Der Fuchs und die Wölfe (Reinhart Fuchs): Unterschied zwischen den Versionen

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== Interpretation der Textstelle ==
== Interpretation der Textstelle ==
Bei dieser Textstelle ist auffällig, dass Frau Hersant in dieser Situation einen selbst-zentrierten Standpunkt einnimmt und ihrem Partner gegenüber sehr unemphatisch auftritt. Obwohl es primär Isengrin ist, der Leid, sowie physischen Schmerz, erleiden musste, macht sie sich darüber Sorgen, wie sie das überstehen solle. In dieser Situation wirkt es zwar inadäquat, macht jedoch Rückschlüsse auf ihre Beziehung möglich. Ihr Mann muss für sie die Funktion einer Stütze und des Beschützers einnehmen, er fragt sie sogleich was sie bekümmert, während sie Resignation verspüren darf. Ihr Leid ist letztendlich der Auslöser dafür, dass sich Isenrgin auf die Suche nach Reinhart macht um die Fehde zu beginnen.
Des Weiteren ist bei dieser Textstelle auffällig, dass Frau Hersant in dieser Situation einen selbst-zentrierten Standpunkt einnimmt und ihrem Partner gegenüber sehr unempathisch auftritt. Obwohl es primär Isengrin ist, der Leid, sowie physischen Schmerz, erleiden musste, macht sie sich darüber Sorgen, wie sie das überstehen solle. In dieser Situation wirkt es zwar inadäquat, macht jedoch Rückschlüsse auf ihre monogame Beziehung möglich. Ihr Mann muss für sie ihr Leben lang die Funktion einer Stütze und des Beschützers einnehmen, zudem muss er in der Lage sein, die gemeinsamen Kinder verteidigen zu können. Durch die Verstümmelungen vermittelt sein Äußeres jedoch nicht länger die Maskulinität, auf die Frau Hersant, auch emotional, angewiesen ist. Dass diese auch emotional auf ihn als starken Partner angewiesen ist, zeigen die Geschehnisse nach ihrer Klage, denn er fragt sie sogleich was sie bekümmert, während sie Resignation verspüren darf. Ihr Leid ist letztendlich der Auslöser dafür, dass sich Isenrgin auf die Suche nach Reinhart macht um die Fehde zu beginnen.<br />
Das Aufbrechen Isengrin's steht somit im Kontrast zu den Männlichkeitsidealen seiner Frau. Denn obwohl sein Äußeres nicht länger einen potenten und aggressionsfähigen Mann erwarten lässt, hat sich an seinem Auftreten und Handeln letztendlich nichts verändert - er ist noch immer in der Lage seine Familie zu verteidigen.


= Frau Hersant =
= Frau Hersant =

Version vom 20. Januar 2021, 09:55 Uhr

Hinweis: Diese Artikelseite befindet sich noch in der Entstehungsphase und wird daher momentan nur konzeptuell angezeigt.

Diese Seite befasst sich mit der Beziehung zwischen Reinhart und der Familie der Wölfe in dem Tierepos "Reinhart Fuchs" von Heinrichs der Glîchezâre. Dabei liegt der Fokus auf den Episoden mit Isengrin, aber auch die Episoden mit Frau Hersant werden anhand von Textbelegen analysiert und gedeutet. Gerade der Konflikt zwischen Isengrin und Reinhart ist in zahlreiche Szenen aufgeteilt. Daher konzentriert sich dieser Artikel nur auf ausgewählte. Da die zwei Wolf-Söhne nicht direkt in Handlung verstrickt sind, werden sie in diesem Artikel ebenfalls nicht näher behandelt.

Fuchs und Wolf allgemein

Fuchs und Wolf in der Literatur

In Erzählungen werden Fuchs und Wolf häufig als weibliches und männliches Tier kontrastiert. [Müllneritsch 2010:291] Desweiteren werden Fuchs und Wolf oft als zunächst Verbündete beschrieben welche jedoch bereit sind, einander in den Rücken zu fallen sollte es für sie von Nöten oder von Nutzen sein. [[Müllneritsch 2010: 298] Somit kann man sagen, dass sie bereits in frühen Fabeln zu ihrem eigenen Vorteil handeln und somit Opportunismus über Loyalität stellen. Müllneritsch beschreibt Fuchs und Wolf in der mittelhochdeutschen Tierdichtung sogar als "altbekannte Widersacher" [Müllneritsch 2010: 299] und konkretisiert so ihre Beziehung.

Überleitung

Da Reinhart sowie Isengrin in Reinhart Fuchs Vetreter des männlichen Geschlechts sind, sind die geschlechterspezifischen Unterschiede zwischen Fuchs und Wolf in diesem Werk nicht vertreten. Hervorzuheben ist allerdings die Beziehung zwischen Reinhart und der weiblichen Vertreterin der Wölfe, Frau Hersant, auf die in dem Abschnitt zu Frau Hersant genauer eingegangen wird. Denn neben der Tatsache, dass Fuchs und Wolf hier männlich sind, kulminiert dieser Unterschied zu anderen Erzählungen darin, dass der Fuchs die Partnerin des Wolfes begehrt. Wie es sich dorthin entwickelt und wie die Familie der Wölfe Reinhart innerhalb des betrachteten Tierepos zum ersten Mal begegnet wird im Folgenden dargelegt.

Erstes Aufeinandertreffen (V. 384-413)

Vorangegangene Geschehnisse

Reinhart begegnet der Familie der Wölfe kurz nachdem er es durch eine List geschafft hat, aus einer Wildfalle zu entkommen. Isengrin hat dieses Schauspiel beobachtet, und so bereits, vor dem ersten offiziellen Aufeinandertreffen, einen Eindruck von Reinhart's Gewitzheit erlangt. Anschließend berichtet Reinhart ihm, dass er gekommen sei um ihn zu warnen, da viele Männer ihn hassen würden. Er verspricht Isengrin darauf hin, ihm und Frau Hersant zu dienen, wenn sie ein gemeinsames Bündnis eingehen. Denn Reinhart ist der Überzeugung, dass sie durch seine Listen gepaart mit Isengrin's Stärke unbezwingbar seien. Auch hier wird Isengrin sich der Gewitzheit Reinhart's bewusst; somit war ihm von Beginn an klar, mit wem er ein Bündnis eingeht. Isengrin bespricht sich daraufhin mit seiner Familie, auffällig ist dabei, dass die beiden Söhne schon alt genug zu sein scheinen um mit zu entschieden, und verkündet, dass sie ihn als Vetter in die Familie aufnehmen.
Es ist festzustellen, dass Isengrin Reinhart bereits vor der ersten offiziellen Begegnung bei einer seiner Listen beobachtet hat. Und auch das Dass sie dadurch noch großes Leid erfahren werden, wird dem Leser durch die Prolepse in Vers 411-413 vermittelt.

Übersetzung der Textstelle (V. 411-413)

Mittelhochdeutsch Übersetzung
do hate aber er Ysengrin Jedoch hatte Isengrin
ein vbel gesinde zv ime genvmen, böses Gesindel zu sich aufgenommen,
daz mvste im ze schaden kvmen. das musste ihn schnell ins Verderben stürzen.

Nachfolgende Geschehnisse

Die angeführte Textstelle beendet den Tag. Ein paar Tage später zieht Isengrin mit den gemeinsamen Söhnen auf die Jagd und vertraut Frau Hersant ironischerweise seinem Gevatter an.

Interpretation der Textstelle

Es ist unerlässlich festzustellen, dass die Familie der Wölfe, in dem sie Reinhart in die Familie aufnehmen "[...] deutlich über die eigentliche Anfrage von Reinhart Fuchs hinausgeht, der nur ein Kriegerbündnis zwischen zwei Männern vorgeschlagen hatte. Die Einladung zur Aufnahme einer Nähebeziehung zu seiner Frau geht also von Isengrin selber aus." [Mecklenburg 2017:93]. Diese Gegebenheit ist bei Betrachtung der nachfolgenden Geschehnisse von großer Bedeutung.
Denn was die Wölfe nicht wissen, der Leser hingegen durch die Textstelle selbst und die vorangegangenen Verse erfahren hat, ist, dass Reinhart opportunistisch handelt um die Gunst von Frau Hersant zu erlangen. Somit hat er sich, perfiderweise ohne dass Isengrin sich dessen bewusst ist, zu Isengrin's Antagonist entwickelt und konkurriert mit seinem neu gewonnen Vetter um dessen Partnerin.

Anbandelungen Reinharts

Dass das Erlangen der Zuneigung von Frau Hersant jedoch zu scheitern prädestiniert ist, macht sie ihm recht schnell deutlich. Prägnant ist die, fast schon maliziöse, Aussage "wold aber ich deheines gern, so werest dv mir doch zv swach." (V. 432f.) [Heinrich der Glîchezâre 1995]. Hierbei hebt sie die körperliche Überlegenheit Isengrins über Reinhart hervor. Als Isengrin nach kurzer Zeit zu den beiden stößt "[...] tet der hobischere alse der rede niht inwere." (V. 441f.) [Heinrich der Glîchezâre 1995]. Die Tatsache, dass sich Reinhart vor seinem Vetter, als dieser zurückkehrte, nichts anmerken lassen möchte, verdeutlicht die bigotten und opportunistischen Grundzüge seines Handelns.

Der erste Konflikt

Vorangegangene Geschehnisse

Isengrin und seine Söhne waren zur Jagd aufgebrochen und kommen ohne jegliche Beute von der Jagd zurück. Isengrin begründet dies damit, dass es schwer gewesen sei Beute zu machen, da jeder Hirte einen Hund bei sich hat. Da erblickt Reinhart einen Bauern mit einem großen Schinken und wittert die Chance, sich nun vor der Familie der Wölfe zu profilieren. Er läuft ins Blickfeld des Bauerns und beginnt zu humpeln - und seine Rechnung geht auf. Sobald der Bauer den augenscheinlich verletzten Reinhart sieht lässt er den Schinken fallen und trachtet nun nach Reinhart's Leben Reinhart lockt ihn daraufhin von dem Schinken weg und Isengrin ergreift sofort die Chance und holt den Schinken.

Übersetzung der Textstelle (V. 479-498)

Mittelhochdeutsch Übersetzung
done was sin clage niht cleine,
ern vant weder vleisch noch gebeine, er fand weder Fleisch noch Knochen,
wen iz allez gezzen was. denn alles war gefressen.
nv viel er nider vf daz gras, Da fiel er nieder auf das Gras,
vil vaste klait er den bachen.
Ysengrin begonde lachen, Isengrin begann zu lachen,
er sprach: 'wol mich des gesellen min!
wi mochte wir baz inbizzen sin?
ich weiz im disez ezzens danch.'
do weste er niht den nachclanch
Reinhart qvam spilinde vnde geil,
er sprach: 'wa ist hin min deil?' er sagte: 'Wo ist mein Anteil?'
do sprach Ysengrin: Da sagte Isengrin:
'vrege di gevatern din, 'Frage deine Gevatterin,
ob si iht habe behalten, des ir wart.'
'nein ich', sprach si, 'Reinhart, 'Nein', sagte sie, 'Reinhart,
iz dvchte mich vil svze.
daz dir got lonen mvze!
vnde zvrne dv niht,
wenne mirs nimmer me geschiht.'

Nachfolgende Geschehnisse

Isengrin sagt, dass er durch den Verzehr des Schinkens durstig geworden sei. Reinhart merkt sogleich, dass sich die erste Chance zur Rache bietet und bringt die Wolfsfamilie zu einem Mönchshof. Als sie bemerkt werden, da Isengrin zu singen beginnt, flüchtet Reinhart während die Wölfe verdroschen werden.

Interpretation der Textstelle

Dass die fruchtlose Rückkehr Isengrins genau dann stattfindet, nachdem Frau Hersant Reinhart hat abblitzen lassen weil er ihr zu schwach sei, ist außerordentlich brisant. Denn nun trifft auf ihren Partner genau das zu, was sie Reinhart zugeschrieben hatte. Doch er kommt nicht nur ohne Beute zurück, zusätzlich klagt er über die Hunde der Hirten. Das lässt den Schluss zu, dass seine Stärke nicht ausreicht, um trotz der Hunde Beute zu machen. Dadurch versagt er dabei, seine Familie zu ernähren. Reinhart bekommt durch diese Geschehnisse die Chance, sich vor Frau Hersant zu beweisen. Besonders die Tatsache, dass Reinhart durch eine List in der Lage ist den Schinken durch Isengrin erbeuten zu lassen unterstreicht, dass es die körperliche Stärke oder die Fähigkeit zu Gewalt keinen Erfolg garantieren, viel mehr kann Reinhart hier durch seine Intelligenz Beute machen.
Dass Isengrin und Frau Hersant Reinhart jedoch nichts von dem Schinken übrig lassen, obwohl sich Reinhart für ebendiesen in Gefahr begeben hatte, stellt den ersten Bruch in dem Bündnis zwischen Reinhart und der Familie der Wölfe dar. Isengrin möchte sich dafür nicht einml verantworten sondern verweist Reinhart in der obigen Textstelle gewissermaßen an Frau Hersant. Diese schlägt versöhnliche Töne an, welche jedoch unaufrichtig wirken da sie genau weiß, dass sie Reinhart im Falle einer körperlichen Auseinandersetzung kräftemäßig überlegen wäre.

Depotenzierung Isengrins

Wie bereits erwähnt, hat Männlichkeit und die damit einhergehende Potenz einen hohen Stellenwert in der Beziehung der Wölfe. Ebendiese Männlichkeit nimmt jedoch irreversibel Schaden durch Reinhart's Taten. Die Depotenzierung erfolgt in zwei Schritten welche im Folgenden analysiert werden.

Tonsur Isengrins

Den erste Bestandteil der Depotenzierung Isengrins stellt die Tonsurierung dar. Welche Ereignisse zu dieser führten und welche Folgen sie mit sich bringt werden nun dargelegt.

Vorangegangene Geschehnisse

Der von Hunger geplagte Isengrin kommt auf der Suche nach Nahrung an der Tür seines Gevatters vorbei. Als er dort vorbeigeht nimmt er einen betörenden Essens-Duft wahr welcher sogleich sein Interesse weckt. Als Reinhart ihn bemerkt spricht er ihn an und ein Gespräch beginnt. Der untenstehende Teil des Gesprächs findet statt, nachdem Reinhart Isengrin zwei Stück Aal gegeben hat, um so dessen Interesse zu wecken.

Übersetzung der Textstelle (V. 684-696)

Mittelhochdeutsch Übersetzung
Reinhart sprach: 'des macht dv gnuc han, Da antwortete Reinhart: 'Davon könntest du genug haben -
wilt dv hie brvderschaft enpfan, wenn du der Bruderschaft beitrittst,
dv wirdest meister vber di braten.' wirst du für die Braten zuständig sein.'
da wart er san beraten. Da hat sich Isengrin sogleich entschieden.
'daz lob ich', sprach Ysingrin. 'Das gelobe ich', sagte Isengrin.
'nv stoz', sprach er, 'din hovbt herin.' 'Dann streck deinen Kopf herein!', antwortete Reinhart.
des was Ysengrin bereit, Dazu war Isengrin bereit,
do nahet im sin arbeit. da näherte ihm sich seine Qual.
dar in stiez er sin hovbet groz, Hinein streckte er sein mächtiges Haupt,
brvder Reinhart in begoz und Bruder Reinhart übergoss dieses, tatsächlich,
mit heizem wazzer, daz ist war, mit heißem Wasser,
daz vurt im abe hvt unde har. welches Isengrin's Haupt und seine Haare verbrühte.

Nachfolgende Geschehnisse

Nachdem Reinhart Isengrin diesen Schmerz zugefügt hat, begründet er dies damit, dass Isengrin Leid ertragen muss um in das Paradies zu gelangen. Reinhart betrachtet seine Taten und sich selbst als sakrosant und versucht, Isengrin ebendiesen Eindruck zu vermitteln, sodass dieser die Taten seines Gevatters nicht hinterfragt und seine Schmerzen vergisst.

Interpretion der Textstelle

Durch die Tonsur hat Isengrin nicht nur seinen Pelz im Kopfbereich verloren, und damit eines der Haupt-Anzeichen für Vitalität und Stärke im Tierreich, sondern hat nun ein anderes Auftreten als vor der Textstelle. Die Tonsurierung fungiert als conversio eines Mannes hin zu einem Mann Gottes. Durch die Tonsur evoziert nun auch Isengrin dieses Bild, dass er sich dem Weltlichen abgewandt und Gott zugewandt hat. Dies ist durch die Existenz seiner Partnerin und seiner zwei Söhne besonders problematisch. Als Mann Gottes darf die Weitergabe seiner Gene nicht seine Priorität sein - anders als es normalerweise der Fall wäre. Diese Abwendung von Sexualität stellt somit den ersten Schritt der Depotenzierung Isengrins dar.

Kastration Isengrins

Nach der vorangegangenen Tonsur erfolgt nun die ultimate und irreversible Depotenzierung. Wie es dazu kommt, und welche Folgen diese mit sich bringt werden im Folgenden erörtert.

Vorangegangene Geschehnisse

Als Reinhart Isengrin kurze Zeit später zum Eisfischen überredet, sagt er ihm, er solle den Eimer halten. Er befestigt ihn an dem Schwanz von Isengrin und gießt immer wieder Wasser über diesen, als Isengrin sich über das Gewicht wundert, behauptet Reinhart jedoch, dass sie großen Erfolg im Fischfang haben. Aufgrund der Temperaturen friert der Schwanz schnell fest. Als Reinhart sich sicher ist, dass Isengrin festgefroren ist, erzählt er ihm, dass er sich auf den Weg zum Kloster macht, um ihre Mitbrüder die Mönche zu holen die ihnen tragen helfen sollen, und lässt Isengrin zurück. Dieser gerät alsbald in eine heikle Situation als der Jäger Birtin sich im näherte.

Übersetzung der Textstelle (V. 805-821)

Mittelhochdeutsch Übersetzung
Isingrin was besezzin. Isengrin war umzingelt.
her Birtin hate ime gemezzin: Herr Birtin hatte ihn abgeschätzt:
den rucke wolter ime inzwei slahin. denn er wollte ihm den Nacken abschlagen.
do begunden ime die fuze ingan, Da fing es an, dass ihm die Füße wegrutschten,
vonme sliffe er nider kam: auf dem glitschigen Eis fiel er hin:
div gleti ime den swanc nam. die Glätte nahm ihm den Schwung.
umbe den sturz er niht enlie, Aufgrund des Sturzes
an den kniwin er wider gie. machte er auf den Knien weiter.
div gletin im aber den swanc nam, Die Glätte nahm ihm erneut den Schwung,
daz er heht ubir den zagel kam; sodass er nur den Schwanz traf;
den sluoc er ime garwe abe. den schlug er ihm gänzlich ab.
sie ir huobin beide groze clage. Sie hegten beide großes Bedauern.
Her Birtin do clagete, Herr Birtin beklagte,
daz er vermisset habete, dass er nicht getroffen hat,
ouch clagite sere Isingrin und Isengrin jammerte
den vil liebin zagil sin. seinem geliebten Schwanz nach.
den muoser da ze pfande lan. Den musste er als Pfand zurücklassen.

Nachfolgende Geschehnisse

Nach dem Verlust seines Schwanzes verlässt Isengrin den Schauplatz schnell und folgt Reinhart in Richtung Kloster.

Interpretation der Textstelle

Es könnte zwar als glückliche Fügung angesehen werden, dass er mit dem Leben davon gekommen ist, doch hat der Verlust des Schwanzes starke negative Auswirkungen. Die Textstelle kann auf verschiedene Weise gedeutet werden. Einerseits kann man "zagil" ausschießlich als die Rute des Wolfes verstehen, wahrscheinlicher ist jedoch die Auslegung, dass "zagil" hier für das männliche Glied steht. Somit wurde Isengrin nicht nur physischer Schmerz zugefügt, sondern er wurde des Weiteren auch seiner Männlichkeit beraubt.

Deutung der fortlaufenden Geschehnisse

Das mit "zagil" das männliche Genital beschrieben wird, wird durch die nachfolgenden Geschehnisse der Brunnenszene deutlich. Denn nachdem Isengrin aufgrund einer List Reinhart's, damit ebendieser aus dem Brunnen entkommt, im Klosterbrunnen festsitzt wird er von den Mönchen entdeckt. Diese ziehen ihn hinaus und beginnen auf ihn einzudreschen. Die Tatsache, dass die Mönche von jedoch Isengrin ablassen, nachdem ihr Prior ausruft dass Isengrin ritual beschnitten sei, legt die Annahme nahe, dass mit "zagil" hier das männliche Glied gemeint ist. Neben der rituellen Beschneidung entdeckt der Prior auch das Fehlen von Isengrin's Haupthaars, was er damit deutet, dass dieser ebenfalls eine Tonsur trägt. Da sie ihn aus diesen Gründen als Büßer verstehen, lassen sie im Grunde wegen der sichtbaren Nachwirkungen von Reinhart's Listen und den Schmerzen die Isengrin dadurch erleiden musste von ihm ab. Dass Isengrin somit nur durch die Verstümmelungen, die er erleiden musste, mit dem Leben davonkommt ist recht ironisch.

Folgen des Schwanzverlusts

Durch die vorangegangene Tonsur und die spätere Kastration ist die vorherig exorbitante Männlichkeit Isengrins nun nur noch rudimentär ausgeprägt. Das ist daher gravierend, da die Männlichkeit Isengrin's als einer der Hauptpfeiler der Beziehung zwischen ihm und Frau Hersant fungierte. Die Abweisungen Reinharts hat Frau Hersant stets mit ebendieser Männlichkeit begründet. Somit haben die Taten Reinharts, beziehungsweise die aus seinen Taten resultierenden Folgen, eminenten Einfluss auf das Familienkonstrukt der Wölfe. Dieser wird im Folgenden analysiert.

Vorangegangene Geschehnisse

Als Isengrin nach diesen Geschehnissen wieder zu seiner Familie stößt, und ihnen sein Leid klagt zielt er, nach Mecklenburg, nicht auf Mitleid ab sondern möchte vielmehr, dass sie sich über diese Geschehnisse erzürnen. Des Weiteren ist er darauf aus, den Emotionsausdruck des Zorn-Handels, und somit der Rachenahme am Verursacher dem Fuchs, seitens seiner Familie auszulösen. vgl. [Mecklenburg 2017:76]
Seine Familienmitglieder beginnen jedoch zu weinen und reagieren somit nicht so, wie Isengrin es beabsichtigt hatte. Nachdem Isengrin sie daraufhin zurechtweist und sie aufhören zu weinen kommen sie zu dem Schluss, welcher von Isengrin intendiert war. Sie entsagen Reinhart die familiäre Verbindung und kündigen an, eine Fehde mit ihm zu beginnen. Eminent ist in diesem Wortwechsel die Bestürzung Frau Hersants über die Depotenzierung ihres Partners. Diese ist recht expressiv für den Stellenwert den die Männlichkeit Isengrins in ihrer Beziehung einnimmt, doch dessen Wichtigkeit ist besonders durch das Prestigegefühl Frau Hersants geprägt.

Übersetzung der Textstelle (V. 1057-1060)

Mittelhochdeutsch Übersetzung
'o we, ich en mag ez niht ane sin! 'O weh, ich kann nicht ohne ihn sein!
mir ist leit, daz der man min Es erschüttert mich, dass mein Mann
ane zagel mvz wesen. keinen Schwanz mehr hat.
wi sol ich arme des genesen?' Wie soll ich Ärmste das ertragen?'

Nachfolgende Geschehnisse

Diese Aussage Frau Hersants begründet letztendlich die Fehde. Isengrin trabt er sogleich los um sich auf die Suche nach Reinhart zu machen und sich so für das Leid welches ihm und seiner Familie zugefügt wurde zu rächen. Bevor er jedoch Selbstjustiz verüben kann, trifft er auf den Luchs. Da dieser sowohl Fuchs als auch Wolf zu seiner Verwandschaft zählt, überredet er Isengrin sein Anliegen bei dem Gerichtstag vorzutragen anstelle sich durch Selbstjustiz zu rächen.

Interpretation der Textstelle

Des Weiteren ist bei dieser Textstelle auffällig, dass Frau Hersant in dieser Situation einen selbst-zentrierten Standpunkt einnimmt und ihrem Partner gegenüber sehr unempathisch auftritt. Obwohl es primär Isengrin ist, der Leid, sowie physischen Schmerz, erleiden musste, macht sie sich darüber Sorgen, wie sie das überstehen solle. In dieser Situation wirkt es zwar inadäquat, macht jedoch Rückschlüsse auf ihre monogame Beziehung möglich. Ihr Mann muss für sie ihr Leben lang die Funktion einer Stütze und des Beschützers einnehmen, zudem muss er in der Lage sein, die gemeinsamen Kinder verteidigen zu können. Durch die Verstümmelungen vermittelt sein Äußeres jedoch nicht länger die Maskulinität, auf die Frau Hersant, auch emotional, angewiesen ist. Dass diese auch emotional auf ihn als starken Partner angewiesen ist, zeigen die Geschehnisse nach ihrer Klage, denn er fragt sie sogleich was sie bekümmert, während sie Resignation verspüren darf. Ihr Leid ist letztendlich der Auslöser dafür, dass sich Isenrgin auf die Suche nach Reinhart macht um die Fehde zu beginnen.
Das Aufbrechen Isengrin's steht somit im Kontrast zu den Männlichkeitsidealen seiner Frau. Denn obwohl sein Äußeres nicht länger einen potenten und aggressionsfähigen Mann erwarten lässt, hat sich an seinem Auftreten und Handeln letztendlich nichts verändert - er ist noch immer in der Lage seine Familie zu verteidigen.

Frau Hersant

Entehrung Frau Hersants

Wie in Sexuelle Gewalt im Reinhart Fuchs ausführlich dargelegt, kommt es zu einer Vergewaltigung Frau Hersant's durch Reinhart. Da sie in einer Dachshöhle feststeckt, kann sie sich nicht zur Wehr setzen, obwohl sie die körperliche Kraft betrachtend, das stärkere Tier ist. Besonders perfide ist dabei der Zeitpunkt des Geschehens. Denn Reinhart war auf der Flucht vor den anderen Tieren um sich nicht für seine Taten verantworten zu müssen. Das Frau Hersant bei den Verfolgern an der Spitze war wurde ihr zum Verhängnis. Denn Reinhart entehrt sie öffentlich vor zahlreichen Tieren - am schlimmsten ist jedoch, dass auch Isengrin und die gemeinsamen Söhne sich dies anschauen mussten, ohne einschreiten zu können da sie zu spät kommen. Statt sich zu seinen Taten zu bekennen und sich für sie zu verantworten hat Reinhart noch eine weitere Schandtat vollzogen.
Hervorzuheben ist auch, wie sich die Avancen Reinharts zu diesem Vorfall verändern konnten. Zu Beginn hat er alles versucht, Frau Hersant davon zu überzeugen, dass er ein geeigneter Partner für sie sei. Als sie diese Versuche jedoch abblitzen lies, muss sich in Reinharts Gefühlslage etwas verändert haben. Ob es an verletztem Stolz oder einfach an Traurigkeit oder Liebeskummer liegt ist unklar und es kann nur spekuliert werden. Die Veränderung von galanter Umwerbung hinzu erniedrigender Vergewaltigung vor den Augen ihres Mannes, ihrer Kinder und vielen Anderen vollzog sich jedoch rapide und zieht gravierende Folgen für die Familie der Wölfe nach sich.

Der finale Bruch der Wölfe mit Reinhart

Vorangegangene Geschehnisse

Isengrin ist konsterniert über diese Demütigung seiner Frau und auch seiner Ehre und beginnt vor Wut zu weinen. Diese öffentliche Entehrung des weiblichen Familienoberhaupts der Wölfe ist mehr als diese ertragen können.

Übersetzung der Textstelle (V. 1226-1231)

Mittelhochdeutsch Übersetzung
ver Hersant weinete do Da begann Frau Hersant zu weinen
vnde hulte Ysengrin, und Isengrin heulte,
alsam taten ovch di svne sin. wie es auch seine Söhne taten.
daz laster mvsten si haben. Was für eine Schmach die ertragen mussten.
do begonden si dannen draben, Da begannen sie, hinfort zu traben,
vil zornic was ir aller mvt. jeder von ihnen mit einem zornigen Gemüt.

Nachfolgende Geschehnisse

Reinhart hält jedoch an seinem impertinenten und mokanten Verhalten fest und beginnt nun auch noch die Familie der Wölfe zu verhöhnen. So sollen die Wölfe Frau Hersant zum Beispiel bei Reinhart zurücklassen, da sie aufgrund des vollzogenen Geschlechtsaktes nun bei ihm die Hausfrau sei. Isengrin erwidert darauf nichts mehr, da sich das Land in einem, von König Vrevel ausgerufenen, Landfrieden befindet.

Folgen am Hoftag

Wie sehr Reinhart der Familie der Wölfe durch die Vergewaltigung geschadet hat und wie sehr er sie entehrt hat wird beim Hoftag deutlich. Da Isengrin diesen Vorfall dort zur Anklage bringt, er muss dies tun da "[...] Frauen in der mittelalterlichen Gesellschaftsordnung nicht als eigenständige Rechtssubjekte gelten [...]" [Mecklenburg 2017:86], wird ihm bewusst gemacht, dass er dieses Thema schnellstmöglich in Vergessenheit geraten lassen sollte. Andernfalls "[...] schädige [er] die Ehre von Weib und Kind, wenn er derartige Geschichten in die Öffentlichkeit trage." [Ruh 1980:15] - so behauptet es zumindest Crimel der Dachs, welcher für die Verteidigung Reinharts zuständig ist. Wovon Crimel hier Gebrauch macht würde man heutzutage als "Gaslighting" bezeichnen. Gaslighting beschreibt "[... eine Manipulationstechnik, bei welcher das Opfer gezielt desorientiert wird [...]". [1] Durch die Aussage die er tätigt weist er den Leidtragenden der Situation die Schuld zu. Des Weiteren formuliert er seine Aussage so einschüchternd und manipulativ, dass sie sich in Zukunft nicht mehr trauen werden, diese Angelegenheit zur Anklage zu bringen. So wurde der Familie der Wölfe, insbesondere Frau Hersant, hier nicht nur Schaden zugefügt, sondern auch jede Möglichkeit genommen, den Schuldigen dafür zur Rechenschaft zu ziehen - die Tat als solche bleibt somit ungesühnt.

Klimax des Konflikts zwischen Fuchs und Wolf

Den Höhepunkt Reinhart's Listen, stellt jedoch der bereits erwähnte Hoftag dar. Nachdem Isengrin die Taten die Reinhart begangen hatte verkündet steht der Großteil der anwesenden Tiere auf seiner Seite, nicht zuletzt weil manche von ihnen auch schon negative Erfahrungen mit Reinhart machen mussten. Diese Menge an Tieren ist davon überzeugt, dass sich Reinhart für diese zu verantworten hat und fordert, dass er durch das Erhängen mit dem Tod bestraft werden soll. Obwohl Reinhart also ursprünglich für seine Untaten angeklagt und zur Rechenschaft gezogen werden sollte, wendet er sich schnell durch eine List heraus und schafft es nun, auf diabolische Art und Weise, Isengrin gravierenden Schaden zuzufügen.

Vorangegangene Geschehnisse

Reinhart gibt sich als Botschafter eines Arztes aus, welcher ihn aus der Ferne entsendete um den Löwenkönig Vrevel von seinem Leid zu befreien. Aufgrund seiner eloquenter Ausdrucksweise, schafft es Reinhart sich das Vertrauen des Königs zu erschleichen. Als er diesen von seiner Loyalität und seinen Bemühungen ein Heilmittel für ihn, den König, zu finden überzeugt hat, erteilt er ihm Rat, wie der König sein doloröses Leiden beenden könne.

Übersetzung der Textstelle (V. 1896-1901)

Mittelhochdeutsch Übersetzung
'evch enpevtet der arzet me, 'Des weiteren lässt er mich euch ausrichten,
ob ir einen alden wolf mvget vinden, dass wenn ihr einen alten Wolf finden könnt,
den svlt ir heizen schinden, ihr ihm die Haut abziehen lassen sollt;
ovch mvzet ir eines bern hvt han.' auch müsst ihr die Haut eines Bären haben.'

Der König Vrevel beschließt sich, diesen Empfehlungen Folge zu leisten und fordert von Isengrin und seinem Kaplan die Pelze ein. Während der Kaplan Vrevel um Gnade anfleht, ist Isengrin insistent und versucht, Vrevel von dem Richtigen zu überzeugen.

Übersetzung der Textstelle (V. 1920-1925)

Mittelhochdeutsch Übersetzung
'sol mir alsvs gerichtet sin 'Soll das also das Gericht
vmme min wip, daz ist ein not.' für meine Frau sein, das ist ein Jammer.'
sinen zagelstrvmph er herfvr bot: Er zeigte den Stummel des Schwanzes vor und fuhr fort:
'sehet, wi mich ewer arzat 'Seht, wie mich euer Arzt
hinderwert gevnert hat. hinterrücks geschändet hat.
ouch mag evch wol ergan so.' Euch mag es wohl ebenso ergehen.'

Nachfolgende Geschehnisse

König Vrevel misst den Worten Isengrins jedoch keine Bedeutung bei und lässt ihn und Herr Brun, seinen Kaplan, ergreifen. Anschließend lässt er ihnen, Reinhart's Rat befolgend, das Fell abziehen.

Interpretation der Textstellen

Die Tatsache, dass Reinhart es schafft aus der ursprünglichen Rolle des Angeklagten auszubrechen und alleine durch seine kongeniale Rhetorik und Selbststilisierung den König dazu bringt ihm vollends zu vertrauen ist bestürzend. Denn sein Plan, den er mit einer perfiden und dennoch respektablen Subtilität ausführt, war von Beginn des Hoftages an "[...] das Vertrauen des kranken Vrevel durch das Rechtfertigungsnarrativ vom kundigen Arzt zu gewinnen, um es dann für die Rache am Wolf [...] zu missbrauchen." [Neudeck 2016:22] Er erschleicht sich somit durch die ostentative, angebliche, Loyalität zum König dessen Vertrauen und bringt die Familie der Wölfe dadurch in eine prekäre Situation. Denn diese konnte so keine Gerechtigkeit, für die Dinge die Reinhart ihnen angetan hat, erlangen. Viel gravierender ist jedoch, dass Reinhart, trotz seiner anfänglichen Ohnmacht in der Szene des Hoftags, wieder einmal für das Leid der Wölfe verantwortlich ist. Die zwei Rollen die Reinhart während des Hoftags einnimmt sind einander antithetisch zugeordnet; zunächst erscheint Reinhart als Angeklagter, um sich anschließend in die Rolle des Richters und Rächers zu begeben. vgl. [Ruh 1980:27] Denn er kann von den Wölfen als sein Opfer nicht ablassen und holt somit zum finalen Gegenschlag aus. Dass Isengrin, das Familienoberhaupt der Wölfe, bei lebendigem Leibe, und somit unter brachialen Umständen, sein Fell abgezogen bekommt, verleiht dem Fuchs als bewiesener Widersacher der Wölfe letztlich infernalische Züge.

Auslegungen von Isengrin's Verhalten

Isengrin's Verhalten auf zweierlei Weisen verstanden werden. Auf der einen Seite kann man argumentieren, dass Isengrin sich aufgrund seiner Loyalität zum König, abgesehen von seinem ausschließlich mündlichem Widerstand, mehr oder weniger freiwillig in sein Schicksal fügt. Vor der Kulisse des Hoftages wurde jedem Tier das erscheint körperliche Unversehrtheit zugesichert. Somit hätte der König Isengrin zumindest an diesem Tag nicht dazu zwingen können sein Fell aufzugeben - zumindest nicht ohne gegen seine eigenen Versprechungen zu verstoßen und sein Gesicht zu verlieren. Wenn man davon ausgeht, dass sich Isengrin dieses Versprechens bewusst war und daran glaubt, dass der König sein Versprechen hält, muss man davon ausgehen, dass er alles dafür gibt, seinem König eine Genesung zu ermöglichen. Jedoch ist es schwierig, diese Annahme alleine dadurch zu begründen, dass Isengrin nur mündlichen Widerstand leistet. So könnte man beispielsweise auch annehmen, dass Isengrin sich dessen bewusste ist, dass jedem Tier körperliche Unversehrtheit zugesichert wurde und er sich aus diesem Grund nur verbal zur Wehr setzt.

Der eben dargelegten Interpretation seines Verhaltens gegenüber steht die wahrscheinlichere Annahme, dass Isengrin sich zu diesem Handeln gedrängt fühlt. In der Übersetzung der Textstelle von Vers 1920-1925 wird klar, dass er darüber enttäuscht ist, wie der König handelt. Er ist desillusioniert darüber, dass seine Frau und er, selbst vor der Kulisse des Hoftages, keine Gerechtigkeit dafür erfahren, was Reinhart ihnen angetan hat. Dadurch, dass Reinhart in Anwesenheit aller auf prätentiöse Weise von den Gefahren die er, für die Suche nach einem Heilmittel für den König, auf sich genommen hat könnte sich Isengrin dazu gedrängt fühlen, ebenfalls Leid auf sich zu nehmen um neben Reinhart nicht illoyal zu wirken oder in Anwesenheit aller Tiere den Königsdienst zu verweigern. Wenn man die Persönlichkeit und das Verhaltens des Königs als entscheidenden Faktor hinzuzieht, könnte man ebenfalls annehmen, dass Isengrin aus Angst vor diesem so handeln musste. Denn so war er, wenn man die Familie der Wölfe betrachtet, alleiniger Leidtragender. Wenn er sich aber geweigert hätte, zu dem angeblichen Heilmittel beizutragen, wäre es durchaus vorstellbar, dass auch seiner Familie als Konsequenz Leid zugefügt wird. Somit ist Isengrin zwischen der Rolle als Oberhaut einer Familie und der des Wolfes, der für seine Überzeugungen einsteht, hin- und hergerissen.

Fazit

Oberflächlich betrachtet erscheint es leicht und eindeutig nur Reinhart maliziöse Eigenschaften und Taten zuzuordnen. Bei kritischer Betrachtung, fällt es jedoch auf, dass auch Isengrin den Gesellenbund den sie anfänglich eingegangen sind, wessen Grundpfeiler die beidseitige Treue ist, gebrochen hat. Er hat die List und Verschlagenheit Reinharts ausgenutzt um seine Familie und sich selbst zu ernähren. Ihm können gewissermaßen auch opportunistische Wesenszüge zugeordnet werden, denn trotz der Avancen die Reinhart Frau Hersant machte, ersuchte Isengrin ihn, nachdem er bei Reinhart Aale witterte, vom Hunger geplagt, um Hilfe. Somit stellt Isegrin sein Verlangen nach Nahrung eindeutig über den verletzten Stolz durch Reinhart's Täuschung - die tierischen Wesenszüge triumphieren somit über die menschlichen. Dennoch, oder gerade aus diesem Grund, ist Isengrin's Handeln anders zu bewerten als das Reinhart's. Während Isengrin das Überleben seiner Familie und sich selbst als Ziel hatte, war es bei Reinhart ab einem gewissen Punkt nur noch die Rache die ihn angetrieben hat. Kurt Ruh hat das Vorgehen Reinharts dabei pointiert beschrieben: "[v]ollends provoziert er die Gefräßigkeit und Dummheit des Wolfes." [Ruh 1980:31]. So lockt Reinhart die Familie, oder deren Anhänger, multiple Male in Gefahrensituationen, welche die Wölfe durch Nahrung locken, denen er immer wieder rechtzeitig entflieht - wie im Klosterkeller oder beim Eisfischen, um nur zwei Gelegenheiten zu nennen. Zudem hat nach Ruh [Ruh 1980:22] eine körperliche Schädigung als auch eine moralische Demontage Isengrins stattgefunden.
Diese vollzog sich, ebenfalls Ruh [Ruh 1980:22] zufolge, in den folgenden drei Etappen:
1.: Szene 1: Wolfsschwur auf der Falle und Szene 2: Hersants Ehebruch
2.: Szene 3: Isengrin als Mönch, Szene 4: Fischweiher (Schwanzverlust) und Szene 5: Brunnenszene
3.: Szene 6: (vermiedener) Fuchsschwur auf des Rüden Zähne und Szene 7: Notzucht der Hersant
Die Vergewaltigung von Isengrins Frau stellt somit die Klimax des sich über zahlreiche Szenen ersteckenden Konflikts zwischen Reinhart und der Familie der Wölfe.

Die Vergewaltigung Frau Hersants

In Kapitel 2.4 wurde zwar korrekterweise festgestellt, dass Isengrin Reinhart gewissermaßen zu einer Nähebeziehung zu Frau Hersant eingeladen hat, dennoch muss man hier dem Kontext entsprechend differenzieren. Isengrin hat Reinhart zum Taufpaten seiner Söhne gemacht und somit zu einer Art Verwandtem oder engem Freund der Familie. Besonders wenn man hier die Verwandtschaftsbeziehung annimmt wird klar, dass diese Einladung seitens Isengrin nicht sexuell konnotiert oder intendiert war. Wenn man die letztendliche Vergewaltigung dennoch damit entschuldigt handelt es sich um Victim Blaming. Denn "[b]eim Victim Blaming soll aus dem Opfer der Täter gemacht werden.". [2] Da Isengrin im Zuge der Vergewaltigung seiner Frau ebenfalls zum Leidtragenden und somit zum Opfer wird, kann man diese Vergewaltigung keinesfalls durch diese, durch Isengrin bewirkte, Verwandtschaftsbeziehung begründen. Hier muss man schlicht darauf schließen, dass Reinhart seine eigenen Beweggründe hatte. Michael Mecklenburg zeigt auf, dass durch diese Vergewaltigungsszene "[...] nicht nur sexualisierte Gewalt qua überlegener Körperkraft legitimiert wird, sondern eben auch eine Ausübung sexualisierter Gewalt, die sich zur Kompensation von Körperkraft-Defiziten anderer Mittel bedienen darf." [Mecklenburg 2017:96]. So kann man sagen, dass Reinhart die Situation, in der sich Frau Hersant nicht zur Wehr setzen konnte, schlichtweg ausgenutzt hat. Diese Untat, ausgeübt unter solch unfairen Umständen, verdeutlicht hier die perfiden Charakterzüge Reinhart's.
Daher kann man sagen, dass sich "Reinhart Fuchs" in die lange Reihe von Tierdichtungen einreiht, in denen Wolf und Fuchs versierte Widersacher sind, welche sich auf luziferische Weise gegeneinander behaupten.

Verzeichnis

Quellen

<HarvardReferences />

  • [*Heinrich der Glîchezâre 1995] Heinrich der Glîchezâre: Reinhart Fuchs. Mittelhochdeutsch/Neuhochdeutsch, hg., übers. und erläutert von Karl-Heinz Göttert, bibliographisch ergänzte Ausg., Stuttgart 2005 (Reclams Universal-Bibliothek 9819).

Literatur

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  • [*Müllneritsch 2010] Müllneritsch, Helga: Die Darstellung des Fuchses in der mittelalterlichen Dichtung, Graz, S. 289-306

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  • [*Mecklenburg 2017] Mecklenburg, Michael: mir ist lait, daz der man min / ane zagel muz wesen (V. 1058f.). Zur Überlagerung von Animalität, Geschlecht und Emotion in Heinrichs Reinhart Fuchs, in: Abenteuerliche ‚Überkreuzungen‘. Vormoderne intersektional, hg. von Susanne Schul, Mareike Böth und Michael Mecklenburg, Aventiuren (12), Göttingen 2017, S. 73-98.

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  • [*Ruh 1980] Ruh, Kurt: Höfische Epik des deutschen Mittelalters. Bd. 2: 'Reinhart Fuchs', 'Lanzelet', Wolfram von Eschenbach, Gottfried von Straßburg, Berlin 1980 (Grundlagen der Germanistik 25), S. 13-33

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  • [*Neudeck 2016] Neudeck, Otto: Der Fuchs und seine Opfer: Prekäre Herrschaft im Zeichen von Macht und Gewalt. Die Fabel vom kranken Löwen und seiner Heilung in hochmittelalterlicher Tierepik. Reflexionen des Politischen in europäischer Tierepik, Berlin / Boston 2016, S. 10–26.
  1. Gaslighting: arbeits-abc.de. URL: https://arbeits-abc.de/gaslighting/#a1, zugegriffen am 19.01.2021.
  2. Victim Blaming: atornix. URL: https://atornix.de/diskriminierung/victim-blaming, zugegriffen am 19.01.2021.