpunkt seiner ersten Begegnung mit dem Gral noch nicht hat. Da der Rezipient vom Erzähler und der aventiure "mitgenommen wird",[Knäble 2011: S. 171] ist er auch erst später in der Lage, die Aufgabe des Grals zu verstehen. Als Erzählinstanz, die die Deutungshoheit über den Gral hat, dient Trevrizent, denn er gehörte zwar der Gralsgesellschaft an, ist jedoch freiwillig ausgetreten und kann auch von Rittern außerhalb der Gralsgesellschaft besucht werden, zum Beispiel dem grauen Ritter (448,21-24).[Knäble 2011: S. 186] Auch die räumliche Einordnung seiner Klause, die am Rande des Gralslandes liegt, zeigt diese Distanz zu beiden Welten. Durch seine selbbestimmte Bußhaltung, die er für Anfortas auf sich nimmt, kann er den "Umgang des Höfischen mit dem Religiösen"[Knäble 2011: S. 186] reflektieren und wird so zu einem "Beobachter zweiter Ordnung".[Knäble 2011: S. 195]

Fazit

Wolfram bedient sich also verschiedener Erzählinstanzen, nämlich zum einen den Erzähler und zum anderen Trevrizent. Indem er mit Trevrizent eine Erzählinstanz aus der erzählten Welt über den Gral sprechen lässt, wird die Glaubwürdigkeit des Erzählten in der erzählten Welt erhöht. Die Erklärungen Trevrizents über die Transzendens des Grals können deshalb nicht angezweifelt werden. Der Erzähler weist auf diese Enträtselung der Vorgänge direkt nach der oben besprochenen Gralsszene hin und begründet die Verzögerung auch durch das Bogengleichnis (241, 1-30). Durch seine besondere Stellung als Vermittler zwischen höfischer Welt und Gott ist er die ideale Erzählinstanz, um den vermittelnden Charakter des Grals zwischen Gott und den Menschen zu erklären.[Knäble 2011: S. 187]

Anmerkungen

  1. Alle Textstellen und Übersetzungen beziehen sich auf: Eschenbach, Wolfram von: Parzival. Studienausgabe, 2. Auflage. Walter de Gruyter.Berlin, New York, 2003.


Literaturverzeichnis

  • [*Urscheler 2002]Urscheler, Andreas: Kommunikation in Wolframs "Parzival". Peter Lang AG Europäischer Verlag der Wissenschaften. Bern, 2002.
  • [*Knäble 2011]Knäble, Susanne: Höfisches Erzählen von Gott. Funktion und narrative Entfaltung des Religiösen in Wolframs "Parzival. De Gruyter. Berlin, 2011.