Musenanrufung (Gottfried von Straßburg, Tristan): Unterschied zwischen den Versionen

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(Musen!)
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==Überleitung: Vom Literaturexkurs zur Musenanrufung==
==Überleitung: Vom Literaturexkurs zur Musenanrufung==
: "gerade diese Koppelung [von Dichterschau und Invokatio], die ja den mittelalterlichen 'Acessus ad auctores' sonst unbekannt ist, scheint auf Ovidlektüre [Ovid: Amores, I, XV] als Anregung hinzuweisen [...] Es gibt aber noch ein Vorbild: Lukrez, 'De rerum natura', I, 635-950: Lukrez mustert griechische Naturphilosophen, deren Lehren er verwirft [...]; danach will er mit dem Beistand der Musen die von ihm selbst vertretene Naturphilosophie in Worte fassen." [Okken 1996: S. 272]
: "gerade diese Koppelung [von Dichterschau und Invokatio], die ja den mittelalterlichen 'Acessus ad auctores' sonst unbekannt ist, scheint auf Ovidlektüre [Ovid: Amores, I, XV] als Anregung hinzuweisen [...] Es gibt aber noch ein Vorbild: Lukrez, 'De rerum natura', I, 635-950: Lukrez mustert griechische Naturphilosophen, deren Lehren er verwirft [...]; danach will er mit dem Beistand der Musen die von ihm selbst vertretene Naturphilosophie in Worte fassen." [Okken 1996: S. 272]
==Die Invocatio==
===In der Antike===
===Im Mittelalter===
*christliche Tradition kann auch schon auf das Invocatio-Motiv, die Bitte um göttliche Inspiration zum Verfassen geistlicher Werke, zurückgreifen (z.B. "Herr, tu meine Lippen auf, dass mein Mund deinen Ruhm verkündige." [Luther 2008: Psalm 51,17])
*Zusammenhang: Inspiration und Tau im Autorgebet (v.a. in Legendendichtung; Friedrich Ohly nach[Okken 1996: S. 275])


==Adressaten des Anrufs==
==Adressaten des Anrufs==
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===Die neun Musen===
===Die neun Musen===
====In der klassischen Mythologie====
====In der klassischen Mythologie====
In keiner der antiken Kulturen jenseits der griechischen kommen Göttinen oder Wesen vor, die den Musen vergleichbar wären. Zum ersten Mal werden sie bei Homer bezeugt, als Göttinen der Musik - im "griechischen Sinne dieses Begriffs"[Okken 1996: S. 268], der "bis zur klass. Zeit [...] Poesie, Gesang, Instrumentalspiel und Tanz [umfasste]. Dichter waren Musiker, ihr Metier das poetisch-musikalische Handwerk."[Zaminer 1996: Sp. 520] Die Musen sind, durch eine einzige Seele vereint, gemeinsam "in ständigem Gesang und geordnetem Reigentanz begriffen" [Walde 1996: Sp. 512], wobei sie die Gesetze (''nómoi'') aller Dinge singen, die Wege der Unsterblichen sichern und das in der Zeit Geschehene erzählen. Hierbei tritt ihre Funktion als ordnungsstiftende Kraft deutlich zutage, die die Harmonie des Kosmos erst ermöglicht: Erst durch die von ihnen verkörperte Selbstreflexion des Menschen im Lichte alles bereits Geschehenen wird es ihm möglich, seinen Platz im Ganzen zu finden und sein individuelles Schicksal in Hinblick auf größere Zusammenhänge relativiert zu sehen.  <br/> Später, vor allem unter dem Einfluss der phytagoreeischen Philosophie, stellte man sich die Musen in konsequenter Fortsetzung dieser Erklärung als himmlische Musikerinnen vor, die die Sphärenharmonien im Kosmos regierten. Dieser Gedanke baut auf das damalige Weltbild auf, nach dem die Welt von konzentrisch um sie angeordneten Sphären umgeben war, die die beweglichen Himmelskörper trugen. Bei deren Bewegung durch den Äther entstanden, so die Pythagoreer, aufgrund ihrer unterschiedlichen Geschwindigkeit unterschiedliche Klänge, die wiederum einen Zusammenklang, Harmonien erzeugten.
Den Musen, die mit dieser ihrer Funktion als Ordnerinnen auch dem Konzept des Gottes Apollon nahestehen, "verleihen [...] dem Herrschenden die Gabe der süßen und argumentierenden Rede" [Walde 1996: Sp. 512]. Aus der Tradition dieser Zuständigkeit ergab sich die sich später verbreitende Zuschreibung, sie seien auch die Erfinderinnen der Sprache oder der Buchstaben. Eine genaue Zuschreibung von Wissenschaften oder Künsten zu einzelnen Musen, wie sie sich in der Allgemeinbildung niedergeschlagen hat, ist allerdings nicht authentisch. Selbst die Anzahl der Musen schien in antiken Zeiten nie  ganz geklärt; die Neunzahl, die Hesiod proklamierte, wurde schließlich  "mehr oder minder kanonisch"[Walde 1996: Sp. 511].
Es lässt sich, betreffs des "Zustandsbereichs der als Erzieherinnen aufgefassten Musen" lediglich eine "relative Fixierung" in der "kanonisierenden hellenistisch-römischen Zeit" finden, die folgende Zuordnung vornimmt (alle zitierten Stellen wie auch die Zuordnung unten[Walde 1996: Sp. 513]):
Kalliope (die Anführerin der Musen): heroische Dichtung (Epik);
Kleio: Geschichte;
Melpomene: Tragödie, Trauergesang, lesbisches Lied;
Euterpe: Flötenmusik;
Erato: größere Lyrik;
Terpsichore: Reigentanz;
Urania: Sternkunde;
Thaleia: Komödie ("leichte Muse");
Polyhymnia: Chorgesang, Geometrie.
Solche Zuordnungen sind allerdings äußerst vage und werden von den Dichtern, in deren Versen die Musen auftauchen, oft übergangen. Stattdessen werden die Musenfiguren jeweils in die Programmatik der eigenen Dichtung eingearbeitet und beziehen ihre Identität aus der Funktion, die sie für diese spezielle Dichtung haben.


Gottfried spricht in diesem Abschnitt von den neun ''Camênen''.
Gottfried spricht in diesem Abschnitt von den neun ''Camênen''.
[[Datei:Musen.jpg|400px|right|thumb|Die neun Musen, Universität Freiburg KG III]]
[[Datei:Musen.jpg|400px|right|thumb|"Neun Musen" von Bettina Eichin, Bronzeplastik, Universität Freiburg KG III]]


:'Apolle und die Camênen,'' <br/>
:'Apolle und die Camênen,'' <br/>
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:''die dâ ze hove der gâben pflegent,''(V. 4871-4873)
:''die dâ ze hove der gâben pflegent,''(V. 4871-4873)


:(Apollo und die Kamönen, die neun Sirenen für die Ohren, die dort am Hofe diese Gaben verwalten [Gottfried von Straßburg 2007: Bd. 1, S. 299])
:(Apollo und die Kamönen, die neun Sirenen für die Ohren, die dort am Hofe diese Gaben verwalten [Gottfried von Straßburg 2007: Bd. 1, S. 299])


Die Kamönen waren altitalienische Quellgöttinnen, die im Mittelalter mit den olympischen Musen, auch Mnemoiden genannt, gleichgesetzt wurden. Auch die ''Sirênen'' aus  Vers 4872, die mythologisch andere Gestalten sind, erfuhren diese Gleichsetzung und stehen daher bei Gottfried ebenfalls für die Musen [Krohn 2007-2008] . Diese weiblichen mythologischen Gestalten gelten als die Töchter des Zeus und der Mnemosyne. Sie sind die Schutzgöttinnen der Künste und verbinden sich in den griechischen Mythen mit Helden, denen sie mit ihrer jeweiligen Kunst zur Seite stehen. Im folgenden sind ihre Aufgaben und anbefohlenen Künste den Namen zugeordnet.
Die Kamönen waren altitalienische Quellgöttinnen, die im Mittelalter mit den olympischen Musen, auch Mnemoiden genannt, gleichgesetzt wurden. Auch die ''Sirênen'' aus  Vers 4872, die mythologisch andere Gestalten sind, erfuhren diese Gleichsetzung und stehen daher bei Gottfried ebenfalls für die Musen [Krohn 2007-2008] . Diese weiblichen mythologischen Gestalten gelten als die Töchter des Zeus und der Mnemosyne. Sie sind die Schutzgöttinnen der Künste und verbinden sich in den griechischen Mythen mit Helden, denen sie mit ihrer jeweiligen Kunst zur Seite stehen. Im folgenden sind ihre Aufgaben und anbefohlenen Künste den Namen zugeordnet.


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Diese Einteilung wird erstmals von Hesiod im 6. Jh. v. Chr. vorgenommen, auch legt er die Zahl der Musen auf neun fest. Sitz der Musen ist der Berg Helikon, wo auch die Quelle Hippokrene entspringt. Das geflügelte Musenpferd Pegasus hatte sie, der Überlieferung nach, durch einen Hufschlag freigelegt. [Ovid 2010: Buch V, 250-268]
Diese Einteilung wird erstmals von Hesiod im 6. Jh. v. Chr. vorgenommen, auch legt er die Zahl der Musen auf neun fest. Sitz der Musen ist der Berg Helikon, wo auch die Quelle Hippokrene entspringt. Das geflügelte Musenpferd Pegasus hatte sie, der Überlieferung nach, durch einen Hufschlag freigelegt. [Ovid 2010: Buch V, 250-268]


====Im Mittelalter====
====Im Mittelalter====
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Der Gott Apollo galt als Anführer der Musen, wie auch an seinem Beinamen "Musagetes" ersichtlich wird. Er ist der  
Der Gott Apollo galt als Anführer der Musen, wie auch an seinem Beinamen "Musagetes" ersichtlich wird. Er ist der  
:''Gott   der Musik und der Weissagung, Sohn Iuppiters und der Latona,   Zwillingsbruder Dianas, Vater des Aesculap und des Orpheus, Großvater   des Caunus und der Byblis, Herr des Orakels von Delphi, Gott von Claros   und Delos'' [Ovid 2010: S. 911-912]
:''Gott   der Musik und der Weissagung, Sohn Iuppiters und der Latona,   Zwillingsbruder Dianas, Vater des Aesculap und des Orpheus, Großvater   des Caunus und der Byblis, Herr des Orakels von Delphi, Gott von Claros   und Delos'' [Ovid 2010: S. 911-912]
Sein griechischer  Beiname ''Phoebus'' bedeutet ''der Strahlende'' und weist auf die  mythologische Abstammung Apollos von einem wahrscheinlich im Orient  verehrten Sonnengott hin.
Sein griechischer  Beiname   ''Phoebus'' bedeutet ''der Strahlende'' und weist auf die  mythologische   Abstammung Apollos von einem wahrscheinlich im Orient  verehrten   Sonnengott hin.


====Im Mittelalter====
====Im Mittelalter====
==Die Invocatio==
===In der Antike===
Die Anrufung der Musen geht
===Im Mittelalter===
*christliche Tradition kann auch schon auf das Invocatio-Motiv, die Bitte um göttliche Inspiration zum Verfassen geistlicher Werke, zurückgreifen (z.B. "Herr, tu meine Lippen auf, dass mein Mund deinen Ruhm verkündige." [Luther 2008: Psalm 51,17])
*Zusammenhang: Inspiration und Tau im Autorgebet (v.a. in Legendendichtung; Friedrich Ohly nach[Okken 1996: S. 275])


==Überleitung: Von der Musenanrufung zur Schwertleite==
==Überleitung: Von der Musenanrufung zur Schwertleite==
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* [*Krohn 2007-2008] Krohn, Rüdiger: Stellenkommentar zu Gottfried von Straßburg: Tristan.  Mittelhochdeutsch/Neuhochdeutsch. Nach  dem Text von Friedrich Ranke  neu hg., ins Neuhochdeutsche übers., Bd. 3, 8./9./12. Aufl., Stuttgart  2007-2008 (RUB 4471-4473).
* [*Krohn 2007-2008] Krohn, Rüdiger: Stellenkommentar zu Gottfried von Straßburg: Tristan.  Mittelhochdeutsch/Neuhochdeutsch. Nach  dem Text von Friedrich Ranke  neu hg., ins Neuhochdeutsche übers., Bd. 3, 8./9./12. Aufl., Stuttgart  2007-2008 (RUB 4471-4473).
* [*Luther 2008] Luther, Martin (2008): Die Bibel. Nach der Übersetzung  Martin Luthers; [Bibeltext in der revidierten Fassung von 1984].  Standardausg., durchges. Ausg. in neuer Rechtschreibung, [Nachdr.].  Stuttgart: Dt. Bibelges.
* [*Luther 2008] Luther, Martin (2008): Die Bibel. Nach der Übersetzung  Martin Luthers; [Bibeltext in der revidierten Fassung von 1984].  Standardausg., durchges. Ausg. in neuer Rechtschreibung, [Nachdr.].  Stuttgart: Dt. Bibelges.
*[* Hoffa 1910] Hoffa, Wilhelm (1910): Antike Elemente bei Gottfried von Straßburg. In: Zeitschrift für deutsches Altertum (52), S. 339–351.
*[* Hoffa 1910] Hoffa, Wilhelm: Antike Elemente bei Gottfried von Straßburg. In: Zeitschrift für deutsches Altertum 52 (1910), S. 339–351.
* [*Okken 1996] Okken, Lambertus (1996): Kommentar zum Tristan-Roman Gottfrieds von Strassburg. 2., gründlich überarb. Amsterdam: Rodopi (Amsterdamer Publikationen zur Sprache und Literatur, 57).
* [*Okken 1996] Okken, Lambertus (): Kommentar zum Tristan-Roman Gottfrieds von Strassburg. 2., gründlich überarb. Fassung, Amsterdam 1996 (Amsterdamer Publikationen zur Sprache und Literatur 57).
* [*Schwab 2006] Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Altertums; Gondrom, Bindlach; 2006.
* [*Schwab 2006] Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Altertums; Gondrom, Bindlach; 2006.
 
*[*Walde 1996] Walde, Christine: Musen. In: Der neue Pauly, Enzyklopädie der Antike. Hg. von Hubert Cancik und Helmuth Schneider 8/13, Sp. 511–514.
*[*Zaminer 1996] Zaminer, Frieder: Musik, IV. Griechenland. In: Der neue Pauly. Enzyklopädie der Antike, hg. von Hubert Cancik und Helmuth Schneider, Bd. 8/13, Sp. 520-533


[[Kategorie:Exkurse]]
[[Kategorie:Exkurse]]

Version vom 19. Januar 2011, 01:34 Uhr

Dieser Artikel beschäftigt sich mit dem Abschnitt von Vers 4860 bis 4974 [1], in dem der Erzähler in direktem Anschluss an den Literaturexkurs Apollo und die Musen anruft. In dieser Textstelle finden sich so gehäuft wie sonst nirgends im Roman Bezüge zu antik-mythologischen Stoffen.

Überleitung: Vom Literaturexkurs zur Musenanrufung

"gerade diese Koppelung [von Dichterschau und Invokatio], die ja den mittelalterlichen 'Acessus ad auctores' sonst unbekannt ist, scheint auf Ovidlektüre [Ovid: Amores, I, XV] als Anregung hinzuweisen [...] Es gibt aber noch ein Vorbild: Lukrez, 'De rerum natura', I, 635-950: Lukrez mustert griechische Naturphilosophen, deren Lehren er verwirft [...]; danach will er mit dem Beistand der Musen die von ihm selbst vertretene Naturphilosophie in Worte fassen." [Okken 1996: S. 272]

Adressaten des Anrufs

Die neun Musen

In der klassischen Mythologie

In keiner der antiken Kulturen jenseits der griechischen kommen Göttinen oder Wesen vor, die den Musen vergleichbar wären. Zum ersten Mal werden sie bei Homer bezeugt, als Göttinen der Musik - im "griechischen Sinne dieses Begriffs"[Okken 1996: S. 268], der "bis zur klass. Zeit [...] Poesie, Gesang, Instrumentalspiel und Tanz [umfasste]. Dichter waren Musiker, ihr Metier das poetisch-musikalische Handwerk."[Zaminer 1996: Sp. 520] Die Musen sind, durch eine einzige Seele vereint, gemeinsam "in ständigem Gesang und geordnetem Reigentanz begriffen" [Walde 1996: Sp. 512], wobei sie die Gesetze (nómoi) aller Dinge singen, die Wege der Unsterblichen sichern und das in der Zeit Geschehene erzählen. Hierbei tritt ihre Funktion als ordnungsstiftende Kraft deutlich zutage, die die Harmonie des Kosmos erst ermöglicht: Erst durch die von ihnen verkörperte Selbstreflexion des Menschen im Lichte alles bereits Geschehenen wird es ihm möglich, seinen Platz im Ganzen zu finden und sein individuelles Schicksal in Hinblick auf größere Zusammenhänge relativiert zu sehen.
Später, vor allem unter dem Einfluss der phytagoreeischen Philosophie, stellte man sich die Musen in konsequenter Fortsetzung dieser Erklärung als himmlische Musikerinnen vor, die die Sphärenharmonien im Kosmos regierten. Dieser Gedanke baut auf das damalige Weltbild auf, nach dem die Welt von konzentrisch um sie angeordneten Sphären umgeben war, die die beweglichen Himmelskörper trugen. Bei deren Bewegung durch den Äther entstanden, so die Pythagoreer, aufgrund ihrer unterschiedlichen Geschwindigkeit unterschiedliche Klänge, die wiederum einen Zusammenklang, Harmonien erzeugten.

Den Musen, die mit dieser ihrer Funktion als Ordnerinnen auch dem Konzept des Gottes Apollon nahestehen, "verleihen [...] dem Herrschenden die Gabe der süßen und argumentierenden Rede" [Walde 1996: Sp. 512]. Aus der Tradition dieser Zuständigkeit ergab sich die sich später verbreitende Zuschreibung, sie seien auch die Erfinderinnen der Sprache oder der Buchstaben. Eine genaue Zuschreibung von Wissenschaften oder Künsten zu einzelnen Musen, wie sie sich in der Allgemeinbildung niedergeschlagen hat, ist allerdings nicht authentisch. Selbst die Anzahl der Musen schien in antiken Zeiten nie ganz geklärt; die Neunzahl, die Hesiod proklamierte, wurde schließlich "mehr oder minder kanonisch"[Walde 1996: Sp. 511]. Es lässt sich, betreffs des "Zustandsbereichs der als Erzieherinnen aufgefassten Musen" lediglich eine "relative Fixierung" in der "kanonisierenden hellenistisch-römischen Zeit" finden, die folgende Zuordnung vornimmt (alle zitierten Stellen wie auch die Zuordnung unten[Walde 1996: Sp. 513]):

Kalliope (die Anführerin der Musen): heroische Dichtung (Epik); Kleio: Geschichte; Melpomene: Tragödie, Trauergesang, lesbisches Lied; Euterpe: Flötenmusik; Erato: größere Lyrik; Terpsichore: Reigentanz; Urania: Sternkunde; Thaleia: Komödie ("leichte Muse"); Polyhymnia: Chorgesang, Geometrie.

Solche Zuordnungen sind allerdings äußerst vage und werden von den Dichtern, in deren Versen die Musen auftauchen, oft übergangen. Stattdessen werden die Musenfiguren jeweils in die Programmatik der eigenen Dichtung eingearbeitet und beziehen ihre Identität aus der Funktion, die sie für diese spezielle Dichtung haben.




Gottfried spricht in diesem Abschnitt von den neun Camênen.

"Neun Musen" von Bettina Eichin, Bronzeplastik, Universität Freiburg KG III
'Apolle und die Camênen,
der ôren niun Sirênen,
die dâ ze hove der gâben pflegent,(V. 4871-4873)
(Apollo und die Kamönen, die neun Sirenen für die Ohren, die dort am Hofe diese Gaben verwalten [Gottfried von Straßburg 2007: Bd. 1, S. 299])

Die Kamönen waren altitalienische Quellgöttinnen, die im Mittelalter mit den olympischen Musen, auch Mnemoiden genannt, gleichgesetzt wurden. Auch die Sirênen aus Vers 4872, die mythologisch andere Gestalten sind, erfuhren diese Gleichsetzung und stehen daher bei Gottfried ebenfalls für die Musen [Krohn 2007-2008] . Diese weiblichen mythologischen Gestalten gelten als die Töchter des Zeus und der Mnemosyne. Sie sind die Schutzgöttinnen der Künste und verbinden sich in den griechischen Mythen mit Helden, denen sie mit ihrer jeweiligen Kunst zur Seite stehen. Im folgenden sind ihre Aufgaben und anbefohlenen Künste den Namen zugeordnet.

Name anbefohlene Künste
Klio Geschichtsschreibung
Melpomene Tragödie
Terpsichore Chorlyrik und Tanz
Thalia Komödie
Euterpe Lyrik und Flötenspiel
Erato Liebesdichtung
Urania Sternkunde
Polyhymnia Gesang und Leierspiel
Kalliope epische Dichtung, Rhetorik und Philosophie


Diese Einteilung wird erstmals von Hesiod im 6. Jh. v. Chr. vorgenommen, auch legt er die Zahl der Musen auf neun fest. Sitz der Musen ist der Berg Helikon, wo auch die Quelle Hippokrene entspringt. Das geflügelte Musenpferd Pegasus hatte sie, der Überlieferung nach, durch einen Hufschlag freigelegt. [Ovid 2010: Buch V, 250-268]

Im Mittelalter

Apollo

In der klassischen Mythologie

Der Gott Apollo galt als Anführer der Musen, wie auch an seinem Beinamen "Musagetes" ersichtlich wird. Er ist der

Gott der Musik und der Weissagung, Sohn Iuppiters und der Latona, Zwillingsbruder Dianas, Vater des Aesculap und des Orpheus, Großvater des Caunus und der Byblis, Herr des Orakels von Delphi, Gott von Claros und Delos [Ovid 2010: S. 911-912]

Sein griechischer Beiname Phoebus bedeutet der Strahlende und weist auf die mythologische Abstammung Apollos von einem wahrscheinlich im Orient verehrten Sonnengott hin.

Im Mittelalter

Die Invocatio

In der Antike

Die Anrufung der Musen geht

Im Mittelalter

  • christliche Tradition kann auch schon auf das Invocatio-Motiv, die Bitte um göttliche Inspiration zum Verfassen geistlicher Werke, zurückgreifen (z.B. "Herr, tu meine Lippen auf, dass mein Mund deinen Ruhm verkündige." [Luther 2008: Psalm 51,17])
  • Zusammenhang: Inspiration und Tau im Autorgebet (v.a. in Legendendichtung; Friedrich Ohly nach[Okken 1996: S. 275])


Überleitung: Von der Musenanrufung zur Schwertleite

V.a.: Ironie gegen Veldeke!

Bedeutung der Einschaltung der Musenanrufung

Fazit

Bedeutung der Textstelle zur Selbstpositionierung des Erzählers (vgl. auch den Artikel zum Antiken Geistesgut im Roman

  1. alle Zitationen aus dem Primärtext mit Versangabe im Folgenden zitiert aus[Gottfried von Straßburg 2007]

Literatur

<HarvardReferences />

  • [*Gottfried von Straßburg 2007] Gottfried von Straßburg; Ranke, Friedrich (Übers.); Tristan, Band 1 und 2; Reclam; Stuttgart; 2007.
  • [*Ovid 2010] Ovidius Naso, Publius; Albrecht, Michael von: Metamorphosen. Lateinisch, deutsch. Durchges. und bibliogr. erg. Ausg. Stuttgart: Reclam (Römische Literatur, 1360), 2010.
  • [*Krohn 2007-2008] Krohn, Rüdiger: Stellenkommentar zu Gottfried von Straßburg: Tristan. Mittelhochdeutsch/Neuhochdeutsch. Nach dem Text von Friedrich Ranke neu hg., ins Neuhochdeutsche übers., Bd. 3, 8./9./12. Aufl., Stuttgart 2007-2008 (RUB 4471-4473).
  • [*Luther 2008] Luther, Martin (2008): Die Bibel. Nach der Übersetzung Martin Luthers; [Bibeltext in der revidierten Fassung von 1984]. Standardausg., durchges. Ausg. in neuer Rechtschreibung, [Nachdr.]. Stuttgart: Dt. Bibelges.
  • [* Hoffa 1910] Hoffa, Wilhelm: Antike Elemente bei Gottfried von Straßburg. In: Zeitschrift für deutsches Altertum 52 (1910), S. 339–351.
  • [*Okken 1996] Okken, Lambertus (): Kommentar zum Tristan-Roman Gottfrieds von Strassburg. 2., gründlich überarb. Fassung, Amsterdam 1996 (Amsterdamer Publikationen zur Sprache und Literatur 57).
  • [*Schwab 2006] Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Altertums; Gondrom, Bindlach; 2006.
  • [*Walde 1996] Walde, Christine: Musen. In: Der neue Pauly, Enzyklopädie der Antike. Hg. von Hubert Cancik und Helmuth Schneider 8/13, Sp. 511–514.
  • [*Zaminer 1996] Zaminer, Frieder: Musik, IV. Griechenland. In: Der neue Pauly. Enzyklopädie der Antike, hg. von Hubert Cancik und Helmuth Schneider, Bd. 8/13, Sp. 520-533