Negationspartikelentwicklung in der Textgeschichte: Unterschied zwischen den Versionen
Keine Bearbeitungszusammenfassung |
Keine Bearbeitungszusammenfassung |
||
Zeile 10: | Zeile 10: | ||
==Althochdeutsch== | ==Althochdeutsch== | ||
Das Althochdeutsche wird ca. zwischen 750 und 1050 datiert. [Jäger 2005:227] Wie an den Beispielen aus [Otfrid] zu erkennen ist, wird die Negation aus dem Partikel ''ni'' gebildet. Dieser stammt aus dem Protogermanischen. | |||
#''Thaz síe '''ni''' wesen éino'' | #''Thaz síe '''ni''' wesen éino'' | ||
Zeile 25: | Zeile 27: | ||
::"sie müssen '''nicht''' so weit gehen" | ::"sie müssen '''nicht''' so weit gehen" | ||
::(O ΙV. 20, 4) | ::(O ΙV. 20, 4) | ||
Zum Ende der Periode des Althochdeutschen wurde der Partikel ''ni'' phonologisch zu ''ne'' oder ''en'' abgeschwächt. | |||
==Mittelhochdeutsch== | ==Mittelhochdeutsch== | ||
Die Periode des Mittelhochdeutschen (1050 - 1350) ist durch eine zweiteilige Negation geprägt.[Jäger 2005:228] Beispielhaft dafür sind die folgenden Sätze aus dem [[Inhaltsangabe "Parzival" (Wolfram von Eschenbach, Parzival)|Parzival]]: | |||
#''er '''en'''mac es vor jâmer '''niht''' enthaben'' | #''er '''en'''mac es vor jâmer '''niht''' enthaben'' | ||
Zeile 43: | Zeile 49: | ||
::(P 487, 3) | ::(P 487, 3) | ||
Hier besteht die Negation aus den beiden Teilen ''en'' und ''niht''. Alternativ gab es auch die Variante ''ne'' und ''niht'' in Kombination. Beides stellt die vom Jespersen Zyklus vorhergesagte zweiteilige Negation im zweiten Schritt da, die die ursprüngliche Variante verstärkt. Dabei ist außerdem wichtig, dass bei beiden Fällen nur der erste Teil ein Klitikon ist und sich mit dem Verb bewegt. | |||
==Frühneuhochdeutsch== | ==Frühneuhochdeutsch== | ||
Zu Beginn der Frühneuhochdeutschen Periode (1350 - 1650) geht der enklitische Partikel verloren. [Jäger 2005:229] Als Resultat bleibt nur noch das freie Morphem ''niht'' erhalten und bildet somit alleine die Negation. Die Bespiele aus [Ereck] sind aus der Handschrift K, die in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts entstand und verkörpert diese Negation: | |||
#''Ob iuch des '''niht''' bedruzet'' | #''Ob iuch des '''niht''' bedruzet'' | ||
Zeile 60: | Zeile 69: | ||
::"nach denen ich '''nicht''' genau zu fragen wage" | ::"nach denen ich '''nicht''' genau zu fragen wage" | ||
::(E 9425, Hs. K) | ::(E 9425, Hs. K) | ||
Auch heute noch wird diese Variante der Negation benutzt. Allerdings wird der Partikel inzwischen als ''nicht'' bezeichnet. | |||
Anders als im Englischen hat das Deutsche die zyklische Bewegung zu Stufe 1 zurück, wie es der Jespersen Zyklus beschreibt, noch nicht durchlaufen. [Jäger 2005:241] | |||
=Syntaktische Analyse= | |||
[[Datei:Jespersen-Zyklus.png|miniatur|Jespersen Zyklus]] | |||
Zeile 70: | Zeile 85: | ||
[*Horn 1998]Horn, L.R. 1989, A natural history of negation, 1. print edn, Univ. of Chicago Press, Chicago, Ill. [u.a.]. | [*Horn 1998]Horn, L.R. 1989, A natural history of negation, 1. print edn, Univ. of Chicago Press, Chicago, Ill. [u.a.]. | ||
[*Jäger 2005]Jäger, A. 2005, "Negation in Old High German", Zeitschrift für Sprachwissenschaft, vol. 24, no. 2, pp. 227-262. | |||
[*Jespersen 1917]Jespersen, O. 1917, Negation in English and other languages, Hœst, Kœbenhavn. | [*Jespersen 1917]Jespersen, O. 1917, Negation in English and other languages, Hœst, Kœbenhavn. |
Version vom 11. September 2023, 11:07 Uhr
Die Negationspartikel im Deutschen haben einen Wandel im Laufe der Textgeschichte durchlaufen. Das zugrundeliegende Phänomen in dieser Entwicklung ist in der Sprachgeschichte als "Jespersen Zyklus" bekannt. In diesem Artikel wird die Entwicklung der Negationspartikel mit Hilfe des Jespersen Zyklus beschrieben und anschließend noch syntaktisch begründet.
Der Jespersen Zyklus
- "Jespersen's Cycle - the repeated pattern of successive weakening and restrengthing of the negative marker." [Horn 1998:446]
Wie Horn (1998) in dem Zitat prägnant zusammenfasst, beschreibt der Jespersen Zyklus ein sich wiederholendes Muster der Schwächung und Verstärkung des negativen Markers. Jespersen (1917) beschreibt dieses Phänomen als zyklisch und unterteilt es in mehrere Schritte. Im ersten Schritt wird die Negation durch einen einzigen Partikel ausgedrückt. In der Entwicklung zum zweiten Schritt wird der Negationspartikel zu einem Klitikon. Zusätzlich tritt eine Verstärkung durch einen grammatikalisierten Minimierer oder einen Indefiniten. Daraus resultiert in Stufe zwei eine Negation bestehend aus zwei Teilen, dem Klitikon und einem verstärkendes Morphem. Das Klitikon wird im nächsten Schritt fakultativ und verschwindet letztendlich ganz. Dadurch besteht die Negation in der dritten Stufe nur noch aus dem ursprünglich verstärkendem Morphem. Anschließend schließt sich der Kreis wieder und es das freie Morphem entwickelt sich wieder in ein Klitikon, dass den Zyklus erneut durchlaufen wird. [Jespersen 1917] Das Muster des Jespersen Zyklus lässt sich in vielen Sprachen erkennen, wie zum Beispiel Englisch, Französisch oder Niederländisch. [Lenz 2018:184] In den nächsten Abschnitten wird die Entwicklung des Negationspartikel im Deutschen näher betrachtet.
Althochdeutsch
Das Althochdeutsche wird ca. zwischen 750 und 1050 datiert. [Jäger 2005:227] Wie an den Beispielen aus [Otfrid] zu erkennen ist, wird die Negation aus dem Partikel ni gebildet. Dieser stammt aus dem Protogermanischen.
- Thaz síe ni wesen éino
- dass sie NEG sind allein
- "dass sie nicht alleine sind"
- (O Ι. 1,115)[1]
- sí ni mohta inbéran sin
- sie NEG konnte entbehren ihn
- "sie konnte ihn nicht entbehren"
- (O Ι. 8, 3)
- sie ni múasun gan so fram
- sie NEG müssen gehen so weit
- "sie müssen nicht so weit gehen"
- (O ΙV. 20, 4)
Zum Ende der Periode des Althochdeutschen wurde der Partikel ni phonologisch zu ne oder en abgeschwächt.
Mittelhochdeutsch
Die Periode des Mittelhochdeutschen (1050 - 1350) ist durch eine zweiteilige Negation geprägt.[Jäger 2005:228] Beispielhaft dafür sind die folgenden Sätze aus dem Parzival:
- er enmac es vor jâmer niht enthaben
- er NEG kann es vor Sehnsucht NEG zurückhalten
- "er kann es vor Sehnsucht nicht zurückhalten"
- (P 180, 1)[2]
- Ich enbin z niht
- Ich NEG bin es NEG
- "Ich bin es nicht"
- (P 476, 24)
- daz enschadete in an den ougen niht
- dass NEG schadete ihn an den Augen NEG
- "dass schadete seinen Augen nicht"
- (P 487, 3)
Hier besteht die Negation aus den beiden Teilen en und niht. Alternativ gab es auch die Variante ne und niht in Kombination. Beides stellt die vom Jespersen Zyklus vorhergesagte zweiteilige Negation im zweiten Schritt da, die die ursprüngliche Variante verstärkt. Dabei ist außerdem wichtig, dass bei beiden Fällen nur der erste Teil ein Klitikon ist und sich mit dem Verb bewegt.
Frühneuhochdeutsch
Zu Beginn der Frühneuhochdeutschen Periode (1350 - 1650) geht der enklitische Partikel verloren. [Jäger 2005:229] Als Resultat bleibt nur noch das freie Morphem niht erhalten und bildet somit alleine die Negation. Die Bespiele aus [Ereck] sind aus der Handschrift K, die in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts entstand und verkörpert diese Negation:
- Ob iuch des niht bedruzet
- Wenn euch das NEG stört
- "Wenn es euch nicht stört"
- (E 8572, Hs. K)[3]
- Vindet ir sin denne niht
- Findet ihr ihn dort NEG
- "Findet ihr diesen aber nicht"
- (E 8601, Hs. K)
- Ich niht fragen getar
- Ich NEG fragen wage
- "nach denen ich nicht genau zu fragen wage"
- (E 9425, Hs. K)
Auch heute noch wird diese Variante der Negation benutzt. Allerdings wird der Partikel inzwischen als nicht bezeichnet. Anders als im Englischen hat das Deutsche die zyklische Bewegung zu Stufe 1 zurück, wie es der Jespersen Zyklus beschreibt, noch nicht durchlaufen. [Jäger 2005:241]
Syntaktische Analyse
Anmerkungen
Literaturverzeichnis
<HarvardReferences />
[*Horn 1998]Horn, L.R. 1989, A natural history of negation, 1. print edn, Univ. of Chicago Press, Chicago, Ill. [u.a.].
[*Jäger 2005]Jäger, A. 2005, "Negation in Old High German", Zeitschrift für Sprachwissenschaft, vol. 24, no. 2, pp. 227-262.
[*Jespersen 1917]Jespersen, O. 1917, Negation in English and other languages, Hœst, Kœbenhavn.
[*Lenz 2018]Lenz, B. 2018, "Negationsverstärkung und Jespersens Zyklus im Deutschen und in anderen europäischen Sprachen" in Deutsch - Typologisch, eds. E. Lang & G. Zifonun, Originally publish 1996 edn, De Gruyter, Berlin, Boston, pp. 183-200.
Textausgaben
[*Ereck]Hartmann von Aue, Reuvekamp-Felber, T., Hammer, A., Millet, V., Merten, L. & Walter de Gruyter GmbH & Co. KG 2022, Ereck: Texte sämtlicher Handschriften - Übersetzung - Kommentar, 2., überarbeitete Auflage edn, De Gruyter, Berlin;Boston;.
[*Parzival]Wolfram von Eschenbach & Reichert, H. 2019, Wolfram von Eschenbach: Parzival, Praesens Verlag, Wien.
[*Otfrid]Otfrid von Weißenburg & Kleiber, W. 2006, Evangelienbuch Bd. 2, Edition der Heidelberger Handschrift P (Codex Pal. Lat. 52) und der Handschrift D (Codex Discissus: Bonn, Berlin/Krakau, Wolfenbüttel) / hrsg. und bearb. von Wolfgang Kleiber .Texte (P, D) / hrsg. und bearb. von Wolfgang Kleiber, Niemeyer, Tübingen.