Reinharts Bosheit (Reinhart Fuchs): Unterschied zwischen den Versionen
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[*Helga Müneritsch 2010] |
Version vom 15. Februar 2021, 16:03 Uhr
Dieser Artikel beschäftigt sich mit der Bösartigkeit des Fuchses Reinhart aus dem von Heinrich der Glîchezære[1] verfassten Tierepos. Die verschiedenen Stufen seiner Listen sollen analysiert werden, mit der Absicht, die Entwicklung seiner Bosheit zu dokumentieren. Somit werden sowohl Reinheits Absicht und Bereitwilligkeit, Schaden anzurichten, als auch Reinharts eigene Wahrnehmung seiner Moral in den Fokus gerückt.
Historische Hintergründe
Der Fuchs wird bereits im Mittelalter mit Schlauheit, Täuschung und Hinterlistigkeit verbunden und ist ein Symbol der dunklen Künste. Anders als heute hatte man im Mittelalter andere Blickwinkel. Somit wurden Füchse nicht nur aus der Perspektive der Naturwissenschaft betrachtet, sondern aus der der Heilkunde. Füchse wurden als ein schlechtes Omen angesehen und mit schwarzer Magie und dem Bösen in Bezug gesetzt. Die symbolische Bedeutung des Fuchses hat ihren Ursprung in dem altdeutschen Physiologus, wo der Fuchs als ein ideenreiches aber negativ gestimmtes Tier dargestellt wird. [Helga Müllneritsch 2010: 291]
Die Verbindung mit Heilkunde und magischen Kräften die im Mittelalter eine große Rolle spielen, zeigen sich auch im "Reinhart Fuchs" an einigen Stellen, wie zum Beispiel am Ende, wieder. Im Zusammenhang mit dem Aberglaube, der Fuchs sei ein Zeichen des Bösen und ein "Hexentier", was so weit verankert war, das man die Bezeichnung "Fuchs" mied, bekommt die Stelle an der sich Reinhart als Arzt ausgibt, aber statt Heilung Verderben mit sich bringt eine tiefgründigere Bedeutung, die man aus der Perspektive des 21.Jahunderts leicht übersieht.
Der Fuchs hat seinen Weg in vielen Fabeln gebahnt und wird oft mit denselben bereits erwähnten Merkmalen ausgestattet. Trotz der eigentlichen Verwandtschaft zwischen Füchsen und Wölfen, die daher abgeleitet wird, dass beide zu der Familie der "Hundeartigen" gehören, fallen sich diese in Fabeln und anderen Geschichten immer wieder in den Rücken. So scheint es als sei die Geschichte der Wolfsfamilie und Reinhart Schicksal und in Stein gemeißelt.
Stufen der Listen
Die Geschichte beginnt damit, dass der Fuchs als schlau und listig ("kundigkeit") dargestellt wird. Bei der Vorstellung des Fuchses wird Reinhart mit "iz"="es" eingeführt. Damit scheint er zunächst eher mit der tierischen Welt in Verbindung gebracht zu werden. Kurze zeit später bekommt er jedoch das Personalpronomen "er" was ihn personifiziert. Damit wird dem Fuchs ein Charakter zugeteilt. Die Inkonsistenz stellt ein Problem dar, bei der Art mit der man an den Text herangehen sollte. Man hat die zwei folgenden Möglichkeiten: Entweder man sieht den Fuchs als ein Tier, was kein Bewusstsein besitzt und somit auch keine Moral, wodurch sein Handeln nicht beurteilt oder bewertet werden können, oder man sieht Reinhart als ein Charakter. Wenn man Reinhart als ein Charakter betrachtet, kann sein handeln analysiert und kommentiert werden. Im Folgenden wird der Schwerpunkt auf Reinhart als Charakter gesetzt, dennoch werden einige Argumente auf sein Dasein als Tier basieren.
Gescheiterte Streiche
Am Anfang kann man eine Reihe von Listen sehen, die alle fehlschlagen. Reinhart scheitert dabei, die Hühner und den Raben zu überlisten und seine Jagd ist somit nicht erfolgreich. Jedoch muss man trotz der hinterhältigen Absichten Reinharts anmerken, dass diese auf seine tierischen Instinkte zurückzuführen sind, wenn man sein Verhalten aus der Sicht einer biologischen Tierwelt betrachtet. Reinhart muss schließlich was fressen, um zu überleben. In diesen Episoden scheint der Fuchs nicht nur zu handeln, um anderen Schaden zuzufügen, sondern sich darauf zu konzentrieren, an Futter zu gelangen.
(255-275) | |||
Mittelhochdeutsch | Übersetzung | Mittelhochdeutsch | Übersetzung |
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Nv horet, wie Reinhart, | Nun hört, wie Reinhart, | dines vater trewe waren gvt, | Die Treue deines Vaters war gut, |
der vngetrewe hovartta, | der untreue Höfling | ovch hore ich sagen, daz sippeblvt | Auch höre ich, dass man sagt, dass Blutsverwandschaft |
warb vmb sines neven tot. | sich um den Tod seines Neffen bemühte. | von wazzere niht vertirbet. | von Wasser nicht vertrieben wird. |
daz tet er doch ane not. | Das tat er jedoch ohne Grund. | trvt neve, nv bedenke mich! | Geliebter Neffe, nun bedanke ich mich! |
Er sprach: ,lose, Dizelin, | Er sagte: Lieber, Dizelin, | din neve alsvst erstirbet. | Dein Neffe geht auf diese Weise zugrunde. |
hilf mir, trvt neve min! | Hilf mir, mein geliebter Neffe! | daz macht dv erwenden harte wol. | Das lässt dich wohl stark zurückschrecken. |
dir ist leider miner not niht kvnt: | Dir ist meine Verzweiflung leider nicht bekannt: | vom stanke ich grozen kvmmer dol.' | Der Gestank bereitet mir große Sorgen. |
ich wart hvete vru wunt; | ich wurde heute früh verwundet; | Der rabe zehant hinnider vlovc, | Der Rabe flog sofort herab, |
der kese liet mir ze nahen bi. | Der Käse liegt mir zu nahe. | dar in Reinhart betrovc. | da betrog ihn Reinhart. |
er smecket sere, ich vurcht, er si | Er schmeckt sehr, ich fürchte, er sei | er wolde im helfen von der not | Er wollte ihm aus der Not helfen, |
mir zv der wunden schedelich. | schädlich für meine Wunden. | dvrch trewe, daz was nach sin tot. | aus Treue, dass war später sein Tot. |
Dennoch fehlt der Methode, mit der Reinhart sich den anderen Tieren nähert, jegliche Empathie. Er schmeichelt den Tieren, um ihr Vertrauen zu erlangen - nur um sie dann zu betrügen. Durch die Personifikation der Tiere scheint das Jagen eine ganz neue Bedeutung zu erlangen. Das Tierepos weist den Tieren Gefühle, Gedanken sowie Eigenschaften (Intelligenz) zu, wodurch das Handeln des Fuchses nicht mehr auf animalische Instinkte zurückgeführt werden kann, sondern impliziert, dass der Fuchs Verstand hat und somit auch ein Gewissen besitzen sollte.
Reinharts Scheitern am Anfang zeigt, dass die anderen Tiere, vor allem die kleineren wie der Hahn, der Rabe und der Kater, sich vor ihm in Acht nehmen und damit rechnen, überlistet zu werden. Diese Vorsicht erschwert Reinhart die Jagd.
Erster erfolgreicher Streich mit den Wölfen
Reinhart, obwohl Füchse keine Rudeltiere sind, sucht sich Verbündete und gelangt zu der Wolfsfamilie. Im Gegensatz zu den "Gegnern", die Reinhart bis jetzt hatte, sind die Wölfe nicht wachsam und wenn doch, reicht ihnen die Aussage Reinharts, dass sie stärker sind und somit einen Vorteil ihm gegenüber hätten. Das Angebot, mit Reinhart zusammenzuarbeiten, scheint auch verlockend. Die Wölfe sind für Reinhart anfangs nur ein Mittel zum Zweck. Jedoch scheint es vorerst nicht, als würde er sie überlisten wollen, er will sich einfach nur ihrer Kräfte bedienen.
Und tatsächlich läuft der erste Streich, den Reinhart zusammen mit den Wölfen ausführt, erfolgreich:
(458-474;485-490) | |||
Mittelhochdeutsch | Übersetzung | Mittelhochdeutsch | Übersetzung |
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Reinhart hvb sich sa, | Darauf eilte Reinhart zu einer Stelle, | e dan der gebvre mochte wider kvmen, | ehe der Bauer zurückkommen konnte, |
do der gebvr hine solde gan. | wo der Bauer vorbeikommen mußte. | so hat er den bachen genvmen | hatte er den Schinken weggenommen |
einen vuz begonde er vf han | Er zog einen Fuß an | vnd hat in schire vressen | und ihn schleunigst verschlungen. |
vnde sere hinken, | und hinkte sehr; | Y sengrin begonde lachen, | Isengrin fing an zu lachen: |
er liez den rvcke sinken, | dazu knickte er den Rücken ein, | Reinhartes wart vergessen. | An Reinhart dachte keiner. |
recht als er ime were enzwei. | als sei er ihm zerschlagen. | (...) | |
der gebvre in vaste aneschrei, | Der Bauer schrie heftig auf ihn ein. | er sprach: , wol mich des gesellen min! | "Wohl mir bei diesem Gefährten! |
den bachen warf er vf daz gras, | Er warf den Schinken ins Gras, | wi mochte wir baz inbizzen sin? | Wie hätten wir einen hübscheren Bissen finden können? |
nach Reinhartes kel ime gach was. | denn ihm war es nur noch um Reinharts Kehle zu tun; | ich weiz im disez ezzens danch.' | Für diese Mahlzeit ist ihm mein Dank gewiß." |
sin colbe was vreislich. | seine Keule sah entsetzlich aus. | do weste er niht den nachclanch. | Er ahnte aber noch nicht das Ende. |
Reinhart sach vmme sich | Reinhart blickte sich um | Reinhart qvam spilinde vnde geil, | Reinhart näherte sich ganz vergnügt |
vnde zoch in zv dem walde. | und lockte ihn zum Wald hin. | er sprach: ,wa ist hin min deil?' | und meinte:" Wo ist mein Anteil geblieben?" |
Ysingrin hvb sich balde: | Isengrin machte sich rasch auf den Weg: |
Diese Stelle zeigt nicht nur Reinharts ersten erfolgreichen Streich, sondern womöglich auch den Grund, weshalb er anfängt, seine Listen auf etwas anderes zu konzentrieren als die Jagd. Trotz der Personifikation des Fuchses bleibt Reinhart weiterhin ein Fuchs, futterneidisch und aggressiv. Die Wölfe lassen ihm nichts von der Beute übrig, die er durch seinen Plan und dem Ablenkungsmanöver erbeutet, was Reinhart mehr stört als er vorerst zeigt. Sein ganzes Verhalten nach dieser Szene scheint sich zu verändern und auf Rache abzuzielen. Die Veränderung des Fuchses lässt Reinhart jetzt mehr wie eine Figur wirken als ein Tier. Er plant bewusst den Untergang der Wölfe und fokussiert seinen Hass auf Isegrin. Reinhart scheint noch mehr als zuvor zu bemerken, dass seine Streiche eher auf kosten von anderen erfolgreich sind. Er lernt geduldiger zu sein und zuzuschlagen wenn es keiner Erwartet, ganz im Gegensatz zu seinem Benehmen in der Episode mit dem Raben oder der Meise. In der Wolfsepisode nistet Reinhart sich vorerst bei seinem "Gevater" ein. Isegrins Naivität trägt zum Teil an dem Fortschreiten von Reinharts hinterlistigem Verhalten bei. Reinhart wird in seinen Steichen, die inzwischen bösartiger Absicht sind, nicht gestoppt.
Reinhart erfährt bei den Wölfen kein Widerstand, da sowohl Hersante als auch Isegrin sich von der Tatsache ablenken lassen, dass sie dem Fuchs überlegen sind und ihn jederzeit von seinem Handeln abhalten könnten, sollte es ihnen Schaden."ich bin listic, starc sit ir, ir mochtet gvten trost han zv mir.".
Listen werden zu Straftaten
Reinhartis drivwe warin laz, | Von Treue konnte bei Reinhart keine Rede sein; |
er gefror ie baz unde baz. | immer mehr fror jener ein. |
,Dirre eimir swerit', sprach lsingrin. | "Der Eimer wird mir zu schwer", klagte Isengrin. |
,da han ich gezellit drin | "Ich habe schon dreißig Aale darin gezählt", |
drizic ale', sprach Reinhart, | antwortete Reinhart, |
,diz wirtein nuzze vart; | "das Unternehmen wird sehr erfolgreich; |
kunnint ir stille gestan, | wenn Ihr Euch nur ruhig verhaltet, |
zehinzic wellint drin gan.' | werden hundert hineingehen." |
Alsez do begunde dagen, | Als es nun Tag wurde, |
Reinhart sprach: | meinte Reinhart: |
,ich wil ivch mere sagin: | "Ich kann nur sagen: |
ich furhte, wir unsir giticheit | wir müssen unsere Gier |
uil sere engeltin; mir ist leit, | - fürchte ich-sehr büßen; es macht mir Sorge, |
daz so uil uisce drinne ist; | daß so viele Fische im Eimer sind; |
ich neweiz der zuo neheinen list. | denn jetzt ist meine Kunst am Ende: |
ir mugint sie niht uz erhebin. | Ihr dürftet sie kaum herausheben können; |
sehint, ob ir sie mugint irwegin.' | seht zu, ob Ihr sie auch nur ein wenig fortbewegen könnt, |
lsingrin geriet zucken, | Isengrin begann zu ziehen, |
daz is begunde drucken | aber das Eis hielt |
den zagel, er muoze da stan. | seinen Schwanz fest, so daß er bleiben mußte. |
Reinhart sprach: ,ich wil gan | Reinhart sagte: "Ich werde mich |
nah unsirn bruoderin darhaim: | zu unsern Mitbrüdern nadl Hause aufmachen, |
dirre gewin wirt niht clein.' | denn dieser Erfolg ist wahrlich nicht gering." |
Der dag begunde uf gan, | Da wurde es vollends Tag, |
Reinhart huob sich dannan. | und Reinhart machte sich davon. |
Nach alledem, was Reinhart den Wölfen antut und endlich vor Gericht geführt wird, flieht er in einen Dachsbau - gefolgt von Hersante, Isegrins Gattin, die stecken bleibt und somit Reinhart ausgeliefert ist, der sie vor allen Anwesenden erniedrigt.
Mittelhochdeutsch | Übersetzung |
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do gewan si schire schande genuc: | Nachdem sie sicher genug Schande erlitten hatte: |
sine mochte hin noch her, | Sie steckte fest und konnte weder rein noch raus, |
Reinhart nam des gvten war, | Reinhart nahm sein Glück wahr, |
zv eime andern loche er vz spranc, | und sprang zu einem anderen Loch wieder raus, |
vf sine gevateren tet er einen wanc. | seinem Gevater/Freund fügte er (seelischen) Schaden zu. |
Isengrine ein herzen leit geschach: | Isegrin tat das Herz weh: |
er gebrvtete si, daz erz an sach. | Er vergewaltigte sie, so dass er es mit ansehen musste. |
Reinhart sprach: ,villibe vrvndin, | Reinhart sagte: ,Sehr geliebte Freundin, |
ir schvlt talent mit mir sin. | Ihr werdet heute den ganzen Tag mit mir sein. |
izn weiz niman, ob got wil, | Es weiß keiner, ob Gott will, |
dvrch ewer ere ich iz gerne verhil.' | (aber) ich verheimliche es gerne um Eurer Ehre willen.' |
vern Hersante schande was niht deine, | |
si beiz vor zorne in die steine, | sie biss vor Wut in die Steine, |
ir kraft konde ir nicht gefrvmen. | ihre Kraft konnte ihr nicht helfen. |
Reinhart entkommt auch diesmal trotz seiner offenkundigen Straftat und lässt unbekümmert die entehrte Wölfin liegen. Konnte man seine Taten bis jetzt noch rechtfertigen, so geht an dieser Stelle die Möglichkeit, den Fuchs zu entschuldigen, verloren. Die Bosheit des Fuchses ist nicht mehr nur auf seine Gier und auf seinen Egoismus zurückzuführen, die in der Tierwelt in gewisser Weise zum Überlebensinstinkt dazuzugehören scheinen, sondern beruhen auf der puren Absicht des Fuchses, andere Beteiligte zu verletzen und ihnen Schaden zuzufügen. Diese Absicht ist in einigen seiner vorherigen "Listen" oder besser gesagt "Straftaten" enthalten, kann aber ab der Vergewaltigung deutlich als solche gesehen werden.
Man könnte versuchen, mit Fortpflanzungsinstinkten zu argumentieren, jedoch können sich Wölfe und Füchse nicht paaren, außerdem scheint Reinhart sich seiner Aktionen bewusst zu sein.
Rahezug außer Kontrolle
Bösartigkeit
Reinharts Moral-Wahrnehmung
Schluss
Literaturverzeichnis
[*Helga Müneritsch 2010]
- ↑ Heinrich der Glîchezâre: Reinhart Fuchs. Mittelhochdeutsch/Neuhochdeutsch, hg. und übersetzt von Karl-Heinz Göttert, Reclam, Stuttgart 1976.
- ↑ Ruh, Kurt: Höfische Epik des deutschen Mittelalters. Bd. 2: 'Reinhart Fuchs', 'Lanzelet', Wolfram von Eschenbach, Gottfried von Straßburg, Berlin 1980 (Grundlagen der Germanistik 25), S.22.